Kultur oder so


Rain, Steam, and Speed

Pornographie und Rassismus in Comics

Daß Comics nicht nur "Mickey Mouse & Co." bedeutet, dürfte sich mittlerweile ja herumgesprochen haben, daß aber auch exzessive Gewaltdarstellungen, gemischt mit pornographischen (im schlimmsten Fall kinderpornographischen) und rassistischen Elementen, Einzug in die Neunte Kunst gefunden haben, ist der Gesellschaft weitgehend unbemerkt geblieben.

Fast jeder Comicverlag Deutschlands, darunter auch einige große bekannte Verlage, führt Comics, deren Inhalt in jeder anderen Medienform niemals durch die Zensur gekommen wäre. Die Darstellungen brutalster Gewalt und Vergewaltigungen werden ebenso stillschweigend zur Kenntnis genommen und akzeptiert, wie die Tatsache, daß selbst Kinder zu Opfern solcher Taten werden. Im englischen "Skin"-Comic, den der Autor Brendan McCarthy als den besten Comic Englands tituliert, werden die Taten eines 15jährigen contagangeschädigten Skins beschrieben, der unter anderem dem Chef einer Contagan produzierenden Firma die Arme abhackt und sich selber an den Körper bindet. Im Vorwort des Comics steht dazu, daß das Heft bewußt obzön und schockierend gewollt war. Ein anderes Beispiel sind die allseits bekannten und beliebten Beavis und Butthead-Geschichten. Diese erscheinen nämlich nicht nur nachts im Fernsehen, sondern sind neuerdings auch für Kinder und Jugendliche in Bücher- und Comicläden erhältlich. Und daß die Comics nicht ganz so harmlos sind, gab selbst MTV-Chef Sumner Redstone in einem "Spiegel"-Interview zu. So bezeichnete er die Serie als eine "Parodie, einen Angriff auf Intoleranz, Bigotterie und Rassismus in unserer Gesellschaft. Kleine Kinder sollten sie dagegen nicht sehen, sie könnten die Satire nicht erkennen." Nun mag diese Kontrolle durch späte Sendezeit bei der TV-Serie zutreffen, die Comicheftchen, die genauso brutal und sexistisch sind, unterliegen keiner Kontrolle. Unabhängig von dieser Tatsache, muß man sich aber auch fragen, inwieweit das qualvolle Töten von Fröschen oder das Degradieren von Frauen zu Objekten eine Kritik an der Gesellschaft ist. Hier muß leider Satire als Entschuldigung für einen fragwürdigen, aber sehr erfolgreichen Inhalt herhalten. Völlig außer Frage steht der sexistische Inhalt zahlreicher Comics von Serpieri. Hier ist die Frau nur ein Objekt und Opfer zahlreicher Vergewaltigungen, auch durch Dämonen.

Hier besteht also Handlungsbedarf, doch anscheinend bestätigt sich die These, daß Handlungsbedarf erst dann entdeckt wird, wenn Handlungsbedarf geweckt wird. Kein Mensch kümmert sich um ein Problem, bis es erst deutlich in den Medien erscheint. Und an dem Punkt setzt Michael Brenner, Gründer des Vereins "Menschen, Umwelt, Tiere", kurz MUT, an, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu erreichen. Der erst junge Verein aus Neckargemünd sucht in Rundfunk und Fernsehen den öffentlichen Kontakt. Brenner hat aber auch mehrmals die verschiedensten Verlage der Pornographie oder der Gewaltverherrlichung angezeigt. Bisher jedoch ohne jeden Erfolg. Die Entschuldigungen der Verlage oder die Antworten der Staatsanwaltschaft lesen sich amüsant, stimmen aber nachdenklich bei der Brisanz des Themas. Die Standardausrede ist ebenso schlicht wie wirksam: Der Inhalt des Comics wird zu Kunst erhoben, und Kunst braucht sich nicht zu rechtfertigen und steht außerhalb jeder Kritik. Unter diesem Mantel erlauben sich Comicverlage fast alles. Die Staatsanwaltschaft kann nichts machen, sie hält die Comics entweder für Kunst oder nicht grob aufdringlich. Und wenn einmal die Staatsanwaltschaft einen Comic findet, der Kinderprostitution und Gewaltanwendungen verharmlost, so sind ihr die Hände gebunden, da meistens der Comic nicht von der Bundesprüfstelle (BPS) indiziert oder nicht in die Liste der vorausindizierten Periodika aufgenommen ist. Aber die BPS kann nicht von sich aus indizieren: Sie kann erst auf einen Indizierungsantrag hin aktiv werden, und darf selber keine Anträge stellen. Bei der derzeitigen Flut von Comics ein aussichtsloser Kampf, der zeigt, daß das Marktrecht höher steht als der Schutz der Gesellschaft. Dabei fehlt es nicht einmal an den richtigen Gesetzen, aber solange man derartige Comics als nicht ernstzunehmende Parodie oder Subkultur verharmlost, solange wird die dünne Ozonschicht des Selbstschutzes von Kindern durch Objektdenken bombardiert und Prostituierungstendenzen preisgegeben. Brenner wünscht sich auch deshalb, "daß angesichts eines dramatischen Ablaufs gegen die Schöpfung Gottes sich immer Menschen für den Schutzgedanken Mensch, Umwelt, Tier einsetzen."(jr)


