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Heidelberg


Beklemmende Bilder

Kulturzentrum der Sinti und Roma eingeweiht

Mit einem großen Festakt vor knapp zwei Monaten wurde das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg eingeweiht. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die Beiträge der deutschen Sinti und Roma zur Kultur der Bundesrepublik Deutschland sichtbar zu machen und ihre Rolle in Literatur, Musik, Theater, Kunst, Wissenschaft und Zeitgeschichte aufzuzeigen.

Den Mittelpunkt bildet die Dauerausstellung zum Schicksal der Sinti und Roma während der nationalsozialistischen Diktatur, die - auf 600 qm über drei Stockwerke verteilt - ein beeindruckendes und beklemmendes Bild dieser Zeit vermittelt. Nur kurze einführende Texte schaffen Zugang zu den abgebildeten Fotografien, Briefen, Formularen und Zitaten zur Machtergreifung, Entwicklung der NS-Diktatur, dem Holocaust und der Widerstandsbewegung. Der Besucher soll anhand dieser Originaldokumente ein nicht durch sekundäre Kommentare beeinflußtes Bild der Rassenideologie, der Erfassung und Ausgrenzung entwickeln. Herausgegriffene Einzelschicksale dokumentieren stellvertretend die Ermordung zehntausender Sinti und Roma. Kurze Originalfilme und Diaserien intensivieren die Auseinandersetzung. Den letzten Teil der Ausstellung bildet die zentrale Gedenkstelle für die Ermordeten, deren über dreißigtausend Namen hier aufgeschrieben sind.

Neben der Dauerausstellung werden auch Wechselausstellungen zu anderen Themen hier stattfinden. Zudem bietet das Kultur- und Dokumentationszentrum Tagungen und Seminare zur Situation von Minderheiten an. (jm)

Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Zwingerstr. 18, Tel.: HD/98 11 02


Heidelberger Profile: "Die Uni ist kein Warenhaus"

Alt '68er und Grüner Dietrich Hildebrandt

[Dieter Hildebrandt]
     In Luckenwalde bei Berlin geboren, kam Dietrich Hildebrandt 1953 mit acht Jahren als DDR-Flüchtling nach Heidelberg.Foto: papa   

Zwischen Dietrich Hildebrandts ersten politischen Aktivitäten gegen die Notstandsgesetze und seinem Einzug in den baden-württembergischen Landtag 1996 liegt ein politisch bewegtes Leben: vom SDS über die Maoisten zu den Grünen. Seit 1996 ist er nun Europa-politischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion.

Ich ging die Hauptstraße runter und wollte eine Wohnung, eine Arbeitsstelle und eine Frau." Zwei Jahre lang hatte Dietrich Hildebrandt im Allgäu Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Das reguläre Lehramt kam für ihn trotz Staatsexamen in Germanistik, Romanistik und Geschichte nicht in Frage. Mitte der 70er Jahre hatte er ein Jahrzehnt heftiger politischer Auseinandersetzungen hinter sich.

Im Rahmen der Proteste gegen die Notstandsgesetze begann sein politisches Engagement im Frühjahr 1967. Im Herbst '67 trat er dem SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) bei, "einer damals noch sektiererischen Minderheit, die zu siebt im Hinterzimmer Lenin, Marx und Bakunin las". Hier traf er auf all die Literatur, die im Muff der Adenauer-Ära nicht in der Öffentlichkeit vorkam. ,Heute hört man oft, Adorno sei damals prägend und überall präsent gewesen - alles Quatsch! Das war damals ein absoluter Geheimtip!" Da sich Hildebrandt mehr und mehr auf ein Alternativstudium dieser Geheimtips, die oft nur als Raubkopien zugänglich waren, konzentrieren wollte, machte er im Hauptstudium nur noch die notwendigsten Scheine. Nach den schockierenden Begegnungen mit dem ungebrochenen Militarismus in der Bundeswehr war er mit großen Erwartungen an die Universität gegangen. Von der Hochschule war er enttäuscht, sowohl was die wissenschaftlichen Inhalte als auch was die Lehrenden betraf.

Als '68 Rudi Dutschke angeschossen wurde, beteiligte sich Hildebrandt an den Boykottaktionen des SDS gegen die Springerpresse. Die Grenze zwischen legitimen Aktionen, Krawall und Terror war intern heiß umstritten.

Als der SDS sich in den folgenden Jahren in kleinere Grüppchen aufspaltete und die Bewegung immer weiter abflachte, weigerte sich Hildebrandt, seine Ideale einer gerechteren Gesellschaft aufzugeben. ,Zynisch werden, resignieren, einfach nur Geld verdienen oder einen Roman schreiben kam für mich nicht in Frage". Statt dessen geriet er in die Sackgasse des Maoismus.

