ruprecht in kleinen Häppchen


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Will Buch haben jetzt!

Wissenschaftliche Literaturversorgung ernsthaft gefährdet

"Es ist eine Schande", schimpft Dr. Frey im Lyrikseminar, "das ist der bedeutendste lebende Dichter Spaniens, und wir besitzen nicht ein mickriges Bändlein von ihm." Sein wiederholt geäußerter Wunsch auf Ankauf wurde mit Verweis auf die begrenzten Mittel zurückgewiesen. Das Romanistische Seminar ist kein Einzelfall, im Gegenteil.

Dem Anspruch auf Vollständigkeit können die meisten Seminarsbibliotheken schon seit Jahren nicht mehr gerecht werden. Die Einsparungen betreffen elementare Bildungsbedürfnisse. Bestellstops schon zu Jahreshälfte, die zahlreiche, v.a. geisteswissenschaftliche Institutsbibliotheken verhängen müssen, verhindern den Ankauf unverzichtbarer Fachliteratur. Die Schäden sind irreversibel. Gerade wissenschaftliche Monographien erscheinen in sehr begrenzten Auflagen und sind später nicht mehr erhältlich. "Schon bei den Primärwerken kommen wir in Schwierigkeiten", so eine Bibliothekarin, "wir produzieren Lücken."

Die Probleme, mit denen man sich konfrontiert sieht, sind zahlreich. Die Ursache ist allen gemeinsam: völlig unzureichende Etats. Nicht nur um mangelnde Mittel zur Buchbeschaffung geht es, auch Bibliothekarsstellen werden gestrichen oder nicht neu besetzt, Geld zur Restaurierung älterer Werke fehlt; dies alles hat fatale Folgen für Studierende wie Lehrende.

Nach einer Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels verliert jeder der 1,8 Millionen Studenten dieses Landes 1 Semester aufgrund mangelhafter Ausstattung und Vernetzung der UBs. Ein schlagendes Argument in Zeiten, da die Forderung nach zügigem Studienfortgang schnell in eine "Bereinigung des Studentenbestandes" (O-Ton Rektor Ulmer) umschlägt.

Dabei sieht die Lage in Heidelberg noch vergleichsweise gut aus. UB-Chef Dörpinghaus ist froh, "in diesem Jahr von Kürzungen verschont geblieben zu sein." Mit einer Erhöhung der Etats wird er auf Jahre hinaus nicht rechnen können. Diese wären aber unbedingt notwendig.

Allein für die Restauration und Instandhaltung der alten Buchbestände benötigte man mindestens 250.000 DM, die UB muß hierfür mit einem Fünftel der Mittel auskommen. Dörpinghaus schätzt, daß derzeit 10 % des Büchergrundbestandes (also mehrere Zenhtausend Bücher) in den Kellern der UB verrotten.

Ein anderes schwerwiegendes Problem stellen die Fachzeitschriften dar. Mit ihren überproportionalen Teuerungsraten (25-50%) und den kostenträchtigen Abonnementverpflichtungen sind sie zuerst von den Mißständen betroffen. Gerade aber die wissenschaftlichen Zeitschriften, als schnellstes Medium weltweiter wissenschaftlicher Kommunikation, sind für erfolgreiche Forschung und Nachforschung unerläßlich. Nur noch die wenigsten Seminarbibliotheken können sich diesen "Luxux" leisten. In den letzten drei Jahren mußte auch die UB annähernd 100 laufende Abonnements abbestellen. Da wurde es selbst Rektor Ulmer zu bunt. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz machte er seinem Unmut an höchster Stelle Luft. Die Folge: Das Land gewährte Sondermittel, die es 1995 ermöglichten, zahlreiche Titel wieder anzufordern. Bis 1996 ist man noch abgesichert. Danach geht das Spiel von vorne los.

Entschiedener Protest lohnt sich also, nicht nur im Kreise der Mächtigen. Der RCDS brachte mit einer landesweiten Unterschriftenaktion eine Anhebung des Doppelhaushalts um 500000 DM auf den Weg, die Fachschaft der Romanisten stemmte sich erfolgreich gegen eine drohende Verkürzung der Öffnungszeiten ihrer Seminarsbibliothek. Wie in anderen Instituten auch konnten dort die aus HiWi-Mitteln finanzierten Bibliotheksaufsichten nicht mehr zeitdeckend zugeteilt werden. Ganz radikal verfuhr man bei den Biologen. Dort ist die Bücherei bis auf weiteres geschlossen. Die Bibliothekarin ging in Ruhestand.

In der Verkürzung der Öffnungszeiten sieht auch Dörpinghaus ein Problem, das den Büchereien in den nächsten Jahren verstärkt Sorgen bereiten wird. Schon für das Jahr 1996 kann er für die Beibehaltung der lobenswert langen Öffnungszeiten (8.30-23 Uhr) der UB nicht mehr garantieren. Sollten die von ihm verwalteten Mittel Kürzungen in diesem Bereich erzwingen, erwartet und fordert er "auch von Seiten der Studierenden lautstarke Proteste".

Die Krise wächst. Zwar bieten technische Innovationen (Internet, CD-Rom) sinnvolle Ergänzungen zum Buchgebrauch, aber gerade die enorm hohen Investitionskosten in diesem Bereich belasten die Budgets, und nicht immer bedeutet Modernisierung auch Arbeitserleichterung. Jüngstes Beispiel ist die von der Regierung gesetzlich geforderte landesweite Angleichung der Bibliothekscomputer. Wir alle kennen HEIDI, in Freiburg und Karlsruhe heißt HEIDI OLAF. Beide Systeme sind etwa so unterschiedlich wie Mann und Frau. Nur wesentlich schwieriger zu vereinigen. Sollten die Gesetzgeber mit ihrem Projekt Ernst machen, "dann brennt hier in Heidelberg der Baum", so ein Verwaltungsexperte.
Dennoch wird an einer high-tech gestützen Rationalisierung, die fast in jedem Fall auch Zentralisierung bedeutet, kein Weg vorbeiführen.

Im Neuenheimer Feld tummeln sich derzeit 47 Instituts - und Kliniksbibliotheken (allein die Mathematiker halten 7), hier kostet der Drang nach Autonomie nicht nur einen Haufen Geld, sondern richtet sich auch gegen die Bedürfnisse der Studierenden. Weite Wege und mangelnde Übersichtlichkeit erschweren die Suche. Unlängst legte die UB ein "Konzept für die künftige Literaturversorgung im Neuenheimer Feld" vor. Das 7-seitige Thesenpapier sieht die Errichtung eines "funktionsgerechten Bibliotheksneubaus" vor, der 25 Einrichtungen beherbergen soll. Wenn alles glatt geht, wird im Jahre 2000 ein Grundstein zu dem sternförmigen Gebäude gelegt werden. Weitere Einsparungsmöglichkeiten werden in besseren Vernetzungen mit anderen UBs, Zeitschriftenpools und einer umfassenderen EDV-Erfassung erkannt.

Dennoch werden diese Maßnahmen allein die Mißstände nicht beheben. Neue Modelle tun Not. Der RCDS macht sich in diesem Zusammenhang für ein "Sponsoring von Privatfirmen" stark. Spendet IBM ein Informatikbuch, so soll dies im Einband deutlich zu erkennen sein. Die Idee klingt wohl besser als sie ist. Schnell könnte die Unis in Abhängigkeitsverhältnisse geraten, zudem leistet solch eine freimarktwirtschaftliche Finanzierungstaktik den Politikern weiter Vorschub, sich ihren gesetzmäßigen Pflichten zu entziehen. Freunde, Eigeninitiative ist gefordert. Nachdenken und Handeln jetzt! (eile)


Pillendreher rotieren

Pharmazie wird eingestampft

Die Verwaltungsratssitzung der Universität vom vergangenen Donnerstag könnte für die pharmazeutische Fakultät unter Umständen tödliche Nebenwirkungen haben. Latenzzeit: fünf Monate, dann, am 1. April, wird ein Immatrikulationsstop in Kraft treten, durch den die kleine Fakultät bis spätestens 1999 wegkondensiert. So zumindest sieht das trostloseste pharmazeutische Horoskop für das neue Jahr aus. Ein Schlupfloch bleibt den Apothekern allerdings, nämlich die Fusion mit einem ihrer zahlenmäßig weit größeren Geschwister, Medizin, Biologie oder Chemie. Diese 3 Fakultäten haben sich laut Verwaltungsratsbeschluß noch vor den ersten Neujahrsraketen zu überlegen, ob sie bereit wären, den Apothekern unter ihren Zelten Asyl zu gewähren. Die Tage der Pharmazie als eigenständiger Fakultät sind in Heidelberg jedenfalls gezählt. Deren Dekanat fühlt sich von Univer-waltung und Ministerium hintergangen: "Wir sind bei all dem nicht gefragt worden. Eine Schließung der Fakultät wäre ein absoluter Ent-scheidungsfehler" meint Prodekan Wild, der in diesem für die Fakultät kritischen Augenblick seinen in Japan weilenden Chef vertritt. Das Rektorat sieht das anders. Die Pharmazie könne als eigenständige Fakultät mit nur 5 Profs nicht bestehen bleiben. Das Gegenargument, das Ministerium bzw. die Uni-Verwaltung habe die Stellen nicht mehr freigegeben, läßt Prorektor Hüfner nicht gelten. Es sei keineswegs so, daß Stuttgart eine der drei pharmazeutischen Fakultäten im Ländle aus Rationali-sierungsgründen abwickeln wolle, auch Uni-intern gebe es keine finanziellen Gründe. Vielmehr habe es bei den Pharmazeuten interne Querelen gegeben, die sie selbst nicht lösen wollten.

Worum es konkret ging, war über das Rektorat nicht in Erfahrung zu bringen. Insider-Wissen eben. Doch ganz dicht sind solche Netze des Schweigens nie. Radio Kurpfalz zumindest brachte eine Meldung von forschenden Geisterfliegern, die an der hiesigen pharmazeutischen Fakultät tätig seien und beruft sich dabei auf Aussagen aus der Uni-Verwaltung. Auch sei die Fakultät hoffnungslos veraltet und zerstritten, was eine Einigung auf neue Professoren unmöglich mache. Im Verwaltungsrat wurde man deutlicher: Die Fakultät bringe nicht genügend Drittmittel auf und habe den Sprung auf den Zug in die Zukunft verschlafen. Der transportiert im Moment molekularbiologische und biochemische Themen...

"Alles Blödsinn!" Die studentischen Vertreter haben für diese Argumente nur Kopfschütteln übrig. Natürlich laufe nicht alles vorbildlich, aber wenn sich kein passender Bewerber für eine Professur finde, könne auch keiner eingestellt werden, und im Forschungssektor gehe in Heidelberg Qualität vor Quantität. Tatsächlich fällt es dem Außenstehenden nicht leicht, der Argumentation von Rektorat und Ministerium zu folgen. Es mag Zufall sein, daß die bei den Oberen unbeliebte Fakultät zur gleichen Zeit und mit der gleichen Geschwindigkeit abgewickelt werden soll, wie das neue Biochemie-Zentrum "aufgewickelt" wird. Man schwimmt gerne en vogue...

Die Pharmaziestudenten fühlen sich im Regen gelassen. Im Falle einer Abwicklung müßten sie die Uni wechseln, oder an einer ständig schrumpfenden Fakultät bis 1999 zu Ende studieren, was zumindest die untersten Semester nicht wollen werden. Doch auch im Falle einer Fusion befürchtet die Fachschaft ein Chaos. Auf jeden Fall wollen die Pharmazeuten für den Fortbestand ihrer Fakultät kämpfen. Unterstützung dürfte sich finden lassen: Die Apothekerkammer ist als Standesvertretung erster Ansprechpartner, aber auch vom mächtigen Bundesverband der Pharma- Industrie erhofft man sich Rückendeckung. Als eine der wenigen selbständigen pharmazeutischen Fakultäten in Deutschland gebe es in Heidelberg Möglichkeiten, von denen andere nur träumen könnten. Dem Rektorat könnte ein heißer Herbst bevorstehen.

Es ist absurd: Eine bei den Studenten bundesweit überdurchschnittlich beliebte Fakultät wird zum Spielball von ein paar Verwaltungen, die sich nicht einigen können. (gvg)


Im Schweinsgalopp

Zentrales Prüfungsamt wird überhastet eingeführt

"Nein, konkrete Vorstellungen darüber, was das Ganze kosten wird, haben wir noch nicht. Ja, mit der EDV gibt es noch Probleme. Nein, wir wissen noch nicht, wer sie lösen wird. Genaugenommen ist die betreffende Stelle noch nicht einmal geschaffen. Das System? Steht noch nicht fest. Bis heute besitzen wir weder eine Analyse noch ein ausgearbeitetes Konzept. Aber selbst wenn der Senat den Antrag auf Einführung eines Zentralen Prüfungsamtes für Geistes-, Geo- und Sozialwissenschaftler am 7.11. ablehnt, besitzt die Verwaltung Möglichkeiten, dem Auftrag des Gesetzgebers nachzukommen." Regierungsdirektor E. Behrens ist ein ehrlicher Mann. Das ehrt ihn. Und irgendwie ist ihm bei der Sache nicht ganz wohl. Das versteht man. Schließlich geht es hier nicht um Kinkerlitzchen, sondern um das Prüfungsschicksal von fast 7000 angehenden Magistern. Verwaltungstechnisch ist die Konzentration von fünf verschiedenen Fakultäten mit mehr als 40 verschiedenen Prüfungsordnungen zu einer Zentralbehörde (s. ruprecht Nr. 37) gelinde formuliert "eine heikle Angelegenheit." Behrens: "Die Geisteswissenschaftler sind erst der Anfang, ist diese schwere Hürde überwunden, nehmen wir die Diploma und Staatsexamen in Angriff."
Zwar sieht §50 Abs. 6 des Unigesetzes vom 1.1.95 die Schaffung eines "gemeinsamen Prüfungsamtes" binnen 2 Jahren verbindlich vor, doch hindert das die Kollegen von Konstanz bis Tübingen bisher nicht daran, Heidelbergs Gipfelstürmer erstmal Erfahrung sammeln zu lassen. Trotz starker Widerstände aus den betroffenen Fakultäten behält man das Planungsziel WS 96/97 fest im Auge. Ulmers Meriten wollen verdient sein. Hiesigen Magistern stehen harte Prüfungen ins Haus. (eile)


Ey!

Ich sage: Es ist, bei Gott, vieles sinnlos auf dieser Welt: Die Palette reicht von der Magister-prüfungsordnung bis zum Gesicht von Mario Basler.
Nichts aber ist sinnloser als der Herbst. Die Tage werden kürzer, die Blätter werden rot und spätestens, wenn die vielen Hobbypoeten wieder in freien Versmaßen über die Vergänglichkeit des Menschen nachzudenken beginnen, fragt man sich: Was soll der Aufwand? Und vor allem: Bringt uns das etwas, diese Natur?
Ungeschönt betrachtet ist man selbst nämlich in der heutigen Gesellschaft bereits mehr als überflüssig: Man stört durch seine bloße Anwesenheit. Wer je mit seiner Krankheit den reibungslosen Betrieb in einer Universitätsklinik aufgehalten hat, weiß, wovon ich rede. Hoffnungslos Gesunde denken wahlweise an das Marstall-café, wo man unwillkürlich jungen, dynamischen Menschen beim Arbeiten in die Quere kommt: "He, das hält derartig auf, wenn sich jeder hier vorne die Milch in den Kaffee schüttet, weißt Du das?"
Nein, in einer Welt, in der Tausende von Arbeitern die Fabriken verstopfen oder Jungakademiker mutwillig 10-qm-Zimmer verwohnen, ist der Herbst so fehl am Platz wie nur irgendetwas. Allein die frühe Dunkelheit gibt zu denken: Die Zahl der Depressiven, die sich in ärztliche Behandlung begeben müssen, steigt ebenso wie die der Radfahrer, die auf regennasser Straße verunglücken. Und uns erhöht man dann die Krankenkassenbeiträge!

Der CO2-Ausstoß wegen kältebedingter Heiztätigkeiten beweist: Der Herbst schädigt die Umwelt (von der Verschandelung der Landschaft durch Clorophyll soll hier gar nicht erst die Rede sein). Und vor allem: Er dauert zu lang, der Herbst. Eine Abschaffung dieser Jahreszeit würde die Studienzeiten um rund ein Viertel verkürzen! Außerdem, das sei Herrn Ulmer gesagt, würde sicher keiner die Streichung bemerken, denn "Herbst" kommt in dem schönen Wort "Wintersemester" gar nicht vor.
Der Dichter sagt: Alles nutzlos? Das ist Unsinn! / Denn wir wissen ganz genau: / Einzig Glossen sind entbehrlich / Weg damit! Und Aus! Und Ciao! (step)


ruprecht "point&counterpoint": Tierversuche im Studium - überflüssig oder notwendig?

"Notwendig"

Prof. Dr. med. Wolfgang Kuschinsky

1. Physiologisches Institut der Universität Heidelberg

Tierversuche - ein emotionell belegtes Reizwort. Jeder kennt zur Genüge Bilder und Fotos, die ihm immer wieder im Fernsehen und auf Plakaten gezeigt werden. Durch eine dauernde einseitige, scheinbar objektive "Berichterstattung" soll der Eindruck erweckt werden, daß hier immer Tiere schwer leiden. Und das nun auch noch in der Ausbildung? Liegt es da nicht nahe, sofort und ohne weitere Überlegung alles abzulehnen?

