ruprecht Nr. 48 vom 5.6.1997 in einer Datei


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Verstohlener Exodus

Das Politikwissenschaftliche Institut vor ungewisser Zukunft

Wie es mit der Zukunft am IPW aussieht, ist noch Geheimsache. Die Kommissionen tagen, und deren Mitgliedern ist Schweigepflicht auferlegt worden. Auch die Professoren nehmen nur äußerst verhalten Stellung. Die Geheimniskrämerei provoziert Gerüchte. Der über dem IPW schwebende Pleitegeier läßt die Befürchtung aufkommen, daß das ganze Institut zur Jahrtausendwende den Sparmaßnahmen zum Opfer fällt. Zum nächsten Wintersemester werden schlimmstenfalls sechs Dozenten ihren Platz räumen. Sie sind nicht die einzigen, die es zu volleren Quellen zieht, die von der kurzsichtigen Landespolitik die Nase voll haben.

Besorgte Stimmen kommen aus der Fachschaft der Politologen, weil eine Assistenten-Stelle gestrichen wurde. Bei nur vier Assistenten ist die Auswirkung gravierender als bei besser ausgestatteten Instituten. Die für ein renommiertes Institut wie das IPW recht dürftig wirkenden zwei Lehrstühle stehen auf wackeligen Beinen. Ob der eine der zwei zum nächsten Semester frei wird, entscheidet sich erst Ende Juni. Wenn er wefällt, kehren auch zwei Assistenten dem Institut dem Rücken zu. Der Inhaber, Institutsdirektor Prof. Manfred G. Schmidt, hat einen Ruf nach Bremen erhalten und verhandelt noch mit beiden Universitäten. Der zweite Lehrstuhl, von Prof. Klaus von Beyme, wird 1999 durch seine Emeritierung frei werden. Ohne eine Wiederbesetzung durch C4-Professoren hätte das Institut keinen Lehrstuhl mehr. Ein dritter Lehrstuhl wird seit Jahren für den Pflichtbereich Internationale Beziehungen beantragt, der vor kurzem abgelehnt wurde. Prof. Frank R. Pfetsch und Dr. Andreas Busch werden für ein Jahr im Ausland forschen. Normalerweise unterliegen freiwerdende Professorenstellen einer zwölfmonatigen Besetzungssperre, Assistentenstellen einer sechsmonatigen. Daß die freiwerdenden Stellen wirklich dieser Sperrpflicht unterliegen werden, hofft am IPW keiner. Für Pfetsch und Busch sind Vertretungen zugesichert worden. Bei Wiederbesetzungsmöglichkeiten für die restlichen Stellen können andere Institute abschreckende Beispiele geben: Bei den Historikern war nach der Emeritierung eines Professors dessen Platz vier Semester vakant. In einer ähnlich desolaten Lage versucht die Neuphilologie den Unterricht durch Lehraufträge am Leben zu erhalten: Mehrere Professuren sind seit Semestern unbesetzt.

Das IPW ist schon jetzt von der personellen Ausstattung her unterbelegt. Wo dieses Semester 17 Proseminare angeboten werden, stellen zum WS höchstens neun die Basis eines hochwertigen Studiums dar. Die Kapazität ist bei Seminaren mit bis zu 80 Studenten erschöpft. Konsequenz: Auch die Studenten ziehen langsam aber sicher ab. Zum WS 88/89 immatrikulierten sich 170, WS 90/91 150 und WS 94/95 knapp 130.

Nicht nur die Studenten klagen, auch Professoren kritisieren die Überlast des Instituts, in dem "trotz abnehmender Mittel immer eine gute Lehre gewährleistet wird", wie Schmidt versichert. Aber: "Die Arbeitsbedingungen sind in Bremen besser. Es herrschen Bedingungen wie an einer US-amerikanischen Spitzenuni." Seine Lehrverpflichtung sänke dort auf vier SWS, Personalmangel gibt es nicht. Ähnliches kommt von dem Studiendekan Prof. Pfetsch, der einen Ruf an das Institut d'Etudes Politiques in Paris erhalten hat und dort für die nächsten zwei Semester unter besseren Bedingungen forschen wird. "Ein wichtiger amerikanischer Kollege und ein Prestige-Lehrstuhl sind mehr, als die Landesregierung es sich kosten läßt, die Professoren im Land zu halten." Wenn die Forschungsleistungen von der Landesregierung nicht belohnt werden, "das Input in keinem Verhältnis zum Output steht", fehlt das Verständnis für die hohlen Worte des Wissenschaftsministers. Der fordert nämlich mehr Profil und Qualität von den Hochschulen, in der irrigen Annahme, daß das durch seine Politik realisierbar sei. Kurz und bündig faßt Busch die Situation zusammen: "Es ist schon bitter, daß von der Politik immer Leistung gefordert wird und dann mit dem Rasenmäher gekürzt wird."