Im Rückblick wundert er sich über sein damaliges Selbstvertrauen: eine zweite und bessere Auflage der Revolution in Gang setzten zu können erwies sich als Hybris. Wegen Beteiligung an einer Demonstration 1970 und an einer Rektoratsbesetzung wurde er 1974 wegen Nötigung, Sachbeschädigung, Land- und Hausfriedensbruch zu 16 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der Austritt aus den maoistischen Gruppen 1977 war menschlich schwierig: ,Der Ausstieg brachte meist einen völligen Austauch des sozialen Umfelds mit sich".

1979 lernte er seine spätere Frau kennen, mit der er seit 1982 zusammenlebt. Mit ihr hat er drei Töchter: zweieinhalb, sieben und acht Jahre alt. Daß er erst mit 44 Vater wurde, kommentiert er folgendermaßen: ,Ich habe mit der zweiten Runde angefangen - unter Auslassung der ersten."

Sein Verhältnis zu seiner radikalen Vergangenheit umschreibt er heute mit dem Begriff der ,distanza di respetto" - Distanz zu der eigenen Geschichte, aber auch Respekt vor ihr.

Sein Weg zu den Grünen war kein plötzliches Umschwenken. Als er 1984 die GAL-Heidelberg mitgründete, hatte er eine mehrjährige selbstverschriebene Denkpause hinter sich und die Umweltbewegung bereits über Jahre aufmerksam verfolgt. Heute, nachdem sich die grüne Partei parlamentarisiert hat und Hildebrandt als Landtagsabgeordneter in Stuttgart arbeitet, achtet er darauf, ,daß wir nicht eines Tages feststellen, daß wir ursprünglich die Gesellschaft verändern wollten, und am Ende nur unsere Krawatten verändert haben."

Die Entwicklung in Heidelberg sieht er kritisch: Vor zwanzig Jahren sei die Altstadt Lebensraum der Studenten gewesen. Heute sei der öffentliche Raum durch Flaniermeile und Tourismus anonymisiert, Heidelberg sei zum ,Las Vegas Nord-Badens" verkommen.

In Bezug auf das Bildungswesen beklagt er vor allem das vorherrschende Verständnis der Uni als eines ,Bildungssupermarktes", der keinerlei Gemeinschaftsgefühl aufkommen läßt. Wenn Hildebrandt von der Uni-Krise, den überfüllten Seminaren und der personellen Unterversorgung hört, hat er ein déja vu. ,Es ist schon komisch: Die Zeiten haben sich geändert, die Studenten haben sich geändert, und trotzdem hört man dieselben Klagen." (lk, fw)


Klein, aber Elfenbein

Heidelberger Studenten machen Bücher

Gregor Eisenhauer war als Dozent am Germanistischen Seminar bereits bekannt; daß auch seine beiden Verleger Ortsansässige sind, wußten wohl die wenigsten. Der Elfenbein-Verlag wurde vor zwei Jahren von Heidelberger Studenten aus der Wiege gehoben. Seitdem sind vier Bücher erschienen. ,Man muß aus der Masse herausstechen", sagen die beiden Jungverleger Roman Pliske und Ingo Drzecnik angesichts der Horden von Geisteswissenschaftlern, die die Uni alljährlich mit einem Abschluß in der Tasche verlassen.
Wenn man den beiden so zuhört, erscheint ihre Arbeit gar nicht so schwierig: ,Ein Freund hat uns die Gedichte von Anreas Holschuh gezeigt, und wir haben beschlossen: Die geben wir als Buch heraus", erzählen sie über ihre erste Veröffentlichung ,Unterderhand". Eine Fortsetzung ihrer Verlegertätigkeit war damals noch nicht geplant.
Doch durch die zahlreichen Kontakte, die während der langjährigen Arbeit bei der Heidelberger Literatur- und Kulturzeitschrift ,Metamorphosen" entstanden sind, kamen immer wieder neue Texte auf den Tisch. Durch einen Bekannten stießen sie auf eine Druckerei in Tschechien, die die überarbeiteten Texte günstig in Buchform bringt.
Auch um die Werke an den Mensch zu bringen, sind Kontakte zu Buchhändlern unentbehrlich. Bei Auflagen zwischen zwei- und vierhundert kann man die Bücher nicht durch flächendeckendes Auslegen in Buchläden bekannt machen, sondern ist auf Presseveröffentlichungen, Lesungen usw. angewiesen. Das Geld für die bereits erschienenen Prosa- und Lyrikbände haben Pliske und Drzecnik auf eigenes Risiko vorgelegt. Angeregt durch das Motto der diesjährigen Leipziger Buchmesse will der Verlag sich ein neues Standbein in der modernen portugiesischen Literatur aufbauen. So erscheinen in den nächsten Monaten zwei Bücher portugiesischer Autoren, ,Cancoes-Lieder" von António Botto ist eines davon. ,Wir glauben, daß Botto ein bewunderungswürdiger Künstler ist; er ist in unserer Zeit geboren, er entspricht genau dem Typ des Ästheten, wie wir ihn definiert haben.", äußert sich Fernando Pessoa. Klingt doch vielversprechend. (cab, kh)


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