Meinung


"Das Ministerium steht stramm"

Greenpeace-Campaigner Andreas Bernstorff über TV-Kameras, Quäker und Ogoni

Wenn sich Greenpeace-Aktionisten mit Fahrradschlössern an Brücken und Schornsteine hängen, hat er die Schlüssel in der Hosentasche. Der Heidelberger Andreas Bernstorff, Jahrgang 1945, ist 'Campaigner' - Leiter der Kampagne "Giftmüllexporte" bei Greenpeace. Als er im Herbst 1989 bei Greenpeace die weltweite Kampagne durchsetzte, hatte er bereits ein Studium der osteuropäischen Geschichte und Soziologie an der Uni Heidelberg und mehrere Jahre Arbeit als Journalist und Landtagsabgeordneter der Grünen in Baden-Württemberg hinter sich.

ruprecht: Besteht bei den Aktionen von Greenpeace nicht die Gefahr, daß sich Menschen von ihrer individuellen Verantwortung für ökologische Zusammenhänge entlastet fühlen - nach dem Motto: "Greenpeace kümmert sich schon darum"?

Bernstorff: In der Tat sind wir eine Organisation, an die man Dinge politisch delegiert. Wir sind eine Projektionsfläche für Wünsche, die nicht artikuliert werden können oder bei denen Leute vielleicht selbst nicht wissen, was sie machen können. Man darf das aber nicht diskreditieren. Delegation per Spende, per Auftrag ist ein legitimes Verfahren. Ich würde immer verteidigen, was wir tun, aber gleichzeitig kritisieren, daß es sich Leute zu leicht machen können, wenn sie nur spenden.

ruprecht: Symbolische, publicityträchtige Aktionen verstellen den Blick auf die ganz alltäglichen, aber nicht weniger gravierenden Probleme der Umwelt. Ein Tribut an die Mediengesellschaft?

Bernstorff: Das sehe ich etwas anders. Spektakuläre Aktionen gehen quasi als Selbstläufer durch die Medien. Hinter ihnen verschwindet oft alles, was wir sonst noch machen. Das ist schade, aber schwer zu ändern. Hinter den Kulissen laufen aber selbstverständlich andere Geschichten, in die wir viel mehr Geld und Grips stecken. Zum Beispiel versuchen wir, die chinesische Industrie zu überzeugen, FCKW-freie Kühlschranke und Benzinsparautos zu bauen. Denn dort sind die großen klimarelevanten Absatzmärkte. Aber damit können Sie kein Fernsehbild machen, höchstens einen Kinospot. Das sind Aktionen, die uns sehr wichtig sind, die jedoch weitaus weniger öffentliches Echo finden. Ich lege auch Wert darauf, daß die Leute bei den spektakulären Aktionen auch wirklich mitdenken und sich fragen: Warum machen wir so etwas? Das passiert leider viel zu selten.Wichtig ist aber, daß uns Aktionen wie "Brent Spar" bekannt machen und daß die Verantwortlichen Respekt vor uns bekommen. Im Moment etwa können wir auf anderen Ebenen im Stillen durch den "Brent Spar"-Erfolg viel mehr durchsetzen als noch vor ein paar Monaten. Spannende Aktionen sichern uns die breite Unterstützung der Öffentlichkeit und machen damit die weniger spektakulären, aber - vom rein ökologischen Standpunkt aus betrachtet - wichtigeren Aktionen erst möglich. Wenn ich heute in ein Ministerium komme, stehen alle stramm. Aber wenn man ein halbes Jahr nichts von uns hört, dann spricht man in diesen Kreisen auch nicht mehr von uns.

ruprecht: Wie erklären Sie sich, daß gerade die "Brent Spar"-Geschichte so hohe Wellen geschlagen hat?

Bernstorff: Die "Brent Spar"-Geschichte haben wir am Anfang total unterschätzt. Für uns galt es, aufzupassen, wann die erste Plattform versenkt wird. Das mußte verhindert werden, weil noch 400 weitere kommen. Ein Präzedenzfall also. Daß aber eine so große Öffentlichkeit auf diese Weise daran Anteil nimmt, das haben wir nicht erwartet.

ruprecht: Wie stand Greenpeace zu dem Boykott?