Stimmen nach studentischem Protest werden laut. Busch: "Die Studenten haben beide Hände auf der Hupe und beide Füße auf der Bremse. Ich finde es erstaunlich, daß sie zum Jagen getragen werden müssen", kritisiert er. Die angesprochenen Studenten fühlen sich jedoch nicht informiert. Auf der Lehrplansitzung sei nichts Konkretes gesagt worden.

Maastrichts Schlagwörter - "Sparen, kürzen, entlassen" - lassen auch die Hochschulpolitik nicht kalt. Wie für die EU-Staaten der Strukturwandel gepredigt wird, wird er auch von den Unis gefordert. "Umstrukturierung" ist dabei ein Euphemismus, der hemmungsloses Kürzen bedeutet. Die Strukturkommission der Uni gibt den jeweiligen Fakultäten dabei vor, wieviel Prozent sie jeweils bei sich kürzen müssen. Kommen die Institute, wie zum Beispiel das IPW, nicht auf die von ihm geforderten 12,5%, waren deren arbeitsaufwendige Überlegungen, wie das Schlimmste zu verhindern sei, "für den Papierkorb gearbeitet. Die Erfahrungen der letzten Sparorgien haben gezeigt, daß auf Leistung und Qualität überhaupt kein Wert gelegt wird. Es wird dort gestrichen, wo Stellen freiwerden", beschreibt IPW-Dozent Uwe Wagschal die Situation. Wann und ob überhaupt die vakant werdenden Stellen wiederbesetzt werden, das kann "außer Allah" anscheinend keiner sagen. Auch Kirsten Pistel von der Fachschaftskonferenz bedauert, daß die Diskussion über Strukturen zugunsten des Sparens zurückgestellt wird. Optimistischer schätzt von Beyme, auf eine zwanzigjährige Lehrtätigkeit zurückblickend, die Situation ein: "Es gibt immer hysterische Wellen. Bis 1999 ist die ganze Sparhysterie vergessen." Nicht wahrgenommene Sparmöglichkeiten gibt es für ihn in anderen Bereichen. Die Eingliederung der PH in die Uni wäre beispielsweise eine Möglichkeit.

Eines der vielen Gerüchte, die kursieren, ist die Zusammenlegung vom IPW und den Politologen in Mannheim. Für eine ungefähr gleiche Anzahl von Studenten gibt es dort immerhin fünf C4-Professuren. Die Mannheimer Umstrukturierungen betreffen lediglich das Fachgebiet Zeitgeschichte, der Rest der Politologen bleibt verschont. Weder der dortige AStA noch der Pressesprecher hat von dem Zusammenlegungsgerücht gehört, und es wird auch nicht für realisierbar gehalten. Als zusätzliches Angebot schätzen die Studenten die Kooperation zwischen Mannheim und Heidelberg. "Durch das zeitaufwendige Pendeln ist das Angebot aber fast nicht durchführbar", erzählt ein Student. "Absurd", "mit Sicherheit nicht", "wo ist die Rationalität dafür? Wenn die Unis marode wären..." ist die einhellige Einschätzung der Professoren. Für die Distanz Mannheim-Heidelberg empfiehlt von Beyme den Studenten mehr Flexibilität. In Berlin führen Studenten täglich ähnliche Strecken.