William Turner: Aquarellierend durch Deutschland

Das regionale Ausstellungsereignis des Herbstes spielt einmal mehr in Mannheim: Die Kunsthalle zeigt "J. M. W. Turner in Deutschland", nämlich die Aquarellskizzen des Malers, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf seinen Reisen entlang deutscher und österreichischer Flußtäler entstanden sind.

Die Ausstellung ist gut besucht. Das Publikum freut sich am "sagenhaften Kolorit" der Darstellungen und schwelgt - fast noch mehr - im Wiedererkennen von im Urlaub besuchten Orten und Sehenswürdigkeiten. Bei seinen Zeitgenossen dagegen war Turner weit weniger beliebt: Sie fanden seine Bilder mitunter "hingesudelt", bescheinigten ihnen "Flüchtigkeit der Behandlung" und einen "gänzlichen Mangel an Wahrheit" und monierten, daß "in der Nähe dem Auge fast jede Unterscheidung" verschwinde.

Eben darin liegt aber die Bedeutung dieser Malweise. Turners Landschaften geben nicht mehr ein Inventar unmißverständlich distinkter Gegenstände, Personen und Kulissenteile wieder, sondern richten das Augenmerk auf einen maßgeblich von Licht und Farbe geprägten atmosphärischen Gesamteindruck. Die Darstellung verlagert sich also von mimetischer Wirklichkeitswiedergabe auf die Umsetzung einer sinnlichen Empfindung; und aus diesem Grund gilt Turner auch als Wegbereiter des Impressionismus. Tatsächlich aber reicht seine Bedeutung noch weiter: Werke wie "Rain, Steam, and Speed" (1844), für die Turner heute vor allem berühmt ist, gehen über Synästhesie und Abstraktion von der dinglichen Gegebenheit hinaus und werden in der Verselbstständigung der Farbe zum Vorläufer konkreter Richtungen.

Viele der gezeigten Arbeiten sind sehr flüchtig entstanden: Turner skizzierte sogar auf Kutsch- und Bootsfahrten. Sie waren als Vorlage für spätere Ölgemälde oder Stahlstiche gedacht und zeichnen sich naturgemäß nicht durch sonderliche Opulenz aus. In technischer Hinsicht sind sie dennoch interessant: Einzelne Farb- und Musterskizzen geben Einblick in Turners Arbeitsweise, und anhand der unterschiedlich lavierten Malgründe läßt sich seine Fähigkeit, mit geringem Aufwand großen Effekt zu erzielen, eindrucksvoll nachvollziehen. Aber darüber hinaus werden einige ausgesprochene Schmuckstücke gezeigt, so der Heidelberger Sonnenuntergang Kat. 129 und der Blick auf Konstanz Kat. 125, die alle Typika des turnerschen Werks in sich vereinen; und als Schlußstein der Ausstellung ist ein großformatiges Ölgemälde zu sehen, eine Heidelberg-Ansicht um 1844/45.