Bernstorff: Wir sind sehr zögerlich. Wir haben nicht zu diesem Boykott aufgerufen, wir haben ihn aber dokumentiert.

ruprecht: Warum nicht?

Bernstorff: Wir hätten gleichzeitig zum Boykott gegen "Esso" aufrufen müssen, weil denen die Hälfte der Plattformen gehört. Ich persönlich hätte lieber eine Firma - auch "Shell" - boykottiert, weil sie ein Volk, die Ogoni in Nigeria, im Zuge der Ölförderung mißhandelt und umbringt. Da werden Milizen eingesetzt gegen die Ogoni, denen das Land gehört. Das ist für mich boykottwürdiger als eine dumme Plattform in der Nordsee. Wir dürfen ja auch unseren humanitären Grundansatz nicht vergessen. Die Denkfigur ist: Hoffentlich ist die Ökologie-Arbeit von Organisationen wie uns irgendwann überflüssig. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Und darum fällt es mir schwer, wegen solcher Anlässe wie "Brent Spar" zu Großaktionen gegen Firmen aufzurufen. Das hat was Heuchlerisches und Plattes.

ruprecht: Wie weit gehen Sie als Koordinator beispielsweise von Ankettungsaktionen?

Bernstorff: Ich habe es nie übertrieben. Ich weiß aber von einer Aktion in Südfrankreich, dem Versuch, einen Modellversuch zur Kernschmelze zu verhindern. Die Polizei hat das Lager der Aktionisten gestürmt und hat die Leute entsetzlich verdroschen. Wenn man absehen kann, daß am Ende Schwerverletzte oder gar Tote übrigbleiben, dann sollte man das Ganze bleiben lassen. Ich finde es wichtig, an die Tradition der Quäker zu denken, die Greenpeace 1971 gegründet haben. Die Quäker hatten eine lange Tradition des zivilen Ungehorsams, des passiven Widerstandes. Das heißt: Es wird niemals zurückgeschlagen, wenn jemand dich schlägt. Unsere Siege müssen moralisch errungen werden.

ruprecht: In den Medien sieht es oft sehr brutal aus...

Bernstorff: Ja, selbstverständlich, das sind ja die Szenen, die am liebsten gezeigt werden. Aber die Medien übernehmen auch eine für uns sehr wichtige Schutzfunktion. Wenn die dabei sind, wird in der Regel nicht hart zugeschlagen. Der ukrainischen Polizei habe ich einmal bei einer Abführaktion nicht so ganz getraut. Aber wir hatten ein ARD-Team dabei, und die habe ich gebeten, bei der Aktion bis zum Schluß draufzuhalten und nicht dann aufzuhören, wenn sie ihre Bilder im Kasten haben, damit unsere Leute unterwegs nicht verhauen werden. Ohne Kamera hätte ich es nie soweit kommen lassen, hätte die Aktion vielleicht gar nicht gemacht.

ruprecht: Was sind das für Leute, die sich bei Aktionen an Giftmüllcontainer ketten, sich von der Polizei verprügeln und von Wasserwerfern bespritzen lassen?

Bernstorff: In Deutschland nehmen daran nur genau ausgesuchte, geschulte Leute teil, die wir seit Jahren kennen. Die haben alle unsere speziellen Trainings absolviert: Klettertraining, Schlauchboottraining, Rollenspiele, etwa "Polizei und Greenpeace": Da geht es zum Beispiel darum, wie man auf Provokationen reagiert. Natürlich muß man auch der Typ für so etwas sein. Ich könnte das nicht. Wenn ich mit einem Fahradschloß um den Hals irgendwo angekettet wäre und einer würde mich hart anpacken, dann träte ich dem rein reflexhaft in den Bauch.

ruprecht: Und wie sind Sie dann zu Greenpeace gekommen?

Bernstorff: Über das Problem Giftmüllexporte. Ich habe für die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg zusammen mit Bürgerrechtsgruppen Giftmüllverbrennungsanlagen bekämpft, mit großem Erfolg. Plötzlich fanden wir aber heraus, daß der Giftmüll, dessen Verbrennung wir hier verhindert hatten, in andere Länder, zum Beispiel in die Türkei, gebracht und dort verbrannt oder sogar als Baustoff für Hafenanlagen verwendet wurde. Das war für mich persönlich ein Schock, weil ich das Gefühl bekam: Menschenskinder, alles was du hier verhinderst, das geht zu anderen, die sich dagegen gar nicht wehren können und die Gefahren nicht kennen. Wir haben uns dann vor allem in der Presse sehr stark engagiert und die erste Rückholaktion nach Deutschland gestartet. Später habe ich mich dann an Greenpeace gewandt und mit Leuten aus anderen Ländern die globale Kampagne zum Thema Giftexporte durchgesetzt.

ruprecht: Ab welcher "Größenordnung" interessiert sich Greenpeace eigentlich für ein Umweltproblem?

