Meinung


Wem gehört das Netz?

von Harald Nikolaus

Gaga-Kommunikation auf den "Chat"-Kanälen, langweilige Selbstdarstellungen und zielloses Herumstreunen im WorldWideWeb, Ballerspiele im PC-Pool. Überfüllte Terminalräume, quälend langsame Datenleitungen.

Der Kommentar "Internet Inside" im letzten ruprecht beschrieb die Situation in den Computerpools des Rechenzentrums vielleicht drastisch und mit dem für die Meinungsseite erlaubtem Maß an Übertreibung - aber im Kern nicht unzutreffend. Und forderte gleich Einschränkungen und Regelungen. Das ist bedenklich.

Studierende in Heidelberg profitieren zumindest im URZ von einer relativen Meinungsfreiheit: Wer eine Homepage erstellen will, tut das seit Ende 1994 ganz ungehindert, die Verantwortlichen im Rechenzentrum schalten sich nur auf Beschwerde von außen ein. Das ist nicht selbstverständlich, in anderen Universitäten müssen selbst offizielle studentische Gremien um Platz auf dem Server kämpfen, von normalen Studierenden ganz zu schweigen. An der FH Offenburg muß gar die Studierendenvertretung dafür sorgen, daß Sex und Politik keinen Platz auf den Benutzerseiten finden.Auch in einigen Heidelberger Instiuten und Seminaren entscheiden EDV-Platzhirsche oder Direktoren, wer sich wie weit ins Internet vorwagen darf.

Daß dann ausgerechnet Studierende Einschränkungen im Namen der Wissenschaft fordern, ist gefährlich, gerade für die eigenartige Rolle des Rechenzentrums als Hort der Netz-Meinungsfreiheit in Heidelberg. Schon bittet das Rektorat um Stellungnahme. Schon fühlen sich jene Professoren im EDV-Ausschuß bestätigt, die den studentischen Zugang zu den Rechnern schon immer stärker reglementieren wollten.

Eine Einschränkung z.B. der studentischen Homepages, eine Hausdurchsuchung unseres Festplattenplatzes kann aber nicht in unserem Sinne sein, selbst wenn auch wir uns über verstopfte Leitungen ärgern.

Natürlich war das Netz früher gemütlicher. Eine kleiner, hauptsächlich aus Wissenschaftlern bestehender Kreis, tauschte sich unter Seinesgleichen aus. Dazu stießen bald Freaks und Ausgeflippte, die im neuen Medium eine Nische für ihre Verrückheiten fanden. Dann kamen die Massen, der Kommerz, interessierten sich für die anderen Medien und schließlich sogar die Politik für das Netz. Da war es dann vorbei mit der Unschuld und der Beschaulichkeit. Aber gerade dadurch, daß das Netz jetzt z.B. an der Uni Heidelberg zehn- von rund dreißigtausend Studierenden erreicht, wird es zu einem wirklich brauchbaren Medium.

Zwar wird der Anteil - nicht die Masse - des Unkonventionellen und Originellen, aber auch des Absonderlichen und Abstoßenden, sicherlich zurückgehen, übertönt werden von Kommerz, aller Art von Propaganda und auch der alltäglichen, Information. Aber auf lange Sicht ist ein Netz, in dem sich alle tummeln, als Kommunikationsmedium interessanter als eine sorgfältig abgeschottetes Elite-Veranstaltung..

Zugegeben: Die "Computer Aided Waste Of Time" ist ein Problem. Aber sie ist, wie auch sonst beim Umgang mit neuen Medien, ein Problem der Erziehung und der Selbstdisziplin - und damit kein Grund, nach dem Zensor zu rufen. Zumal sie sich zwar vor allem in den öffentlichen Computerpools zeigt; was aber an den unzähligen persönlichen Terminals in den Büros der Universität passiert, weiß man gar nicht.

Gerade wer sich als ruprecht-Mitarbeiter selbst in der Medienmacherei tummelt, sollte vorsichtig sein mit dem Ruf nach Einschränkungen - und seien sie auch nur technischer Art: Diejenigen die entscheiden, wer wieviel Platz im Netz bekommt, entscheiden doch automatisch auch, was überhaupt ins Netz darf. Zum Glück haben die Leute im Rechenzentrum herzlich wenig Lust, regelmäßig alle Platten nach Verdächtigem zu durchwühlen oder gar Hunderte von "Anträgen auf Verlängerung des WWW-Zeitkontigentes" zu bearbeiten.

