Kultur


ruprecht on the record

Musiktips

Paco De Lucia, Al Di Meola & John McLaughlin: The guitar trio

Auf dem Cover wird vollmündig The Guitar Trio angepriesen. Schon fühlt man sich an die drei Tenöre erinnert, und erwartet eher einen hochpreisigen Ausverkauf von Kultur denn ein ungewöhnliches musikalisches Ereignis. Doch genau darum handelt es sich bei dieser CD: 15 Jahre nach der legendären Friday Night in San Francisco haben drei der weltweit bekanntesten Gitarristen wieder im Studio und auf der Bühne zusammengefunden. Das Ergebnis ist nicht nur etwas für Jazzfreunde: Die drei spielen ihre eigens für diese Aufnahmen geschaffenen Kompositionen so, als wären sie eine Person. Sensationell, wie die drei Begleit- und Solostimme wechseln und zusammenkommen. Im Vergleich zu Friday Night wurde wesentlich weniger wert auf virtuose Gitarrenläufe gelegt. Sparsam war man im Umgang mit allem, was nicht als Gitarre bezeichnet werden kann. Diese wiederum wird durchaus auch als Rhythmusinstrument benutzt. Ansonsten ganz selten sparsame, ausgezeichnete Percussion. Darüberhinaus ist die CD vorzüglich aufgenommen. Dafür zeichnet das Real World Studio verantwortlich, bestens bekannt durch dessen Betreiber Peter Gabriel. Alles in allem sicher eines der Highlights der Neuveröffentlichungen im Jazzbereich dieses Jahr, das Maßstäbe setzt in Interpretation und Klang. (papa)

Musik für Laute: Konrad Ragossnig; DGG-ARCHIV-Produktion

Nachdem die Laute im 13. Jahrhundert aus der über die iberische Halbinsel importierten arabischen Ud entstanden war, entwickelte sie sich im 16. und frühen 17. Jahrhundert zu einem sehr weitverbreiteten und beliebten Instrument. Doch erst zu einem Zeitpunkt, als die zeitgenössischen Kompositionen des 20 Jahrhunderts dem Hörer immer höhere Anforderungen abverlangten, begann man im Rahmen des aufkommenden Interesses für "alte Musik", wieder auch die klassische Lautenmusik zu studieren und aufzuführen. Konrad Ragossnig gilt als einer der bedeutendsten Lauten-Virtuosen, die das Interesse für diese Epoche der europäischen Musikgeschichte wiedererweckten.

Die nun schon 20 Jahre alten Aufnahmen, die unter dem Titel "Musik für Laute" wiederveröffentlicht wurden, stellen Lautenmusik aus dem 16.und frühen 17. Jahrhundert, der Blütezeit der Lautenmusik, vor. Nach den Herkunftsländern geordnet, entfächert Ragossnig hier ein breites Spektrum der europäischen Musikkultur, die dabei durch seine lebendigen Interpretationen in ihrer Vielfältigkeit wiederauflebt. Dabei gelingt es ihm, seiner achtchörigen Renaissance-Laute mal weiche und zarte, mal trockene, harte Töne (die an die arabische Ud erinnern) zu entlocken. (fw)

Christian Bruhn: Soundtrack "Captain Future”; Originalmusik zur TV-Serie

Fast vergessen, als so um 1980 herum zur japanischen Zeichentrickserie eine LP herauskam, die uns die Mama unter den Weihnachtstisch legte. Einige wenige dürfen sich glücklich schätzen, dieses Vinyl- Exemplar bis heute aufgehoben zu haben. Die anderen können jetzt aber auch wieder glücklich werden, denn die Firma Colosseum hat den Soundtrack zur Kultserie Captain Future inzwischen auf CDs gepreßt, die im gut sortierten Fachhandel rund 30 DM unter der Rubrik Soundtracks zu finden sind. Wer ein Hörspiel erwartet, wird entäuscht, stattdessen 18 Titel feinster Instrumentalmusik, die verschiedener nicht sein könnten: Von klassischen Pop-Ohrwürmern wie dem Titelstück, welches zugleich die Anfangsmelodie der TV-Serie ist, über Swingstücke wie "Ken", bis hin zu urzeitlichen Trance -Sounds ("Eingeborene", "Neue Erfahrungen im Cyber-Space"). Dazwischen immer wieder mal was Melancholisches, beinahe Esoterisches, wie "Joan" und "Ein Trauriger Fall", nicht zu vergessen das harmonisch-mollig-wollige "Fremde schöne Landschaft", welches uns auf Wolken tanzen läßt. Hin und wieder ist im Hintergrund die Stimme von Erika Bruhn in Form von Huhuhu zu Höhren. Alle Stücke sind in der Serie schon mal eingesetzt worden, obwohl es kaum vorstellbar ist, daß es so viele waren. (mj)