Besondere Erwähnung verdient das im Prestel-Verlag erschienene Katalogbuch, das die ein wenig unterdidaktisierte Ausstellung in sinnvoller Weise ergänzt. Zwar ist Cecilia Powells detaillierter Nachvollzug der turnerschen Reiserouten vor allem von wissenschaftlichem (oder aber von touristischem) Interesse, und man hätte sich genaueren Aufschluß über die künstlerischen Gesichtspunkte der Motive gewünscht. Umso instruktiver wirkt hier aber Pia Müller-Tamms Beitrag zu den - nicht ausgestellten - deutschen Landschaften in Turners malerischem Spätwerk. Ein optisches Bonbon sind schließlich die zahlreichen ganzseitigen Detailreproduktionen im Textteil. (jpb)

"J. M. W. Turner in Deutschland", Kunsthalle Mannheim, bis 14.1.'96


Rainald Goetz goes techno

Wer das nicht versteht, muß sofort zum Arzt

Hier kommt die Kritik eines rundum gelungen Experiments. Und es ist eigentlich egal, ob es in Frankfurt stattfand, in Ibiza oder im Münchner Boy, an den Plattentellern oder hinter einer Schreibmaschine, ob ihr Held Sven oder Rainald heißt, Stevie, Oliver oder Hell; ob eine paranoid mastermindmäßig durchdachte Inversionskonstruktion, eine Art blindes göttliches Auge, zum künstlichen Erzähler auferrichtet wurde, oder ob es sich nicht doch lieber eines nach dem anderen so abgespielt hat.

Drogen Sex, Musik; Party, Liebe, Plattenladen; Klamotten, Internationaliät, klar. Gemieteter Neunsitzer, Fettamerikaner mit Video und allem, klar. Logischerweise mindestens ein tragbares Telefon. Treffpunkt Vip Bar, klar. Alle personenbezogenen Daten natürlich verschlüsselt. Oder totaler Klartext, klar. Handlung? Das Stichwort Gegenwart. Es ist die Rede von einem Gesicht. Das Furchtbare des Todes ist allgegenwärtig. In nur 40 Kilometern Höhe rast zum Beispiel Aurora dahin, das neue Geheimflugzeug Amerikas, ein spitzwinkliges Dreieck aus Titan, ohne Waffen, mit achtfacher Schallgeschwindigkeit, und photographiert die Nummernschilder eines Yanomami Fernsehteams am Amazonas: sagbar. Vielleicht ein Roman, vielleicht von Don DeLillo. Das Drama menschlicher Entwicklung ist heute nocht nicht geschrieben. Eine andere fixe Idee berührt die Frage der Musik am Ende individueller körperlicher Existenz. Schließlich haben ja auch die Sinneszellen eine atomare Struktur. Bloß wie hört sich die an? Wie klingt ein Protein, ein ganzes Chromosom, oder das Öffnen der vesikulären Membran bei am synaptischen Spalt bei nervöser Erregung. Natürlich wird man weiter hinaus zu lauschen haben, Richtung Sirius oder Andromeda, nur eben auch nach innen in die bindenenden Orbitale des Kohlenstoffatoms hinein. Und würde all das, erst wenn es aufhört, hörbar werden als die lebenslänglich gespielte Grundmusik? Bewegt vielleicht noch immer von der Kraft der Nichtenstehungsexplosion?

Spannend jedenfalls ist, daß am Schluß genau dieses Gefühl so ungefähr rausgekommen ist, wie es sich angefühlt haben mag. So total.

(R. Goetz, Word, Eye Q Records, Doppel CD) vorgestellt von eile


ruprecht goes to the movies

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Brave Heart (4)

