Reportage


Wo bleibt die Politik?

Bier, Bomben, Besinnung: Belfast ist anders

Man hatte sich das alles ein bißchen anders vorgestellt. Mehr Bomben zum Beispiel, mehr Drohungen, mehr IRA-Bekenner, irgendwie mehr action - und vor allem: mehr Politik.

Weit gefehlt. Belfast mausert sich, baut, bildet, lebt und säuft. Es ist das schöne, reiche Belfast, dort wo das Zentrum und die Universitäten sind. Hier ist alles grün. Überall elegante Parks, in denen Gärtner im Herbst mit nicht enden wollender Geduld die Blätter vom englischen Rasen entfernen. Die Backsteinhäuser im viktorianischen Stil, mit Erkern und Giebeln, sind sauber, hübsch, gepflegt. Die protestantischen Kirchen gleichen eher Palästen denn Kirchen; riesige Anlagen, die keinen Zweifel darüber lassen, daß die Bauten nicht nur für den Gottesdienst da sind, sondern auch um protestantische Präsenz, protestantischen Wohlstand und Überlegenheit zu demonstrieren.

Einziger Zeuge der bis heute brisanten politischen Lage ist das britische Militär. In schwergepanzerten Jeeps richten von der Dachluke Soldaten mit todernsten Gesichtern ihre Gewehre auf die Passanten. Doch sie werden ignoriert. Keiner dreht sich um, keiner verliert ein Wort darüber. Es ist wie mit den Bomben. Neulich ging nachts eine im Zentrum hoch. Niemand kam zu Schaden. Warum darüber reden?

Wenn die Nordiren auf Politik angesprochen werden, seufzen sie und meinen: "Ach ja, wenn es doch Frieden wäre." Das ist das politische Credo von Protestanten und Katholiken geworden. Mehr können oder wollen sie zur Politik meist nicht sagen. Ein nordirischer Jugendlicher - gefragt, ob er Nordirland gerne mit der Republik Irland vereint sehen würde - lacht und erklärt: "Ich will eine Bier-Republik!" Demonstrativ nimmt er seinen protestantischen Freund in den Arm. Wirklich wichtig ist der Alkohol. Er ist das A und das O. Auch und besonders an der Universität. Wer Erstsemester ist, muß mit seinen 18 Jahren erst mal ausführlich die neugewonnenen Freiheiten genießen, rauchen, kiffen, trinken; die Spange, die noch im Mund steckt, um das Gebiß zu regulieren, stört dabei ja nicht. Nichts ist den Studierenden ferner als Politik.

Als die Studierendenvertretung eine Podiumsdiskussion mit einem Mitglied Sinn Feins, dem sogenannten politischen Flügel der IRA, und einem Politiker der protestantischen und pro-britischen Unionisten veranstaltet hatte, war der Anklang gering. Die Fragen aus dem Publikum waren gemäßigt, niemand erhitzte sich. Alles verlief eintönig ruhig, und jeder der Politiker wurde am Schluß artig mit Beifall bedacht.

Doch es gibt noch ein anderes Belfast. Die tristen Viertel an der "peace-line". Die "peace-line", ein Stacheldraht und eine Mauer, trennt Katholiken von Protestanten und kann, wenn es hart auf hart kommt, Schlimmstes verhüten: daß kein Protestant ein Blutbad bei den Katholiken anrichtet und umgekehrt. Es gibt kaum Grün, die Kinder sind frech und verdreckt. An den Häuserwänden, vor denen sie spielen und die Leute nach einer Zigarette anpöbeln, prangen die haßerfüllten Graffitis: Schwarzvermummte Männer knieen mit ihren Waffen vor der Flagge - dem Zeichen der "Ulster Volunteers" oder einem IRA-Emblem; je nachdem ob protestantisch oder katholisch, Fäuste ballen sich. Hier sieht man verstärkt das britische Militär. Wieder mit todernsten Gesichtern patrouillieren die Soldaten, die Gewehre im Anschlag. An Fahnenstangen flattert die irische Flagge, die "Union Jack", die Flagge der protestantischen Orangemen...

Viele der kleinen, bescheidenen Reihenhäuser sind zugemauert und verlassen. Zu viel gelebte Politik für die Bewohner, zu viel Gewalt. An der Ecke steht in Lebensgröße eine marmorne Kreuzigungsgruppe. Jesus, leidend den Kopf gesenkt. Maria kniet davor und weint. Ja, so hatte man sich das eigentlich vorgestellt.

Mit beklommenem Gefühl verläßt man dieses andere Belfast. In fünf Minuten ist man im Zentrum mit mondänen Geschäften. In fünfzehn Minuten an dem großen Hafen, der einst der größte der Welt war und in dem die Titanic gebaut wurde. Angesichts des florierenden Handels wird einem klar, wieso selbst einige Katholiken in Nordirland die enge Verbindung zu England gutheißen. In den Pubs wird getrunken, am Tag und nachts bis Punkt zwölf. Das ist die Politik im anderen Belfast.

(hee)


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