Aber auch in Heidelberg gibt es schlafende Hunde, die geweckt werden könnten, auch hier findet sich vielleicht bald jemand, dem die Rolle des Zensors - moralisch, politisch, wie auch immer - gefällt.

Siehe hierzu auch den Leserbrief, der uns nach Redaktionsschluß der Papier-Ausgabe noch erreichte.


"Dann wird Politik abstoßend"

Wolfgang Schäuble über Nationalbewußtsein, Machtwille und die Ökosteuer

Als Architekten des Einheitsvertrages wollen ihn die einen kennen, als national gesinnten Scharfmacher, der das Terrain für den Bundes-kanzler vorbereitet, die anderen. Niemand bestreitet aller-dings, daß der 54jährige Wolfgang Schäuble, zur Zeit Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, einer der einflußreichsten Politiker in Bonn ist. Auch nach einem Attentat 1990, in dessen Folge er an den Rollstuhl gefesselt bleibt, gilt Schäuble als Kronprinz von Kanzler Kohl und sein Nachfolger, sollte der tatsächlich einmal den Chefsessel bei der CDU und im Kanzleramt räumen.

Schäuble, geboren in Freiburg, hat Juristerei studiert, als hochschul-politischer Uni-Referent und als Finanzbeamter gearbeitet, bevor er 1972 Bundestagsabgeordneter wurde. Er erarbeitete sich rasch Einfluß in der CDU, bereitete als Kanzelamtsminister 1987 den Honecker-Besuch vor. 1989 schließlich übernahm er das Amt des Innenministers und schmiedete in dieser Funktion den Vertrag zur deutschen Einheit. 1991 gab er zwar das Ministeramt auf, wurde jedoch Vorsitzender der Bundestagsfraktion und blieb der wohl zweitmächtigeste Mann in der CDU.

ruprecht unterbrach ihn während einer Bundestagsdebatte in Bonn

ruprecht: Rita Süssmuth ist Zeremonienmeisterin im Bundestag, Kurt Biedenkopf Ministerpräsident am Ostrand der Republik, Lothar Späth in der Privatwirtschaft. Die Persönlichkeiten, die auch Sie sich in der CDU wünschen, konnten neben Helmut Kohl in den letzten Jahren nichts werden. Warum sind ausgerechnet Sie der einzige markante Kopf, der immer noch Einfluß hat in Bonn, und auch als Kanzlernachfolger gehandelt wird?

Schäuble: Das stimmt natürlich nicht. Rita Süssmuth hat eines der höchsten Ämter im Staat, sie ist Mitglied im CDU-Präsidium und Vorsitzende der Frauen-Union. Kurt Biedenkopf ist immerhin einer der wenigen verbliebenen Ministerpräsidenten der Union. Und über die Fraktionsführung wird geschrieben, sie sei eher zu stark als zu schwach.

ruprecht: Schreibt man das nicht eher über den Fraktionsführer selbst?

Schäuble: Dem wirft man auch nicht gerade vor, daß er gar nichts zu sagen hätte. Aber die letzte Debatte im Bundestag haben wir beispielsweise mit einer hervorragenden Rede von Heiner Geißler gewonnen.

ruprecht: Heiner Geißler ist natürlich auch nicht mehr Generalsekretär der CDU ...

Schäuble: Es wäre ja auch schrecklich, wenn er das nach zwanzig Jahren immer noch wäre. Daß ich in der Öffentlichkeit und in der Partei gut wahrgenommen werde, ist ja schmeichelhaft. Wir haben aber kein Interesse daran, daß Kohl nicht mehr Kanzler ist. Es wird gelegentlich jemand von Kohl selber genannt, vor Jahren auch ich, aber man sollte nicht so viel darüber spekulieren.

ruprecht: Aber können denn Persönlichkeiten in der CDU wachsen und sich auch entfalten?

Schäuble: Persönlichkeiten wachsen am besten, wenn sie viel Widerstand kriegen. Bekommen sie den nicht, dann können sie sich auch gegen nichts durchsetzen.

ruprecht: Dafür braucht man aber wiederum Persönlichkeiten, die sich reiben wollen, die Widerstand suchen ...

