Heidelberg


Ich mach´ mir die Welt wie sie mir gefällt

Leben aus dem Blauen heraus, ein bißchen ohne Regeln. Die Freiheit genießen. Wagenburgen mögen Pippi Langstrumpf. Deswegen heißt diejenige am Klausenpfad in Heidelberg auch "Hoppetosse", nach dem Piratenschiff von Pippis Vater.

Bunt bemalte Bauwagen. Ein bißchen blättert überall der Lack. Aber auch die klirrende Kälte dieses bedeckten Januartages klaut ihnen ein Stück ihrer Farbenfreude. Das Licht der Sonne fehlt, die die Farben sonst leuchten läßt. Doch in den Wagen ist es warm. Kleine Rauchsäulen steigen aus den dünnen Blechröhren. Zeugen der Wohnlichkeit. Kampf gegen die Unwirtlichkeit eines deutschen Winters. In der Wagenburg "Hoppetosse" am Klausenpfad direkt hinter dem Universitätsgelände Richtung Handschuhsheim wird noch mit Holz geheizt, in kleinen Öfen produziert rote Glut 15 qm Gemütlichkeit. Kleine Feuerlöscher an den Wagen für den Fall eines Brandes. Manchmal bringen Abbruchfirmen das Brennmaterial vorbei, das sie sonst teuer entsorgen müßten. Viel öfter aber holen die Bewohner ihren Bedarf im Wald. Mit Erlaubnis des Försters werden die unbrauchbaren Reste eines Einschlags abtransportiert. Eine Plastikplane bedeckt dann den Stapel, schützt das frische Holz ein bißchen vor der Nässe.

Draußen bleibt es trotzdem kalt. Frieren auf dem Weg zur Toilette. Richtung Osten steht dafür ein alter Güllewagen mit einem kleinen Klohäuschen auf dem Einfülloch. Ein ausgeschnittenes Herz verziert die Tür. "Kackwagen" nennen ihn die Wagenburgler. Ist er voll, wird ein Traktor vorgespannt, das Klohäuschen abgebaut und der restliche Wagen zur Kläranlage gefahren. Viel häufiger jedoch benutzen sie einfach ein Erdloch in einem Brombeerbusch und nehmen eine Flasche Wasser für die Hygiene mit. Das Loch wird dann irgendwann zugeschüttet. Ihren Müll sammeln sie und fahren ihn zu einem der großen Container in der Umgebung. Manchmal, wenn mehr als sonst anfällt, auch zum Recyclinghof an der Pleikartsförster Straße. Wer kein fließend Wasser hat, das mitreißt, was nicht gesehen und gerochen werden soll, wer keine große Tonne hat, um die sich allwöchentlich die Müllabfuhr kümmert, merkt, wieviel Dreck er macht. Begreift den Ärger von Verschmutzung. In die Augen, in den Sinn. Ganz von alleine daher das Bestreben, zu reduzieren. Hier ist jeder ein Umweltschützer, manchmal unbewußt, einfach so. Schon allein aufgrund der Lebensumstände. "Wenn 20 % der Menschen 80 % der Energie dieser Welt verbrauchen, ist das eine Sauerei", sagt Andi. Weniger Energie, weniger Wasser, weniger Platz braucht der, der in einem Bauwagen lebt. Oder Zirkuswagen. Oder Campinganhänger.