Die auf das Mißmanagement angesprochenen studentischen Mitglieder der Strukturkommission unterliegen einer Geheimhaltung, dürfen demnach andere Studenten nicht informieren und weigern sich, Auskünfte zu geben, da sie sonst aus der Kommission ausgeschlossen werden. Der Pressesprecher der Uni, Dr. Michael Schwarz, möchte zur Situation am IPW ebensowenig sagen. Nur soviel: "Das spielt nur eine untergeordnete Rolle. Da laufen zur Zeit ganz andere Sachen." (mz)


Ey!

Daß ausgerechnet meine ehemalige Freundin B. mir eines Tages noch was beibringen würde, hatte ich eigentlich für ausgeschlossen gehalten (obwohl ich das Gefühl habe, daß unsere Beziehung anders verlaufen wäre, wenn sie mir die restlichen Buchstaben ihres Namens verraten hätte). Doch als ich B. kürzlich, viele Jahre nach unserer Trennung, zufällig wiedertraf, begriff ich endlich, was sich hinter dem Begriff des Freudschen Versprechers (im folgenden: F.V.) verbirgt. Bis dato hatte ich angenommen, es handle sich dabei um einen allenfalls für den ungeübten Laien wahrnehmbaren Sprachfehler des Couchtherapeuten, den seine Tochter Anna aber so entzückend fand, daß Vater Freud eine erste Ahnung des Ödipalen entwickelte - zumindest bis er begriff, daß sie dazu strenggenommen sein Sohn sein müßte (im übrigen der Ursprung des Freud-Wortes "Anna, ach, Anna!").

Seit meiner Wiederbegegnung mit B. weiß ich nun, wen wir im F.V. vor uns haben: den Judas unseres Unterbewußten nämlich. Denn wie es Menschen zu tun pflegen, die gute Freunde zu werden entschlossen sind, nahmen B. und ich im Café Medoc einen Kaffee zu uns. Ausgesucht höflich, wollte ich sie fragen: "Reichst du mir die Milch?" Tatsächlich sagte ich: "Du Miststück hast mein Leben ruiniert." Für einen Moment war mir, als sitze am Nebentisch der alte Wiener Nervenarzt.

Indessen fand ich bald heraus, daß der F.V. im Leben eher die Ausnahme darstellt. Häufiger sind Fälle, in denen Menschen aus reiner Dummheit anders reden, als ihnen gut tut, weshalb Beispiele für dieses Phänomen ja auch so zahlreich sind wie Schwule bei einem Marianne-Rosenberg-Konzert. Jeder hat doch auf einer Party den Gastgeber schon gefragt: "Wer ist eigentlich diese ordinär aussehende Person da drüben am Springbrunnen?" - wo "Weißt du eigentlich, was für eine attraktive Schwester du hast?" deutlich besser angekommen wäre. Auch B. ist da keine Ausnahme. Als wir uns verabschiedeten, sagte sie: "Nein, du kannst meine neue Telefonnummer nicht haben." Unnötig zu erwähnen, daß sie eigentlich meinte: "Meine Liebe für dich lodert wie am ersten Tag." Klassische Fehlleistung. (bpe)


Strafezahlen für den Bummelzug

Jetzt werden die ewigen Studenten abgezockt

Jetzt ist es soweit: Den Bummelstudenten hat das letzte Stündlein an der Uni geschlagen - solange sie nicht zahlen. Nachdem in diesem Semester hundert Mark "Verwaltungsgebühr" für alle im Lande eingeschriebenen Studierenden eingeführt wurden, hat der Landtag am 24. April tausend Mark "Strafgebühr" für alle an der Universität Immatrikulierten ab dem 14. Semester beschlossen.