Die Wirklichkeit sieht anders aus als das, was uns vorgespiegelt wird. Tierversuche in der Ausbildung gibt es in Deutschland fast überhaupt nicht mehr, und wenn, dann ohne jedes Leiden des Tieres, da alle Messungen in Betäubung vorgenommen werden - heute sollte man hierbei korrekter von schmerzfreier Materie sprechen. Die Diskussion wird von Tierversuchsgegnern immer wieder angefacht, um gegen Organentnahmen, zumeist von Krallenfröschen, Einspruch zu erheben. Die Tötung dieser Tiere ist nach dem Gesetzestext und Unhalt kein Tierversuch und unterscheidet sich in nichts von dem Schlachten von Tieren, das von unserer Gesellschaft in großem Stil toleriert wird. Die Zahlenrelation von über 300 Millionen Schlachttieren und wenigen hundert Krallenfröschen pro Jahr in Deutschland spricht für sich. Ist es wirklich sinnvoll, gerade bei den Krallenfröschen anzusetzen, wenn man etwas erreichen möchte? Daß Organentnahmen und Tierversuche nicht an jeder Universität zu Ausbildungszwecken durchgeführt werden können, heißt nicht, daß man sie überall abschaffen sollte. In dieser Frage sind sich zum Beispiel praktisch alle Physiologen einig. Sie haben in ihrer Fachgesellschaft, der Deutschen Physiologischen Gesellschaft, folgende Resolution verabschiedet: "Aufgabe der Physiologie ist die Erforschung von Lebensvorgängen, deren Kenntnis Grundlage ärztlichen Handelns ist. Die Erkenntnisse des Fachs basieren auf Untersuchungen an Menschen, an Tieren und ihren Organen sowie an Modellen. Den angehenden Ärzten ist dieses Wissen im Unterricht zu vermitteln. Aufgabe der Praktika ist es, den Studenten die Möglichkeit eigener praktischer Erfahrungen mit diesen Methoden zu bieten und das eigene Urteil zu schulen. Es ist daher notwendig, im Physiologischen Praktikum für Mediziner Versuche an Probanden, Tieren bzw. Tierorganen und Modellen anzubieten. Die aktuelle Durchführung der Lehre liegt in der ausschließlichen Verantwortlichkeit der örtlichen Hochschullehrer, die auch die lokalen Gegebenheiten des jeweiligen Instituts in ihre Unterrichtsgestaltung einbeziehen." Wohl bemerkt, diese Resolution wird auch von den Hochschullehrern getragen, die aufgrund der lokalen Gegeben-heiten nicht in der Lage sind, selbst Tierversuche in der Ausbildung anzubieten.

Übrigens ist die Resonanz der Studenten auf die entsprechender Praktika durchweg positiv: Sie gehen nach dem bisweilen von SATIS veranstalteten Theater eher skeptisch in die Praktika und sind hinterher umgestimmt und überzeugt, daß es sinnvoll ist, auch solche praktischen Erfahrungen zu sammeln.

Wir sollten uns klar sein: die Fortschritte der modernen Medizin wären ohne Tierversuche nicht möglich. Es wäre unehrlich, das abzustreiten. Diese Erkenntnis und die Konsequenz, dies beispielhaft zu demonstrieren, hat mit einer bisweilen behaupteten Erziehung zur Abstumpfung nichts zu tun, es sei denn, man wirft uns dasselbe vor, wenn wir zum Beispiel einen Hamburger essen und nicht des Rindes gedenken, von dem es stammt. Ich frage mich oft, mit welchem Recht die Gegner von Organentnahmen und Tierversuchen eigentlich Lederschuhe und Ledergürtel tragen - da wird die Tiernutzung auf einmal von ihnen akzeptiert.

"Überflüssig"

Wilfried Witte M.A.

Satis e.V. bei der Fachschaft Medizin Heidelberg

Tierversuche in der medizinischen Lehre sind überflüssig. Zu diesem Schluß kam im Frühsommer 1995 die im britischen Sheringham tagende europäische Valdierungskommission ECVAM, die sich um die Reduktion von Tierversuchen bemüht. Die Experten unterschieden zwischen "training" und "education". Diejenigen Wissenschaftler, die darauf angewiesen seien, sollten eine mindestens 60-stündige Ausbildung in Versuchstierkunde bekommen (training), in der Lehre (education) hingegen könnten die "Eingriffe und Behandlungen zu Ausbildungszwecken", wie es in Deutschland heißt, rasch abgeschafft werden.

Daß der Weg im humanmedizinischen Studium über Tierleichen führt, hält SATIS, der Bundesverband studentischer Arbeitsgruppen gegen Tiermißbrauch im Studium, für grundsätzlich falsch. Was es mit der biomedizinischen Forschung auf sich hat, das ist ein weites Feld. Die Frage aber, ob Versuche mit Muskeln, Nerv und Haut des Frosches und mit einem anästhesierten Kaninchen tatsächlich notwendig sind für die ärztliche Ausbildung, diese Frage betrifft Medizinstudierende in Heidelberg und andernorts praktisch. Man kann sie nicht damit abtun, daß z.B. viele Tiertransporte noch viel schlimmer seien, denn die Verantwortung trägt jede/jeder beim eigenen Tun - und welche Lehrenden oder Lernenden der Medizin fahren schon Sattelschlepper mit Schweinen durch Europa? Viele solcher Transporte sind pure Tierquälerei, aber die Universität Heidelberg wird sie als solche nicht abschaffen können.

In Heidelberg hat kürzlich die Medizinische Fakultät das Diskriminierungsverbot zu Papier gebracht: Wessen Gewissen gegen die Teilnahme am Tierversuch spricht, der soll keine Nachteile erfahren. Die Auslegung des Beschlusses durch die Physiologen sah bislang so aus, daß der Freitermin, den jeder Studierende sowieso hat, dafür genutzt werden könne, sich dem Anblick des pochenden Herzens des Versuchskaninchens zu entziehen. D. h. wer sämtliche Versuche an Tieren und Teilen von ihnen ablehnt, geht leer aus; wer alternativ Praxis bekommen möchte, ist im Nachteil.

So sehr die Auslegung des Fakultätsbeschlusses diesen im Sinn verkehrt, so wenig deckt sich die Auffassung, Tierversuche in der Lehre seien notwendig, mit der Rechtslage. Das Tierschutzgesetz bezeichnet Tiere nicht mehr als Sache und gesteht ihnen den Titel Mitgeschöpf zu. Dem liegt die moralische Argumentation zugrunde, daß Tiere, wenn bzw. weil sie leidensfähig sind, einen solchen Status haben, daß man ihr Lebensrecht zu respektieren hat. Das hat nichts mit Gefühligkeit zu tun: Tiere sollen nicht "vermenschlicht" werden, aber sie dürfen auch nicht als reines Mittel zum Zweck mißbraucht werden. Das Gefühl, das hier zählt, ist das Mitleid. Tiere können sich nicht per Sprache mitteilen. Philosophen, Theologen und Biologen schweigen sich über das Dasein der Tiere zu Versuchszwecken im wesentlichen aus oder äußern sich klar anthropozentrisch. So darf es nicht bleiben, die Problematik muß zur Sprache gebracht werden!

Der Gesetzgeber hat sich auf die Formel vom "vernünftigen Grund" geeinigt. Ohne diesen dürfen Tieren keine "Schmerzen, Leiden oder Schäden" zugefügt werden. Es gibt genügend Alternativen für die biomedizinische Ausbildung (nichtinvasive Selbstversuche, abiotische Modelle, audiovisuelle Mittel, Computersimulationen), die von einigen Universitäten auch schon angewendet werden (Marburg, Hannover, Halle). Der Lehrzweck kann anders erreicht werden als durch den original zuckenden Muskel oder das freigelegte Herz, dessen letzte Stunde schlägt. Ob die Anschauung durch das Versuchskaninchen nun am eindrücklichsten ist, ist völlig unwichtig, solange der Lerneffekt auch durch eine Simulation o.ä. erreicht werden kann: Lebensrecht geht vor Anschauung!

In diesem Semester wird erstmals auf das Versuchskaninchen im physiologischen Praktikum verzichtet und stattdessen ein Selbstversuch praktiziert. Es ist zu hoffen, daß solche Initiativen Schule machen!

(Red. "point/counterpoint:jr/gvg)


Wenn ein Grüner den Rotstift ansetzt

Tom Koenigs, Frankfurts Stadtkämmerer, über Erfolg, gerechte Kriege und die SPD

Tom Koenigs, 51, führt seit 1993 das Ressort des Frankfurter Kämmerers. Der umtriebige Grüne, Sproß einer altehrwürdigen Kölner Bankiersfamilie, kam auf verschlungenen Pfaden zur Macht über einen Sechs-Milliarden-Haushalt und Acht Milliarden Schulden. Nach Internat und Banklehre mischte Koenigs als Berliner BWL-Student ausgiebig bei Hausbesetzungen, WGs und APO mit. 1973 verschenkte er sein Erbe ("irgendwas zwischen 500.000 und fünf Millionen") dem chilenischen Widerstand und dem Vietcong. Dieser bedankte sich artig mit einer Lampe.
Auch mit Studienabschluß blieb Koenigs der APO noch bis 1972 erhalten, bevor er als Schweißer zu Opel ging. In der Betriebsgruppe "Revolutionärer Kampf" lernte er Joschka Fischer kennen, seinen späteren WG-Mitbewohner. Es folgten Taxifahrer, Übersetzer und Reisen nach Südamerika.
Koenigs wurde 1983 Mitglied der "Grünen" und war von 1987-89 Büroleiter des ersten grünen Ministers, Joschka Fischer. Seit 1989 verwaltet Koenigs das Frankfurter Umweltdezernat.
"Immer weniger Geld für immer mehr und teurere Bücher", so lautet die einhellige Klage der deutschen Unibibliotheken. Gingen 1995 die Grundetats im Bundesdurchschnitt erstmals zurück (2,8 Mio. pro UB), so stiegen die Bücherpreise in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 15%, bei wissenschaftlichen Publikationen um gar bis zu 50%. Auch in HD werden die Folgen dieser rasanten Preisentwicklung immer spürbarer. Seminarbibliotheken sehen ihre Mittel schon zu Jahreshälfte erschöpft, Öffnungszeiten werden verkürzt, Standardwerke fehlen.

ruprecht: Kann man in dieser schwebenden Situation in Frankfurt als Stadtkämmerer arbeiten?

Koenigs: Die Situation wird natürlich nicht einfacher, wenn sich SPD und CDU auf Kosten der Grünen und der Haushaltskonsolidierung auf ein Personalpaket einigen. Die Gewichte sind neu verteilt worden, und die neue Mehrheit hofft, sich ohne weitere Einsparungen bis zur nächsten Kommunalwahl durchlavieren zu können. Der Kämmerer ist etwas aus den Schlagzeilen herausgekommen. Das macht das Arbeiten einerseits leichter, aber manchmal verläßt mich auch die Begeisterung ein wenig, wenn ich sehe, daß vieles von dem, was ich aufgebaut habe, gefährdet ist.

ruprecht: Sie haben gesagt, vieles von dem, was sie aufgebaut haben, sei in Gefahr. Können Sie als Stadtkämmerer zwischen all den Sachzwängen überhaupt noch parteipolitische Ziele durchsetzen?

Koenigs: Ich bin zu politischen Stellungnahmen berechtigt und bereit. Dort, wo es Magistratsbeschlüsse gibt, muß ich sie vertreten, aber ich trage natürlich erheblich zur Bildung solcher Beschlüsse bei. Meine Position ist eine politische.

ruprecht: Haben sie als ,Realo"-Grüner aufgrund ihrer Haltung schon des öfteren Streit mit ihrer Parteibasis bekommen?

Koenigs: Eher weniger. Wir wissen alle, daß wir weniger Geld haben als früher, und Sparkonzepte helfen schließlich oft auch, Institutionen auf Dauer lebensfähig zu machen. Die Grünen sind seit ihren Anfängen für die Staatsmodernisierung eingetreten. Wir haben unsere Basis in den Kommunen, wo man sich früher als auf den anderen Ebenen mit der Tatsache auseinandersetzen mußte, daß auch finanzielle Ressourcen endlich sind. Jetzt zwingt die finanzielle Krise auch den Bund und die Länder, hoheitliche Zöpfe abzuschneiden. Dieses Modernisierungsprojekt sollten wir nicht anderen überlassen. Wir haben einen programmatischen und praktischen Vorsprung.

ruprecht: Sehen Sie sich selbst eher als höchsten Finanzbeamten der Stadt oder als grünen Politiker?

Koenigs: Immer wenn auf die Beamten geschimpft wird, sage ich, ich bin ein Beamter, und immer, wenn auf die Politiker geschimpft wird, sage ich, ich bin ein Politiker. Aber ich betrachte mein Amt eindeutig als politisches Amt, das mich nicht nur der grünen Basis, sondern auch den Wählern insgesamt verpflichtet. Ich versuche, Lasten, die jetzt zu tragen sind, nicht auf die nächste Generation zu verschieben. Wir sind die Partei, die auch an die nächste Generation denkt.

ruprecht: Gibt es konkrete Beispiele grüner Finanzpolitik, die sich von der Ihrer Vorgänger unterscheidet?

Koenigs: Die Grünen stehen für finanzpolitische Innovationen. Wir holen uns auch gerne Anregungen aus der Privatwirtschaft; nicht, weil wir das alles ganz dufte finden, was die machen, sondern weil die soziale und ökologische Marktwirtschaft gute Instrumente für die Bewirtschaftung knapper Ressourcen hervorgebracht hat.

Ein Beispiel: Wir haben in Frankfurt die Verpackungssteuer eingeführt. Das bringt einerseit ein bißchen Geld von den Unverbesserlichen und anderseits eine deutliche Abkehr von Einwegverpackungen. Dieses finanzpolitische Steuerungsinstrument ,Verpackungssteuer" war viel wirkungsvoller als alle Erlasse, Gebote und Satzungen, die wir bisher zu dem Thema hatten.

Insgesamt scheint eine vernunftbetonte und nicht lobby-abhängige Modernisierung der Finanzpolitik etwas ganz besonders Grünes zu sein. Ein weiteres grünes Element ist Öffentlichkeit und Transparenz in der Finanzpolitik. Meine Amtsvorgänger waren eher in sich gekehrte Leute, die auf Fragen der Journalisten mit ja oder nein geantwortet oder eine unverständliche Zahl von sich gegeben haben. Das ist vorbei. Ich möchte Finanzpolitik zum kommunikativen Ereignis machen.

ruprecht: Zur Bundespolitik: Es ist - vor allem seit der letzten Bundestagswahl - in Mode gekommen, den Grünen einen Einbruch in die Wählerschaft der F.D.P. vorauszusagen. Glauben Sie, daß sich die Grünen dort Stimmen holen können? Ist das nicht mit zu großen Kompromissen verbunden?

Koenigs: Die F.D.P. ist eine Partei für die Besserverdienenden. Auch bei den Grünen gibt es Besserverdienende; die machen aber keine Lobbypolitik, sondern wählen die Grünen, weil sie ein soziales Gewissen bewahrt haben. Es gibt andere Positionen, die bei der F.D.P. völlig verwaist sind: Die freiheitlichen, antiklerikalen, menschenrechtsbetonten, marktwirtschaftlichen Elemente. Das ist tatsächlich etwas, was die Grünen bejahen. Sie wollen keine bestimmte Religion in den Vordergrund stellen, und sie haben ein massives Interesse an der Verbindung von Innen- und Außenpolitik mit der Menschenrechtsfrage. Und die Grünen stellen die Bürgerrechte über die Ordnungsrechte. Wenn von den Leuten, die das eigentlich Liberale hochhalten, also etwa die Gruppe um Frau Leutheusser-Schnarrenberger, einige zu den Grünen kämen, dann wäre mir das recht - egal, was sie verdienen.

ruprecht: Früher haben nicht nur Konservative gesagt: Die Grünen sind nicht regierungsfähig. Heute muß man sich eine andere Frage stellen: Ist eine auf allen Ebenen zerstrittene SPD überhaupt noch ein seriöser Koalitionspartner?

Koenigs: Auf die Seriosität kommt es mir weniger an als auf die Arbeitsfähigkeit. Die SPD ist im Moment sehr unübersichtlich, in Frankfurt wie in Bonn. Auf Bundesebene besteht die Option Rot-Grün besteht immer noch, wenn die Partei sich zusammenrauft. Natürlich müssen sich die Grünen fragen, ob sie nicht manche Dingen auch mit der CDU durchsetzen können. Ich kann mir eine Koalition aber im Moment leider auf keiner Ebene vorstellen. ,Leider", weil man von der Programmatik her durchaus gemeinsame Positionen finden könnte. Der Umweltschutz ist eine konservative Angelegenheit, die auch im CDU-Programm sehr schön drinsteht, aber nicht umgesetzt wird.

Die Grünen sollten sich die Option, einen Geißler zu finden, mit dem man zusammenarbeiten kann, immer offenhalten. Für eine institutionalisierte Koalition aber muß die jeweilige CDU sich noch sehr weit verändern - ich halte das jedoch nicht für ausgeschlossen.

ruprecht: Wo liegen die Gründe für den Erfolg der Grünen, die ihre Stimmen besonders der SPD wegenehmen?

Koenigs: Von der SPD wenden sich Leute ab, denen diese Partei zu zerstritten ist, denen aufstößt, daß programmatische Äußerungen nicht in die Tat umgesetzt werden. Wir haben ein paar Leute, die grünes Gedankengut fortentwickeln und so präsentieren, daß es jeder versteht. Wir haben keine Struktur, die nur dazu dient, einen Parteivorsitzenden zu wählen - wir haben aber einen Parteivorsitzenden. Offensichtlich ist das im Augenblick das Richtige. Wir haben die Frage der Frauenbeteiligung mit der Quote gelöst. Wir haben außerdem in den Kommunen oft eine wenig ideologische und an pragmatischen Fragen orientierte Politik gemacht. Auch die Grünen zanken kräftig, z.B. bei der Ausgestaltung einer Ökosteuer; das sind aber Sachfragen, und es ist ein Ergebnis absehbar.

ruprecht: Sie selbst haben als junger Mann mit Ihrem eigenen Geld in einem Krieg eine Seite unterstützt, die Sie für die richtige Seite hielten. Würde Sie das jetzt dazu bringen, sich hinter Joschka Fischers Befürwortung einer Intervention in der Jugoslawien zu stellen?

