Beim Sex nichts Neues Eugen Ruges "Mir nichts, Dir nichts" im Stadttheater Um ihren Mann Paul zum Sex zu animieren, ist Franziska jedes Mittel recht: "Soll ich mir einen Besenstiel in den Hintern stecken und "Kikeriki" schreien?" Nachdem auch dieses Angebot nicht von Erfolg gekroent und das uebliche Mass ehelicher Standardbeleidigungen ausgetauscht ist, einigen sich die beiden schliesslich auf einen modus vivendi, den sie im uebrigen schon seit vier Wochen befolgen: "Dann lassen wir's eben." Da sind sie aber nicht die einzigen. In Eugen Ruges Stueck "Mir nichts, Dir nichts", das derzeit am Heidelberger Stadttheater aufgefuehrt wird, versuchen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts insgesamt zehn Mal, Sex zu haben, davon zehn Mal ohne Erfolg. Ein Evergreen, aus dem sich manch lustiger Dialog und das ein oder andere Erbauliche zum Thema Geschlechterkampf holen liesse. Sollte man denken. Leider jedoch belaesst es Eugen Ruge bei platten Gaghunts und oberflaechlich berechneten Effekten. Schon die Wahl der dargestellten Charaktere laesst keinen Stereotyp, kein Klischee aus. Wie aus einem Dutzend soap operas entsprungen, bevoelkern sie die Buehne: Franziska und Paul, das sexuell frustrierte Jungehepaar, der trottelig- schuechterne Altrocker, die auslaendische Hure plus Freier mit allzu perversen Extrawuenschen, die intellektuell angehauchte schoene Studentin, die es vor lauter feministischem Gefasel nicht schafft, mit ihrem Verehrer ins Bett zu kommen, der Millionaer, der mit einem jungen Haeschen Alter und Bauch vergessen will, seine geschiedene Gattin, die Aehnliches mit einem jungen Springinsfeld versucht. Die einzelnen Szenen des Stuecks sind so ineinander verwoben, dass immer eine Figur einer Szene auch in der folgenden zu sehen ist. So sucht etwa Franziska, nachdem sie bei Paul abgeblitzt ist, in der zweiten Szene Zuspruch und koerperlichen Beistand bei einem greisen Hendrix-Fan; dieser wiederum versucht sein Glueck in der naechsten Szene bei einer bolivianischen Prostituierten, scheitert aber aufgrund mangelnder Spanischkenntnisse. Genauso schlaff wie sein Glied bleibt auch sein in einwandfreiem Kauderwelsch vorgetragener Versuch, wenigstens die Haelfte des Geldes zurueckzubekommen. Dabei hatte er - als uebriggebliebener 68er - sogar freiwillig 100 DM (und damit den Preis fuer deutsche Maedchen) bezahlt und nicht bloss 50 DM, wie normalerweise bei der Bolivianerin ueblich. Einer der seltenen textlichen Hoehepunkte! Den uebrigen Akteuren soll es nicht besser ergehen. Ob ein alternder Dichter einer schoenen jungen Dame im Zugabteil gegenuebersitzt und ihre aus dem Off kommenden Gedanken verraten, dass sie es beide wollen, schliesslich aber leider vom Schaffner gestoert werden, oder den Millionaer am Pool bei Wein und Eis ploetzlich die Sinnkrise ueberfaellt, als ihm aufgeht, dass alle - inklusive seines "Haeschens" ihn nur des Geldes lieben - Eugen Ruges Figuren haben irgendwie ein wenig Pech in Sachen Sex. Im Grunde wuerden sie nur zu gern, aber (und das ist tragisch), es kommt immer was dazwischen. Und was dazwischen kommt, sind belanglose Kleinigkeiten, Treppenwitze des Alltags und bloede Zufaelle; und das ist komisch. So wursteln sich die Figuren durch die die zehn Szenen, die zwar insgesamt nur 1 3/4 Stunden dauern, aber durch ihre ewiggleiche Konstruktion doch recht ermuedend sind. Der Text kommt ueber ein Potpourri einschlaegiger Klischees und billiger Lacherfolge nicht hinaus, er bringt keine einzige neue oder auch nur originelle Aussage, sondern bedient den Zuschauer mit Versatzstuecken aus dem Beziehungsbaukasten. So etwa Franziska und Paul: Sie will "mal einfach ganz lieb sein", er will "etwas Ausgefallenes"; sie will "es ganz normal", er will Pornos und Vibratoren. Das ist nun wirklich nichts Neues, und das einzig Komische ist die Stelle, da sie ihm seinen "daemlichen Fesseltick" vorwirft, waehrend er sich vergeblich mueht, seinen Krawattenknoten zu binden... Ganz besonders lustig hatte sich der Autor wohl auch den Schluss gedacht, in dem Paul als jugendlicher Liebhaber der Ex-Millionaersgattin wieder auftaucht. Diese begehrt von ihm "etwas ganz Schweinisches", und ueberfordert damit ausgerechnet ihn, der es sich doch immer so dringend gewuenscht hat. Ganz toll... Gerettet wird das Stueck durch Wolfgang Hohmanns Inszenierung und die Leistung der Schauspieler. Ihnen gelingt es, durch Mimik und Betonung bestimmter typisierender Eigenheiten die Figuren lebendiger zu machen, als es Stereotype im allgemeinen sind. Besonders erfreute Helmut Kahn in der Rolle des alternden Rockfans. Wie er da kurzsichtig, das schuettere Haar notduerftig gezopft, durchs Zimmer stolpert, dabei von seiner eitrigen Warze erzaehlt und versucht, sein Verhaeltnis zu Frauen zu beschreiben ("Ich bin kein Softie; so weit wuerde ich nicht gehen"), treibt er das Publikum von Lacher zu Lacher und die arme Franziska schier zur Verzweiflung. Trotz Minirock, offenem Haar und aufreizendem Tanz kommt es nicht zum erhofften GV. Auch die anderen Schauspieler verstehen es, weit mehr aus ihrer Rolle zu machen, als das, was der Text hergibt. Ein Uebriges tut die Inszenierung, die das Szenenhafte, Kinomaessige, Ausschnittartige geschickt zu betonen weiss, ebenso wie das cinematypische Buehnenbild. So ist Eugen Ruges "Mir nichts, Dir nichts" doch noch ein vergnuegliches Stueckchen, vielleicht nicht gerade der Jahrhundertsex, aber eine nette kleine Affaere. (kw)