Heidelberg


Graue Mördermäuse

Ingrid Noll und ihre Krimis

Die erste Frage nimmt die Dame im bunten Pulli und den zerstrubbelten grau-schwarzen Haaren gleich vorweg: "Wie kommt eine Frau von 55 Jahren dazu, plötzlich ein Buch zu schreiben?" Antwort: "Ein Mann, drei Kinder, eine Oma und ein Haus haben mich bis dahin einfach zu viel beschäftigt." Aber dann mußte sie ihrem Mann, der eine Praxis als Internist hatte, nicht mehr als Arzthelferin zur Seite stehen, die Kinder waren aus dem Haus, und auch der Dackel "Jakobowski" (nach einer Werfel-Figur) war alt genug, um nicht mehr ständig im Haus rumtollen zu müssen. Zeit genug also für Ingrid Nolls ersten Roman: "Der Hahn ist tot", ein süffig-ironisches Buch, das sie schlagartig in Deutschland zu einer der bekanntesten Kriminalautorinnen werden ließ. Es folgten "Die Häupter meiner Lieben" und "Die Apothekerin", sowie ein Kinderbuch ("Der Schweinepascha"), das Ingrid Noll auch selbst illustrierte. Inzwischen sind ihre Bücher Krimifans ein fester Begriff; das für Juli angekündigte neue ("Kalt ist der Abendhauch") wird schon mit Spannung erwartet. Noll wird u.a. ins Englische, Spanische, Italienische, Schwedische und Ungarische übersetzt; "Der Hahn ist tot" und "Die Apothekerin" sollen demnächst verfilmt werden.

Schon immer wollte Ingrid Noll schreiben. "Ich dachte immer, ich kann schreiben, und irgendwann versuch ich's mal", sagt sie lachend. "Natürlich war da viel Glück dabei", räumt sie ein: gleich der erste Verlag (Diogenes in Zürich) nahm ihren Erstling begeistert auf - davon können andere, die fertige Manuskripte in der Schreibtischschublade liegen haben, nur träumen. Dabei wollte die Autorin zuerst "nur mal so für mich selbst schreiben". Dann zeigte sie das Manuskript der Familie, ihren Schwestern und besten Freundinnen. Die waren begeistert und rieten ihr, es doch mal einem Verlag anzubieten.

"Die Schreiblust hatte mich schon als kleines Kind gepackt", meint die Schriftstellerin heute. Damals schrieb sie kleine Geschichten in Vokabelhefte, "und fühlte mich dabei wie ein großer Dichter." Ihre Kindheit verbrachte Ingrid Noll in China, wohin ihre Eltern im Dritten Reich auswanderten. Die Kinder gingen nicht zur Schule, sondern wurden von den Eltern privat unterrichtet; 1949 "kamen die Kommunisten und alle wollten weg." Noll studierte dann Germanistik und Kunstgeschichte, doch statt eines Examens fand zunächst einmal die Heirat statt und es folgten schnell drei Kinder. Ein Sohn studiert Ethnologie in Heidelberg, ein anderer arbeitet als Musiker für Theater und Fernsehen oder nimmt eigene Platten auf, eine Tochter studiert Germanistik in Berlin. Ingrid Noll selbst wohnt in Weinheim, in einem netten Hexenhäuschen, mit Efeu und lila blühendem Flieder.

Natürlich, ein bißchen stressiger ist es schon geworden: Interviews, Lesereisen, Anfragen der Übersetzer, Fernsehauftritte. Wenigstens die will sie jetzt reduzieren: "Immer die gleichen Fragen und Antworten, da wird man ja zum Papagei."

Aber der größte Schritt war der innerhalb des eigenen Schreibens: "Ich war zwar schon immer gut im Aufsatz, hatte immer 'ne Eins, was auch lebensnotwendig war wegen der Fünf in Mathe. Aber von kleinen Geschichten, für die man ein paar Tage oder eine Woche braucht, bis zu einem richtigen Buch, das ist schon eine ganz andere Arbeitsweise." Dabei arbeitet Noll nicht unter Zwang, "sondern nach Lust und Zeit, wie es mir gerade paßt." In ihrem kleinen Arbeitszimmer, hell, große Fenster, mit MiniStereo-Anlage und Bildschirmschreibmaschine hat sie am ehesten Muße zum Schriftstellern. Für ihren Erstling, "Der Hahn ist tot", schrieb sie die Handlung in drei Wochen runter, dann ließ sie das Buch ein paar Wochen liegen und sah es dann mehrfach nochmal durch. Nach dem unerwarteten Erfolg und nachdem sie sich von dem Geld erst einmal eine neue Dachrinne gekauft hatte, "hab ich dann Blut geleckt, und auch der Verlag hat durchblicken lassen, daß er durchaus Interesse an einem zweiten Buch hätte."