Das Gesetz sieht ein Bildungsguthaben in Höhe der Semesterzahl der Regelstudienzeit plus vier weiterer Semester, bei Magister- und Diplomstudiengängen also 13, vor. Wenn dieses Guthaben aufgebraucht ist, muß gezahlt werden. Von dieser Regelung sind ungefähr fünftausend Studierende der Universität Heidelberg betroffen, immerhin mehr als ein Sechstel. Wer allerdings durchgängig in Heidelberg immatrikuliert war, braucht noch nicht um seinen Sparstrumpf zu fürchten, sondern sich einfach fleißig an seinen Schreibtisch zu setzen, denn er genießt für ein Jahr noch eine Schonfrist, wird also erst ab dem Wintersemester 98/99 zur Kasse gebeten. Schlecht bestellt ist es jedoch um Uniwechsler, denn die müssen vermutlich - warum auch immer - ab dem nächsten Semester schon tief in ihre Tasche greifen. Ganz sicher ist dies allerdings noch nicht: Das Gesetzblatt liegt den Universitäten seit letztem Mittwoch zwar vor, doch der Artikel über die Übergangsbestimmung ist derart unklar gefaßt, daß in der Univerwaltung erst einmal über dessen Auslegung gerätselt werden muß. "Das Ganze ist sehr vage", erklärt Eckhard Behrens, Leiter des Studentensekretariats, "wir müssen uns selbst erst darüber einig werden, wie wir das Gesetz anwenden."

Doch nicht nur das mißfällt ihm am Beschluß des Landtages. "Dieses Gesetz ist völlig falsch konstruiert, und ich hoffe, daß sie nicht das gemacht haben, was sie machen wollten", urteilt er scharf über die Politiker in Stuttgart. Eine "reine Disziplinarmaßnahme" sieht er darin, denn zur Finanzierung der Universitäten tragen die Einnahmen in keiner Weise bei. Zwar soll das Geld den Hochschulen erhalten bleiben, doch erst fließt es an das Land. "Das Nähere wird im Staatshaushaltsplan geregelt" - so drückten es die Stuttgarter aus.

Am meisten ärgert Behrens jedoch das "Gefasel" vom Baden-Württembergischen Bildungsminister Klaus von Trotha. Was dieser als Bildungsgutscheinmodell ausgibt, widerspreche völlig dem Sinn des ursprünglichen amerikanischen Modells.

Gar nicht einverstanden ist Behrens damit, daß von Trotha seinen Vorschlag mit "Bildungsgutscheinmodell" tituliert, denn entwickelt wurde ein Modell dieses Namens von dem Amerikaner Milton Friedman und unterscheide sich grundlegend von dem Trothaschen Vorschlag. Nach dem ursprünglichen Modell bekommen die Eltern ein Bildungsguthaben vom Staat, das sie bei Schule bzw. Universität für ihre Kinder einlösen können; das Trothasche Modell habe jedoch mit diesem - und somit mit Chancengleichheit - nichts zu tun. Denn das Geld, das gezahlt werden soll, komme statt den Universitäten dem Staat zugute.

Ungerecht ist das Gesetz überdies. Es gibt kaum Ausnahmefälle, und so werden z. B. Behinderte nach derselben Zeit zur Kasse gebeten wie Nicht-Behinderte; allein die Zahl der Semester, die man eingeschrieben ist, zählt. Einzige Ausnahme: Wer in gesetzlich vorgesehenen Gremien und Organen arbeitet, bekommt bis zu zwei Semestern gutgeschrieben.

Schon in diesem Semester machte sich die "Verwaltungsgebühr" bemerkbar: Ungefähr 1250 Studierende weniger als 1996 meldeten sich in Heidelberg zurück; in Städten wie Tübingen oder Freiburg war der Rückgang noch stärker. Die Gefahr, daß eine Abwanderung in andere Länder bevorstehen könne, sieht Behrens allerdings nicht: "Viele sind ortsgebunden und gezwungen, hier zu bleiben. Und die werden dann wohl oder übel zahlen."

Neben der Universität sind von dem Gesetz auch FHs, Kunsthochschulen, Berufsakademien und die PHs betroffen. Nur die Staatlichen Fachhochschulen für den Öffentlichen Dienst bleiben befreit. Aber auch an der PH Heidelberg ist man noch ratlos über das weitere Vorgehen. Das Gesetzblatt liegt zwar auf dem Tisch, derzeit heißt es dort aber: "Nichts Genaues weiß man nicht". Auch die Verwaltung der PH hält sich noch bedeckt. Herr Reuter vom Studentensekretariat muß mauern: "Jede Frage, die uns diesbezüglich gestellt wird, muß ich mit einem eindeutigem 'Jein' beantworten."