Koenigs: Ich sage allen, die eine Intervention kritisieren: Ihr habt für Waffen für El Salvador gesammelt, Ihr habt für den Vietcong demonstriert und Ihr seid der Meinung, daß der Tag des Kriegsendes ein Tag der Befreiung ist. Im Zweiten Weltkrieg wurde mit Hilfe der Amerikaner die ethnische Säuberung durch den Faschismus beendet. Wir haben unseren Eltern vorgeworfen, daß sie während der Nazi-Zeit nicht widerstanden, nicht die Seite der Gerechtigkeit gesucht haben. Jetzt mußten wir mitansehen, wie erst Schutzzonen gebildet, dann wieder überrannt wurden. Die UN hat auch den Leuten in den Schutzzonen gegenüber Verantwortung übernommen, hat gesagt ,Hier könnt Ihr bleiben, hier seid Ihr sicher", doch sie steht den Aggressoren mit gebundenen Händen gegenüber. In der Pazifismus-Debatte haben wir gesagt ,Waffen sind furchtbar" - das ist auch richtig. Aber es paßt nicht zusammen: Wenn wir nicht anders als durch Zähnezeigen zum Verhandlungstisch zurückkommen, müssen wir die Zähne zeigen. Die Diskussion darüber ist in Frankreich viel ehrlicher und eindeutiger. Die französischen Intellektuellen sagen einmütig: ,Dieses ist in unserer Generation ein Völkermord, den wir tatenlos mitansehen."

Die Frage ist doch, wie wir es erreichen können, daß in Europa multikulturelle Vielvölkerstaaten friedlich existieren können. Diese Frage ist überall aktuell, nicht nur in Sarajevo, sondern auch in Paris, Frankfurt oder Mölln. Und das möchte ich gerne im Zusammenhang sehen: Ich glaube nicht, daß wir uns aus der Verantwortung stehlen können. Spätestens unsere Kinder werden uns, genau wie wir unseren Eltern, die Frage stellen, warum wir zugesehen und nichts getan haben. Wer sagt, ,Ich bin nicht bereit, der Gewalt entgegenzutreten", vertritt eine Fundamentalposition und muß dann auch sagen ,Unser Engagement für Vietnam und El Salvador war falsch, ebenso wie die Intervention der Amerikaner in Nazi-Deutschland". Es stimmt eben leider nicht, daß man einem bewaffneten Aggressor mit leeren Händen entgegentreten kann, und Sarajevo hat das ganz deutlich gezeigt: Die momentane Chance auf Verhandlungsfrieden ist, so grob muß man es sagen, herbeigebombt worden; aber der Tag der Befreiung vor 50 Jahren ist auch herbeigebombt worden.

ruprecht: Eine biographische Frage: Sie sind der Prototyp einer neuen Politikerklasse: Von einer ,wilden Jugend" in eine etablierte politische Stellung hinein. Sehen Sie da einen ,Bruch" in Ihrem Leben, oder eher eine Konsequenz?

Koenigs: Von Konsequenz kann überhaupt keine Rede sein. Bis ich 45 war, wollte ich niemandes Chef sein, wollte nie in formalisierten Strukturen arbeiten. Ich habe aber immer Politik gemacht, und habe gesehen, daß die Politik des Einzelnen, des Demonstranten, des Anarchisten, an ihre Grenze stößt. Ich hatte dann Gelegenheit, in ,höhere" Positionen einzusteigen und wollte es einmal probieren - auf Zeit. Politikerkarrieren sollen nicht verewigt werden.

Viele sagen zu mir: ,Jetzt bist Du alt und etabliert, Du hast Dich sehr verändert." Aber sich zu verändern, ist kein Schaden, und alt zu werden ohne sich zu verändern, ist lächerlich. Meine wichtigsten Prinzipien habe ich beibehalten: Den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, nach Menschenrechten, und den Versuch, unkonventionelle Initiativen, ob von der Straße oder von oben., anzuhören und mit einzubeziehen.

ruprecht: Sie sagen, Ihre Ziele seien gleich geblieben. Aber die Wege zu diesen Zielen haben sich doch ziemlich geändert: Sie sind jetzt ein Teil des Systems.

Koenigs: Ich habe früher nicht geglaubt, daß es für die Umsetzung meiner Ziele einmal notwendig wäre, innerhalb der Strukturen mitzuarbeiten. Bis es die ,Grünen" gab, war ich immer ein Parteienfeind. Aber den demokratischen Weg habe ich immer gesucht. Es ist vielleicht neu, daß man sich so weit auf die Strukturen einläßt, aber in gewisser Weise ist es nur konsequent. Erst waren wir nur Oppositionspartei, dann haben wir die Chance zum Mitregieren bekommen und haben gesehen, daß unsere Wähler das auch von uns erwarten. Jemand, der sich als reine Protestpartei wählen läßt, wird das nur sehr kurze Zeit durchhalten, maximal eine Legislaturperiode, siehe die Hamburger ,Statt-Partei". Wenn man dauerhaft Politik gestalten will, muß man auch regieren. Und wenn man mich fragt, ob ein ,Grüner" Bundeskanzler werden soll, sage ich ,Natürlich!".

ruprecht: Herr Koenigs, wir danken Ihnen für das Gespräch. (kw, hn)


Meinung: Die Anglisten und Sisyphus

Gundula Zilm: "Kein noch so ausgeklügeltes Einschreibeverfahren kann Plätze herbeizaubern."

Pech gehabt! Keine nächtliche Schlange von frierenden Studis mehr vor dem anglistischen Seminar, keine Sensation und somit kein reißerisches Foto für den ruprecht. Wo ist das Chaos geblieben? Jetzt hatten wir uns gerade daran gewöhnt, gar nicht erst ins Bett zu gehen, gegen Mitternacht mit Thermosflasche ausgerüstet den Platz 423 in der Kettengasse einzunehmen und am frühen Morgen das Klicken von dreißig japanischen Kameras zu ertragen ("Hier sehen Sie die legendäre Anglistenschlange, eine besondere Attraktion von Heidelberg: Das Phänomen zeigt sich zweimal jährlich, Mitte April zur Brunftzeit und Mitte Oktober zur Jagdsaison.")

Diese schöne Zeit ist nun vorbei. Zu verdanken haben wir dies der Fachschaft Anglistik, die das Elend nicht mehr mit ansehen konnte und dem Institut einen Vorschlag zur Verbesserung des Einschreibeverfahrens machte. In den Semestern zuvor war es nämlich allein das Institut, das die Anglistik-Studierenden vor die Tür gesetzt hatte. Nach dem neuen System müssen jetzt nur noch die Erstsemester Schlange stehen, und angesichts des drohenden Leistungsabfalls wegen Schlafentzug hat man die Einschreibezeit vom Morgen auf 14.00 Uhr verlegt. Eine Stunde vorher, also um 13.00 Uhr, sollten eigentlich die legendären Nummern vergeben werden, doch da man sich scheinbar schon so sehr an das System gewöhnt hatte, mußten die ersten Zettel bereits um sieben Uhr morgens herhalten. (Die Fachschafter in der Anglistik wurden schon während der Semesterferien von weit aus dem Norden angereisten Erstsemestern empfangen mit den Worten: "Und zu Semesterbeginn muß ich mich dann nachts hier irgendwo anstellen, nicht?")

Zu einigen Seminaren wiederum mußte man sich - wie vorher - persönlich bei dem Dozent bzw. der Dozentin anmelden. Doch niemand wollte mir verraten, wo ich Herrn oder Frau "N.N." finde! Also den geplanten Urlaub für die Bahamas absagen und sich täglich im anglistischen Seminar auf die Lauer legen und warten, ob das Phantom auftaucht. Das Neue in diesem Semester war nun: zu allen übrigen Veranstaltungen wird der Kandidat gegen schriftliche Voranmeldung und späterem Gegenzeichnen auf die Gewinnerliste gesetzt. Also, endlich mehr Chancen für alle? Leider nicht, denn auch hier regiert wieder der Darwinismus: Die Anmeldung war möglich ab Erscheinen des kommentierten Vorlesungsverzeichnisses der Anglisten, doch wer nicht sofort an diesem Tag sein Zettelchen in den Kasten warf, der blieb draußen. Wer noch Glück hatte, landete auf Platz 40 der Nachrückerliste. Das Gegenzeichnen zu Beginn des Semesters lief allerdings auch nicht wie geplant: Die meisten Anglisten schienen mit dem System überfordert gewesen zu sein und erschienen gar nicht, so daß deren erst hart erkämpfter Platz gleich wieder weg war. So schnell geht das. Doch wie es im Leben so ist: des einen Leid ist des andren Freud'. Die Nachzügler, denen diese Plätze dann zufielen, durften sich freuen. Sicherlich, es gibt noch einiges zu verbessern - z.B. die Anzahl der Nachzüglerplätze zu erhöhen - , räumt auch die Fachschaft ein, doch generell soll das System im nächsten Semester beibehalten werden. "Wir wollen die Leute nicht völlig verwirren und schon wieder ein neues Verfahren ausprobieren. Und außerdem sind wir eigentlich recht zufrieden so. Wer das Prinzip nicht geschnallt hat, der ist halt selber schuld." Die Germanisten z.B. kommen zwar ohne irgendwelche Einschreibeverfahren aus, doch bei ihnen sitzen dann auch mal siebzig Studis im Seminar. Die letzte Möglichkeit, die allerdings niemand will, wäre ein NC.

Schön also, daß die Anglisten nicht mehr des Nachts in eisiger Kälte Schlange stehen müssen. Aber nicht so schön ist es, daß wieder einige, die nicht ganz so schnell waren wie ihren Kommilitonen, draußen bleiben müssen. Irgend jemand scheint also immer auf der Strecke zu bleiben. Natürlich, wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft, in der nur der Stärkere überlebt. Aber heißt das, daß schon an der Uni nur derjenige studieren darf, der schneller ist? Gab es da nicht mal so etwas wie Chancengleichheit? Und gleiches Recht auf Bildung für alle? Jedenfalls wird das Problem in der Anglistik nicht durch jedes Semester wechselnde, immer komplizierter werdende Einschreibeverfahren gelöst. Wo nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen da ist, können nicht durch noch so ausgeklügelte Systeme mehr Plätze herbeigezaubert werden. Der Schwarze Peter wird bloß von einem zum anderen geschoben, ohne das wirkliche Problem zu lösen: fehlende Lehrkräfte. In der Dringlichkeitsliste der Neuphilologie stehen die Anglisten diesbezüglich jedenfalls auf Platz Eins, doch Konsequenzen scheint die Uni daraus nicht zu ziehen. Einsparung heißt die Devise, und wer zu spät kommt, den bestraft halt das Leben; und außerdem kann man das Geld ja für Nützlicheres ausgeben, nicht wahr, Herr Ulmer? (gz)


Selters statt Sekt

BAföG demnächst für nur 8,5% Zinsen im Jahr

Es wird wieder gekämpft um die Peanuts der Studierenden. Nachdem Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers der entsetzten Öffentlichkeit im Sommer diesen Jahres seine Vorstellungen zur künftigen Gestaltung des BAföG vorgestellt hatte, ist der Streit um die Ausbildungsförderung wieder in aller Schärfe und Breite entbrannt - zumindest bei denen, die sich für dieses Thema überhaupt interessieren.

"Zukunftsminister" Rüttgers hatte vorgeschlagen (der ruprecht berichtete), das BAföG-Darlehen, das Vater Staat braven, hinreichend armen Studierenden bisher zinslos gewährte, quasi in einen Privat-Kredit zu ordentlichen Marktzinsen umzuwandeln. Das würde beispielsweise für einen Uni-Studenten, der sich 11 Semester mit dem jetzigen BAföG-Höchstbetrag fördern läßt, einen Schuldenberg von 71.850 Mark gegenüber 34.497 Mark heute bedeuten - mehr als doppelt so viel also. Aber so genau wird das keineR der Betroffenen wissen können. Die Zinsen sollen nämlich halbjährlich neu festgelegt werden - ob es dann 7 oder 10 Prozent sind, bestimmt halt "der Markt" - und jedesmal ist ein neuer Vertrag fällig.

Hinzu kommt, daß ja schon heute die Fördersätze mehrmals im Jahr wechseln können - wenn z.B. der Bruder anfängt zu studieren, die Schwester ihren Wehrdienst macht oder Papis Arbeitsplatz endlich wegrationalisiert wird. Dafür gibt's demnächst dann auch immer wieder einen neuen BAföG-Vertrag - und das ist wohl auch gewollt, denn die damit beauftragte staatliche "Deutsche Ausgleichsbank", die zur Wiedervereinigung kräftig Personal eingestellt hatte, muß ihre Unkündbaren irgendwie beschäftigen. Schwierig wird es vielleicht für die, an deren Hochschulstandort es keine Filiale gibt - doch da gibt es bereits Überlegungen, andere, rein private Banken an dem Geschäft zu beteiligen.

Verschiedene Studierendenvertretungen auf Hochschul-, Landes- und Bundesebene haben ob dieser Vorschläge einen "Heißen Herbst" angekündigt und wollen dem Minister mit Streiks, Demos, Besetzungen, Diskussionen einheizen. In Heidelberg überflutet eine Postkartenaktion der Fachschaftskonferenz die örtlichen Bundestagsabgeordneten; einige Fachbereiche haben bereits Vollversammlungen zu dem Thema einberufen. Noch in diesem Monat wird die FSK mit dem Studentenwerk zu einer Informationsveranstaltung einladen, die auch hier die Diskussion in Gang bringen soll. Wer sich dann eingearbeitet hat, wird am 2.Februar 1996 auf einer Podiumsdiskussion der Fachschaftsinitiative Jura einige AkteurInnen direkt befragen können. Die OrganisatorInnen der bevorstehenden Aktionswochen müssen aber befürchten, daß sich nur wenige ihrer KommilitonInnen für das Thema überhaupt erwärmen, geschweige denn darüber aufregen können.

Dabei ist Rüttgers nicht der einzige, der sich zum BAföG Gedanken gemacht hat - und genau da wird es auch für jene drei Viertel der Studierenden interessant, die heute kein BAföG bekommen. Mehrere Gruppen - Parteien, Gewerkschaften, Verbände, studentische Zusammenschlüsse - haben Modelle für eine Neugestaltung der Ausbildungsförderungen gemacht - und alle sind sich einig in der grundsätzlichen Ablehnung des Rüttgers-Vorschlags und Kritik an der bisherigen Regelung.

Die meisten wollen das Geld, das Eltern jetzt für ihre studierenden Kinder erhalten - Kindergeld und Steuerfreibeträge vor allem - den Studierenden direkt zustecken. Darüberhinaus gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie das notwendige Geld aufgebracht werden soll.

Das Deutsche Studentenwerk zum Beispiel möchte allen Studierenden elternunabhängig einen Sockelbetrag von 300-400 DM als Zuschuß geben. Dazu soll, je nach familiärer Situation, eine Aufbauförderung von 400-650 DM kommen (50% unverzinsliches Darlehen, 50% Zuschuß). Den Rest müßten sich die Studierenden erarbeiten oder als verzinsliches Darlehen beschaffen. Immerhin stünden AbsolventInnen nach Ihrem Studium somit nur vor einem Schuldenhügelchen. Das Modell wird als kostenneutral für den Staat beschrieben. Der Haken: Die bisherigen BAföG-Kriterien sollen, wenn auch in abgemilderter Version, erhalten bleiben. Das heißt, daß bei Fachwechsel, vermeintlich überlangem Studium und ausgefallenen Stundenplänen der Geldhahn ganz schnell zugedreht würde - und zwar konsequenter als bisher, wo das Kindergeld noch nicht ans Studienverhalten angekoppelt ist.

Der grüne Rektor der Universität Oldenburg, Michael Daxner, und einige Parteifreunde wollen eine Akademikerkasse einrichten und damit gleichsam eine "Akademiker-steuer" einführen. Im Prinzip sollen alle, die ein Studium beginnen, sechzehn Semester lang ein Darlehen aufnehmen können, das nach dem Studium abhängig vom Einkommen hochgerechnet auf die Lebensarbeitszeit zurückgezahlt wird. Das Problem: zur Aufnahme des Stipendiums kann niemand gezwungen werden - und dann sind es doch wieder die sozial schlechter Gestellten, die ihr Leben lang zahlen und die anderen eben nicht. Hinzu kommt: wenn von denen, die das Geld in Anspruch genommen haben, nicht alle erwerbstätig sind, müssen die anderen umso mehr zurück zahlen.

Geschickt an den Beginn der Semesterferien plaziert, schien Rüttgers´ Vorschlag von Anfang an nur wenige Engagierte in Studierendenvertretungen und Studentenwerken zu interessieren. Viele hoffen, daß derart radikale Pläne immer wieder aufgeschoben werden und im Bundesrat letztendlich scheitern.

Hat Rüttgers' Vorschlag überhaupt Chancen auf Verwirklichung, muß man sich überhaupt aufregen? Ja, denn er lockt damit, einen Teil der eingesparten Ausgaben in den Hochschulbau zu stecken - die Kosten für die dringend notwendige Erweiterung der überfüllten Hochschulen sollen also die Studierenden aufbringen - und zwar die ärmsten unter ihnen. Je öfter derartige Vorschläge gemacht werden, desto mehr gewöhnt man sich daran und desto eher lassen sie sich dann irgendwann doch durchsetzen.