ruprecht reads comics

Heft-Rezensionen

Comics für Erwachsene

Francine liebt Freddie, Katchoo liebt Francine, David liebt Katchoo und dazu kommt noch ein Haufen Gewalt, Sex und Tote und schon hat man die Zusammensetzung der besten "serialized story", dies besagt wenigstens der Eisner Award, der Oscar unter den Comics. Aber mit einer solchen Zusammenfassung tut man "Strangers in Paradise", liebevoll von seinen Fans "SIP" genannt, keinen Gefallen, denn die Geschichte zweier Frauen beinhaltet mehr als die übliche Dreieck-Konfiguration. Betrachten wir erst einmal Katchoo näher: während Francine ihren Abschluß in der High School macht, fliegt Katchoo von der Schule und die beiden Freundinnen sehen sich für Jahren nicht mehr. SIP setzt nun in der Handlung ein, als die beiden wieder zusammenziehen und gemeinsam wohnen, jedoch ist ihrem gemütlichen Zusammensein rasch ein Ende gesetzt, als erst Francines Freund Schluß mit ihr macht and dann Schatten aus Katchoos dunkler Vergangenheit auftauchen. Sie landete nämlich nach ihrem Rausschmiß aus der Schule auf der Straße und wurde zur obdachlosen Alkoholikerin. Ein Callgirl fand sie in einer jämmerlichen Verfassung und päppelte sie auf, bis Katchoo fähig war, ihrer neugewonnenen Freundin aus Dankbarkeit zur Hand zu gehen. Nachdem die beiden dann noch knapp eine Million Dollar von ihrer Auftraggeberin klauen, kann das Drama beginnen! Aber mehr sollte man nicht wissen über SIP, denn einer der Reize besteht darin, daß man niemals die Story voraussagen kann.

Über den Autor muß man erst einmal eins klarstellen: der Autor ist ein Mann, trotz der überwiegend weiblichen Charaktere und Themen! Terry Moore hat mit seiner anfangs noch unbekannten Comicserie genau den Nerv der Zeit getroffen. Was sich dann über Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitete, wurde zu einem der erfolgreichsten Comics der letzten Jahre und hat sich jetzt zum Verkaufsschlager entwickelt, ein ernomer Erfolg für einen Comiczeichner und Texter, der seine erste Comicserie zeichnet und das zuerst in einer Auflage, die die großen Verlage "special limited edition" nennen. Aber Moore gehört nun auch zu den "großen Drei",seitdem Jim Lee, Präsident von Image,ihn für seinen eigenen Verlag "Homage" holte. Moore ergriff die Gelegenheit sofort am Schopf und publiziert seine Comics nicht mehr selber. So hat er mehr Zeit zum Zeichnen und nebenbei coloriert für ihn das Team um Steve Oliff, der auch Akira coloriert. In Deutschland ist man noch nicht soweit: Beim Verlag Thomas Tilsner wird die zweite Serie im Moment als gebundene Alben zusammengefaßt; der erste Band umfaßt die drei Hefte der ersten Miniserie von SIP, die weiteren Bände beinhalten die Hefte der zweiten Serie, wobei der vierte Anfang des Jahres zu bewundern sein wird. Ein Muß für jeden, der an anspruchsvolle Literatur gewöhnt ist und sich nicht mit seichten Funnies à la Mickey Mouse die Zeit sinnlos vergeuden möchte. (jr)

M. Fecchi: Odysseus
"Der Schautz von Troja & Polyphen

Nach dem vorläufigen Ende von "Fix und Foxi" hat sich deren langjähriger Chefzeichner Massimo Fecchi selbstständig gemacht und im Pabelverlag eine eigene Serie veröffentlicht. Nach erstmaligem durchlesen erscheint mir das Album den Spagat zu versuchen, den Charme von "Asterix" und den Witz von "Clever & Smart" zu vereinen. Dieses Crossover gelingt jedoch nur Teilweise: Götterbote Hermes (als Kind, in Knax-Heft-Stil) erzählt uns von Homer und dessen Odyssee, für die jener 20 Jahre zum Schreiben braucht. Auf dem Weg zum Verleger werden die Tonnen von Papier von einem Windchen weggeweht und unser armer Homer kommt mit einer Handvoll Seiten an , die als Taschenbuchausgabe auf dem Markt erscheinen. Die verlorenen Seiten werden uns nach dieser Vorgeschichte von Hermes erzählt. Im Fastfoodtempo erobert Odysseus Troja und nimmt jedes Mittel in Kauf, nicht nachhause zu seiner Frau Penelope zu gelangen. Grund ist, daß Odysseus von der Figur her Tiffi aus der Sesamstraße gleicht und Penelope Samson. Dafür treffen er und seine Mannschaft auf den Kurzsichtigen Polyphem. Doch anstatt ihm das Auge rauszuhauen, bekommt der Zyklop eine Brille verpaßt und nimmt daraufhin erfolgreich an einem Schönheitswettbewerb teil.

Zwar wirkt die Story nicht ermüdent, aber dagewesen sind die Witze schon. (mj)


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Willkommen im Tollhaus (3)

Wenn man wie Dawn Wiener häßliches Entlein, dazu Außenseiter ist und erste präpubertäre Krisen bestehen muß, dann kann man seine Welt schon hassen. Die 11jährige würde am liebsten ihre kleine intrigante Schwester mit dem Hammer erschlagen, mit ihrem einzigen Freund Ralfie den "special people club" gründen, und den Kumpel ihres großen Bruders verführen, der allerdings schon ein Jahrzehnt mehr auf dem Buckel und ganz andere Interressen hat. Dawns eigentliches Problem ist, daß sie keiner liebt. In der Schule wird sie gehänselt, zuhause werden ihre Geschwister ihr vorgezogen. Als ihr Schwarm nach N.Y. zieht, bricht für sie das Chaos aus, und so manche tragisch-komische Situation, in der man das Mädel in den Arm nehmen möchte, verführt zum Lachen.

