Heidelberg


Heidelberger Profile

"Ich bin Spätentwickler"

Michael Buselmeier: Querkopf, Lyriker und Autor aus Heidelberg

Michael Buselmeier, bekannt für seine literarischen Stadtführungen, hat vor kurzem einen neuen Band veröffentlicht: "Ich rühm dich Heidelberg - ein Poem in sechs Gesängen". Mit uns hat er über Alt-Achtundsechziger, große und kleine Geschichte und sein Verhältnis zu Heidelberg gesprochen.

Das Haus Michael Buselmeiers liegt sehr ruhig im grünsten Teil Rohrbachs, von dem Fenster des Arbeitszimmers blickt man auf den Garten, ein hübsches Fleckchen Heidelberg. Die Schränke sind voller Bücher, einige Papierstapel sind auf dem Boden plaziert: der Arbeitsplatz eines Schriftstellers. Doch Buselmeier ist noch mehr als Führer durch die Literatur- und Stadtgeschichte Heidelbergs bekannt geworden. "Da ist eine Entwicklung passiert, auf die ich keinen Einfluß mehr hatte", meint Buselmeier zu dem Beginn der Führungen 1988. Ursprünglich hatte er ein Heidelberg-Lesebuch herausgegeben, und daraus war dann die Idee geworden, auch die Plätze des Geschehens selbst zu zeigen. Die Leute sollten sich nicht nur auf der Wohnzimmercouch in der Geschichte ergehen, sondern sich die Geschichte selbst ergehen. Eine Idee, die Zuspruch fand: jedes Jahr kamen mehr Leute, das Publikum wurde jünger, und Buselmeier, der zu Anfang über Literatur hinaus zur Geschichte Heidelbergs "so gut wie nichts wußte", war plötzlich Stadtführer, wenn auch ein frecher, unangepaßter. "Ich bin ein Spätentwickler", sagt er lachend.

Noch vor der "großen" Geschichte der Stadt und des Mythos kommt für Michael Buselmeier die "kleine", die eigene Geschichte, die er in seinen Büchern aufschreibt. Autobiographisches, wie der Roman "Der Untergang Heidelbergs" von 1981 - inzwischen leider vergriffen - oder die Erzählungen in der neueren "Spruchkammer", beschreibt Heidelberg, wie der Autor es seit seiner Kindheit erlebt hat, und wie sich das Leben verändert hat: die Nazizeit, die reaktionäre Stimmung der Adenauerära, dann die sechziger Jahre mit dem immer stärkeren Willen zur Reform und schließlich zur Revolte. Besonders wichtig in Buselmeiers Werk ist die Epoche der linken Szene der siebziger Jahre und der Bruch durch die Resignation über das Scheitern der Revolution, und schließlich die ideologieverlorene Zeit der Achtziger und Neunziger. So findet Buselmeier über die eigene Geschichte den Zugang zur Geschichte unserer Gesellschaft.

Die endet bekanntlich nicht an den Toren Heidelbergs. So gehen die Themen in den Büchern Michael Buselmeiers auch weit über diese hinaus. "Wenn man Journalist werden wollte, mußte man aus Heidelberg 'raus. In Heidelberg kann man leben, aber nichts werden" - zumindest, wenn man eine unangepaßte Natur wie Buselmeier ist. Deshalb schreibt er auch bis heute viel für Radio und Presse außerhalb Heidelbergs, und deshalb läßt er sich heute auch in keiner politischen Gruppierung organisieren. Dabei war er in den letzten Jahren der Heidelberger Studentenbewegung, zwischen 1976 und 1979, als Sprecher der Linken Szene bekannt. "Früher war es so angenehm, der Böse zu sein. Es war eine schöne Rolle." Also nur Spaß an klaren Fronten, Gefallen an einer dankbaren Rolle? "Es war eine produktive Zeit. Sicher, es war lächerlich, was wir gemacht haben, zum Teil sogar hochgradig lächerlich, aber die Bullen sind gelaufen, die Professoren sind gelaufen. Das gesehen zu haben, trägt einen durchs ganze Leben." Der Einstieg in die Politik, ein Parteibeitritt, zu den Grünen, erschien ihm danach nicht konsequent: der Gang durch die Instanzen war nicht sein Weg. Er blieb bei seiner eigenen Politik, der Schriftstellerei: Die Emanzipation von der Emanzipation - ein Schritt vorwärts. Ein Spätentwickler?

Die Szene sieht darin allerdings eine Entwicklung in die falsche Richtung. Das Interesse für Stadtgeschichte - eigentlich ein eher bürgerliches Unterfangen - wird Michael Buselmeier nachgetragen, der "Trystero" sieht ihn als Verräter der Linken. Sich aber in die Gruppe "angeblich linker" Söhne von Achtundsechzig einzureihen, wie in den Kreis um den sozialdemokratisch engagierten Künstler Klaus Staeck, ist ihm genausowenig möglich, wie ihm eine Anpassung an die konservative Atmosphäre der 50er und frühen 60er war. "Man kann nicht sein Leben lang auf unserer 68er Position bestehen, daß die Kapitalistenklasse an allem schuld und man selber gut ist" - für die damalige Situation sei diese Einstellung wichtig gewesen, aber als Dauerideologie, die ihre Anhänger grundsätzlich auf die Seite der Guten verbannt, führe sie zum geistigen Stillstand - gefangen in der Falle der politischen Moral.

Warum schreibt einer, der sich so gerne mit allen Lagern anlegt, ausgerechnet ein buchdickes Poem mit dem Titel "Ich rühm dich Heidelberg"? Zur Beruhigung vorab: wer blumige Panegyrik befürchtet, wird beim Lesen angenehm enttäuscht. Gerade im ersten der insgesamt sechs Gesänge, der die politische Seite betrifft, sind Zeilen zu lesen wie "ein Nichts von 800 Jahren". Die anderen fünf Teile, deren Grundthemen die Weststadt, der Neckar, die Alte Brücke, die Universität und schließlich Rohrbach sind, gehen auf die eigene, "kleine" Geschichte Michael Buselmeiers zurück. Anteilmäßig nimmt das Autobiographische auch hier wieder den meisten Raum ein. Doch insgesamt versucht das Poem, beide Seiten des Autors zu verbinden, muß es sogar: "So ein langes Gedicht kann man nur schreiben, wenn man einen langen Atem hat. Den garantiert aber nicht die eigene Geschichte, selbst wenn sie für die Poesie die wichtigere ist." Deshalb hat Buselmeier die Stadtgeschichte im ganzen Poem zur Schiene gemacht, an dem die eigene vorübergleiten kann. So hat der Heidelberger Stadtführer und Schriftsteller beide Gebiete seines Wirkungsfeldes zusammenfließen lassen. Kein Spätentwickler. Jemand, der sich auch spät noch entwickelt. (gan)

Michael Buselmeier: Ich rühm dich Heidelberg. Ein Poem in sechs Gesängen, Wunderhorn Verlag Heidelberg. Das "Poem" wird der Autor voraussichtlich in nächster Zeit in der Buchhandlung Weiss vollständig lesen.


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