Wichtig ist jetzt, den Rüttgers-Vorschlag schon im Bundestag abzulehnen und Positionen für eine mehrheitsfähige soziale Reform zu finden - auch gegen Rektoren wie Peter Ulmer, der eine Diskussion mit Studierenden über dieses Thema ablehnt, da es "idealistisch" sei.

khp/hn


Skål, Herr Ministerpräsident!

Rektor Peter lud zum Jahresempfang

Vorspiel.

Extra die gute Hose angezogen. Viele Stühle, man ist presse-nt. Gutem Brauch folgend, pocht der Hausherr auf seine Privilegien. Toi oi oi. Der Notausgang blinkt verzweifelt. Er hat eine Störung. Keiner folgt.
Dann kommt der nächste. Alte Verbindungen. Rauhreif auf Frühlingsnächten. In Mannheim ist abends ohnehin mehr los. Es gilt das gesprochene Wort. Kein gutes Motto. Kein schlechter Titel.
Der Rektor, eine Metonymie in freier Wildbahn. Also sprach die FSK.
Teufel/innen. Jetzt gilt es. Eine finnische Stimme säuselt auf Kalifornisch: He´s an interpreters nightmare. Oh, really. Er ist sein persönlicher Referent. Die Ohren sind spitz. Wie ein Stürmer, den niemand anspielt. Jetzt aber: Flanke von rechts. BWL für alle! Brandgefährlich!Tor! Die Hohnovationen bleiben sitzen. Der Schütze läßt sich feiern. Dialogbereitschaftsdienst. Applaus. Ab.

Plausch mit Laugen von der Stange. (Alles in Butter).
Bell Etat.

Es begann damit, daß ich in einer schwachen Minute während einer Redaktionssitzung auf Haralds Frage "Möchte einer zur Pressekonferenz der Landesrektoren nach Stuttgart fahren?" versehentlich mit "Ja, ich mach's" antwortete. Schon am Stuttgarter Bahnhof konnte ich Rektor Ulmer qua Vorsitzenden der LRK (Landesrektorenkonferenz) ausmachen und in Richtung Landtag verfolgen. Von FSK-Matriarch Kirsten H. Pistel thematisch bestens vorbereitet und geeicht, fühlte ich mich der kommenden Dinge gewachsen.
In einem kleinen Saal des Landtags fand das Ganze dann statt: Die Rektoren der Unis Heidelberg (le chef!), Mannheim, Hohenheim und Stuttgart (la Gastgeberin); ihnen gegenüber ca. 30 Pressevertreter unterschiedlichster Couleur, primär aber - wie sich herausstellen sollte - denkbar uninteressiert ob der darzubringenden Materie. Thema war - wie in einem umfangreichen Paper den Beteiligten übermittelt - dreierlei: 1. Studienzeitverkürzung 2. Strukturreform 3. Technologietransfer. Beginnend erläuterte Ulmer die neuesten Errungenschaften (wie z.B. Freischuß und Langzeitstudentenabschuß etc. unter 1. oder leistungsbezogene HiWi-Mittel unter 2. [ruprecht berichtete] ) in allgemeiner Form, um schließlich auf spezielle, im Paper detailliert ausgeführte Ausprägungen dieser Entwicklungen an den einzelnen Universitäten zu verweisen. Zwischendrin kabbelte er sich - wie gewohnt rhetorisch gewandt - mit dem Diskussionsleiter des Landtages (der sich der Veranstaltung gegenüber auch recht unwillig zeigte). Waren zu Beginn (Punkt 1) die Diskussion/Fragen noch relativ kontrovers, wobei die mir zur Verfügung stehenden, Heidelberg betreffenden Daten/Fragen bei der sehr globalen hochschulpolitischen Darstellung nur wenig Angriffsmöglichkeit boten, versandete das Interesse der Zuhörer doch rasch. Insgesamt dauerte die Pressekonferenz gerade mal knapp eine Stunde.
Angereist war ich motiviert, in Erwartung einer aufschlußreichen Diskussion oder bohrender Fragen. Stattdessen müdes Zuhören, mühsam verdeckte Langeweile und am Ende, ja am Ende konnte einem Ulmer fast leid tun. Plötzlich fühlte man sich nicht mehr innerhalb eines (hochschulpolitisch motivierten) Student-Rektor-Konfliktes, sondern eher mit ihm zusammen als Mitglied der Universität (corporate identity, ick hör' Dir trapsen) und hilflos der Tatsache ausgesetzt, daß Hochschulpolitik spätestens dann keinen mehr interessiert, wenn von den (ehemals?) medienwirksamen Themen wie Freischuß und Studiengebühren zu Strukturreformen u.ä. übergeschwenkt wird. Ob die Hochschulen nun ihre Probleme oder ihre Reformen publik zu machen versuchen, die Öffentlichkeit scheint es so-wie-so wenig zu interessieren. (jk)


Ulmer in Schtuegert

Der Vorsitzende der BaWü-Unis sprach - die Presse hörte weg

Man fragt sich, ob die beiden Herren nicht einfach ihre Berufe tauschen sollten: Peter Ulmer macht ab sofort richtig Politik, und der Landesvater wird unser neuer Rektor. Dann können beide die Vorschläge, die sie dem jeweils anderen mit ausgesuchter Höflichkeit unter die Nase reiben, am besten gleich selbst mal ausprobieren.
NATÜRLICH wollte man auf der Jahresfeier der Uni (Ehrengast mit Blaulicht und drei gepanzerten Mercedessen: Erwin Teufel) "nicht das Schwarze-Peter-Spiel fortsetzen", wie unser Noch-Rektor floskelhaft betonte. Aber die Gelegenheit war einfach zu verführerisch! Unter dem Deckmantel glatter Reden und nach Wahrhaftigkeit trachtenden Komplimenten konnte der Landesvater dem Rektor und umgekehrt einmal zeigen, wie toll man doch selbst, und wie reformbedürftig - tja, leider - der andere noch ist. Und das vor lauter wichtigen Leuten.
So erging sich denn Peter Ulmer in Rechtfertigungstiraden gegen Vorwürfe, die ihm selbst wohl schon aus den Ohren rauskommen, und Klagen über eine starre und geizige Landespolitik - natürlich in wohlgesetzten Watteworten, um das "konstruktive und hilfreiche Interesse" des MPs an den Unis nicht zu vergrätzen. Und der Ober-BaWüler servierte in einer schier endlosen Rede seine Version des Humboldtschen Bildungsideals. Leider blieb dafür nicht mehr sehr viel Platz: Ein Drittel der Rede ging nämlich mit dem Herunterbeten der enormen finanziellen Landesleistungen für die Unis, sowie dem schulterklopfenden Beschwören der Immer-noch-Spitzenstellung der BaWü-Unis in Bund und Welt drauf. Außerdem für einen Exkurs in die Welt der Steuereinnahmen, die scheinbar zu einer bedrohten Art geworden sind, denn Erwin Teufel beklagte immense Verluste. Dann aber ging es los: Staunend erfuhren wir, daß das Studium praxisorientierter und kürzer werden muß; revolutionärer noch: ohne EDV und Fremdsprachenkenntnisse kommt man heutzutage nicht weiter. Auch keine neue Idee, aber immer wieder gern genommen: der nivellierte Allround-Student mit breiten BWL-Kenntnissen (die nämlich sollen in JEDEM Studiengang vermittelt werden). Tacheles: Keine Geisteswissenschaftler, keine naturwissenschaftlichen Grundlagen mehr - was soll DIE WIRTSCHAFT denn mit denen?! Sogar die heilige Juristen-Kuh wurde geschlachtet: Keine "rechtlichen Spezialgebiete" mehr, dafür aber (Deja vu!) "Sprachen und BWL". Einigen wenigen, die "wirklich für ein Wissenschaftlerleben geeignet" sind, bleibt aber die Möglichkeit, an das "Normalstudium" eine wissenschaftliche Ausbildung zu hängen - da ist man ja gnädig. Einziges zu eliminierendes Problem: Der "Spezialwissenschaftler, der sein Terrain eifersüchtig hütet." Aber mit dem wird man wohl auch noch fertigwerden. Ach ja, Studiengebühren und Selbstauswahlrecht der Unis hätte es auch beinah gegeben, aber die böse SPD hat's versaut, obwohl sogar Peter Ulmer dafür ist.

Dieser übrigens bemerkte erstmal charmant, daß "für eine Rektoratsübergabe derzeit kein Anlaß besteht", um sich dann als kompetenter und kämpferischer Sachwalter der Uni-Interessen zu erweisen. Versteckt unter Höflichkeitsadressen, trafen seine Vorwürfe gegenüber der Politik oft in's Schwarze. In seinen Reden hob er die Leistungen der Uni Heidelberg hervor (Genom-Projekt, Kooperation mit Mannheim, Informatik, Zentrum für Biochemie, etc.) und wehrte sich vehement gegen den Vorwurf der Immobilität und Ineffizienz. Ulmer plädierte für mehr "Förderung des Leistungsaspektes", also für Beschränkung der Studienzeiten undStudentenzahlen, etwa mit Hilfe von Pflicht-Beratungen. Bei allem, was man gegen Rektor Ulmer sagen kann, tritt er doch offen und engagiert für das Wohl der Universitäten ein; zumindest für seine Definition diese Wohls. Vor allem sein Lieblingsbaby, die Pflichtberatung unentschlossener und fauler Studenten zwecks Säubern der Uni von ebendiesen, geisterte durch seine Reden wie ein Zombie mit Schlafstörungen. So ganz zufrieden mit dem status quo ist er nämlich noch nicht. Denn ohne Rechtsfolgen bei "negativem Beratungsergebnis" (was, bitteschön, soll das sein?!) macht die Beraterfunktion ja gar keinen Spaß!

Auch die süffisante Art, die treffsichere und originelle Kritik der Fachschaft mit einem Harmonieschwall zu ersticken, sprach wieder Bände: "Das Verhältnis zu den Studierenden war durch sachbezogene und spannungsfreie Diskussionen gekennzeichnet." Nur die verdutzten Gesichter bei der Fachschaft verhinderten Erstickungstode infolge heftiger Lachkrämpfe...

Aber vielleicht braucht es im Gerangel Politik versus Unis auch Sturköpfe wie den Professor Ulmer. Denn eines hat der Festakt gezeigt: Der Kampf um die Futtertöpfe ist nicht brutal und hart, wie alle immer schreien, sondern zäh, hintergründig und voller List. Gutmenschen verlieren.

Nachspiel.

Und so begab es sich, daß der Teufel - wir wissen, ein vielbemühter Vergleich - nach Heidelberg hinaufstieg und in die Aula benzte, um den potentiellen GenossInnen des Fegefeuers eine Rede darzubieten.
Wir zitieren: "Magnifizienz, Spekulatius - Verzeihung - Spektabilitäten. Verehrte niedere Geschöpfe. Das Land Baden-Württemberg, manche mögen sagen: die Hölle, hat im letzten Jahr mehr als 500 Millionen (Applaus brandet auf) Ihrer Universität zukommen lassen. Und daß Sie's wissen: Nur wer an einer Berufsakademie studiert, kommt in den Himmel. Und BWLer, meine Damen und Herren, werden Erz-engel (Applaus).Die Universitäten müssen noch viel tun. Wir, das Land, zahlen Millionen. (Applaus) Jede Mark heute ist keine Mark morgen (Applaus). Auch im nächsten Jahrtausend wird es noch arme Sünder geben, die Geisteswissenschaften für sinnvoll halten."

Als Grundsatzrede zur Hochschulpolitik angekündigt, ließ selbige höchstens noch den Bodensatz übrig. Wer was werden, haben oder überhaupt nur will,braucht dafür eben Ahnung von Wirtschaft und - guck, guck, Uli Wickert - ein Buch voller Tugenden.
Fehlte nur der Verweis auf die Freischußgeburt: Nach dem 7. Monat wird schonmal an den Mutterleib geklopft, ob's Kind nicht schon rauswill. Und wenn nicht (Wehe!) darf's es halt im 8. oder 9. nochmal probieren. Reifeprozeß und Lebensfähigkeit: negativ.
Wes Geistes des Landesvaters zukünft'ge Kinder sein werden? Prä-aufklärerisch, und prä-historisch. Ave, Teufel und auch Amen.

(Vorspiel ohne eile, Klimax mit kw, Nachspiel mit jk)

[Post Scriptum: Der schon seit Jahren von der Heidelberger Universität ersehnte und von Teufel in seiner Rede großspurig als beschlossene Sache - sprich Verdienst der Landesregierung - angekündigte Neubau des Verfügungsgebäudes wurde einige Tage später dann doch abgesagt. Professor Ulmer soll sehr erfreut gewesen sein...]


Mietspiegel für HD gefordert

Wie schon in vielen anderen Städten soll nun auch in Heidelberg ein Mietspiegel, also eine statistische Erhebung der durchschnittlichen Mieten in Abhängigkeit von Lage, Größe, Ausstattung etc., erstellt werden. Ein Mietspiegel dient einerseits als Beweismittel in Prozessen um Mietüberhöhungen (ab 20%) und Mietwucher (ab 50%), andererseits auch als Orientierungshilfe bei der Zimmersuche. Außerdem erhofft man sich einen drastischen Rückgang entsprechender Rechstreitigkeiten, weil Konflikte im Vorfeld anhand des Mietspiegels gelöst werden können. Für diese Erhebung liegen beim Studentenwerk bereits 10.000 DM bereit, die ein Gastronom, der Wuchermieten von Studenten verlangt hatte, als Bußgeld zahlen mußte.

Fraglich ist nun, ob der Gemeinderat ausreichend Geld zuschießen wird, um eine umfangreiche Erhebung, die ungefähr 350.000 DM (und jährlich ca. 150.000 zur Aktualisierung) kosten würde, zu ermöglichen. Die Entscheidung darüber soll am 4.12.1995 fallen. Über den Mieterverein läuft bereits eine Unterschriftensammlungen zur Unterstützung des Vorhabens. Vorgedruckte Postkarten und nähere Informationen gibt's auch in den FSK-Büros in der Lauerstr.1. (fw,lk)


Claus Bernhard vom Dach

Zusammengewachsen: Ein Mann und ein Bücherparadies weit oben in der Altstadt

Um passende Zitate ist Claus Bernhard Schmidt nie verlegen. Als ich den engen, mit Bücherregalen bis unter die Decke asphaltierten und durch einen nachträglich eingezogenen Zwischenboden auch noch zum Zweigeschoß erweiterten Raum der Studentenbücherei das erste Mal besuche, unterhalten wir uns beim Ausfüllen der Lesekarte über Nachnamen. Und als er erfährt, daß der komische Name seines neuen Kunden eng mit Göttingen verknüpft ist, taucht er auch schon in den Regalen unter, um Augenblicke später mit Heinrich Heines "Harzreise" wieder zu erscheinen. Aus der trägt er dann mit sichtlichem Genuß eine längere Laudatio auf das offensichtlich damals schon trostlose Göttingen vor. "Ein richtiger Verriß", freut er sich, augenzwinkernd.

Claus Bernhard Schmidt und die Studentenbücherei im Dachgeschoß des Philosophischen Seminars gehören zusammen, das merke ich schnell. Als er vor knapp zwanzig Jahren die damals schon seit 21 Jahren bestehende Bücherei unter seine Fittiche nahm, war er noch Hiwi, studierte Germanistik und Romanistik mit historischen und philosophischen Seitensprüngen und hätte sich 1976 wohl selbst nicht träumen lassen, daß er zwei Dekaden lang ihr Einkäufer und Buchverleiher, Advokat und Inventarisator sein würde. "Eigentlich ein Full-time-job", wie er sagt. Zu den vier Stunden, die er täglich hinterm Tresen verbringt, kommt eine weitere außerhalb der Öffnungszeiten, um Ordnung und Zuverlässigkeit gewährleisten zu können. "Und den Rest mache ich praktisch in meiner Freizeit", denn ausgeschrieben ist sein Job nur als Halbtagsstelle. Der "Rest", das bedeutet vor allem Bücher kaufen, möglichst günstig, denn der Etat beträgt 1,- DM pro Student und Semester, finanziert aus der Kasse des Studentenwerks, d.h. letztlich von den Studenten selbst: etwa 60000 Mark, in denen allerdings auch die Lohnkosten enthalten sind. Übrig bleibt Kohle für etwa 600 Bücher im Jahr: "Nur weil ich so günstig einkaufe". "Rest" bedeutet auch, auf dem Laufenden zu bleiben, denn eine der Besonderheiten dieses Kleinods der Bibliophilie in Heidelberg ist seine Aktualität.