She's the one (2)

Nach dem Erfolg von "Kleine Sünden unter Brüdern" bekam Edward Burns eine Menge Geld für eine weitere Produktion. Zwei ungleiche Brüder auf der Suche nach der wahren Liebe, der eine in den Augen der Familie ein Verlierer, der andere geschätzter Wall-Street-Broker. Dieser hat ein "zyklisches Tief"bei seiner Frau, dafür kommt er umso besser bei der Ex-Verlobten seines Bruders. Diese wiederrum findet Sex mit einem Rentner spannender. Der erfolglose Bruder fährt eine Kundin zu einer Hochzeit, und heiratet dort selbst. Alle Beziehungen kollidieren miteinander, am Ende hat nicht einmal die des Vaters Bestand.
Perfekter als das Erstlingswerk, aber weniger spritzig.

Dragonheart (2)

Er frißt weder Jungfrauen, noch grillt er unschuldige Bauern, um danach Ihr Vieh zu vertilgen und verbündet sich zu allem Übel noch mit einem abgetakelten Ritter. Er paßt also so garnicht in die Welt der skrupellosen Drachen, Draco, unser Märchenheld. Mit der Stimme Sean Connerys überzeugt er als alter Drache, der an das Gute im Menschen glaubt und daran kläglich zugrunde geht, Mario Adorf, der in der deutschen Fassung seine Stimme Dracoverlieh, kann dagegen gar nicht überzeugen: Drachen haben nämlich gewöhnlich rauhe tiefe Stimmen vom vielen Rauchen. ILM zeigt mal wieder was ihre SGIs können und haben nach den Dinos jetzt einen mittelalterlichen Drachen kreiert, der nahtlos in die Landschaft eingepaßt wurde.
Im Gegensatz dazu steht Dennis Quaid, der ganz im alten Arthurstil durch das Land reitet, senile Drachen ihren Sternzeichen näherbringt und unfähigen Bauern die Grundregeln einer Rebellion beibringt. Dasschauspielerische Duell gegen "Draco" verliert er jedenfalls. Wenn der Film auch nicht mit Werken wie "Das Einhorn" von Ridly Scott vergleichbar ist, ist der Fantasy-Fan mit diesem netten Märchen gut bedient.

Fargo (3)

Die gute Miss Marple: vom Rheuma geplagt jagte sie die Betrüger, für die Ergreifung gemeiner Mörder vernachlässigte sie den geliebten Dorfklatsch, und selbst die Nichtenschar mußte der Gerechtigkeit zuliebe manchesmal hintanstehen. Eine Figur, so dicht und voller Wärme wie ein handgestrickter Pullover, ohne die Agatha Christies Krimis deutschen Freitagabendserien ähneln würden.
Genauso feingestrickt sind die Morde von Fargo: Mitten im verschneiten Minnesota hat ein braver Ehemann die Lösung seiner Geldprobleme gefunden. Er läßt von zwei zwielichtigen Typen seine Frau entführen, um so an das Geld seines geizigen Schwiegervaters zu kommen. Als bei der Entführung drei Augenzeugen umgebracht werden, wird die Sache kompliziert: die Nachforschungen der hochschwangeren Polizistin Marge setzen Anstifter und Entführende unter Druck. Die Gewaltspirale schraubt sich immer höher, und als die Überlebenden endlich von Marge aufgespürt werden, überblickt nur noch der Zuschauer den Ablauf der Dinge.
Angeblich eine wahre Geschichte, heißt es im Vorspann. Ein unwichtiges Detail, denn wenn es nicht stimmt, ist die Story außergewöhnlich lebensecht inszeniert. Was den Film sehenswert macht, ist der tiefgründige, stille Humor, mit der er seine Figuren zeichnet, wie in der Szene, in der Marge aus dem Bett geklingelt wird und sie auch dann noch ihren Mann zum liegenbleiben überreden will, als der schon fast für sie in der Küche Frühstück macht. So wird der Film, auch wenn fast alle Beteiligten umkommen, doch nicht zum Gewaltstreifen. Eine Geschichte wie ein warmer Pullover - genau das richtige für den Winter.


Ein Phantom aus dem Ozean der Geschichte

Lothar-Günther Buchheim über Krieg, Pathos und den Nachdruck von "Jäger im Weltmeer"

Lothar-Günther Buchheim wurde mit seinen Romanen "Das Boot" und "Die Festung" weltweit bekannt. Sie berichten über den U-Boot-Krieg, den Buchheim als Kriegsmaler miterlebte. Außer seinen Arbeiten als Journalist und Autor ist Buchheim Maler und Kunstsammler: Ein Museumsneubau für seine einzigartige Sammlung expressionistischer Kunst wird in den nächsten Jahren in seinem Wohnort Feldafing am Starnberger See errichtet. ruprecht besuchte ihn dort, um über sein neueste Veröffentlichung "Jäger im Weltmeer", einen Nachdruck von 1943, zu sprechen.

ruprecht: Herr Buchheim, warum wird "Jäger im Weltmeer" heute wiederveröffentlicht - über fünfzig Jahre, nachdem es geschrieben wurde?