In Deutschland gibt im Durchschnitt jeder Mieter ein Drittel seines Monatslohnes nur für Wohnung aus. Ich sehe das nicht ein, dem Vermieter Geld in den Arsch zu schieben”, erklärt mir einer. In der Wagenburg wird mit Eigenarbeit bezahlt. Basteln, Renovieren kann hier jeder. Macht hier jeder. Hat auch jeder die Zeit dazu. Autos instand setzen, Wagen ausbessern, Wäscheleinen spannen. Holz hacken. Wasser holen. Von den Bewässerungsanlagen der Felder, doch das ist aufgrund der Mineraldüngung nicht trinkbar - diese Erfahrung haben sie selber machen müssen. Oder aus Quellen am Heiligenberg, trinkbar. Sogar einen 1000 l -Wassertank haben sie zum Transport und als Speicher. Im Sommer. Der Winter fröre alles ein. In der Zeit, die dann noch übrigbleibt, wird Geld verdient, für Essen, Kleider, Luxusartikel. Manchmal ein Walkman oder Radio, sogar ein Fernseher, 12-Volt batteriebetrieben. Und ein Handy. Mit dem telefoniert die ganze Wagenburg. Viel brauchen sie nicht, wollen sie gar nicht. Deswegen sind auch nur fünf der 16 Bewohner auf fremde Hilfe angewiesen. Einer studiert, zwei beziehen Arbeitslosenhilfe, eine Sozialhilfe. Und das Kind. Plastiktraktor und Kinderwagen vor der Wohnung, an einem Ast hängt eine Schaukel. Nicht jedes Kind hat einen Garten dort, wo es aufwächst. Faszinierend, zu merken, daß es ein Stück Lebensphilosophie, Lebensstil ist, wieviel Güter man benötigt. Um zu verstehen, warum sie eben nur gelegentlich arbeiten, einige sich in ganz kleinem Umfang selbstständig gemacht haben, mit einer Schrottsammlung, einer Tonflötenproduktion, als Silberschmied. Weil ihnen das Geld daraus reicht. Ansprüche sind keine feste Größe. Das Gefühl von Freiheit ist manchmal wichtiger als gesichertes Einkommen und garantierte Wohnung. Deswegen haben die Wagen auch Räder. Um wegfahren zu können. Die wenigsten machen es, aber was zählt, ist das Gefühl, es zu können. Was man braucht, ist ein Reisegewerbeschein. Den bekommt jeder. Dann darf man seinen Wagen quer durch Deutschland ziehen, bis zu drei Tagen auf einem Parkplatz übernachten. Dann wechselt jeden Tag der Garten, "im Sommer hat man das größte Wohnzimmer der Welt". Dann schreien einen trotzdem manchmal Polizisten an, weil man mit 12 km/h einen Anstieg bewältigt und die Autoschlange dahinter gerne schneller gewesen wäre. Haß der Eiligen.

Meist führt die Route dabei von Wagenburg zu Wagenburg, manchmal fragt man, ob ein Platz frei ist, meistens stellt man sich einfach so dazu. Oder man bleibt einfach da, wo man ist. Wenn das Land es erlaubt. Für die Heidelberger "Hoppetosse" hat der Winter noch eine andere Kälte: Nutzungsuntersagung und Zwangsräumung. Das besetzte Grundstück gehört dem Land Baden-Württemberg, das eine derartige Nutzung untersagt hat. Und "die Stadt ist dabei Exekutivgewalt des Landes", so Herr Pöltel vom Baurechtsamt Heidelberg. Sie muß also das Grundstück räumen, wollte jedoch durch ein Alternativgrundstück den Fortbestand der Wagenburg sichern. In Rohrbach bot sich eine Fläche an, die Bewohner der Wagenburg waren einverstanden. Der Gemeinderat nicht. Die gesamte CDU-Fraktion sowie eine schlußendlich entscheidende SPD-Stimme verhinderten die Umsiedelung. Das war Ende1993. Man hatte sich für die Verbannung der Wagenburg entschieden. Seitdem läuft der Streit, Klage auf Räumung und Gegenklage liegen seit Dezember 1995 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe vor. Vielleicht wird Mitte dieses Jahres entschieden. Vielleicht ist das der letzte Sommer der Wagenburg. Gelegen im sogenannten Außenbezirk der Stadt, für den kein Bebauungsplan existiert und somit aus Gründen des Umweltschutzes nur landwirtschaftliche Betriebe eine Baugenehmigung bekommen, besteht für die nachträgliche Legalisierung nicht viel Hoffnung. Doch trotz Illegalität sind sie beim Einwohnermeldeamt registriert. Zahlen Steuern, kriegen Post.

Im März steht das fünfjährige Jubiläum an, feiern will man trotzdem. Denn zur Wut reicht es noch nicht. Nur Resignation kratzt an dem Lack der Wagen. Verhindert den Bau von Gehwegen, das Anlegen kleiner Gemüsegärten, Anbringen zusätzlicher Solarzellen. Resignation ist die Tochter des Pessimismus. Und deswegen sind von den ehemals 37 Bewohnern bereits 21 nach und nach weggezogen. Die restlichen 16 haben sich noch ein bißchen Vertrauen in die Stadt bewahrt. Als sie den Grund ohne Genehmigung besetzten, war vielleicht etwas mehr davon da. Haben sie sich gesagt: Es wird schon klappen. Hoffnung, weil es auch anders geht. In Frankfurt, der Stadt mit der vielleicht größten Obdachlosenproblematik in Deutschland, stellt man inzwischen freie Flächen für Wagenburgen zur Verfügung. Gewährt Sozialhilfeempfängern Zuschüsse zum Ausbessern ihrer Wägen und spart dabei die teure Unterbringung in Mietwohnungen oder sogar Hotels.