Bernstorff: Die übliche Antwort, die Sie bekommen, wenn Sie bei Greenpeace anrufen und auf einen Mißstand aufmerksam machen, lautet: Dazu haben wir keine Kampagne. So wie der Beamte sagt: Dafür bin ich nicht zuständig. Das ist aber nur die erste Antwort. Wir fragen die Leute, ob sie schon mit dem Umweltamt gesprochen haben oder der BUND-Gruppe oder ähnlichem. Wir führen die Leute zu ihren eigenen Handlungsmöglichkeiten vor Ort zurück, und dafür sind die meisten Leute sogar dankbarer. Bevor wir selbst etwas machen, müssen wir einen Arbeitsbereich haben, in den es reinpaßt. Es gibt ja auch Fälle, da nützt es überhaupt nichts, wenn Greenpeace auch noch kommt. Allein beim Thema Müllverbrennung gibt es in Deutschland bestimmt 1200 Bürgerinitiativen, und wenn wir dann auch noch hinkommen, dann sagen die: Na, auch schon hier? Also, wir sind da gar nicht nötig. Wir werden dort gebraucht, wo sonst keiner hinguckt.

rurecht: Wie klappt denn generell die Zusammenarbeit bei Aktionen mit anderen Umweltorganisationen vor Ort?

Bernstorff: Das machen wir sehr viel, wobei es häufig ein Problem gibt. Man muß sehr frühzeitig und langfristig miteinander reden. Was nicht passieren darf, ist, daß wir in den Ruf von Abstaubern kommen. In Wackersdorf arbeiteten Leute jahrelang an der Verhinderung der Wiederaufbereitungsanlagen, und dann kamen wir aus Geheimhaltungsgründen mit einem getarnten Lastwagen in die Anlage rein und konnten eine Riesenaktion machen. Die Leute von den Bürgerinitiativen dort waren stinksauer. Das sind Sachen, die nicht passieren dürfen: Umwelt-Rambo sein auf Kosten anderer. Eine ungute Konkurrenz zwischen Umweltgruppen ist das Schlimmste, was der ganzen Ökobewegung passieren kann. (kw/mp)


Kommentare

Heike Rader: "Am Slavischen Institut droht der Kahlschlag."

Schwer erträglich war die Studiensituationam am Slavischen Institut schon lange. Seit dem Weggang des Professors für Literaturwissenschaft, Prof. Willfried Potthoff, der für alle slavischen Sprachen zuständig war, ist die Situation jedoch grotesk. Die Stelle ist zwar mittlerweile zur Wiederbesetzung freigegeben, ist aber weiterhin unbesetzt und wird es voraussichtlich auch noch im nächsten Wintersemester bleiben. Das hat für viele Studierende schwerwiegende Folgen. Zur Illustration ein Fallbeispiel: Eine Studentin hat die Sprachen Bulgarisch und Serbokroatisch gewählt. Sie befindet sich noch im Grundstudium. Wenn die Stelle für Literaturwissenschaft auch weiterhin unbesetzt bleibt, werden ihr bis zur Zwischenprüfung, die spätestens nach dem sechsten Semester abgelegt werden muß, zwei Pflichtscheine fehlen. Von seiten der Universität droht dann die Zwangsexmatrikulation. Leider ist das kein Einzelfall. Daher ist es kein Wunder, daß viele Erstsemester bereits das Handtuch geworfen haben und höhere Semester keine andere Möglichkeit sehen, als den Studienort zu wechseln.