Buchheim: Es hat in letzter Zeit immer wieder Anpöbeleien gegeben, bei denen behauptet wurde, ich hätte mit "Jäger im Weltmeer" ein Nazi-Buch verfaßt und darin übelste Propaganda für den Endsieg betrieben. Verschiedene Leute haben versucht, mich so mit Scheiße zu bewerfen und üble Nachrede zu praktizieren. Aus Hamburg kam eine Reihe von Frechheiten von einem Journalisten, Wegener. An der Uni Duisburg mobilisierte ein Professor sogar ein Komitee, um meinen Ehrendoktor aberkennen zu lassen. Ich konnte der Gerüchteküche nichts Handfestes entgegensetzen, denn die letzte Auflage von "Jäger im Weltmeer" ist 1943 in Leipzig bei einem Fliegerangriff verbrannt, und es existieren nur noch sehr wenige Exemplare: für die Öffentlichkeit war es also ein "Phantombuch". Kein Mensch konnte nachprüfen, ob da wirklich Naziparolen drinstehen oder nicht.

Also habe ich beschlossen: zeigen wir's vor. Damit die Leute sehen können, daß es sich eben um keine Nazi-Propaganda handelt, sondern daß es ein widerständisches Buch ist. Kein Buch des Widerstands, ich war nicht im Widerstand. Aber ein Buch, daß man ohne Bedenken auch heute unverändert herausbringen kann.

ruprecht: Das Vorwort von Großadmiral Dönitz wurde weggelassen?

Buchheim: Dönitz war ein Totschläger, der Menschen skrupellos verheizt hat, um Kriegsziele zu erreichen. Daher ist sein Vorwort in dem Nachdruck weggelassen. Sonst gibt es keine Änderungen. Allerdings ist das Buch in ein Vorwort und Nachwort eingebettet. Dort wird dann auch auf die ausgelassene Dönitz-Seite verwiesen.

ruprecht: In Ihrem Vorwort zu "Jäger im Weltmeer" erwähnen Sie Stellen, von denen sie meinen, daß Sie sie heute anders schreiben würden. Was sind das für Sätze?

Buchheim: Welche könnten da gemeint sein ... mir fällt im Moment nichts ein, was mir an dem Buch mißfallen könnte. Natürlich ist es ein sehr pathetisches Buch. Ich meine das Pathos, daß ich beispielsweise aus Hölderlin und Claudius aufgenommen hatte: das hat uns beeindruckt, das war der Ton meiner Jugend. - Heute bin ich pathetisch für Gott sei Dank andere Sachen, aber zu den Ostermarschierern gehöre ich trotzdem nicht - das spräche gegen meine Lebenserfahrung.

ruprecht: Welche Art von Lebenserfahrung?

Buchheim: Es gibt die UNO, die wohl die Macht hätte, Krieg zu unterbinden - und trotzdem kann niemand verhindern, daß sich Hutu und Tutsi in Zentralafrika gegenseitig abschlachten. In jeder Generation schlagen sich die Menschen einmal tot. Ich war einmal dort, und die Bilder von diesen Ereignissen sind erschreckend. Aber es scheint, als verfalle die Natur immer wieder einem Kriegsrausch, und weil der stärker ist als jedes Gesetz, kann man diese Kriegsgelüste nicht unterdrücken.

ruprecht: Aber bei uns herrscht doch seit fünfzig Jahren Frieden?

Buchheim: Was heißt "bei uns"? Auch in Europa ist ja kein Frieden. Man kann das ehemalige Jugoslawien nicht aus Europa ausschließen, nur weil dort Krieg herrscht. Wer nicht wahrhaben will, daß Krieg ein Teil unserer Welt ist, weigert sich, das Ganze zu sehen.

Es ist deshalb wichtig, den Krieg in seiner Gänze zu beschreiben. Daß er nicht vollständig beschrieben wird, kann man daran erkennen, daß sich die Veteranen so sehr über "Das Boot" erregt haben. Weil das Bild vom Krieg in den Büchern überhaupt nicht zu ihrer blanken Prünne (etwa: zu ihrer weißen Weste - die Red.) gepaßt hat. Am lächerlichsten war, daß sie die Obszönitäten an den Pranger gestellt haben: als ob's das nicht gegeben hätte. Die alten Soldaten hatten wohl Angst, von den Damen nicht mehr an den Kaffeetisch gelassen zu werden.

ruprecht: Also ist "Jäger im Weltmeer" als ein Dokument seiner Zeit zu verstehen?

Buchheim: Dokumente sind etwas für Historiker. Die müssen sich an Dokumente halten, weil sie ja keine Zeitzeugen sind. Und werden so zu Lügnern: weil in Dokumenten nie die Wahrheit steht. Nehmen wir die Kriegstagebücher. Entweder wurden die sehr renommistisch verfaßt, oder lesen sich so unterkühlt wie die des Alten (der Kapitän des U-Boots, dessen Fahrt "Das Boot" beschreibt - die Red.). Aber in jedem Fall wird derjenige, der sich an solchen Dokumenten orientiert, auf die falsche Fährte gelockt.

ruprecht: Dann könnte Geschichte ja immer nur so lange geschrieben werden, wie es Zeitzeugen gibt.