Mel Gibson kann die Finger nicht von der action lassen. Wenn's nicht kracht und knallt, dann macht er nicht mit. Was aber tun in einer Zeit, in der es noch keine Schnellfeuergewehre und Panzerfäuste gibt und nur PS draufsteht, wo auch wirklich ein Pferd drin ist? No problem: Statt Technikfeuerwerk greift der Blauäugige lieber auf Bewährtes zurück - Schwert, Lanze und Morgenstern. Wo früher die Kamera dezent wegschwenkte in dem Augenblick, da die Eisenkugel den Schädelknochen zerschmettert, kennt Gibson keine Gnade: durchbohrte Bäuche, abgetrennte Köpfe und lustige Blutfontänen tummeln sich in den üppig inszenierten Schlachtszenen. Kein Zweifel: "Braveheart" macht Spaß
Wir verfolgen den Lebensweg des schottischen Nationalhelden William Wallace (Mel Gibson), der als einfacher Bauernsohn, nachdem sein Vater von den Engländern ermordet wurde, das tut, wozu sich der schottiche Adel nicht aufraffen kann: Er kämpft gegen die Herrschaft der Unterdrücker. Dabei hat es der mutige William nicht nur mit dem skrupellosen und brutalen englischen König und dessen schwächlichem Söhnchen zu tun, sondern auch mit der Unentschlossenheit und dem Verrat der mit englischen Pfründen bestochenen Clan-Chefs.
Zu allem Überfluß (und nachdem seine erste Frau einer mißglückten Tracheotomie zum Opfer gefallen ist) verliebt er sich auch noch in die Königin (Sophie Marceau). In der letzten entscheidenden Schlacht fällt er leider einem Verrat des machtgeilen Schotten-Adels zum Opfer, wird gefangengenommen, gefoltert und getötet. Aber, hahaha, das Kind, welches die gute Sophie in ihrem Bauch trägt, ist von Wallace persönlich, und mit einem letzten asthmatischen Röcheln stirbt auch der König, nachdem Sophie es ihm mit zuckersüßem Kirschmund gesteckt hat.
Was etwas nervt, ist die Länge des Streifens (über zwei Stunden). Das liegt nicht am Stoff, sondern an Mel als Regisseur, der immer etwas zu lange braucht, um eine Szene zu erzählen. Aber ansonsten: Ein gigantischer Historie-Actionfilm, voller opulenter Bilder! Unbedingt empfehlenswert! (kw)

Stadtgespräch (3)

Figuren, die immer wieder irgendwo zusammenprallen. Eine Radiosprecherin, ihr schwuler Bruder und deren Mutter, ein Zahnarzt, seine Frau, ein Ehepaar im Auto. Im Zentrum eine Radiosendung:Sprecherin (Katja Riemann) lernt über eine Kontaktanzeige Zahnarzt kennen. Der ist verheiratet mit der Frau, die später aus Zufall im Fitneß-Center ihre Freundin wird. Zu ihnen gesellt sich dann noch der Bruder, sein Schäferstündchen einzufordern. Abgedroschen? Wäre es dem Regisseur (Rainer Kaufmann) nicht gelungen, Handlung und Dialog überzeugend zu verschmelzen.Und dabei die wunderbare Entfremdung des Kinos zu bewahren, die Leichtigkeit witzig werden läßt. Probleme werden realistisch, ohne zu schwer zu werden. Schadenfreude bleibt ein Genuß. Einzig der Zahnarzt verschwindet in der zweiten Dimension, seine Rolle glaubt man ihm nie so ganz. (rot)

Assasins (-)

Wer keine Probleme damit hat, zwei Stunden zwischen stiernackigen Mantafahrern zu sitzen, um sich anzusehen, wie Sylvester Stallone als alternder Profikiller seine Midlife-crisis überwindet, indem er wild durch die Gegend ballert, kann hier viel Spaß haben. Den Unterhaltungswert verdankt der Film allerdings der an Lächerlichkeit nicht zu überbietenden Story und den unfreiwillig komischen Dialogen, die immer dann gesprochen werden, wenn gerade nicht geschossen wird, was äußerst selten der Fall ist. (fw)

Smoke

Literaturverfilmungen können eine böse Falle sein. Doch in dieser Verfilmung von Paul Austers Bestseller ging die Rechnung auf. William Hurt als introvertierter, krisengeschüttelter Schriftsteller und Harvey Keitel als rauhbeiniger Kioskbesitzer - Freunde fürs Leben. Mitten in New York sind sie beide auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, jeder auf seine ganz persönliche Weise. In einem sind sie sich einig: Der wichtigste Bestandteil des Lebens ist das Qualmen. Alltägliche Lebenskrisen werden mit der obligatorischen Rauchwolke bewältigt. Rührende Männeremotionen! (asb)