Eines ist aber schon jetzt abzusehen: Die Zahl der Betroffenen wird beim Lehrernachwuchs deutlich unter der Zahl der an der Universität Immatrikulierten liegen. Der Grund: Die Regelstudienzeit bei PH-Studenten liegt zwischen sechs (Grund- und Hauptschule) und acht Semestern (Sonderschulpädagogik). Man rechnet in Heidelberg mit 3 %, die im Herbst 1000 DM zusätzlich berappen müssen. Dieser relativ kleine Prozentsatz täuscht jedoch über die Realität hinweg, denn auch hier werden erst ab dem Wintersemester 98/99 alle Studierenden überprüft.

Wenn die Kapitulation unter den Bummelstudenten nicht allzu hoch ist, dürfte der nächste Gebühren-Boykott ja um einige tausend Querulanten erfolgreicher sein. (gz, jh)


Hochschule


Wer zweimal zahlt...

Hundert Mark reichen Klaus von Trotha nicht bei jedem

Einmal mehr wird im Landtag über die erhöhten Immatrikulationsgebühren von hundert Mark gestritten. Stein des Anstoßes ist diesmal allerdings nicht mehr die Erhebung dieser Gebühr als solche, sondern vielmehr die Tatsache, daß einige Studierende offensichtlich doppelt zur Kasse gebeten werden.

Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn Studierende sich beim Wechsel der Hochschule an der alten Hochschule rückmelden, um im Falle eines negativen Bescheids nicht völlig ohne Studienplatz dazustehen. Ist der Wechsel dann bewilligt, so besteht keine Aussicht, die schon bezahlte Gebühr zurückerstattet zu bekommen. Diese könne nur dann erfolgen, wenn die Studenten schon vor Semesterbeginn von Amts wegen exmatrikuliert worden seien, heißt es im Wissenschaftsministerium in Stuttgart. Dabei bezieht sich von Trotha auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes in Karlsruhe, in dem die Rechtmäßigkeit der Nichtrückerstattung bei Exmatrikulation auf Antrag des Studierenden festgeschrieben wird. Man mag nun argumentieren, daß zwei Rückmeldungen auch doppelte Gebühren nach sich ziehen. Dies ist aber insofern falsch, als daß die hundert Mark Rückmeldegebühr eben nicht dazu gedacht sind, die Verwaltungskosten abzudecken, da diese nur einen Bruchteil jener Summe ausmachen. Vielmehr wurde die Einführung mit dem "Äquivalenzprinzip" begründet: Studierende seien dank ihrer Stellung mit vielen geldwerten Vorteilen gesegnet, die andere nicht hätten. Die Gebühren seien also eine Gegenleistung für die "Erlangung der Rechtsstellung als Studierende".

Diese Argumentation bietet der SPD nun eine riesige Angriffsfläche. Carla Bregenzer, SPD-MdL, zeigte im Landtag fünf Beispiele auf, bei denen Leistungen nicht in Anspruch genommen wurden, die Gebühr aber dennoch nicht zurückerstattet wurde. So hatte sich beispielsweise ein Student für das Sommersemester zurückgemeldet, mußte sich aber noch vor Semesterbeginn aus persönlichen Gründen exmatrikulieren. Die Gebühr erhielt er nicht zurückerstattet, obwohl er die "studentischen Vorteile" natürlich nicht in Anspruch nehmen konnte.

Damit das "Äquivalenzprinzip" als Begründung nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit verliert, müssen Doppelzahlungen oder Zahlungen wie im oben geschilderten Fall von seiten des Ministeriums ausgeschlossen werden. Die einzige glaubwürdige Alternative ist die allgemeine Rücknahme der Gebühren. Dies wäre sicherlich der beste, aber auch der unwahrscheinlichste Schritt. Bleibt man beim "Äquivalenzprinzip", dann müssen die hohen Herren etwas Arithmetik nacharbeiten: Wer die Vorteile des Studierendendaseins einmal genießt, bezahlt einmal, wer sie nicht genießt, zahlt gar nicht, doppelt genießen geht nicht, doppelt bezahlen demnach auch nicht. Es ist doch alles ganz einfach. (hcp)


Entscheidung am 17.

Wählen, was das Zeug hält

Alle Jahre wieder werden auch die Studierenden zur Urne gerufen, um die studentischen Mitglieder im Senat, im großen Senat und in den Fakultätsräten zu wählen.