Buchheim: Alles andere ist Schwindel! Denn Geschichtsbüchern fehlt etwas Wichtiges: Solange die Angst nicht mit ins Bild kommt, kann man nicht Geschichte schreiben. Wer die Angst vergißt, schreibt mehr Falsches als Wahres. Wie will man als Historiker wie Solschenizyn schreiben? Gute Historiker wissen das und konzentrieren sich darauf, Quellen zu sammeln, versuchen aber nicht, zu beschreiben, wie es früher war. Der Mensch kann nicht aus der Geschichte lernen: Der Teufel kommt immer wieder, aber mit anderem Gesicht.

ruprecht: Und trotzdem schreiben Sie weiter?

Buchheim: Weil das, was der Mensch macht, im Grunde Wahnsinn ist. Kürzlich erzählte mir mein Neffe, er sei über's Wochenende in Los Angeles gewesen. Nun frage ich Sie: war der wirklich dort? Hat der wirklich wahrgenommen, um die halbe Welt gereist zu sein? Das war bloß eine Spielerei, diese Art von Reisen bringt gar nichts. Um solche Sinnlosigkeiten dreht es sich in meinem nächsten Projekt genauso wie in meinem alten: im "Boot" war es der Wahnsinn, Menschen in einer Stahlzigarre durch den Ozean schippern zu lassen; das "Atomschiff" erzählt von einer Reise Anfang der 70er Jahre auf einem atomgetriebenen Schiff, ein Profilierungsobjekt der Bundesrepublik, ohne Rücksicht auf die Risiken. Das Atomschiff mit seinem heißen Ofen ist mit dem Boot und der Festung der letzte Teil einer Trilogie des menschlichen Irrtums.

ruprecht: Und gegen den schreiben sie an?

Buchheim: Nein, das wäre sinnlos. Jemand, der in einer Hühnerlegebatterie den Mist wegräumt, für den ist der Gedanke an einen Krieg doch eine Befreiung - obwohl Krieg nichts verbessern würde. Diese Art Irrtümer wird es immer geben.

ruprecht: Ein sehr pessimistischer Ausgangspunkt.

Buchheim: Ich würde es nicht Pessimismus nennen - eben eine andere Art, die Dinge zu sehen. Außerdem: Warum denken Sie so schlecht über Pessimismus? Es gibt Menschen, die wären ohne ihren Pessimismus sehr unglücklich (lacht).

ruprecht: Es fällt auf, wie wenig Sie ihren Romanfiguren gleichen: dort der Gammel im Boot, das Leben ein einziger Irrtum; und hier der Kunstsammler, Ausstellungsplaner, Schriftsteller Buchheim. Wie kommt es zu diesem Unterschied?

Buchheim: Gegenwelten wirkten schon immer faszinierend auf mich. Als Zehnjähriger habe ich die Demonstrationen der Roten erlebt: der Aufruhr auf den Straßen, das war unglaublich spannend. Oder die heutige Libertinage! Ein Bekannter erzählte von seiner USA-Reise, daß ihm dort im Kino, kaum daß das Licht gelöscht war, in den Hosenschlitz gegriffen worden ist. Der war davon überhaupt nicht begeistert! Aber ich erinnere mich auch an eine Episode meiner Schulzeit. Alle Schüler mußten in der Aula den Sermon eines Wanderpredigers über sich ergehen lassen, in dem Rückenmarksschwund als Folge von Onanie dargestellt wurde. Was ist da besser - die Libertinage oder der Psychoterror? Auch der Krieg wirkte als Gegenwelt auf mich. Zwar hat der Krieg meine Generation gebrochen, und die Nachrichten aus Bosnien und Burundi sind für mich schrecklich. Aber die Faszination bleibt. Das treibt einen an.

ruprecht: Also verfolgt Sie die Kriegserinnerung?

Buchheim: Nein, von Verfolgungsgefühlen ist keine Rede - der Krieg ist mehr eine Art Reservoir. Was mich deprimiert, ist weniger der Krieg und solche Dinge, sondern eher, was es auf der Welt für Schweine gibt.

(Interview: gan)


Propaganda?

Die "Jäger" im Kreuzfeuer

Sitzt man dem heute Achtundsiebzigjährigen gegenüber, wirkt Buchheim wie ein Energiebündel: Seine Unternehmungslust scheint unerschöpflich zu sein. Keiner, der sich von körperlichen Gebrechen bremsen läßt. Genausowenig wie von den vielen Stimmen, die seine Projekte immer wieder kritisieren.

In der "Festung" meinten seine Gegner Munition für neue Angriffe gefunden zu haben. Buchheim beschreibt darin, wie er sich in dem von Bombenangriffen verwüsteten Berlin um die Neuauflage des "Jäger im Weltmeer"-Bandes bemühte. Nicht nur aus schriftstellerischem Ehrgeiz, sondern weil das Buch auch zur Überlebenssicherung seines Verlages und des Verlegers beitragen sollte. Peter Suhrkamp war gerade von der Gestapo verhaftet worden.

Dieses Buch, dessen Auflagen bis auf wenige Exemplare im Krieg verloren ging, wurde im "Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" als "Propagandafibel" bezeichnet und als Beweis für die angebliche nationalsozialistische Gesinnung des Kriegsberichterstatters Buchheim angeführt. Andere Publikationen zogen nach.