Im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Integration der ehemaligen Ostblockstaaten ist es aber gerade jetzt von großer Bedeutung, daß auch weiterhin das Lehrangebot aller slavischen Sprachen erhalten bleibt. Institutsleitung und Dozenten bemühen sich ernsthaft, dieses Loch mit Hilfe sogenannter Lehraufträge zu stopfen. Aber allein die Fragen: "Wie soll ich meine Zwischenprüfung machen? Wie und wann kann ich mein Studium abschließen?" zeigen nur allzu deutlich, daß nur eine sofortige Wiederbesetzung aller freiwerdenden Stellen solche Probleme lösen kann bzw. gar nicht erst entstehen läßt. Wie Studierende unter diesen Bedingungen die vom Wissenschaftsministerium und Universitätsleitung geforderte kurze Studienzeit erfüllen sollen, bleibt ein Rätsel. Nicht um den Willen der Studenten nach einem schnellen und guten Studium geht es hier, sondern um fehlendes Personal und unzureichende Finanzmittel.

(Die Autorin ist Mitglied einer Studenteninitiative am Slavischen Seminar.)

Gundula Zilm: "Frauenfragen an der Uni? - Keine kümmert's."

Was lange währt, wird endlich gut. Ob dies auch der Gedanke der derzeit vier aktiven Frauen vom Autonomen Frauen- und Lesbenreferat (AFLR) war, bleibt ein Rätsel: Nach drei Jahren beriefen sie mal wieder eine Frauen-Vollversammlung ein. Ihr Ruf wurde erhört, und so strömten die Studentinnen am Mittwoch letzter Woche zuhauf in die Triplex-Mensa, ganze neunzehn an der Zahl - was mit Freude über den regen Zustrom quittiert wurde. Daß man die Zuhörerinnen sowieso fast alle - außer einer dubiosen Pressefrau - kannte, schien der Begeisterung keinen Abbruch zu tun.

Erster Programmpunkt war der Rechenschaftsbericht. Diesen ist das AFLR nämlich niemandem außer der Frauen-VV schuldig. Und so legten die vier Frauen mit Unterstützung einer Mitorganisatorin und einer ausgeschiedenen AFLRlerin vor den Zuhörerinnen Rechenschaft darüber ab, warum in diesem Semester niemand in ihrem Büro zu sprechen war, warum eingehende Informationen nicht an die Frauenkommissionen der Institute weitergegeben wurden und wo der Etat von immerhin DM 8.500 pro Jahr bleibt. Das Wörtchen "autonom" im Namen bedeutet nämlich, daß das AFLR von der FSK unabhängig ist und über die 10% des FSK-Etats, die es sich vor einigen Jahren erkämpft hat, selbständig verfügen darf. Knapp die Hälfte dieses Geldes verschlingt die "Lila Karla", eine jährlich neu aufgelegte Informationsschrift für Frauen, in der die Situation der Studentinnen an der Uni beschrieben und Frauen-Initiativen vorgestellt werden. Die restlichen Tausender werden für Ausstellungen, Vortragsreihen u.ä. ausgegeben. Für dieses Jahr ist z.B. im Dezember noch eine Ausstellung über Frauen in den Naturwissenschaften, eventuell mit Vorträgen, geplant.

Der zweite Tagespunkt war der Vorschlag eines Logos, das heftigen Protest auslöste. Von einer kurvenreichen, auf einem Bleistift reitenden, lächelnden "Hexe" fühlten sich die anwesenden Frauen nicht repräsentiert. Statt dessen entschied man sich kurzerhand für die ebenfalls auf dem Einladungsplakat abgedruckten, Keith Haring-adaptierten Tanzfiguren. Bevor es dann in die Schlußrunde, die anschließende Fete, ging, stritt man noch darüber, ob der Name von AFLR in UFLR (Unabhängiges FLR) geändert werden sollte, da viele mit dem Begriff autonom "schwarz und vermummt" assoziierten. Die Mehrheit wollte allerdings doch lieber autonom bleiben.

Mit dieser Veranstaltung hatte nun also das AFLR seine Schuldigkeit getan. Die Gastgeberinnen bedankten sich für das rege Interesse, und die Gäste lobten die Motivation, das AFLR vor dem langsamen Dahinsiechen retten zu wollen. Was aus dem Sorgenpatienten wird, hängt nun scheinbar allein von vier Frauen ab; auf die restlichen 14.981 Frauen an der Uni können sie sich jedenfalls nicht verlassen, denn die kümmerten sich letzten Mittwoch lieber um die Probleme der "Drombuschs". (gz)


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