Während im "Der Hahn ist tot" eine 50-jährige Frau die Protagonistin gibt, sind die beiden "Heldinnen" von "Die Häupter meiner Lieben" zu Beginn des Romans gerade einmal 16 Jahre alt. "Ich möchte möglichst alle Altersschichten einmal behandeln", erklärt Noll. Im neuen Buch wird die Heldin eine 80 Jahre alte Frau sein. Die Bücher Nolls sind auf eine surrealistische Art blutrünstig; mit einem guten Schuß Nonsens gemischt, geschehen die schlimmsten Morde oft en passant. "Mich interessiert das Warum eines Mordes, die psychologische Ebene. Besonders zwangsneurotische Personen finde ich interessant, die grauen Mäuse, denen man die Fähigkeit zu morden nicht ansieht."

Figuren und Emotionen der Personen in den Krimis sind realistisch gezeichnet, während die Morde selbst meist einen Touch Irreales haben und auch mit einer lässigen Nonchalance über kriminaltechnische Details hinweggehen. Dem wollte eine Bewunderin Nolls, die Polizistin war, abhelfen und lud die Autorin zum Besuch ins Polizeipräsidium. Noll fand zwar alles sehr interessant, aber immer noch ist sie der Meinung, daß man anstatt über diffizile kriminaltechnische Konstruktionen zu grübeln, besser "über das schreiben sollte, was man kennt", über Gefühle und beinahe alltägliche Erlebnisse. So sind auch die Situationen vor den Morden dem Leser bekannt, wer hätte nicht schon daran gedacht, einen ärgerlichen Mitmenschen umzubringen...? Der Unterschied liegt nur darin, daß Nolls Figuren diese Grenze dann überschreiten. Auch örtliche Umstände oder gewisse Details von Bekannten oder auch ihr selbst läßt Noll gerne in ihre Romanfiguren einfließen: "Die Apothekerin z. B. liebt kleine Döschen und Schächtelchen, genau wie ich."

Ihre mörderischen Vorlieben erklärt Frau Noll so: "Ich wollte klein anfangen, nicht gleich die "Buddenbrooks" des 20. Jahrhunderts produzieren. Ich hab mich einfach eher getraut, einen Krimi zu schreiben",

Apropos Morde: Die werden von ihr geschlechterparitätisch verteilt. Auch wenn ihr manche einen feministischen Anspruch anheften wollen, sagt Noll, daß sie "kein bestimmtes Prinzip verfechten" wolle. Und männerfeindlich sei sie auch nicht: "Ich mag Männer gerne, schließlich hab ich ja selbst einen." (kw)


Ein Stück Auto

Car-sharing-Initiative in Heidelberg

Der Sozialismus sei kein Modell für die Zukunft, behaupten manche. Diese scheinen aber den Verein Ökostadt nicht zu kennen, denn unter dem Motto "Autos nutzen statt besitzen" führt dieser in seinem teilAuto-Projekt zumindest im Kleinen vor, wie man durch Verzicht auf eigenen Besitztum, sich, anderen und der Umwelt etwas Gutes tun kann. Durch das Teilen von Autos werden nämlich Rohstoffe und Parkplätze eingespart, Müll vermieden und der Straßenverkehr vermindert. Jeder hat sicher schon die Erfahrung gemacht, daß ein eigenes Auto vor der Haustür das Fahrrad- oder Bahnfahren merklich erschwert; so soll das Auto die umweltverträglichen Fortbewegungsmittel nur noch in Ausnahmefällen ergänzen.