Neue Leser werden auf einem kleinen Rundgang von Claus Bernhard Schmidt persönlich in die Geheimnisse seines Schatzkästchens eingeführt. "Die Weltliteratur ist bei uns komplett vertreten", erläutert er den Sammelschwerpunkt Belletristik. Die zweite große Fundgrube befindet sich oberhalb des Zwischenbodens, wo zwei komplette Regale der Geschichte des 20. Jhd. reserviert wurden: So wird allein sechsmal fündig, wer nach einer Stalinbiographie Ausschau hält. Aber es gibt auch leichter verdauliches, ein Bildband über Frederico Fellini in der Kinoabteilung, Photographen und Maler in Wort und Bild und: Reiseliteratur. "Der Geschmack hat sich deutlich gewandelt.", meint Schmidt im Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre. "Marx und Engels liest kein Mensch mehr, auch Habermas wird nur noch selten verlangt." Die Studenten von heute lesen aktuelle Romane, und, parallel zum sich wandelnden Freizeitverhalten, gewinnt die Reiseliteratur zunehmend an Popularität. Eine andere größere Kundengruppe sind die Verzweifelten, deren Seminararbeit über Kreuzzüge vor der Tür steht und die in der UB nur noch gähnende Leere vorfanden. Aber der Hauptgrund, aus dem wahrscheinlich viele der momentan 1500 Leser immer wieder den Weg hinauf in den dritten Stock des Philosophischen Seminars finden, ist das Ambiente des kleinen Raums, das, gewollt oder ungewollt, die Sehnsucht nach der Altvorderen Zeit weckt. Jaja ... als Studium und Bildung noch dasselbe waren. Es gibt hier keinen Computer, der jeden eingegebenen Titel mit einem obskuren ZIP-Code beantwortet, der einem dann den Weg in ein buchgefülltes Kühlhaus weist, keine Infrarot-Lesegeräte, mit denen Charles Baudelaire abgefertigt wird wie ein Stück Butter bei Nanz. In die grüne Lesekarte wird jeder ausgeliehene Titel per Hand eingetragen, gerademal für das Datum gibt es einen Stempel. Wer keine Buchstaben mehr sehen kann, braucht nur aus dem Fenster blicken, um Alt-Heidelberger Schloßromantik zu tanken, oder, etwas mondäner, durch die gläserne Trennwand auf der anderen Seite einem Dutzend Slawistik-Studenten beim Tschechisch-Pauken zusehen. Ein beneidenswerter Arbeitsplatz, keine Frage. Überhaupt, die Optik ist wichtig, oben unterm Giebel: Schutzumschläge werden beim Ausleihen, in Invertierung aller Bücherei-Riten, ausnahmslos entfernt, "wegen der Rucksäcke", die dem willkommenen Blickfang häufig arg zusetzen.

Doch, man glaubt es kaum, auch über die Dächer der ehrwürdigen Altstadtuniversität bläst der Hauch des neuen Jahrtausends von Jahr zu Jahr stärker alten Traditionen ins Gesicht, und so erhält im kommenden Semester auch die Studentenbibliothek ihren Computer. Im Bibliothekssystem HEIDI wird sie unter dem Signum SU schon seit 1985 geführt, und auch was den erneuten Anschlag auf ihre Ursprünglichkeit angeht, gibt sich Claus Bernhard Schmidt anpassungsfähig: Sein Traum ist ein detaillierter Sachkatalog, der dann den Zettelkasten hinterm Tresen ablösen würde.

Während wir uns so unterhalten, kommen und gehen nicht nur die Minuten, sondern auch die Leser, denen bei der Büchersuche geholfen wird, wann immer es geht. In einem Fall ging es nicht. Richard Beer-Hofmann wurde verlangt, ein Autor aus dem Wien der Zwanziger. Schmidt, stolz auf die belletristische Lückenlosigkeit seiner Sammlung, wird zum Kämpfer mit Pathos: "Der wird heute zum erstenmal in zwanzig Jahren an mein Ohr getragen." Als der Leser schmunzelnd hinzufügt, daß es dann aber Zeit würde, wird das Gespräch ironisch: "Wir sind nicht dazu da, den österreichischen Schöngeist der Zwanziger wiederzubeleben. Bei unserem begrenzten Budget ist uns im Zweifel Handke wichtiger." Und grinsend empfiehlt er als Alternative Karl Kraus (der genau dieses Milieu mit Vorliebe verrissen hat).

Das Gespräch und dieser Artikel enden mit einem Versprechen. Er werde sich die zweibändige Gesamtausgabe im Buchhandel kaufen, verabschiedet sich der Leser, "und wenn ich sie durchhabe, mache ich sie zu einer Spende und stelle sie hier ins Museum, äääääh Bücherei." (gvg)


Jurist wider Willen

Einer der bedeutensten Rechtsphilosophen lehrte in Heidelberg - kaum einer kennt ihn noch

Jurisprudenz: Das ist doch die Klugheit, den Mitmenschen die Dinge so repräsentieren zu können, wie es der Karriere am dienlichsten ist. Jura. Das Fach für Töchter und Söhne unsere Volkes, die zwar durchaus an die Uni wollen, aber weder für Naturwissenschaften noch für die geistigen Dinge des Lebens je zu begeistern waren. Das Fach auch für die Harten und die eiskalt kalkulierenden Typen.
Vorbehalte und Vorurteile gegen die Rechtswissenschaft gibt es genug. Juristen sind daran gewöhnt. Merkwürdig nur, wenn die Kritik aus den eigenen Reihen kommt, von einem, der Größtes in dem Fach geleistet hat: Gustav Radbruch.

Eigentlich wollte Radbruch, 1878 in Lübeck geboren, gar nicht Jura studieren. Doch sein Papa, ein gut bürgerlicher Kaufmann, verlangte es von seinem Sohn. Andere Zeiten, andere Sitten. Später wird Radbruch diesen Gehorsam wohl nicht mehr bereut haben, doch interessanterweise blieb er stets "Jurist mit schlechtem Gewissen", wie er sich selbst bezeichnete. Jura war für ihn nicht eine Leiter zu den Sternen, sondern eine schwere, verantwortungsvolle Aufgabe. "Es ist eine Notwendigkeit des juristischen Berufes, sich zugleich seiner Hoheit und seiner tiefen Fragwürdigkeit in jedem Augenblick bewußt zu sein." Und: "Was für den Richter überhaupt gilt, gilt ganz besonders für den Strafrichter: daß auf ein Lot Jurisprudenz ein Zentner Menschen- und Lebenskenntnis kommen müsse." Daß dieser Wunsch der Realität nicht entsprach, bedauerte Radbruch zutiefst. Er sah die Wurzeln des Übels im gängigen Ausbildungssystem, das Juristen hervorbringe, "die nicht als die Erwünschtesten erscheinen, nämlich die kalten, scharfsinnigen Intellektsmenschen ohne lebendiges Rechtsgefühl, ohne warme Menschlichkeit."

Nachdem Radbruch 1903 sein Studium in München, Leipzig und Berlin und die Dissertation abgeschlossen hatte, habilitierte Radbruch 25jährig in Heidelberg. Er wurde zu einem der beeindruckendsten Professoren. Seine Schüler berichteten noch Jahre später voller Begeisterung von seinen Vorlesungen und seiner freundlichen Art. So begleitete Radbruch einmal einen verzweifelten, durchgefallenen Examenskandidaten durch die ganze Stadt nach Hause, um ihn zu trösten. Andererseits ließ er es auch an Kritik - wie zum Beispiel gegenüber den Verbindungen, die er als dem Geist der Demokratie zuwider aburteilte - nicht fehlten.

Respekt war Radbruchs Grundhaltung auch gegenüber den Menschen, um die es in seinem Fach eigentlich ging: den Angeklagten und Verurteilten. In seinen Vorlesungen kam er oft auf scheinbar sachfremde Dinge zu sprechen: "Ich kann Sie versichern, in jedem Menschen gibt es einen Punkt, in dem man einsetzen kann, um ihn ganz umzuwandeln; aber auf Menschen einwirken kann man nur mit der Liebe, und diese Liebe zu den Ärmsten und Elendesten in Ihnen geweckt zu haben, das ist mein Wunsch." Wahrhaft merkwürdige Worte für einen Juraprofessor.

Diesem Geist gemäß versuchte Radbruch auch als Reichsjustizminister zu wirken. 1920 war er als Abgeordneter der Sozialdemokraten in den Reichstag gewählt worden. Als man ihm 1921 das Reichsjustizministerium antrug, ließ er sich zur Annahme dieser Aufgabe erst durch dringendes Bitten Friedrich Eberts überreden. In den fünfzehn Monaten seiner Dienstzeit hatte er eine erstaunlich große Wirkung. Während seiner Amtszeit wurde beispielsweise das Jugendgerichtsgesetz erlassen, das endlich das Jugendstrafrecht vom allgemeinen Strafrecht trennte. Besonders lag ihm an einer Reform des Strafrechts, das sich in seiner Form von 1871 als veraltet erwies.

Als ihm später angeboten wurde, zum zweiten Mal Justizminister zu werden, lehnte Radbruch ab; er war davon überzeugt, daß er am besten für die Lehre geeignet sei. Um so härter traf es ihn, als er 1933 kurz nach der Machtergreifung als einer der ersten Professoren entlassen wurde, "da er nach seiner ganzen Persönlichkeit und seiner bisherigen politischen Betätigung (...) nicht die Gewähr dafür" biete, "daß er jetzt rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt". Zwar kommentierte er dieses Ereignis zunächst lakonisch mit dem Bibelwort: "Sie gedachten es böse mit mir zu machen, aber Gott hat es gut mit mir gemacht" und nutzte die gewonnene Zeit, um schrifstellerischen Tätigkeiten nachzukommen. Wie sehr ihm aber die Lehre fehlte, zeigten nicht zuletzt seine intensiven Bemühungen, an der Zürcher Universität 1934 eine Dozentur zu erhalten, und die große Enttäuschung, als sich das zerschlug. Doch im Ausland gewann Radbruch an Einfluß und seine Schriften wurden in viele Sprachen übersetzt.

Am 7. September 1945 wurde Radbruch - inzwischen ein alter und kranker Mann - wieder ins Lehramt eingesetzt. Über die neue Studentengeneration schreibt er: "Ungeheuer fachwissenschaftlicher Fleiß bei nicht wiedergutzumachenden Mängeln der Allgemeinbildung, viel Kritik- und Propagandafestigkeit, absolutes Mißtrauen gegen die Partei, instinktive Abwehr gegen Aufrollung der Vergangenheit." 1946 berichtet er über seine Lehrtätigkeit: "Ich habe trotz meiner geschwächten Gesundheit in den beiden Semestern, die seit Januar vergangen sind, das Glück des Wirkens so stark erlebt wie nie zuvor."

In dieser Zeit entstand die sogenannte Gustav-Radbruch-Formel, in der er versuchte, das Unrecht zu definieren, das die Richter des Nazireiches begangen hatten: "Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als 'unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Satzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur 'unrichtiges Recht', vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren dann als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen."

Radbruch wußte um die Unzulänglichkeit dieser Definition. Dennoch ist sie bis heute maßgeblich. Für Jutta Limbach etwa, die Präsidentin des Bundesverfassungsgericht, hat die Formel in bezug auf das Recht der Ex- DDR wieder neue Aktualität.

Auch in bezug auf das Christentum hatte Radbruch nach 1945 eine völlig neue positive Auffassung, was ihn nach 1945 zunächst von der SPD fern hielt. Er fühlte sich der CDU näher und erhoffte sich von ihr ein Bekenntnis zum christlichen Sozialismus. Er nahm sogar an der Gründungsversammlung der Heidelberger Christlich-Sozialen-Union teil, doch trat er der CSU nie bei. Seine Hoffnung, daß die neue Partei "im wesentlichen zu einer erweiterten und konsequent sozialistisch eingestellten" Partei werde, erfüllte sich nicht. Im Juli 1948 trat er dann doch wieder in die Sozialdemokratische Partei ein. Im selben Monat hielt er seine Abschiedsvorlesung, in der er sich zur Sozialdemokratie bekannte.

Am 23.11.1948 starb Gustav Radbruch an einem Herzinfarkt. Es ist merkwürdig, daß er so in Vergessenheit geraten ist. Der Mann, der an unserer Universität seine für die junge Demokratie so wichtigen Thesen lehrte; ein Mann, der uns gezeigt hat, was für einen Juristen die Alternative zum "kalten, scharfsinnigen Intellektsmenschen ohne lebendiges Rechtsgefühl" sein kann. (hee)


Rain, Steam, and Speed

Pornographie und Rassismus in Comics

Daß Comics nicht nur "Mickey Mouse & Co." bedeutet, dürfte sich mittlerweile ja herumgesprochen haben, daß aber auch exzessive Gewaltdarstellungen, gemischt mit pornographischen (im schlimmsten Fall kinderpornographischen) und rassistischen Elementen, Einzug in die Neunte Kunst gefunden haben, ist der Gesellschaft weitgehend unbemerkt geblieben.

Fast jeder Comicverlag Deutschlands, darunter auch einige große bekannte Verlage, führt Comics, deren Inhalt in jeder anderen Medienform niemals durch die Zensur gekommen wäre. Die Darstellungen brutalster Gewalt und Vergewaltigungen werden ebenso stillschweigend zur Kenntnis genommen und akzeptiert, wie die Tatsache, daß selbst Kinder zu Opfern solcher Taten werden. Im englischen "Skin"-Comic, den der Autor Brendan McCarthy als den besten Comic Englands tituliert, werden die Taten eines 15jährigen contagangeschädigten Skins beschrieben, der unter anderem dem Chef einer Contagan produzierenden Firma die Arme abhackt und sich selber an den Körper bindet. Im Vorwort des Comics steht dazu, daß das Heft bewußt obzön und schockierend gewollt war. Ein anderes Beispiel sind die allseits bekannten und beliebten Beavis und Butthead-Geschichten. Diese erscheinen nämlich nicht nur nachts im Fernsehen, sondern sind neuerdings auch für Kinder und Jugendliche in Bücher- und Comicläden erhältlich. Und daß die Comics nicht ganz so harmlos sind, gab selbst MTV-Chef Sumner Redstone in einem "Spiegel"-Interview zu. So bezeichnete er die Serie als eine "Parodie, einen Angriff auf Intoleranz, Bigotterie und Rassismus in unserer Gesellschaft. Kleine Kinder sollten sie dagegen nicht sehen, sie könnten die Satire nicht erkennen." Nun mag diese Kontrolle durch späte Sendezeit bei der TV-Serie zutreffen, die Comicheftchen, die genauso brutal und sexistisch sind, unterliegen keiner Kontrolle. Unabhängig von dieser Tatsache, muß man sich aber auch fragen, inwieweit das qualvolle Töten von Fröschen oder das Degradieren von Frauen zu Objekten eine Kritik an der Gesellschaft ist. Hier muß leider Satire als Entschuldigung für einen fragwürdigen, aber sehr erfolgreichen Inhalt herhalten. Völlig außer Frage steht der sexistische Inhalt zahlreicher Comics von Serpieri. Hier ist die Frau nur ein Objekt und Opfer zahlreicher Vergewaltigungen, auch durch Dämonen.

Hier besteht also Handlungsbedarf, doch anscheinend bestätigt sich die These, daß Handlungsbedarf erst dann entdeckt wird, wenn Handlungsbedarf geweckt wird. Kein Mensch kümmert sich um ein Problem, bis es erst deutlich in den Medien erscheint. Und an dem Punkt setzt Michael Brenner, Gründer des Vereins "Menschen, Umwelt, Tiere", kurz MUT, an, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu erreichen. Der erst junge Verein aus Neckargemünd sucht in Rundfunk und Fernsehen den öffentlichen Kontakt. Brenner hat aber auch mehrmals die verschiedensten Verlage der Pornographie oder der Gewaltverherrlichung angezeigt. Bisher jedoch ohne jeden Erfolg. Die Entschuldigungen der Verlage oder die Antworten der Staatsanwaltschaft lesen sich amüsant, stimmen aber nachdenklich bei der Brisanz des Themas. Die Standardausrede ist ebenso schlicht wie wirksam: Der Inhalt des Comics wird zu Kunst erhoben, und Kunst braucht sich nicht zu rechtfertigen und steht außerhalb jeder Kritik. Unter diesem Mantel erlauben sich Comicverlage fast alles. Die Staatsanwaltschaft kann nichts machen, sie hält die Comics entweder für Kunst oder nicht grob aufdringlich. Und wenn einmal die Staatsanwaltschaft einen Comic findet, der Kinderprostitution und Gewaltanwendungen verharmlost, so sind ihr die Hände gebunden, da meistens der Comic nicht von der Bundesprüfstelle (BPS) indiziert oder nicht in die Liste der vorausindizierten Periodika aufgenommen ist. Aber die BPS kann nicht von sich aus indizieren: Sie kann erst auf einen Indizierungsantrag hin aktiv werden, und darf selber keine Anträge stellen. Bei der derzeitigen Flut von Comics ein aussichtsloser Kampf, der zeigt, daß das Marktrecht höher steht als der Schutz der Gesellschaft. Dabei fehlt es nicht einmal an den richtigen Gesetzen, aber solange man derartige Comics als nicht ernstzunehmende Parodie oder Subkultur verharmlost, solange wird die dünne Ozonschicht des Selbstschutzes von Kindern durch Objektdenken bombardiert und Prostituierungstendenzen preisgegeben. Brenner wünscht sich auch deshalb, "daß angesichts eines dramatischen Ablaufs gegen die Schöpfung Gottes sich immer Menschen für den Schutzgedanken Mensch, Umwelt, Tier einsetzen."(jr)


William Turner: Aquarellierend durch Deutschland

Das regionale Ausstellungsereignis des Herbstes spielt einmal mehr in Mannheim: Die Kunsthalle zeigt "J. M. W. Turner in Deutschland", nämlich die Aquarellskizzen des Malers, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf seinen Reisen entlang deutscher und österreichischer Flußtäler entstanden sind.

Die Ausstellung ist gut besucht. Das Publikum freut sich am "sagenhaften Kolorit" der Darstellungen und schwelgt - fast noch mehr - im Wiedererkennen von im Urlaub besuchten Orten und Sehenswürdigkeiten. Bei seinen Zeitgenossen dagegen war Turner weit weniger beliebt: Sie fanden seine Bilder mitunter "hingesudelt", bescheinigten ihnen "Flüchtigkeit der Behandlung" und einen "gänzlichen Mangel an Wahrheit" und monierten, daß "in der Nähe dem Auge fast jede Unterscheidung" verschwinde.