Schweine im Weltall (2)

Um's vorwegzunehmen: Es war dann doch nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Sequentiell bekam man bei Sätzen der Art "Ich habe noch nie einen Amerikaner im All verloren..." oder "Alles was ich brauche, sind 2 Ampère!" auch als Kinobesucher Sauerstoffprobleme, seltsamerweise konnte man diesen Film dennoch nicht so übel finden. Ob er allerdings auch entstanden wäre, wenn unsere Helden aufgrund eines falschen Eintrittswinkels in der Erdatmosphäre verglüht wären? Man stelle sich das vor: Das ganze Kontrollteam in Houston steht heulend da, die Stimme "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?", dieser Satz, immer wieder dieser Satz "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?" und langsam, ganz langsam kommt der fade-out ins Schwarze, das Bild der Männer verschwimmt und nur aus dem Off kommt immer wieder "Odyssee - hier Houston, hören Sie mich?". Dann, die Leinwand längst schwarz, eine kurze statistische Info der Form "Am 13.07.1970 verglühten James l. Lovell etc." Wir kennen das und können uns das vorstellen. Klassisches Filmende. Prima.

"Apollo 13" wirft aber ganz andere, nämlich soziologische und gesellschaftsstrukturelle Fragen auf, die erst auf den zweiten Blick offenbar werden. Der syllogistische Gedankengang beginnt einsteigenderweise mit dem Problem "Kann Tom Hanks mit diesem Film zum dritten Mal in Folge den Oscar erringen?" Wir vermuten 'nein', befürchten 'ja' und verbinden dies mit der Feststellung: Schön, daß wir keine Amerikaner sind. Die haben ihren 'Oscar'. Und wir? Wir haben ein Bambi, nun, das ist ja noch erträglich, aber stellen wir uns weiter vor, auch wir hätten einen Abo-Gewinner für das Teil, der Bambi jährlich bekäme und sich vorne hinstellt und "Gott segne Deutschland" sagt. (Tom Hanks nennt das - of course -"God bless America", aber wir bilden ja nur Analogien). Der bahnbrechende Erfolg dieses Mannes in allen erdenklichen Rollen läßt uns daher auch viel über die Amerikaner und ihre Helden sagen.

Nehmen wir zum Beispiel Mister Gump. Da jubeln die Amerikaner einen Helden an, der zum Reden zu blöd, zum Denken zu langsam und zum Agieren zu ungeschickt ist. Wer kommt da nicht auf den Gedanken, daß die in jedem Amerikaner tiefverwurzelte Erkenntnis, selbst auch so ein Idiot zu sein, bei diesem Jubel mitschwingt und für den eigenen, ganz persönlichen "American Dream" (You know, Tellerwäscher and stuff) hoffen läßt. Wir Deutschen sind da ganz anders: In uns schlummert tiefverwurzelt die genau entgegengesetzte Erkenntnis, nämlich in Wirklichkeit ein ganz toller Hecht (oder eine munterste Forelle, werte Damen) zu sein und schlichtweg von den Widrigkeiten des Daseins per se an einem erfolgreichen Leben gehindert worden zu sein.

Im Ergebnis ist das eine letztlich so dramatisch wie das andere, nur kann unserem individuellen, angeknacksten Bewußtsein kein "God bless Germany" aus dem Munde Götz Georges helfen. Wir fassen die bisher gewonnenen Erkenntnisse in einer amerikanischen und einer deutschen Kausalkette zusammen.

USA: Erkenntnis: Idiot im Innern
- Vertrauen auf Amerika
- Tom Hanks bekommt den Oscar!
- Erkenntnis: Genie im Innern
- Mißtrauen in Deutschland
- Uschi Glas bekommt den Bambi!

Wir sehen schon am Gegensatz zwischen der heroischen Gestalt des Oscar und der goldig-niedlich-knuddelig-wuddeligen Bambi-Gestalt: Hier manifestieren sich Abgründe gesellschaftlichen Bewußtseins.
Doch zurück zur jüngsten Hanks-schen Tragödie. "Houston, we have a problem". Wäre Apollo 13 deutsch, wäre wohl wiederum alles weniger heroisch, die Mission hieße vermutlich "Saumagen 27" und der berühmteste Satz des Jahrhunderts "Wissbaade, mer hawwe e Problehm...".