Peter: "Wenn ich koche, dann reicht es für zehn. Ich lauf´ dann immer herum und sage überall, daß es Essen gibt." Nicht der anonyme Häuserblock, die Masse in Stochwerke gestapelt. Kennen will man sich, wohnt man schon so nah beieinander. Wissen, wann jemand Geburtstag hat, was einer arbeitet. Die Wohnung einfach offen lassen können, weil sowieso niemand klaut, weil andere da sind zum Aufpassen. Treffen mehrerer Wagenburgen veranstalten, mit Workshops zur Jonglage, Kräuterkunde oder zum Musizieren. Oder einfach nur zum Feiern, Erfahrungen austauschen. Zusammen jeden zweiten Donnerstag die Volksküche im Autonomen Zentrum organisieren. Ein Abend, bei dem sich jeder für drei Mark sattessen kann. Gemeinschaft. Zusammenhalt gegen das Gefühl, manchmal ausgesperrt zu sein. Vom Grundstücksnachbarn nicht gewollt zu werden, "weil man draußen nackt duscht". Weil "die bunten Frisuren das Straßenbild stören", so Raban v.d. Malsburg (CDU). Weil man "eine Gefahr für Recht und Ordnung darstellt", so der Sprecher der CDU-Gemeinderatsfraktion schon vor zwei Jahren. Zusammenhalt, um eine Welt zu haben, in die man hineingehört, die so ist wie man selber. "So um die Weihnachtszeit war es, wie wenn ich von einer Welt in eine andere übergewechselt hätte, als ich aus der Stadt kam", beschreibt es Andi. Manchmal vermischen sich dabei beide Welten, nähern sich einander. Wenn ein altes Ehepaar einen Kuchen vorbeibringt, weil es ihn selber nicht essen kann. Wenn man einen Briefwechsel mit einer Frau anfängt, die einen Leserbrief zu einem Artikel in der RNZ über die Wagenburg geschrieben hat. Wenn man den Rechtsstreit um das Grundstück zusammen mit einem Anwalt betreibt.

Gemeinschaft aber braucht auch Übereinkünfte. Übereinkünfte sind der Anfang von Gesetzen. Gesetze ziehen Grenzen, beschneiden das Recht des Einzelnen. Viele Wagenburgler glauben an Anarchie, mögen diesen Schnitt nicht, wollen ihn ganz abschaffen. Und dann sind noch weniger Personen als sonst für das verantwortlich, was zusammen organisiert werden muß. Den Klowagen leeren, den Müll wegfahren, die Post verteilen. Manchmal stinkt einem das. Und plötzlich hat auch die Anarchie Grenzen. Dann aber ist es keine Anarchie mehr. Menschen werden immer auf ein Stück davon verzichten, um zu bekommen, was ihnen wichtig ist: Gemeinschaft.

Andi ist einer, der gewöhnlich nicht viel Aufhebens um Worte

macht. Aber heute hat er Geburtstag. Und erzählt: Wie er früher als Straßenmusikant quer durch Deutschland gezogen ist. Schlechtes Essen, kalte Nächte. Da ist ihm irgendwann die Lust vergangen. Jetzt lebt er in dem orangefarbenen Bauwagen, genießt, immer noch sein eigener Herr, ein bißchen wie Pippi Langstrumpf zu sein. Zu seiner Feier hat er Musiker eingeladen, die er noch von damals kennt. So lange ist das bei ihm eben noch nicht her. Doch zurücksehnen tut er sich nicht. Und nach einer gewöhnlichen Wohnung schon gar nicht. Keiner der Menschen hier. Gerade da wollten sie ja weg. Nur manchmal vielleicht, für zehn Minuten, morgens, wenn man raus muß, um Holz für den Ofen zu holen und der Wagen von der Nacht noch kalt ist. Aber die Faszination siegt immer. Die Faszination, Künstler zu sein. Freier Künstler. Lebenskünstler. (rot)


*Zur ruprecht-Titelseite