Herrenrasse ausgelassen

Jetzt ist der Nachdruck erschienen. Der originale Text- und Bildteil wird von einem Vorwort Buchheims und einem Nachwort eines vom Verlag gewählten Journalisten begleitet. Buchheim berichtet, welche Zwänge und welche Atmosphäre die Entstehung des Buches bis 1943 bedingten. Doch "Jäger im Weltmeer" spricht für sich selbst - wenn man berücksichtigt, daß ein Buch, daß 1943 gedruckt wurde, eine Zensur durchlaufen mußte, die nicht nur regimekritische Inhalte unterband, sondern die schon bei einem zu liberalen Ton die Drucklegung verweigerte. Trotzdem lesen sich die "Jäger" anders als Titel mit ähnlichem Erscheinungsdatum wie etwa "Kampf um Norwegen". Im Vordergrund steht nicht Kriegsbegeisterung nach dem Dönitz-Motto "Achtung-ran-versenken", sondern Bordalltag und die technische Routine. Der Wille des Autors, die Wirklichkeit zu beschreiben, also das, was auch den Reiz der neuen Bücher Buchheims ausmacht, ist bei der Schilderung eines Fliegerangriffs genauso zu spüren wie bei der Auswahl der Bilder. Viel Enge, bärtige, sehr junge Gesichter zwischen Stahlarmaturen, Körper in schmuddeligen Overalls; auch eine Dampferversenkung, einige Bilder unter der Überschrift "Freude über den Sieg" - aber von deutscher Herrenrasse ist hier nichts zu sehen.

Buchheim ist bestimmt niemand, über den man nicht streiten könnte - alles andere wäre ihm vermutlich selbst unangenehm. Der Nazi Buchheim existiert aber nicht.

L.-G. Buchheim, Jäger im Weltmeer. Mit einem Vorw. des Autors und einem Nachw. von Alexander Rost, Hamburg 1996, 135 S.

(gan)


Zu Artikel und Interview über Lothar-Günther Buchheim erreichte uns ein Leserbrief, den wir Euch der Länge wegen nur hier, im WWW, bereitstellen können.

Durch die Welt des Schönen

Klassiker der Kunstgeschichte halten, was sie versprechen

Ich hatte gehört, der DuMont-Verlag habe zehn Klassiker der Kunstgeschichte auf den Markt geworfen. Zu den Instinkten eines Jäger und Sammlers regrediert, hastete ich in den nächsten Buchladen. "Sie sind heute schon der dritte, der danach fragt. Wir haben schon nachbestellt" bekam ich zu hören. Eine Woche später hatte ich die zehn Taschenbuchbändchen endlich in der Hand. Was also hat es mit den zehn Klassikern auf sich ?

Der DuMont-Verlag feiert sein 40jähriges Bestehen und hat zu diesem Anlaß "Zehn Klassiker der Kunstgeschichte" zum fairen Preis von 98 Mark herausgegeben. Greifen wir doch einfach wahllos in den Schuber und ziehen ein Bändchen raus:

Erwin Panofsky

"Der Geisteswissenschaftler, der auf seine Art mit menschlichen Handlungen und Schöpfungen umgeht, muß sich auf einen geistigen Prozeß synthetischer und subjektiver Art Natur einlassen: Er hat im Geist die Handlungen nachzuvollziehen und die Schöpfungen nachzuschaffen. In der Tat treten die wirklichen Gegenstände der Geisteswissenschaften durch eben diese Verfahren ins Dasein." So definiert Erwin Panofsky in seinem Aufsatz "Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin" sein Fach. Der Text wurde geradezu ein "Prolegomena zu einer jeden künftigen Kunstgeschichte".

Panofsky zeigt den Zirkel zwischen wissenschaftlichem Erklären und nachbildendem Verstehen, zwei Aspekte, die beide für das Fach unerläßlich sind. In Anlehnung an Leonardo da Vincis Ausspruch 'Zwei Schwächen, die sich gegeneinander lehnen, addieren sich zu einer Stärke', fordert er die gegenseitige Ergänzung der beiden Teilbereiche: die Hälfte eines Torbogens kann noch einmal aufrecht stehen - zwei halbe Torbögen vereinigt tragen das Dach einer Kathedrale. Ebenso müssen sich archäologische Forschung und ästhetisches Nachschaffen aneinander lehnen.

Was Panofsky in seiner Einleitung verspricht, hält er auch. Spannend führt er den Leser anhand des Begriffs Ikonographie (die er als Lehre der Bedeutung von Kunstwerken, in Abgrenzung zu deren Form definiert) in die Kunst der Renaissance ein. Ein anderer Artikel behandelt die Beurteilung Gotik in der italienischen Renaissance, ein weiterer Dürers Stellung zur Antike. Was zunächst vielleicht trocken klingt, entpuppt sich bald als ein lehrreicher Spaziergang durch die Kunstgeschichte.

Wenn Panofsky beispielsweise den Aufgabenbereich der Ikonographie anhand eines grüßenden Nachbars erläutert, hat man den Eindruck, Umberto Eco habe hier seinen Stil geformt und gelernt, semiotische Probleme anhand von Hundefutterreklame zu diskutieren.

Doch durch Panofskys Texte klingt bei aller Unterhaltsamkeit auch ein ernsthafter Appell durch: das Kulturerbe ist weiterzugeben, die Auseinandersetzung mit den Vorfahren und ihren Werken nicht zu scheuen, auch wenn dieses mit Arbeit verbunden ist, denn "unter geisteswissenschaftlichem Blickwinkel altern menschliche Zeugnisse nicht."