Eben darin liegt aber die Bedeutung dieser Malweise. Turners Landschaften geben nicht mehr ein Inventar unmißverständlich distinkter Gegenstände, Personen und Kulissenteile wieder, sondern richten das Augenmerk auf einen maßgeblich von Licht und Farbe geprägten atmosphärischen Gesamteindruck. Die Darstellung verlagert sich also von mimetischer Wirklichkeitswiedergabe auf die Umsetzung einer sinnlichen Empfindung; und aus diesem Grund gilt Turner auch als Wegbereiter des Impressionismus. Tatsächlich aber reicht seine Bedeutung noch weiter: Werke wie "Rain, Steam, and Speed" (1844), für die Turner heute vor allem berühmt ist, gehen über Synästhesie und Abstraktion von der dinglichen Gegebenheit hinaus und werden in der Verselbstständigung der Farbe zum Vorläufer konkreter Richtungen.

Viele der gezeigten Arbeiten sind sehr flüchtig entstanden: Turner skizzierte sogar auf Kutsch- und Bootsfahrten. Sie waren als Vorlage für spätere Ölgemälde oder Stahlstiche gedacht und zeichnen sich naturgemäß nicht durch sonderliche Opulenz aus. In technischer Hinsicht sind sie dennoch interessant: Einzelne Farb- und Musterskizzen geben Einblick in Turners Arbeitsweise, und anhand der unterschiedlich lavierten Malgründe läßt sich seine Fähigkeit, mit geringem Aufwand großen Effekt zu erzielen, eindrucksvoll nachvollziehen. Aber darüber hinaus werden einige ausgesprochene Schmuckstücke gezeigt, so der Heidelberger Sonnenuntergang Kat. 129 und der Blick auf Konstanz Kat. 125, die alle Typika des turnerschen Werks in sich vereinen; und als Schlußstein der Ausstellung ist ein großformatiges Ölgemälde zu sehen, eine Heidelberg-Ansicht um 1844/45.

Besondere Erwähnung verdient das im Prestel-Verlag erschienene Katalogbuch, das die ein wenig unterdidaktisierte Ausstellung in sinnvoller Weise ergänzt. Zwar ist Cecilia Powells detaillierter Nachvollzug der turnerschen Reiserouten vor allem von wissenschaftlichem (oder aber von touristischem) Interesse, und man hätte sich genaueren Aufschluß über die künstlerischen Gesichtspunkte der Motive gewünscht. Umso instruktiver wirkt hier aber Pia Müller-Tamms Beitrag zu den - nicht ausgestellten - deutschen Landschaften in Turners malerischem Spätwerk. Ein optisches Bonbon sind schließlich die zahlreichen ganzseitigen Detailreproduktionen im Textteil. (jpb)

"J. M. W. Turner in Deutschland", Kunsthalle Mannheim, bis 14.1.'96


Rainald Goetz goes techno

Wer das nicht versteht, muß sofort zum Arzt

Hier kommt die Kritik eines rundum gelungen Experiments. Und es ist eigentlich egal, ob es in Frankfurt stattfand, in Ibiza oder im Münchner Boy, an den Plattentellern oder hinter einer Schreibmaschine, ob ihr Held Sven oder Rainald heißt, Stevie, Oliver oder Hell; ob eine paranoid mastermindmäßig durchdachte Inversionskonstruktion, eine Art blindes göttliches Auge, zum künstlichen Erzähler auferrichtet wurde, oder ob es sich nicht doch lieber eines nach dem anderen so abgespielt hat.

Drogen Sex, Musik; Party, Liebe, Plattenladen; Klamotten, Internationaliät, klar. Gemieteter Neunsitzer, Fettamerikaner mit Video und allem, klar. Logischerweise mindestens ein tragbares Telefon. Treffpunkt Vip Bar, klar. Alle personenbezogenen Daten natürlich verschlüsselt. Oder totaler Klartext, klar. Handlung? Das Stichwort Gegenwart. Es ist die Rede von einem Gesicht. Das Furchtbare des Todes ist allgegenwärtig. In nur 40 Kilometern Höhe rast zum Beispiel Aurora dahin, das neue Geheimflugzeug Amerikas, ein spitzwinkliges Dreieck aus Titan, ohne Waffen, mit achtfacher Schallgeschwindigkeit, und photographiert die Nummernschilder eines Yanomami Fernsehteams am Amazonas: sagbar. Vielleicht ein Roman, vielleicht von Don DeLillo. Das Drama menschlicher Entwicklung ist heute nocht nicht geschrieben. Eine andere fixe Idee berührt die Frage der Musik am Ende individueller körperlicher Existenz. Schließlich haben ja auch die Sinneszellen eine atomare Struktur. Bloß wie hört sich die an? Wie klingt ein Protein, ein ganzes Chromosom, oder das Öffnen der vesikulären Membran bei am synaptischen Spalt bei nervöser Erregung. Natürlich wird man weiter hinaus zu lauschen haben, Richtung Sirius oder Andromeda, nur eben auch nach innen in die bindenenden Orbitale des Kohlenstoffatoms hinein. Und würde all das, erst wenn es aufhört, hörbar werden als die lebenslänglich gespielte Grundmusik? Bewegt vielleicht noch immer von der Kraft der Nichtenstehungsexplosion?

Spannend jedenfalls ist, daß am Schluß genau dieses Gefühl so ungefähr rausgekommen ist, wie es sich angefühlt haben mag. So total.

(R. Goetz, Word, Eye Q Records, Doppel CD) vorgestellt von eile


ruprecht goes to the movies

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Brave Heart (4)

Mel Gibson kann die Finger nicht von der action lassen. Wenn's nicht kracht und knallt, dann macht er nicht mit. Was aber tun in einer Zeit, in der es noch keine Schnellfeuergewehre und Panzerfäuste gibt und nur PS draufsteht, wo auch wirklich ein Pferd drin ist? No problem: Statt Technikfeuerwerk greift der Blauäugige lieber auf Bewährtes zurück - Schwert, Lanze und Morgenstern. Wo früher die Kamera dezent wegschwenkte in dem Augenblick, da die Eisenkugel den Schädelknochen zerschmettert, kennt Gibson keine Gnade: durchbohrte Bäuche, abgetrennte Köpfe und lustige Blutfontänen tummeln sich in den üppig inszenierten Schlachtszenen. Kein Zweifel: "Braveheart" macht Spaß
Wir verfolgen den Lebensweg des schottischen Nationalhelden William Wallace (Mel Gibson), der als einfacher Bauernsohn, nachdem sein Vater von den Engländern ermordet wurde, das tut, wozu sich der schottiche Adel nicht aufraffen kann: Er kämpft gegen die Herrschaft der Unterdrücker. Dabei hat es der mutige William nicht nur mit dem skrupellosen und brutalen englischen König und dessen schwächlichem Söhnchen zu tun, sondern auch mit der Unentschlossenheit und dem Verrat der mit englischen Pfründen bestochenen Clan-Chefs.
Zu allem Überfluß (und nachdem seine erste Frau einer mißglückten Tracheotomie zum Opfer gefallen ist) verliebt er sich auch noch in die Königin (Sophie Marceau). In der letzten entscheidenden Schlacht fällt er leider einem Verrat des machtgeilen Schotten-Adels zum Opfer, wird gefangengenommen, gefoltert und getötet. Aber, hahaha, das Kind, welches die gute Sophie in ihrem Bauch trägt, ist von Wallace persönlich, und mit einem letzten asthmatischen Röcheln stirbt auch der König, nachdem Sophie es ihm mit zuckersüßem Kirschmund gesteckt hat.
Was etwas nervt, ist die Länge des Streifens (über zwei Stunden). Das liegt nicht am Stoff, sondern an Mel als Regisseur, der immer etwas zu lange braucht, um eine Szene zu erzählen. Aber ansonsten: Ein gigantischer Historie-Actionfilm, voller opulenter Bilder! Unbedingt empfehlenswert! (kw)

Stadtgespräch (3)

Figuren, die immer wieder irgendwo zusammenprallen. Eine Radiosprecherin, ihr schwuler Bruder und deren Mutter, ein Zahnarzt, seine Frau, ein Ehepaar im Auto. Im Zentrum eine Radiosendung:Sprecherin (Katja Riemann) lernt über eine Kontaktanzeige Zahnarzt kennen. Der ist verheiratet mit der Frau, die später aus Zufall im Fitneß-Center ihre Freundin wird. Zu ihnen gesellt sich dann noch der Bruder, sein Schäferstündchen einzufordern. Abgedroschen? Wäre es dem Regisseur (Rainer Kaufmann) nicht gelungen, Handlung und Dialog überzeugend zu verschmelzen.Und dabei die wunderbare Entfremdung des Kinos zu bewahren, die Leichtigkeit witzig werden läßt. Probleme werden realistisch, ohne zu schwer zu werden. Schadenfreude bleibt ein Genuß. Einzig der Zahnarzt verschwindet in der zweiten Dimension, seine Rolle glaubt man ihm nie so ganz. (rot)

Assasins (-)

Wer keine Probleme damit hat, zwei Stunden zwischen stiernackigen Mantafahrern zu sitzen, um sich anzusehen, wie Sylvester Stallone als alternder Profikiller seine Midlife-crisis überwindet, indem er wild durch die Gegend ballert, kann hier viel Spaß haben. Den Unterhaltungswert verdankt der Film allerdings der an Lächerlichkeit nicht zu überbietenden Story und den unfreiwillig komischen Dialogen, die immer dann gesprochen werden, wenn gerade nicht geschossen wird, was äußerst selten der Fall ist. (fw)

Smoke

Literaturverfilmungen können eine böse Falle sein. Doch in dieser Verfilmung von Paul Austers Bestseller ging die Rechnung auf. William Hurt als introvertierter, krisengeschüttelter Schriftsteller und Harvey Keitel als rauhbeiniger Kioskbesitzer - Freunde fürs Leben. Mitten in New York sind sie beide auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, jeder auf seine ganz persönliche Weise. In einem sind sie sich einig: Der wichtigste Bestandteil des Lebens ist das Qualmen. Alltägliche Lebenskrisen werden mit der obligatorischen Rauchwolke bewältigt. Rührende Männeremotionen! (asb)

Schweine im Weltall (2)

Um's vorwegzunehmen: Es war dann doch nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Sequentiell bekam man bei Sätzen der Art "Ich habe noch nie einen Amerikaner im All verloren..." oder "Alles was ich brauche, sind 2 Ampère!" auch als Kinobesucher Sauerstoffprobleme, seltsamerweise konnte man diesen Film dennoch nicht so übel finden. Ob er allerdings auch entstanden wäre, wenn unsere Helden aufgrund eines falschen Eintrittswinkels in der Erdatmosphäre verglüht wären? Man stelle sich das vor: Das ganze Kontrollteam in Houston steht heulend da, die Stimme "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?", dieser Satz, immer wieder dieser Satz "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?" und langsam, ganz langsam kommt der fade-out ins Schwarze, das Bild der Männer verschwimmt und nur aus dem Off kommt immer wieder "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?". Dann, die Leinwand längst schwarz, eine kurze statistische Info der Form "Am 13.07.1970 verglühten James l. Lovell etc." Wir kennen das und können uns das vorstellen. Klassisches Filmende. Prima.

"Apollo 13" wirft aber ganz andere, nämlich soziologische und gesellschaftsstrukturelle Fragen auf, die erst auf den zweiten Blick offenbar werden. Der syllogistische Gedankengang beginnt einsteigenderweise mit dem Problem "Kann Tom Hanks mit diesem Film zum dritten Mal in Folge den Oscar erringen?" Wir vermuten 'nein', befürchten 'ja' und verbinden dies mit der Feststellung: Schön, daß wir keine Amerikaner sind. Die haben ihren 'Oscar'. Und wir? Wir haben ein Bambi, nun, das ist ja noch erträglich, aber stellen wir uns weiter vor, auch wir hätten einen Abo-Gewinner für das Teil, der Bambi jährlich bekäme und sich vorne hinstellt und "Gott segne Deutschland" sagt. (Tom Hanks nennt das - of course -"God bless America", aber wir bilden ja nur Analogien). Der bahnbrechende Erfolg dieses Mannes in allen erdenklichen Rollen läßt uns daher auch viel über die Amerikaner und ihre Helden sagen.

Nehmen wir zum Beispiel Mister Gump. Da jubeln die Amerikaner einen Helden an, der zum Reden zu blöd, zum Denken zu langsam und zum Agieren zu ungeschickt ist. Wer kommt da nicht auf den Gedanken, daß die in jedem Amerikaner tiefverwurzelte Erkenntnis, selbst auch so ein Idiot zu sein, bei diesem Jubel mitschwingt und für den eigenen, ganz persönlichen "American Dream" (You know, Tellerwäscher and stuff) hoffen läßt. Wir Deutschen sind da ganz anders: In uns schlummert tiefverwurzelt die genau entgegengesetzte Erkenntnis, nämlich in Wirklichkeit ein ganz toller Hecht (oder eine munterste Forelle, werte Damen) zu sein und schlichtweg von den Widrigkeiten des Daseins per se an einem erfolgreichen Leben gehindert worden zu sein.

Im Ergebnis ist das eine letztlich so dramatisch wie das andere, nur kann unserem individuellen, angeknacksten Bewußtsein kein "God bless Germany" aus dem Munde Götz Georges helfen. Wir fassen die bisher gewonnenen Erkenntnisse in einer amerikanischen und einer deutschen Kausalkette zusammen.

USA: Erkenntnis: Idiot im Innern
- Vertrauen auf Amerika
- Tom Hanks bekommt den Oscar!
- Erkenntnis: Genie im Innern
- Mißtrauen in Deutschland
- Uschi Glas bekommt den Bambi!

Wir sehen schon am Gegensatz zwischen der heroischen Gestalt des Oscar und der goldig-niedlich-knuddelig-wuddeligen Bambi-Gestalt: Hier manifestieren sich Abgründe gesellschaftlichen Bewußtseins.
Doch zurück zur jüngsten Hanks-schen Tragödie. "Houston, we have a problem". Wäre Apollo 13 deutsch, wäre wohl wiederum alles weniger heroisch, die Mission hieße vermutlich "Saumagen 27" und der berühmteste Satz des Jahrhunderts "Wissbaade, mer hawwe e Problehm...".

Nun denn, wie echte Probleme auf Weltallsausflügen aussehen, wissen wir glücklicherweise durch die Muppets-Show. Wer erinnert sich nicht voll Wehmut und sehnsüchtigst an "Schweine im Weltall". Mir ist vor allem jene Folge in Erinnerung geblieben, in der die Crew durch einen mysteriösen Nebel fliegt, durch dessen Strahlung sich erst einige Besatzungsmitglieder in Kohlrabi und Möhren, dann letztlich Miss Piggy in eine Sahnetorte verwandelt und sich nur mühsam dagegen wehren kann, von ihren noch nicht mutierten Kollegen aufgefressen zu werden.

Also saß ich im Kino und habe mir die ganze "Apollo 13"-Odyssee lang nichts sehnsüchtiger gewünscht, als daß Tom Hanks sich endlich in eine Pfälzer Saure Gurke verwandelt und ich meiner Kinobegleitung beruhigt ins Ohr flüstern kann: "Schädssche, mer hawwe e Problem wennischer..."

(jk)


Uni-Kino

Movie in H13
(jeweils Mi. 19.30 h in Hörsaal 13, Neue Uni; 3,-DM)

08.11. Frankenstein
15.11. 4 Hochzeiten & 1 Todesfall
21.11. (Di.!) Leon der Profi
29.11. Outbreak
05.12.+06.12. Feuerzangenbowle
13.12. Harry & Sally

Kino im Feld
(jeweils Do. 19.30 h, Aula INF 684; 3,-DM)

09.11. 2001-Odysee im Weltraum
16.11. Angst essen Seele auf & Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
23.11. Sein oder Nichtsein & The Great Dictator
24.11. (Fr.!) Die Blechtrommel
30.11. Seminar: Der klassische amerikanische Zeichentrickfilm
07.12. Der blaue Engel & Die Feuerzangenbowle


Heidelberger Profile:

Der neue Theaterintendant Clauß steht für solides Handwerk

Nicht aus der Deckung kommen, Hände vor's Gesicht, tänzeln, ausweichen, keine Angriffsfläche bieten. Volkmar Clauß, 53 Jahre, hat keine leichte Aufgabe übernommen als Nachfolger des erfolgreichen Peter Stoltzenberg, der das Theater zweiundzwanzig Jahre lang führte; und es sieht so aus, als wolle der Neue noch vorsichtig agieren, sich nicht festlegen, um später keine Einbrüche zu erleiden. Ein wenig angestrengt freut er sich, "intakte Strukturen" von seinem Vorgänger übernehmen zu können, aber natürlich ist ihm bewußt, daß genau hier das Problem liegt: Wo alles gut läuft, was soll man da verändern?

Der große programmatische Paukenschlag jedenfalls klingt den Heidelbergern noch nicht in den Ohren, vollmundige Ankündigungen sind nicht die Sache des aus 110 Bewerbern ausgewählten Volkmar Clauß, auch nicht die Antwort auf die Frage, was denn nun eigentlich anders werden soll unter seiner Führung. Ein bißchen Gebrummel kommt da, ein unwilliges Kopfschütteln. "Zeitgenössisches soll stärker gewichtet werden, nicht immer die ollen Kamellen", ringt sich der Intendant schließlich ein Sätzchen ab, "und wichtiger als die Frage 'Welche Stücke?' ist die Frage 'Wie bringe ich sie?'" Da stellt sich Clauß "eine bestimmte Bandbreite" vor, nicht zu abgehoben, nicht zu seicht, von allem etwas. Die Inszenierungen sollen "aktuell und originell" sein, wie der "Figaro", eine der drei von der Lokalpresse als "Kraftakt" bejubelten Premieren innerhalb von fünf Tagen. Hier symbolisierte eine "Titanic" als Bühnenbild die Schieflage der gesamten Geschichte.