Hört sich alles schön und nett an, aber wie sieht das konkret aus? Bekommt man auch immer ein Auto, wenn man es braucht? Ja, versichern die Nutzer, von denen es im Rhein-Neckar-Raum inzwischen zweihundert gibt. Selbst bei kurzfristiger Buchung (ca. 10 Minuten vorher) käme es nur sehr selten dazu, daß man auf ein entfernter parkendes Auto zurückgreifen muß. Und auch das sei erträglich, denn inzwischen stehen in Heidelberg acht Kleinwagen zur Verfügung, die nach vorheriger telefonischer Buchung nach Kilometertarif (0,40 DM/km inklusive Benzin) und Zeittarif (2-3 DM/h) akkumulativ berechnet werden. Billiger wird es bei Buchungen für ganze Tage oder Wochen, so daß auch Urlaubsreisen oder Wochenendausflüge möglich werden. Sollten dies jedoch die einzigen Nutzungen bleiben, so empfiehlt es sich, einen Mietwagen zu buchen, denn mit den Wochenendpreisen der kommerziellen Anbieter kann das Car-Sharing-System nicht mithalten. Da die Ökostadt nicht gewinnorientiert arbeitet, unterstützen einige Nutzer zu den Bürozeiten die Arbeit der einzigen hauptamtlichen Mitarbeiterin freiwillig.

Das Carsharing-System wendet sich somit an Umweltbewußte, die weder beruflich noch privat gezwungen sind, häufig per Automobil unterwegs zu sein. In den dünnbesiedelten, ländlichen Gegenden des Odenwaldes wird es kaum möglich sein, ein akzeptables Angebot an Teilautos zu schaffen - dort erleichtert eine Haltestelle des ÖPNV in der Nähe den Schritt hin zu Bus und Bahn.

Für Studierende mit eigenem Kraftfahrzeug könnte Car-Sharing eine Möglichkeit sein, auf das eigene Auto zu verzichten, wenn es nicht vorwiegend zu Wochenendheimfahrten benutzt wird, da in diesen Fällen die Bundesbahn nur unter ökologischen, nicht aber unter finanziellen Aspekten eine Alternative bietet.

Die Ökostadt teilt aber nicht nur Autos, sondern auch etliche Konsumgüter vom Frack über den Grill bis hin zum Klavier, die man nicht täglich braucht. Jeder, der etwas anzubieten hat, bekommt einen Katalog umsonst, für alle anderen ist dieser für 10 DM bei Ökostadt Heidelberg (Tel.160843) zu erhalten. (te)


1. Mai - Studis war'n dabei

... und beerdigen die Bildung

Auf der diesjährigen 1. Mai -Kundgebung, die diesmal deutlich stärker frequentiert war als sonst, beteiligte sich in diesem Jahr neben dem DGB und anderen linksorientierten Gruppen auch das Studi-Bündnis "Zahltag", dem der rote Splitter, die PDS-HSG, Juso-HSG, FSK, LHG und viele Einzelpersonen angehören.

Das Motto zum "Tag der Arbeitslosigkeit", so der DGB-Aufruf, lautete "Chancengleichheit der Bildung zu Grabe tragen", wobei ein Sarg und Erde vom Studi-Bündnis organisiert wurden. Da Deregulierung und Sozialklau auch vor der Bildung nicht halt machen, entschloß sich das Bündnis, gemeinsam mit den Arbeitnehmern, mit denen wir Studis sozusagen in einem Boot sitzen, zu protestieren. In der Grabrede wurde von den beiden RednerInnen vor allem kritisiert, daß aufgrund der angeblichen Standort- und Konkurrenzprobleme Deutschlands versucht werde, ausgerechnet an den Errungenschaften der 60er und 70er Jahre in der Bildung zu sparen, obwohl gerade diese qualitativ hohen Qualifikationsstandarts, die in der Bildung erkämpft wurden, heute von der Wirtschaft dringender gebraucht würden, als in der Vergangenheit. Zum Argument der leeren Kassen verwiesen die beiden RednerInnen auf die Rekordgewinne der Unternehmen bei gleichzeitiger Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben und der Lasten von oben nach unten. Damit müsse nun endlich Schluß sein. Statt dessen sei das Ziel Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit für alle. Es werde "höchste Zeit für neue Zeiten". Es ist zu erwarten, daß das "Zahltag- Bündnis", das parteiübergreifend aus der Debatte um BAföG-Verzinsung und Studiengebühren entstanden ist, noch öfters von sich hören läßt, da im Koalitionsvertrag von CDU und FDP Studiengebühren von 1000 DM pro Semester ab den 14. Semester, neben anderen Grausamkeiten, beschlossen worden sind. (mj)


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