Rudolf Arnheim

Rudolf Arnheim, der bis 1933 Kulturredakteur der "Weltbühne" unter Carl von Ossietzky war, emigrierte 1939 zunächst nach England und schließlich in die USA, wo er in Harvard Kunstpsychologie lehrte. Aufgrund seines auch psychologischen Ansatzes befruchtete er vor allem die Teilgebiete der Kunstgeschichte, die sich mit dem Phänomen des Ästhetischen beschäftigen, beispielsweise die Semiotik. In Deutschland ist Rudolf Arnheim als Autor der Bücher "Kunst und Sehen" und "Anschauliches Denken" bekannt.

Der von den Herausgebern aufgenommene Text Arnheims trägt einen Titel, der einen zunächst die Stirn runzeln läßt: "Entropie und Kunst". Was soll Entropie, das Thema des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, mit Kunst zu tun haben? Nun, dieser macht Aussagen über Ordnung und Unordnung in physikalischen Prozessen. Entropieänderung findet statt, wenn sich der Tee aus dem Teebeutel im Wasser verteilt. Entropie also das Maß für Ordnung - oder Chaos, je nachdem, ob man ein schwarz-weißes Schachbrettmuster chaotischer findet als eine graue Fläche oder umgekehrt. Daher heißt der Untertitel zu Arnheims Text auch "Versuch über Unordnung und Ordnung". Er untersucht das Zusammenspiel der beiden einander bedingenden Prinzipen, die ohne das jeweilige Gegenstück nicht denkbar sind. Damit versucht er ein Kriterium in den Aporien moderner Kunst zu etablieren, einen Orientierungspunkt im Labyrinth zeitgenössischer Ästhetik.

Die Edition

Ein kleiner Zusatzband stellt das Leben und Werk der zehn Kunsthistoriker kurz vor und leitet in die jeweiligen Texte ein. Besonders lobenswert sind die bibliographischen Hinweise, die nicht nur alle Fußnoten enthalten, sondern zusätzlich eine komplette Liste der Veröffentlichungen des jeweiligen Autors. Listen mit empfohlener weiterführender Literatur, zahlreiche Abbildungen, Zeittafeln und Namenregister zeigen, daß hier editorisch saubere Arbeit geleistet wurde. Die Auswahl der Texte mag etwas wilkürlich erscheinen, doch die "Zehn Klassiker" wollen ja vor allem Appetit auf mehr machen, und keine zusammenhängende Darstellung liefern. Die zehn Klassiker sind Spaziergänge durch die Welt des Schönen: unterhaltsam, spannend, lehrreich. (fw)

Zehn Klassiker der Kunstgeschichte, DuMont Verlag Köln, 98,- DM


"Revolutionäre Pflicht"

Wilhelm von Sternburgs Biographie über Carl von Ossietzky

Am 1. Juli 1932 ist der Verhandlungssaal des Charlottenburger Schöffengerichts zum Bersten voll. Freunde und Kollegen Ossietzkys drängen sich auf den Holzbänken, während Ossietzkys Verteidiger unzählige Zitate aus der Weltliteratur aufführt, die inhaltlich mit der These übereinstimmen, wegen der sich Ossietzky verantworten muß: "Soldaten sind Mörder" hieß es in einem von ihm herausgegebenen Artikel seines Kollegen Kurt Tucholskys. Im Schlußplädoyer ergreift Ossietzky selbst das Wort. Er stellt sich vorbehaltlos hinter den Artikel seines Kollegen und erklärt: "Jeder Frontsoldat würde einen solchen Vorwurf einstecken, höchstens Offiziere könnten sich beleidigt fühlen, die in den Krieg einen Ehrbegriff hineingebracht haben, der nicht in ihn hineingehört." Der Prozeß endet mit einem Triumph für Ossietzky: Er wird freigesprochen.

Doch Carl von Ossietzky bleibt Skeptiker: "...so gewiß der Freispruch juristisch berechtigt ist, so selbstverständlich finde ich ihn nicht. Unsere politische Justiz trägt nun einmal einen Lotteriecharakter", schreibt er wenige Tage später an Tucholsky. Dieser seltene Sieg kann sein Vertrauen in die deutsche Justiz nicht wieder herstellen.

Die neue Biographie Carl von Ossietzkys, die jetzt im Aufbau-Verlag erschienen ist, macht verständlich, wie schwer es Freidenker im wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik hatten. Dem Autor Wilhelm von Sternburg gelingt es, Ossietzky in seiner Zeit zu zeigen. Durch diese doppelseitige Darstellungsweise leistet sein Buch vielmehr als eine Biographie: Es vermittelt ein Bild der Gesellschaft und der politischen und geistigen Strömungen, gegen die Ossietzky sein Leben lang unermüdlich anschrieb.

In tausenden Artikeln rannte er gegen den Militarismus, Nationalismus und Stumpfsinn der Deutschen an und ließ sich dabei von keinem Rückschlag niederschmettern. Schon früh war er dabei kompromißlos - auch mit sich selbst. Er war bereit, für seine Überzeugungen den Kopf hinzuhalten. Schon vor 1914 hatte er im Organ der Demokraten und Pazifisten, der Zeitung "Das freie Volk", gegen die Kriegshetzerei Stellung bezogen. Im April 1914 kommentierte er die Ausweisung zweier Däninnen folgendermaßen: "Nur ein Volk, das in den Niederungen des Nationalismus watet, kann von einer Clique von Junkern und Großkapitalisten gegängelt werde."