Wie die drei schnell aufeinanderfolgenden Premieren zeigen, ist Volkmar Clauß ein Mann der Tat. Er macht nicht viele Worte, wirkt ungeduldig im Gespräch, ist aber locker und freundlich im Ton. Lässig in Jeans und rotes Cordhemd gewandet, die Haare kurzgeschoren und meistens eine Zigarette in der Hand, wirkt er sehr dynamisch und chefig. Ein Macher, kein Grübler. Auf die Frage nach Freizeitbeschäftigungen kommt ein verächtliches Lachen: Bei 12-14 Stunden Arbeit pro Tag und selten freien Wochenenden fällt ihm dazu wirklich nichts ein. Der Mann stellt eine interessante Mischung aus detailverrücktem Workaholic und selbstbewußtem Könner dar. Volkmar Clauß, der auf Gruppenfotos immer eine Kopflänge über die anderen hinausragt, sieht man es an, daß er es gewohnt ist, daß seine Anordnungen befolgt werden. Ein wichtiges Telefonat? "Kann warten, ich geh' mir jetzt erst mal 'ne Wurst holen."

Der neue oberste Theatermensch hat Erfahrung. Er hat Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Publizistik studiert, war Intendant in Ulm und Kiel und zuletzt Leiter des Berliner Schiller-Theaters. Auch Heidelberg ist ihm nicht unbekannt: In den Jahren 1973-1975 hatte er hier eine Stelle als Chefdramaturg. "Ein kleines Theater wie hier", sinniert er, "ist viel offener für neue künstlerische Entwicklungen, nicht so schwerfällig wie die großen. Man ist viel näher dran an den Menschen." Deshalb will er auch nicht mit großen "Galaabenden" protzen, sondern interessante Aufführungen machen mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen. Zudem ist Clauß ein Fan des klassischen Dreisparten-Theaters (Ballett, Oper, Schauspiel). Deshalb sollen möglichst alle drei Sparten erhalten bleiben.Überhaupt wird vieles erhalten: die Schloßfestspiele, der Stückemarkt ( auf Gegenwartsdramatik fokussiert), und auch vom alten Spielplan werden drei Stücke übernommen.

Aber im Stillen, ohne Riesenrummel, hat sich auch einiges geändert: Es gibt jetzt eine Öffentlichkeitsarbeiterin, das "Jugendtheater" soll mehr Autonomie erhalten, fast die Hälfte des Ensembles wird ausgewechselt, und es gibt weder einen festangestellten Regisseur noch einen Oberspielleiter. Mindestens fünf Regisseure treten in den ersten Produktionen zueinander in Konkurrenz. Diese tastende Unentschlossenheit, das Ausloten der Dinge hat Methode: Clauß will die "Handschriften" der Regisseure ausprobieren und dann über ein Konzept entscheiden. Der neue Spielplan jedenfalls weckt hohe Erwartungen: "Der Fliegende Holländer", "Warten auf Godot", "Baal" und vieles mehr. Mit einer Reihe etwas anderer Darbietungen, so einer Rimbaud-Nacht mit Rockband-Untermalung, sollen auch verstärkt jugendlich-frische Akzente gesetzt werden.

"Theater darf nicht altmodisch sein, es soll die Leute aufrütteln", lautet einer der Glaubenssätze des Mannes mit dem Walroßbart. Aber es klingt ein wenig leiernd, wie eine Pflichtübung. Politische Provokationen, ästhetische Revolution? "Neinnein, so auch wieder nicht", schreckt Clauß zurück, "ein gemischtes Programm auf hohem Niveau muß alle ansprechen - nicht nur Bildungsbürger oder Arbeiter oder Studenten." Das klingt nach Kontinuität, nicht nach Bruch. Doch es ist noch vorsichtig formuliert, Volkmar Clauß läßt noch Versuchsballons steigen. Die eigentliche Schlacht, soviel ist jetzt schon klar, wird nicht um künstlerische Akzente geschlagen, sondern um finanzielle. Die Verpflichtung durch die Stadt, jährlich 3% einzusparen, mit ein Grund für Stoltzenbergs Abgang, findet auch Clauß unrealistisch. Aber davon muß der Neue die Stadt erst mal überzeugen. (kw)


Karlstor-Kult

Am 8. Dezember fällt der Startschuß

Es ist ein ganz normaler Abend, kurz vor acht, und ich schlendere durch die Altstadt. Im Studi-Café war ich schon: Die heiße Schokolade mit Sahne ist prima dort, doch mein Sinn steht mir jetzt nach kulturellen Genüssen. Das Programm der Städtischen Bühne habe ich schon abgegrast, das Kinoprogramm bietet nur Hollywood in allen Lebenslagen. Schon wollte ich mich meinem Schicksal ergeben und in der Unteren Straße bei ein paar Weinschorlen von besseren Zeiten träumen. Da schien es mir, als würde vom Karlstor her ein zarter Lichtschein die Hauptstraße herab leuchten - direkt in mein trübes Studentinnenauge! Ich folge dem Licht, vorbei an der Alten Uni, wo heute mal wieder der "Club der toten Wissenschaftler" tagt, vorbei am Gloria-Kino, dessen Acht-Uhr-Vorstellung schon längst ausverkauft ist. Ich lasse selbst die Heiliggeistkirche und das Germanistische Seminar hinter mir. Und das Licht wird heller. Jetzt steuere ich direkt auf das Karlstor zu. Durch den Torbogen glitzert es mir entgegen, und ich meine jetzt die Quelle dieses betörenden Strahlens zu erkennen: Es ist der Karlstorbahnhof!

Aus seinem Inneren strömt ein ungewohntes, buntes Licht, das durch die großen Fensterscheiben die Umgebung erleuchtet. Ja selbst das trübe Neckarwasser glitzert in Regenbogenfarben. Jetzt stehe ich unmittelbar vor dem Portal: Ich höre sanfte Stimmen, die freundlich diskutieren oder sich gegenseitig gratulieren, Sektgläser klirren. Menschen, die sich vor einem Jahr noch im ruprecht über pro und contra Karlstorbahnhof gestritten haben, liegen sich in den Armen. Ich vernehme Geigenklänge. Von irgendwoher dringt der jazzige Sound eines Saxophons zu mir. Meine Neugierde steigert sich in ungewohnte Sphären. Ich gehe um dieses mystische Gebäude herum. Hinter einer großflächigen Glasfassade erkenne ich noch mehr Menschen mit entspannten, glücklichen Gesichtern, die bei lukullischen Köstlichkeiten beisammensitzen. Ich lese auf ihren Lippen Worte wie: "Sehen wir uns jetzt die neue Theaterproduktion oder den Low-Budget-Film an?" oder "Ach, ich wollte mich eigentlich mal in den Vortrag über Kultursponsoring reinsetzen, außerdem soll doch noch eine Diskussion über die Rolle der Frau in der Wissenschaft stattfinden." Eine andere Stimme erwidert: "Kommt, laßt uns doch einfach noch ein bißchen sitzenbleiben und den malerischen Blick auf den Neckar genießen. Wir können uns dann ja später das Konzert der Honeyteardrops anhören."

Ich glaube meinen Augen und Ohren nicht zu trauen - doch es ist kein Traum. Wir schreiben Freitag, den 8. Dezember des Jahres 1995, und ich befinde mich vor Heidelbergs neuem Kulturzentrum, dem KARLSTORBAHNHOF. Denn jetzt, nach 17 Jahren von der Idee bis zur Realisation, wird die Eröffnung des Kulturtempels gefeiert. Für die Woche vom 8. bis zum 16. Dezember haben die vier Trägervereine - Kulturcafé, Theaterverein, Medienforum und Eine-Welt-Zentrum - ein Programm zusammengestellt, welches einen Vorgeschmack auf Heidelbergs zukünftiges Kulturleben geben soll. Als Programmchef hat sich die Karlstorbahnhof GmbH Johannes Rühl (41) aus Husum an den Neckar geholt. Er hat bereits reichlich Erfahrungen mit Kulturhäusern dieser Kragenweite gesammelt und möchte im Karlstorbahnhof eine Kombination aus lokaler Kulturszene und überregionalen Einflüssen schaffen. Im Gespräch mit ruprecht erklärt Rühl, daß es keinen Sinn habe, jetzt ein Konzept aufzustellen. Ein soziokulturelles Zentrum müsse ersteinmal wachsen. Die bestehende freie Kulturszene in Heidelberg müsse sich jetzt im Karlstorbahnhof neu zusammenfinden. Er hofft mit dem Saal von 250 Sitzplätzen, einem Kinoraum, einer weiteren Kleinbühne, der Bahnhofsgaststätte und zahlreichen Gruppenräumen einen neuen Unterhaltungsfaktor für die Stadt zu organisieren, der nicht auf dem mainstream schippert. Ahoi! (asb)

Das Karlstoreröffnungsprogramm:

Freitag, 8.12.: 20 Uhr: Konzert mit anschließendem Fest: El Houssaine Kili (Marokko), Gnawa Rock.
22 Uhr: Gitarren-Kabarett mit Knut und Silvy (Basel).
Samstag, 9.12.: Ab 15 Uhr: Tag der offenen Tür: Die Betreibervereine stellen sich vor.
21 Uhr: Hip Hop Jam mit: MC Rene + DJ Mirco, Stiber Twins, Cora E, Knightz of Bass
Sonntag, 10.12.: 11 Uhr: Galapagos Bigband, Literaturoffensive.
Ab 14 Uhr: Familienprogramm.
20 Uhr: Kabarett: Herrchens Frauchen.
Montag, 11.12.: 20 Uhr: Karlstor Jazz Summit
Dienstag: 12.12.: 19.30 Uhr: Talkshow: Institutionalisierung / Soziale Bewegungen.
22 Uhr: Konzert: George Darko (Ghana).
Mittwoch, 13.12.: 16 Uhr: Laterna Magica Kinderprogramm.
20 Uhr: Laterna Magica.
Donnerstag, 14.12.: 20 Uhr: Megalomaniax.
Freitag, 15.12.: ab 20 Uhr: Revue: Theatergalerie.
Samstag, 16.12.: 19.30 und 21 Uhr: Bilder einer Ausstellung, abstrakte Bühnenkomposition von Wassily Kandinsky.


Sport

Reißerische Fußballmorgen - Kalter Krieg im Fußballwinter

Und wieder einmal sind die Trikots die Leidtragenden!

Jetzt kriegen sie ihre Fehlpässe wenigstens zurück! Postwendend.
Die seltsam symbolträchtige weiße Linie des Freiplatzes mit ihrer dreidimensionalen Wirkung ersetzt durch eine wirkliche, knallharte Wand. Impulserhaltung.
Dumm dabei ist nur: Die unergründlichen Höhen des Fußballhimmels wurden auch gekappt. Nach zehn Metern Lufthoheit folgt unabänderlich die Decke. Würden auch sonst völlig abheben, die Fußballer.
Jetzt, wo nach Regeln der Bundesliga gespielt wird, mit Dreipunktesystem, manchmal internationaler Härte, sich selbst als treueste Fangemeinde. Wie die Großen. Wer dabei wirklich über sich hinaus wächst, lassen die Gruppenspiele der ersten drei Spieltage noch lange nicht erkennen.

Aber schließlich verdient ja ein Sportredakteur sein Geld mit Prognosen. Ob richtig oder falsch, die Insiderbegründung zählt. Eins scheint sich dabei zweifellos wieder einmal bewahrheiten zu wollen: Wer schon in der Freirunde kein Künstler des Spiels war, schießt auch in der Halle nicht gerade das Netz brüchig. Geo United hält in gewohnter Weise souverän den vierten Platzin ihrer Gruppe, ein Stückchen weiter oben auf der Erfolgsleiter befinden sich immerhin

Die Peinlichen und Quietscheentchen, die beide mit ihrem dritten Platz durchaus zufrieden sein dürfen. Ist es doch noch nicht aller Tage Abend, nur weil es ziemlich früh dunkel wird. Einen unerwartet schlechten Start haben bei ihren ersten beiden Spielen die alten Herren aus Rohrbach erwischt. Im Sommer nur knnapp geschlagen auf dem zweiten Platz, belegen sie momentan zwar Platz zwei in der Gruppe IV, doch sind ihnen die Desparados dicht auf den Fersen. Gilt zu hoffen, daß sie ihre technische und spielerische Überlegenheit noch rechtzeitig zur Zwischenrunde zurückgewinnen,um ihre Vorteile bei der Spielfeldgröße einer Sporthalle voll zum Tragen zu bringen.

Konditionsprobleme sind aus diesem Grund eigentlich nicht zu erwarten. Oder wird die Luft jetzt doch sehr dünn, bei vierundzwanzig Mannschaften zu dünn für die Rohrbacher Fußballweisen? Deutlich wohler am oberen Ende der Erfolgsleiter scheinen sich die Kickerquintetts Last Minute, Vitrex-Still und Club Med zu fühlen. Ungeschlagen, letztgenannte Equipe bereits seit vier Spielen, darf man sich schon auf ein großes Duell des Spitzentrios in der Zwischenrunde ab dem 2.12. freuen. Sicherlich, es ist reichlich verfrüht für Voraussagen dieser Art, noch stehen sechs Gruppenspiele aus. Das bedeutet drei harte Samstage Kampf mit dem Ball, gegen fremde Schienbeine, auf gegenüberliegende Tore und vor allem mit der Trostlosigkeit eines um 8 Uhr klingelnden Weckers.

Ein Härtetest also, den viele Mannschaften nur mit einem der letzten Plätze in ihrer Gruppe durchstehen werden. Immerhin dürfen die Gruppendrittplazierten noch die vier verbleibenden Plätze der Zwischenrunde unter sich ausspielen. Darum nur soviel als absolute Gewißheit: Es ist noch nichts entschieden, alle Mannschaften werden die nächsten Wochen noch einmal hart an sich arbeiten, ihre Verletzungen therapieren, wohl wissend, daß ihre Stunde durchaus noch schlagen kann.

Welchen Gegner der Glockenschlegel dann allerdings vom Podest fegt, wird die Spannung der Spieltage ausmachen. Die Spreu vom Weizen trennen, und wenn dafür ein Mörser notwendig ist. (rot)

Alle Tore, alle Punkte:

Gruppe 1

Club Med 17:2 12:0
Geister v. Malente 4:6 4:7
Quietscheentchen 3:9 4:7
Die Letzten 2:9 3:9

Gruppe 2

Noname Team 7:6 7:4
Die,die eshaben 6:4 7:4
Die Peinlichen 4:4 6:6
Odenwaldbrasilianer 5:8 2:8

Gruppe 3

Die Bierbrezler 8:2 8:2
Missing Energy 6:0 7:3
Speerspitze 6:5 4:7
Die 5 lustigen 10 3:10 3:9

Gruppe 4

Vitrex-Still 4:2 6:0
Always Ultra 4:3 3:3
FC Bumm 2:2 3:3
CF Los Locos 1:4 0:6

Gruppe 5

Schlonker 4:3 4:1
AS United 1:0 4:1
Coma-Kicker 3:3 2:2
Blau-Ufer-Blau 0:2 0:6

Gruppe 6

Last Minute 4:1 6:0
AH Rohrbach 3:4 3:3
Desperados 2:2 3:3
Geo United 0:6 0:2

Feuerstühle - Nicht nur die Formel I mit heißen Reifen

Zwei Hände am Rollstuhl, eine am Badmintonschläger. Zwei plus eins macht drei! Niemand ist perfekt.
Aber manche sind verdammt nah dran. Geschicktes Wechselspiel zwischen beschleunigen, bremsen, lenken und ballschlagen lassen den Zuschauer manchmal vergessen, daß der Mensch doch nur ein Paar Gliedmaßen hierfür hat. Bewunderung fängt da an, wo eigene Fähigkeit aufhört.
Seit über 10 Jahren treffen sich nun schon Donnerstags von 18 - 20 Uhr Studenten aber auch Andere im Rollstuhl, um in der Sporthalle der PH gemeinsam Sport zu treiben. Nicht immer hat man sich allerdings so wie in letzter Zeit ausschließlich auf Badminton konzentriert. Kraftübungen, gymnastische Elemente und Fahrtraining gehörten als noch ein Übungsleiter die Aktivitäten orgenisierte. mit zum Programm. Aber da seit geraumer Zeit hier bedauerlicherweise Mangel herrscht, genießt man das freie Spiel. Bei dem momentanen Angebot an Basketball- und Handballmannschaften suchte und fand man seine Nische beim Badminton. Zudem eine Sportart, die schon bei geringem Talent und eingeschränkter Beweglichkeit mit viel Spaß auszuüben ist.Und der steht schließlich im Vordergrund, Wettkampfambitionen bestehen nicht.