Nun denn, wie echte Probleme auf Weltallsausflügen aussehen, wissen wir glücklicherweise durch die Muppets-Show. Wer erinnert sich nicht voll Wehmut und sehnsüchtigst an "Schweine im Weltall". Mir ist vor allem jene Folge in Erinnerung geblieben, in der die Crew durch einen mysteriösen Nebel fliegt, durch dessen Strahlung sich erst einige Besatzungsmitglieder in Kohlrabi und Möhren, dann letztlich Miss Piggy in eine Sahnetorte verwandelt und sich nur mühsam dagegen wehren kann, von ihren noch nicht mutierten Kollegen aufgefressen zu werden.

Also saß ich im Kino und habe mir die ganze "Apollo 13"-Odyssee lang nichts sehnsüchtiger gewünscht, als daß Tom Hanks sich endlich in eine Pfälzer Saure Gurke verwandelt und ich meiner Kinobegleitung beruhigt ins Ohr flüstern kann: "Schädssche, mer hawwe e Problem wennischer..."

(jk)


Uni-Kino

Movie in H13
(jeweils Mi. 19.30 h in Hörsaal 13, Neue Uni; 3,-DM)

08.11. Frankenstein
15.11. 4 Hochzeiten & 1 Todesfall
21.11. (Di.!) Leon der Profi
29.11. Outbreak
05.12.+06.12. Feuerzangenbowle
13.12. Harry & Sally

Kino im Feld
(jeweils Do. 19.30 h, Aula INF 684; 3,-DM)

09.11. 2001-Odysee im Weltraum
16.11. Angst essen Seele auf & Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
23.11. Sein oder Nichtsein & The Great Dictator
24.11. (Fr.!) Die Blechtrommel
30.11. Seminar: Der klassische amerikanische Zeichentrickfilm
07.12. Der blaue Engel & Die Feuerzangenbowle


Karlstor-Kult

Am 8. Dezember fällt der Startschuß

Es ist ein ganz normaler Abend, kurz vor acht, und ich schlendere durch die Altstadt. Im Studi-Café war ich schon: Die heiße Schokolade mit Sahne ist prima dort, doch mein Sinn steht mir jetzt nach kulturellen Genüssen. Das Programm der Städtischen Bühne habe ich schon abgegrast, das Kinoprogramm bietet nur Hollywood in allen Lebenslagen. Schon wollte ich mich meinem Schicksal ergeben und in der Unteren Straße bei ein paar Weinschorlen von besseren Zeiten träumen. Da schien es mir, als würde vom Karlstor her ein zarter Lichtschein die Hauptstraße herab leuchten - direkt in mein trübes Studentinnenauge! Ich folge dem Licht, vorbei an der Alten Uni, wo heute mal wieder der "Club der toten Wissenschaftler" tagt, vorbei am Gloria-Kino, dessen Acht-Uhr-Vorstellung schon längst ausverkauft ist. Ich lasse selbst die Heiliggeistkirche und das Germanistische Seminar hinter mir. Und das Licht wird heller. Jetzt steuere ich direkt auf das Karlstor zu. Durch den Torbogen glitzert es mir entgegen, und ich meine jetzt die Quelle dieses betörenden Strahlens zu erkennen: Es ist der Karlstorbahnhof!