Schäuble: ... genau das. Die Jungen verlangen gelegentlich zuviel Förderung. Wir versuchen zwar schon, den Jungen Raum zu geben. Aber wenn wir sie in Watte packen, reifen die Persönlichkeiten gerade nicht. Es ist generell ein Problem meiner und Ihrer Generation, daß wir mit wenig Widerständen leben mußten, aber dadurch weniger Reifemöglichkeiten hatten als frühere Generationen. Und mit den Querdenkern muß man sich streiten. Wir leben von Streit.

ruprecht: Dieser Streit scheint aber in der SPD ausgeprägter zu sein, wenn man sich z.B. die Konflikte von Gerhard Schröder und Rudolf Scharping ansieht. Haben sperrige Persönlichkeiten in der CDU überhaupt eine Chance?

Schäuble: Schröder und Scharping sind ja nicht sperrig, die sind einfach nur Egomanen. Das ist genau das Bild von Politik, das die Demokratie umbringt - wenn es jedem nur noch um seinen nackten, persönlichen Ehrgeiz geht und sonst um gar nichts. Herr Schröder vertritt jede Position, nur um seinem Machttrieb zu befriedigen. Die Bezeichnung "sperrig" für Herrn Scharping höre ich zum ersten Mal.

Wir müssen auch bei allem Willen zur Macht, den man ja haben muß in der Politik - und den Helmut Kohl ja auch hat -, in ein gewisses Ethos eingebunden bleiben. Wenn wir keine Vorstellung haben, warum wir die Macht haben wollen, dann wird Politik abstoßend. Allerdings erwartet die Bevölkerung von uns, daß wir nicht nur streiten, sondern auch handeln.Dazu müssen wir nicht stromlinienförmig, aber geschlossen sein.

ruprecht: Was bedeutet für Sie Machtbewußtsein? Verantwortung gegenüber dem Volk oder eigene Profilierung?

Schäuble: Wer politisch tätig ist, will gestalten und will auch seine Vorstellungen verwirklichen. Macht heißt, Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, heißt auch, Mehrheiten zu organisieren.Wenn es aber nur den persönlichen Ehrgeiz gibt, entspricht das nicht meinen Vorstellungen.

ruprecht: Kann man das denn so trennen?

Schäuble: Nein, deswegen kann man diese Art von Fragen nicht so beantworten. Es mischt sich untrennbar. Es sollte sich auch nicht voneinander lösen. Das Zusammenleben erfordert ja auch die Ausübung von Macht, die Gestaltung von Regeln für dieses Zusammenleben.

ruprecht: Muß das Volk die Macht spüren?

Schäuble: Nein, aber das Zusammenleben muß in jeder Gemeinschaft organisiert sein, sonst scheitert es. Dann kommt Chaos, die Toleranz geht verloren, die Freiheit leidet und der Rechtsstaat kann nicht mehr durchgesetzt werden. Die Frage ist, wie sich eine Gesellschaft selbst organisieren will. In der Demokratie machen wir es nach den Prinzipien der Machtbegrenzung, der Repräsentation. Es wird ja immer geklagt, es soll etwas geschehen, der Kanzler soll auf den Tisch hauen. Aber das ist nicht der Sinn unserer Verfassung. Wir wollen Machtausübung schwermachen.

ruprecht: Sie plädieren für ein stärkeres Nationalbewußtsein der Deutschen. Ignatz Bubis sieht den Begriff "Solidargemeinschaft" lieber als Nation, weil "Nation" etwas Nationalistisches, Völkisches hat ...

Schäuble: ... die beste Vorkehrung gegen Nationalismus ist ein vernünftiges nationales Bewußtsein, eine nationale Identität. Wenn man das den Nationalisten, den Feinden der Toleranz überläßt, dann fördert man den Nationalismus. Ein Großteil der Menschen - nicht alle - empfinden ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer Nation. Das ist nichts, was einen überhöht gegen andere. Es erleichtert aber das Leben in der Gemeinschaft, das Akzeptieren von Mehrheitsentscheidungen - was ja das Phänomenale in unserem demokratischen Staat ist. Wir können z.B. in Europa nur so schwer Mehrheitsentscheidungen einführen, weil die Minderheit die Entscheidungen der Mehrheit nicht so einfach akzeptieren würde. Deswegen hat das eine mit dem anderen sehr viel zu tun. Identität - und da ist das Nationale ein notwendiger Teil - ist eine Grundlage für die Stabilität der Demokratie.

ruprecht: Sie fordern Nationalbewußtsein als Tauglichkeitskriterium für Europa. Besteht nicht die Gefahr, daß dabei, wenn es in Europa einmal nicht so läuft wie gewünscht, nur nationales Gepolter übrigbleibt?