Wer also Freude an spielerischer, nicht allzu anstrengender Bewegung hat - nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch und gerade Fußgänger sind eingeladen - ist herzlich willkommen. Denn: "So ein gemischtes Doppel macht schon viel mehr Spaß!".
Als offizieller Teil des Uni-Sportprogramms ist das Angebot kostenlos, nur einen Schläger sollte man vielleicht mitbringen. (rot)


Leserbrief

Nr. 37 (Juli 95)

Lieber "ruprecht",

bei der - wie immer - interessanten Lektüre Ihrer Zeitung fiel mir der Beitrag "Haltung bewahren" auf Seite 2 auf. Ich habe daraus viel über das neue "universitäre Kunstwerk" gelernt, dessen Erscheinung zumindest auf den ersten Blick in der Tat nicht sonderlich anziehend wirkt. Sie haben mir allerdings in dem Beitrag zuviel Ehre erwiesen, wenn Sie mich schon im Jahr 1990 (also ein Jahr vor meinem Amtsantritt, als ich mit Fragen des Universitätsgeschehens noch gar nichts zu tun hatte) bereits Einfluß auf den Ausgang des Wettbewerbs nehmen ließen. Ich war daher auch in der Kunstkommission nicht vertreten. Sollte es zu einer offiziellen "Enthüllung" des Kunstwerks kommen, so werde ich mich mit der Sache gerne näher befassen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Ulmer


Impressum

Redaktionsadresse:
ruprecht, Kaiserstrasse 57, 69115 Heidelberg, Tel./Fax: 06221/21361, e-mail: ruprecht @urz.uni-heidelberg.de.
Layout-Leitung: hn.
Graphiken: hn, bw.
ruprecht-Logo: bpe.
Druck: Caro-Druck, Frankfurt a.M.
Auflage: 12.000.
Die Redaktion: Hedwig Ebinger (hee), Wolfram Eilenberger (eile), Philipp Grätzel v. Grätz (gvg), Jochen Kluve (jk), Loreena Melchert (lm), Harald Nikolaus (hn), Martina Parge (mp), Jannis Radeleff (jr), Anja Steinbuch (asb), Stephan Stuchlik(step), Robert Thielicke (rot), Klaus Werle (kw), Bernd Wilhelm (bw), Gundula Zilm (gz).
Freie Mitarbeiter(innen): Jens Blinne (jpb), Alfred Schmit (alf), .Christoph v. Friede-burg(kirk).Christian Marx, Lena Kempmann (lk), Felix Wiesler (fw), Helge Cramer , Kirsten-Heike Pistel,
Red.-Schluß für Nr. 38: 1.11. 1995.
ISSN: 0947-9570.
Internet: ruprecht, "ruprecht-aktuell", Anzeigenpreise und Leserbriefe zu finden unter http://ix.urz.uni-heidelberg.de/~ed6.
ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en Zeitung, erscheint drei Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht ruprecht als unabhängiges Organ, das keiner Gruppierung oder Weltanschauung verpflichtet ist. MitarbeiterInnen und RedakteurIinnen sind willkommen; die Redaktion trifft sich während des Semesters jeden Montag um 20 Uhr in der Lauerstr. 1, 3. Stock (neben Heuscheuer). Für namentlich gekennzeichnete Artikel übernimmt der/die Autor(in) die Verantwortung.
V.i.S.d.P.: Harald Nikolaus, Kaiserstraße 57, 69115 Heidelberg.


Keine Angst, die Serie "Studentenrevolte in Heidelberg" ist noch nicht gestorben. Da ja Vorfreude die schönste Freude ist, lassen wir Euch noch Zeit bis zur nächsten Ausgabe. Oder zur übernächsten. Aber dann ganz bestimmt!


Zugehört! (Termine)

Marcels Literatentip der Woche: Fr,1.12.1995. 19.30 Uhr NUni, Aula: "Ein weitesz Feld"! Günter Grasz lieszt auf szeinem neuszten Roman. Literarisz geszehen eine Katasztrophe - aber anszonszten ein herrlichesz Szpektakel. In dreiszzig Jahren werden Szie szagen können: "Ich bin dabeigeweszen!"

Im Rahmen des Studium Generale:
So,26.11.1995. 11 Uhr, HS zooloigsches Institut INF 230 "Wiedereinbürgerung des Przewalskipferdes in der mongolischen Steppe". Es ist erstaunlich, daß dieses atemberaubende Thema in der Weltöffentlichkeit bisher kaum angemessene Beachtung fand "Was alle angeht, können nur alle lösen." (Dürrenmatt)

Mo, 13.11.1995. 19.30 Uhr NUni, Aula, "Flucht aus der Realität? Drogen in der modernen Gesellschaft" Prof. Dr. Markus Gastpar, Dir.der Klinik für Allgem.Psych., Essen

Mo, 4.12. 1995. 19.30 Uhr NUni, Aula,"Gentechnologien am Menschen - ethische Probleme" Prof. Dr. Kurt Bayertz, Philosophisches Seminar, Uni-Münster

So, 26.11. bis Sa, 2.12.1995 20 Uhr, Romanischer Keller: "Roter Fisch"; Frauentheaterstück, inszeniert von den Gespielinnen


Die Letzte Seite

Main-Mekka-Zeitung

Die Letzte / Nr. 13 - Mittwoch, 31.November 1995 - Einzelhaft 1,60 Monate


Heute

TV-Preis-Verleihung
Wie jedes Jahr im November wurden wieder TV-Preise in München ausgeliehen. Stolze Besitzer des "Bayrischen Fernsehpreises" für ein Jahr wurden: Margarethe, Reinhold, Marienhof und Uschi Glas. Jörg Wontorra kam mit Frau, ging aber leer aus.

Aktion Rotstift
Auf Krankenhäuser kommen härtere Zeiten zu. Schwestern müssen bespart werden. Das sickerte gestern durch.
Heute-Seite

Günther Sebert ausgeschieden
"Seit dem wo ich nimmer bei de Aktive bin, gehts bergab," so der Coach nach der Pokalschlappe.
Sport

Steffi ist stabil
Steffi Graf hat die Auswirkungen der Steueraffäre offensichtlich gut verkraftet. Diesen Eindruck erweckte die Weltranglistenerste in New York. Sport

Schaffen statt raffen
Das Zukunfsministerium betonte in Bonn, daß Schüler künftig weniger lernen und besser früher mit dem Beruf beginnen sollten. Aus aller Welt

Pilic bestätigt: Boris kommt nicht zu Stich
Niki Pilic macht nie wieder Werbung für Milchschnitten. Er stehe jetzt mehr auf Sahneschnitten, sagte er gegenüber rtl zu sat1.
Feuilleton

Historiker-Zwillinge 65
Die Zwillinge und Geschichtsprofessoren Hans und Wolfgang J. Mommsen, Urenkel des großen Historikers Theodor Mommsen, werden 65 Jahre alt, das sind zusammen schon 130. Feuilleton

Schneider übergibt sich
Der reuige und skrupellose Bauunternehmer Schneider gab gestern einem Auslieferungsantrag statt.
Aus aller Welt

Die Börse
Schwach bewölkt, erst härter, dann fester. Ranz-Aktien deutlich. Übermorgen Hausse bis zu 30 Grad.
Wirtschaft

Das Wetter
Wechselnd bewölkt, mal stärker, mal schwächer. Temperaturen. Gemeinplätze vereisen bei Fallwinden aus möndlicher Richtung.


A-Bombe sprengt U-Boot

Staatengemeinschaft betroffen - Besatzung vermißt

Pazifik. (dab) Die Kontroverse wurde gestern mit neuem Zündstoff angefeuert. Unangekündigt wurde die Testserie zu einem Zwischenfall geführt. Kurz zuvor noch hatten Kampftaucher ihre "Facques Chirac"-Gummianzüge ausgezogen, doch auch das konnte nichts mehr helfen. Ein strahlender Juppet sprach von einem sehr erfolgreichen Tag für Frankreich, Mitterand und die zivilisierte Menschheit. Betroffen zeigte sich dagegen die halbe Welt. Chinas Premier Deng Xiaopeng äußerte die Überzeugung, von Edmund Stoiber weiterhin Rothschild-Weine zu bekommen.

Zu einem Zwischenfall kam es beim 23. A-Versuch der französischen force de frappe auf einer pazifischen Inselgruppe (Muruoa Atoll). Die Bombe entwickelte eine Sprengkraft von bis zu 50 Megabite. Die Sprengkraft hätte ausgereicht, eine Fläche von 30000 Fußballfeldern dem Erdboden gleich zu machen. Kurz nach Zündung meldete sich ein neuseeländisches U-Boot vermißt. Bis Redaktionsschluß unserer Korrespondentin vor Ort (23Uhr MEZ) blieb dies so. Außenminister Kinkel erklärte im Namen der Bundesregierung: "Wir Liberale haben das kommen sehen." Entrüstet zeigte sich auch der australische Ministerpräsident Michael Keaton: "Well, this is what could have happened any time". Premier Chirac erklärte den Witwen und Witwern sein herzliches Beileid, verwies aber erneut auf die Sicherheitsvorteile für die G 7- Staaten. Ein Vorschlag der arabischen Anrainerstaaten (AA), die Versuche zukünftig in Pale durchzuführen, wies er als "absurd und menschenverachtend zurück". Ein seltsames Naturspiel war am Rande der Ereignisse zu beobachten. Tausende von Fischen schwammen mehrere Stunden demonstrativ mit dem Bauch nach oben. Greenpeace fordert in diesem Zusammenhang alle Renault 4- Fahrer erneut auf, ihre Wagen in der Garage stehen zu lassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Während sich im Südpazifik die Ereignisse überschlugen, brach bezeichnenderweise auch in Oberbayern der Weißbierumsatz zur Tatzeit zwischen 18.31h und 19.17h MEZ ("Happy Hour!) um signifikante 31,87% ein. Versor-gungsengpässe sind für die hiesige Bevölkerung dennoch in keinster Weise zu befürchten.
Die globale Nachrichtenlage bestimmte der neugegründete Server WorldWideWriter WWW, auf location Lauerstr.1 mit ideas und chill-out-boost von Wolfram Eilenberger, Jochen Kluve und Stephan Stuchlik. "Say boom-boom-boom!" Copyright by ruprecht, of course.

Radwege werden verschönert

Heidelberg. (rnz) Wie Heidelbergs OB Beate Weber gestern in einer Pressekonferenz mitteilte, sollen unsere Radwege, wenn schon nicht sicherer, so doch wenigstens schöner werden. Eine jetzt gestartete Begrünungsaktion unter ihrer Schirmherrschaft wird auch vom ADFC unterstützt. ADFC-Sprecher Klaus Radi: "Wir wollen malen, pflanzen, behängen, anstreichen und vieles mehr." Auch an die Kinder auf Radkindersitzen soll mit Fingerfarben gedacht werden. Auf breite Unterstützung stieß die Aktion bei einigen Passanten vor dem NANZ-Supermarkt in der Brückenstrasse: Spontan begaben sich diese zur Theoder-Heuß-Brücke und begannen, den Radweg mit Eiern, Paprika und Staubsaugerbeuteln zu verzieren. "Viel Mut zur schönen Stadt" versprach denn auch Beate Weber. Und weiter: "Auch wenn sie uns oft lästig vorkommen, so sind Fahrräder doch aus dem Erscheinungsbild einer modernen Stadt kaum wegzudenken." Der Lokalverkehrsbelastung durch immer mehr Fahrräder will der Magistrat durch "sensible Maßnahmen" begegnen. Am ersten Aktionstag vergangene Woche beteiligten sich neben dem ADFC auch die RGH, der Hasenzüchterverein und diverse nichtorganisierte Privatpersonen, z.B. auch Frauen und Kinder. Unser Bild zeugt vom Erfolg der Aktion.

Fritjof Capra begeistert bewußt Fans

Frankfurt/Main. (ohm) Der weltbekannte New-Age Papst F. Capra stellte bei der Alternativen Buchmesse in der Mainmetropole sein neues Werk vor. Unter dem Titel "Brotzeit - Lösungen für unsere eine Welt" las er öffentlich. Der studierte Physiker und Leiter diverser Zentren in Kalifornien entwarf vor zahlreichen Zuhörern seine Vision von einer Welt. Besonderen Wert legte er auf die Nahrungsprobleme. In ihnen sieht Capra ein Hauptübel der "allgemeinen Not". In Zusammenarbeit mit Forschern der modernen Kybernetik ("Alles hängt mit allem zusammen") sprach er sich für einen Vormarsch auf dem Weg, der das Ziel ist, aus. Schon im Februar will Capra wieder veröffentlichen. Unter dem Titel "Brotzeit im Christentum" nimmt er Kleriker unter die Lupe. Auch Bundespräsident Roman Herzog zeigte sich zutiefst beeindruckt: "Lesen lohnt einfach."

Mieten: Ohne Bad weniger Prozent

Bonn. (dpa) Angesichts der steinernen Mienen und harten Haltung diverser Vermieter wollen Bund und Länder künftig die Mietschraube noch weniger Hochzudrehen zulassen. Nach diversen Gerichtsurteilen war es notwendig, so Bauminister Töpfer, neue Margen zu setzen. Eine Mieterhöhung um 15% ist nach dem Gesetzesentwurf nur zulässig, wenn in einer Wohnung Klo, Bad, Zentralheizung, Fenster und Türgriffe vorhanden sind. Fehlen wenigstens zwei dieser Anforderungen, so ist eine Mieterhöhung von höchstens 14,87% gerade noch rechtmäßig. Töpfer: "Auch wenn diese Maßnahme vielen Vermietern hart erscheinen mag, ist sie langfristig dennoch notwendig geworden, um gerade von Vermieterseite gewisse Wohnstandards zu gewährleisten." Die Regelung war von Anfang an in Frage gestellt worden.

"Keine Experimente mit der D-Mark"

Bonn. (npd.) Die Brüsseler EU-Konferenz hat sich nach langwierigen Verhandlungen doch für die Einrichtung einer "Ethik-Kommission Währungsunion", kurz EKW entschieden. Über den freien Fall der D-Mark äußerte sich auch Heiner Geißler besorgt: "Ich weiß, wie sowas ausgeht.". Unter dem Thema "Keine Experimente mit der D-Mark" soll auch der Expertenkommission "Stein der Fünf Weisen" Einhalt geboten werden, die seit Jahren versuchte, aus - wie Geißler formulierte - "Dreck Gold zu machen". Der deutsche Vorschlag lag bei einer Budgetierung um ca. 500 Millionen ECU. 1,8 Milliarden sollen als Kredit für eine Modernisierung ausgegeben werden. Damit können Ersatzkapazitäten zur Stromerzeugung gebaut werden, so ein Sprecher des BDI in Düsseldorf. Geißler dazu: "Kappes!".

Sparkassenpreis '95

Heidelberg/Rom. (mmz) Den diesjährigen internationalen Sparkassenwettbewerb "Sparsau 95" gewann überraschend der dreijährige Gero von Ellersiek auf "Diamant". Dem begabten Nachwuchskünstler gelang eine ebenso einfühlsame wie schlichte bildnerische Umsetzung des Themas "Primär-sequentielle Elemente psychosozialer Strukturdifferenzen".
In der Laudatio, die dieses Jahr gemeinsam von Ehrengast Ilona Christen und dem stellvertretenden südindischen Sparkassenvorsitzenden Bhuna Ghosht im Rahmen der Preisverleihung in Rom verlesen wurde, heißt es u.a.: "Herr von Ellersiek hat es wie kein anderer vermocht! Die Mutter aller Künste küßte die Muse und diese den Künstler" Der Sieger freute sich wie ein kleines Kind, welches er ja auch ist. Später will Gero einmal Psychologe werden. Unser Bild zeigt den Künstler im Moment der Bekanntgabe seines Sieges. Auch eine Darstellung des prämierten Bildes wurde uns zum Abdruck überlassen.

Fest der Arabischen Poesie in Weinheim

Weinheim an der oberen Bergstraße. (el-aleph )Die arabische Poesie feiert dieser Tage in Weinheim frohe Feste. Im Rahmen eines Austausches treffen sich fremdsprachige Dichter und reden miteinander. Unter reger Anteilnahme der Bevölkerung bäckt man gemeinschaftlich Brot und manchen guten Text zusammen. Veranstalter Alfred Brendl sieht in diesem neuen Verfahren spannende Beziehungen zusammenwachsen. Nachdenkliches äußerte Ibn al Tarif ( Westjemen), unbestrittener Star unter Gleichen. Der neue Freund von Salman Rushdies Ex-Frau sprach von der Liebe als gefährlichem Gut. "Du kannst den Honig nicht pflücken, ohne gestochen zu werden", so der Titel seines neuen Bandes.
Auch Annemarie Schimmel war geladen, verpaßte aber im Zug ihr Kopftuch und sagte enttäuscht ab. Am Freitag geht die Veranstaltung mit einem großen Spanferkelschmaus zu Ende.

"Sudan-Al Kanthi-halo!"

Pretoria. (reuter) Im Rahmen seiner Nord- und Südafrikareise machte Bundesinnenminister Manfred Kanther einen zweitägigen Zwischenstop im Sudan. Wie Kanther der Presse mitteilte, hatte einer der kürzlich abgeschobenen Sudanesen ihm rechtzeitig vor dem Abflug noch seine Heimatadresse zustecken können. Dies habe der Sudanese mit den Worten "Überzeugen Sie sich doch einmal selbst von unseren Lebensverhältnissen!" getan. Dieser Einladung sei er nur zu gerne gefolgt, betonte Kanther gestern nach seiner Ankunft in Pretoria: "Schließlich möchte jeder seinen kulturellen Horizont ein wenig erweitern." Die Verhältnisse im Sudan seien gar nicht so übel, so Kanther weiter, mit hiesigen Lebensstandards zwar nicht zu vergleichen, aber man dürfe sich eben nicht so haben. Kanther will im Rahmen seiner Reise noch viele andere alte afrikanische Freunde wiedertreffen.

Absage an die 7-Tage-Woche

Leipzig. (sachsonia) Die Gewerkschaftler der IG Physik machten in ihrer ganzen Breite Front gegen die in Bonn beschlossenen Kürzungen. Besonders die Bereitschaft zu Gesprächen mit der Bundesregierung wurde gekündigt. "Wenn wir überhaupt kommen, dann sicher nicht mehr so oft", sagte die Vorsitzende Christiane Ahlers-Spitzbein am gestrigen Vortag. Auch eine Woche mit sieben Tagen sei mit den Arbeitnehmern "nicht zu machen", so die Vorstehende. In ebensolcher Einhelligkeit abgelehnt wurde der Vorschlag des bayerischen Präsidentschaftskandidaten Stoiber, Person und Arbeit in Einklang zu bringen."Keine Kürzungen" lautete das Motto. Die Beschränkung der Körpergröße auf höchstens 1,67 bezeichnete ein Gewerkschaftssprecher als "glatte Unverschämtheit". Nach Ausssage der Meteorologen soll es Dienstags noch wesentlich glätter werden. (Siehe Neues vom Wetter).


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