Aus seinem Inneren strömt ein ungewohntes, buntes Licht, das durch die großen Fensterscheiben die Umgebung erleuchtet. Ja selbst das trübe Neckarwasser glitzert in Regenbogenfarben. Jetzt stehe ich unmittelbar vor dem Portal: Ich höre sanfte Stimmen, die freundlich diskutieren oder sich gegenseitig gratulieren, Sektgläser klirren. Menschen, die sich vor einem Jahr noch im ruprecht über pro und contra Karlstorbahnhof gestritten haben, liegen sich in den Armen. Ich vernehme Geigenklänge. Von irgendwoher dringt der jazzige Sound eines Saxophons zu mir. Meine Neugierde steigert sich in ungewohnte Sphären. Ich gehe um dieses mystische Gebäude herum. Hinter einer großflächigen Glasfassade erkenne ich noch mehr Menschen mit entspannten, glücklichen Gesichtern, die bei lukullischen Köstlichkeiten beisammensitzen. Ich lese auf ihren Lippen Worte wie: "Sehen wir uns jetzt die neue Theaterproduktion oder den Low-Budget-Film an?" oder "Ach, ich wollte mich eigentlich mal in den Vortrag über Kultursponsoring reinsetzen, außerdem soll doch noch eine Diskussion über die Rolle der Frau in der Wissenschaft stattfinden." Eine andere Stimme erwidert: "Kommt, laßt uns doch einfach noch ein bißchen sitzenbleiben und den malerischen Blick auf den Neckar genießen. Wir können uns dann ja später das Konzert der Honeyteardrops anhören."

Ich glaube meinen Augen und Ohren nicht zu trauen - doch es ist kein Traum. Wir schreiben Freitag, den 8. Dezember des Jahres 1995, und ich befinde mich vor Heidelbergs neuem Kulturzentrum, dem KARLSTORBAHNHOF. Denn jetzt, nach 17 Jahren von der Idee bis zur Realisation, wird die Eröffnung des Kulturtempels gefeiert. Für die Woche vom 8. bis zum 16. Dezember haben die vier Trägervereine - Kulturcafé, Theaterverein, Medienforum und Eine-Welt-Zentrum - ein Programm zusammengestellt, welches einen Vorgeschmack auf Heidelbergs zukünftiges Kulturleben geben soll. Als Programmchef hat sich die Karlstorbahnhof GmbH Johannes Rühl (41) aus Husum an den Neckar geholt. Er hat bereits reichlich Erfahrungen mit Kulturhäusern dieser Kragenweite gesammelt und möchte im Karlstorbahnhof eine Kombination aus lokaler Kulturszene und überregionalen Einflüssen schaffen. Im Gespräch mit ruprecht erklärt Rühl, daß es keinen Sinn habe, jetzt ein Konzept aufzustellen. Ein soziokulturelles Zentrum müsse ersteinmal wachsen. Die bestehende freie Kulturszene in Heidelberg müsse sich jetzt im Karlstorbahnhof neu zusammenfinden. Er hofft mit dem Saal von 250 Sitzplätzen, einem Kinoraum, einer weiteren Kleinbühne, der Bahnhofsgaststätte und zahlreichen Gruppenräumen einen neuen Unterhaltungsfaktor für die Stadt zu organisieren, der nicht auf dem mainstream schippert. Ahoi! (asb)

Das Karlstoreröffnungsprogramm:

Freitag, 8.12.: 20 Uhr: Konzert mit anschließendem Fest: El Houssaine Kili (Marokko), Gnawa Rock.
22 Uhr: Gitarren-Kabarett mit Knut und Silvy (Basel).
Samstag, 9.12.: Ab 15 Uhr: Tag der offenen Tür: Die Betreibervereine stellen sich vor.
21 Uhr: Hip Hop Jam mit: MC Rene + DJ Mirco, Stiber Twins, Cora E, Knightz of Bass
Sonntag, 10.12.: 11 Uhr: Galapagos Bigband, Literaturoffensive.
Ab 14 Uhr: Familienprogramm.
20 Uhr: Kabarett: Herrchens Frauchen.
Montag, 11.12.: 20 Uhr: Karlstor Jazz Summit
Dienstag: 12.12.: 19.30 Uhr: Talkshow: Institutionalisierung / Soziale Bewegungen.
22 Uhr: Konzert: George Darko (Ghana).
Mittwoch, 13.12.: 16 Uhr: Laterna Magica Kinderprogramm.
20 Uhr: Laterna Magica.
Donnerstag, 14.12.: 20 Uhr: Megalomaniax.
Freitag, 15.12.: ab 20 Uhr: Revue: Theatergalerie.
Samstag, 16.12.: 19.30 und 21 Uhr: Bilder einer Ausstellung, abstrakte Bühnenkomposition von Wassily Kandinsky.


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