Auch als er selbst zum Kriegsdienst eingezogen wird, läßt er nicht von seinen Überzeugungen ab. Als der Ausbilder den Rekruten beim Fahneneid zynisch entgegenbrüllt: "Freidenker, Atheisten, Sektierer, Gottlose - vortreten!" tritt Ossietzky ohne zu zögern aus der Reihe und genießt das verdutzte Gesicht des kaiserlichen Offiziers.

Als gemäßigter Pazifist geht er in den Krieg - als radikaler Pazifist kehrt er zurück, entsetzt über das Grauen des Krieges, voller Haß auf jene, die ihn verursacht haben. Er formte den Aktionsausschuß "Nie wieder Krieg", eine Gruppe des "Bündnisses der Kriegsteilnehmer". In der ereignisreichen Zeit der ersten Weimarer Jahre setzt er seine ganzen Hoffnungen in die neue Republik. Denn der revolutionäre Ursprung der Republik enthielt seiner Ansicht nach auch eine revolutionäre Verpflichtung. Als Herausgeber der kritischen Wochenzeitung "Die Weltbühne" verteidigt er daher die Weimarer Republik bis zuletzt.

Wenn von Sternburg schreibt, Ossietzky sei "in seinem Herzen ein Patriot" gewesen, so hat er wohl Recht. Als Herausgeber der Weltbühne drückt er immer wieder seine Entäuschung über die Deutschen aus, die einem Hitler in die Arme laufen. "Wie groß muß die geistige Verstumpfung eines Volkes sein, das in diesem albernen Poltron einen Führer sieht...?"

Und obwohl er sich besonders gegen Ende "Sozialist" nannte, blieb er doch immer ein klassischer Parteiloser, der ohne Rücksicht nehmen zu müssen seinen klaren, analytischen Blick in alle Richtungen wenden konnte. Die Rechten waren seine erklärten Feinde. Doch auch die Kommunisten waren nicht vor seiner Kritik sicher, ja selbst der Berliner Schickeria der goldenen Zwanziger hielt er gnadenlos den Spiegel vor.

D iese konsequente Unverbiegsamkeit behielt er unermüdlich bei, obwohl ihm klar war, wie hoch der Preis sein konnte. Am 20. Februar hielt er die berühmte Rede vor der Mitgliederversammlung des Schutzverbandes Deutscher Journalisten: "Wir wissen nicht, was im einzelnen geschieht. Aber das eine wollen wir uns gegenseitig in die Hände geloben, daß wir, ganz gleich wohin wir auch in den nächsten Tagen und Wochen verschlagen werden, in Gefängnisse, Zuchthäuser, Konzentrationslager oder in die Emigration, uns selber treu bleiben werden. Wir werden keine Konzessionen machen und werden überall dort, wo ein Geßlerhut aufgesteckt wird, in schweigender Verachtung vorübergehen." Eine Woche später waren alle Anwesenden von den Nazis verhaftet und verschleppt.

Ungebrochen durchleidet Ossietzky die Haft im Konzentrationslager. Während ihn die SA-Leute mißhandeln, liegt er stumm am Boden,"ohne Protest, ohne seinen Schmerz zu äußern", wie Zeitzeugen berichten. Im Mai 1936 wird er schließlich wegen einer akuten Lungentuberkulose in ein Polizeikrankenhaus verlegt. Im November wird ihm in Abwesenheit rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 verliehen, eine Entscheidung, die weite Teile der deutschen Exilgemeinde mit Begeisterung aufnehmen. Hermann Göring versucht persönlich, Ossietzky dazu zu überreden, den Preis öffentlich abzulehnen. Er verspricht ihm die Entlassung binnen drei Tagen, eine Rente auf Lebenszeit, lockt ihn, brüllt. Doch Ossietzky bleibt hart. Auf einer improvisierten Pressekonfenrenz im Krankenhaus erklärt er den ausländischen Journalisten in Anwesenheit von Gestapo-Beamten, er sei Pazifist geblieben. Doch sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends.

Als er 1938 stirbt, wird eine öffentliche Beerdigung verboten. Bei der Beisetzung der Urne sind nur seine Frau, sein Arzt und dessen Frau, seine Mutter und drei Gestapo-Beamte anwesend.

Von Sternburgs Buch liest sich flüssig, spannend - und verliert doch nicht an Anspruch. Ein ausführlicher wissenschaftlicher Apparat macht die Darstellung nachvollziehbar. Auf der Grundlage der Oldenburger Werksausgabe Ossietzkys und unzähligen anderen Quellen zeichnet von Sternburg in seinem Buch nicht nur ein klares Bild eines deutschen Aufklärers. Es gelingt ihm vor allem, eine Gesellschaft zu zeigen, die uns in ihrem autoritären, nationalen und militaristischen Denken weit entfernt scheint, deren Spuren jedoch bis in die Gegenwart reichen. (fw)

Wilhelm von Sternburg: 'Es ist eine unheimliche Stimmung in Deutschland'. Carl von Ossietzky und seine Zeit, Aufbau-Verlag Berlin, 39,90DM


*Zur ruprecht-Titelseite