Schäuble: Das glaube ich nicht. Europa braucht den Transmissionsriemen des Nationalen. Wir sind Europäer als Deutsche, Franzosen oder Spanier, nicht nur einfach Europäer. Das funktioniert noch gar nicht. Wir sind ja auch Deutsche nicht einfach so, sondern als Badener, Berliner oder Bayern. Und wenn Europa schlechter läuft, dann werden wir trotzdem nicht zu Nationalisten. Wer sich seiner eigenen nationalen Identität sicher ist, respektiert auch die des anderen eher - ein Satz, der nicht von mir ist. Wer als Deutscher keine deutsche Identität hat, wird auch einen Franzosen schwer verstehen, und wird weniger zu einem vernünftigen Verhältnis der Zusammenarbeit fähig sein.

Es gibt Menschen, die das alles nicht wollen und nicht brauchen - es muß ja nicht sein. Aber insgesamt will es die Mehrzahl und wenn wir es richtig machen, ist es eine gute Grundlage für stabile Freiheit und Toleranz. Wenn wir ein Vakuum entstehen lassen, wird es von der falschen Seite ausgenutzt.

ruprecht: Die SPD wirft Ihnen vor, gerade dadurch nationalistische Geister zu schüren ...

Schäuble: Wer hat denn im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg Stimmung gegen Europa geschürt? Das war doch die SPD! Das stimmt doch nicht, das ist doch nicht wahr. Und gegen Aussiedler haben sie auch noch Stimmung gemacht. Das ist schon eine merkwürdige Mischung: Die SPD verteidigt ihren eigenen kleinen Garten und die anderen sind da weniger wichtig. Sie steht einfach in der Gefahr - oder in der Versuchung, die ja bei Oppositionsparteien immer stärker als in der Regierung ist - populistischen Stimmungen nachzugehen. Deswegen hat auch jetzt wieder ein SPD-Abgeordneter gesagt: "Na ja, den Umzug nach Berlin bräuchte man ja doch nicht zu machen." Das ist alles ziemlich populistisch.

ruprecht: Programmatisch sind Sie dabei jedoch von der Opposition in gewissen Punkten nicht so weit entfernt. Auch Sie treten für eine Verteuerung der Energie mit dem Ziel der Arbeitsverbilligung ein. Im Prinzip also die Ökosteuerreform der Grünen.

Schäuble: Langfristig ja. Kurzfristig aber hilft uns das nichts. Unsere Arbeitsmarktsituation und der Konkurrenzkampf zu anderen Ländern lassen uns keinen Spielraum. Der Standort Deutschland ist zu teuer. Und eine weitere Verteuerung führt zu einem Verlust von Arbeitsplätzen.

ruprecht: Wo liegt die Verteuerung, wenn ich im Gegenzug Arbeitsplätze verbillige?

Schäuble: Wenn Sie heute eine Steuer einführen, werden noch mehr Betriebe, noch mehr Arbeitsplätze aus Deutschland abwandern. Deswegen müssen wir zunächst einsparen, um wettbewerbsfähig zu werden. Und dann bin ich auch bereit, den nächsten Schritt zu machen und über eine Energiesteuer zu größerer Sparsamkeit anzuregen.

ruprecht: Ist also Ihre Position im Vergleich zu den Grünen nur eine graduell andere, sagen Sie einfach nur: "Das muß noch etwas verschoben werden"?

Schäuble: Man muß die psychologischen Faktoren wirtschaftlicher Prozesse berücksichtigen. Grüne und Sozialdemokraten argumentieren dabei: "Im Grunde kann eine Steuer so eingeführt werden, daß sie kostenneutral bleibt." Die Meldung über eine neue Steuer würde in der jetzigen Situation dazu führen, daß etwa amerikanische Investoren sich noch gründlicher überlegen würden, in Deutschland zu investieren.Und ein weiterer Punkt ist: Wir dürfen uns die Debatten über die Senkung der Sozialquote von derzeit 33,4% nicht dadurch ersparen wollen, daß wir sagen: Wir finanzieren auf anderem Wege. Dies ist keine Senkung. Wenn ich die Quote herabsetzen will, muß ich die Ausgaben reduzieren, anders ist das nicht zu machen. Die Grünen und die SPD wollen nur umfinanzieren. Wir dürfen den Einsparungsdruck nicht dadurch verringern, indem wir andere Finanzquellen suchen.

ruprecht: Vielen Dank für das Gespräch. (hn, rot)


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