Während für die Fakultätsräte nur noch Fachschafter antreten, balgen auf Uni-Ebene bei den Wahlen zu Senat und großem Senat vier Listen um die studentischen Stimmen: die Fachschaftskonferenz, die Juso-Hochschulgruppe, der Ring Christlich-Demokratischer Studenten und die sozialistische Hochschulgruppe Roter Splitter.

Viel Einfluß ist es eigentlich nicht, um den die Kandidaten und Kandidatinnen da kämpfen: Im Senat, dem wichtigsten Gremium, sitzen drei Studierende (ebensoviele wie Mittelbau-Vertreter und sonstige Mitarbeiter) 29 Professoren gegenüber, in den anderen Gremien ist das Verhältnis ähnlich. Außerdem ist der beratende Ausschuß ("AStA"), den die studentischen Mitglieder in den Senaten bilden, gar keine Studierendenvertretung: Die darf es in Baden-Württemberg und Bayern gar nicht geben. Die Gewählten dürfen sich nur für die "sportlichen, kulturellen und musischen" Belange der Studierenden interessieren und unterstehen in allem der Rechtsaufsicht des Rektors. Die Mittel des Ausschusses - jede noch so kleine Ausgabe muß sowieso von der Uni-Verwaltung genehmigt werden - sind mit etwa 90.000 Mark pro Jahr in Heidelberg ziemlich bescheiden, weniger als an den meisten anderen Unis der Republik.

Deshalb geht es in Heidelberg bei den studentischen Wahlen weniger um Macht und Geld, sondern vor allem ums Prinzip: Die Fachschaftskonferenz hält Studierendenvertretung über die Fachschaften für erstrebenswerter als den "AStA". Sie versucht - seit acht Jahren mit Erfolg -, die absolute Mehrheit zu bekommen, um damit den "AStA" genau einmal tagen zu lassen und ihn dann einzuschläfern. Entscheidungen, die der "AStA" ohnehin nicht fällen darf, werden in der Konferenz der Fachschaften gefällt. Studentische Positionen - etwa zu den anstehenden Umstrukturierungen und Prüfungsordnungsänderungen - will die FSK direkt aus den Fachschaften in die Uni-Gremien tragen. Die anderen Hochschulgruppen halten davon verständlicherweise nicht so viel und stehen - so sehr sie sich auch politisch voneinander unterscheiden mögen - für ein prinzipiell anderes Modell, das im "AStA" eine Art kleines Studierendenparlament sieht, über das studentische Positionen artikuliert werden sollen.

Die Begeisterung der Wählerschaft für den Urnengang hält sich in ziemlich engen Grenzen: 12% bequemten sich 1996 zur Stimmabgabe. Gerade weil Studierende in Baden-Württemberg aber von Professorenschaft und Ministerialapparat so wenig ernstgenommen werden, sollten sie ihren Gestaltungsanspruch an der Hochschule mit einer ordentlichen Wahlbeteiligung kundtun. Das ist eigentlich nicht zuviel verlangt. (hn)

Gewählt wird am Dienstag, den 17. Juni, von 9-18 Uhr im Psychologischen Institut (Psychol., EWS, Japanol., Sinol., IÜD, IDF, Geront.), in der Neuen Uni (übrige Altstadtfächer), im Theoretikum INF 306 (Leute aus dem Feld) und in der Pausenhalle der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim.


Interview


"Wir wußten nicht, daß wir so intelligent sind!"

Das hessische Komikerduo "Badesalz" spricht über Kalauer, Klischees und Kritiken

"Se meking of" heißt die Show, mit der das Komikerduo "Badesalz" zur Zeit durch ganz Deutschland tourt. Spätestens seit der ARD-Fernsehserie "Och joh" und ihrem Debutfilm "Abbuzze" sind sie einem breiten Publikum bekannt und haben über die hessischen Landesgrenzen hinaus eine große Fangemeinde gefunden. Henni Nachtsheim und Gerd Knebel, beide aus dem Frankfurter Raum, sind die Erfinder der Kultfiguren Richie und Headbanger und von Herrn Seiler.

ruprecht: Wie war das Konzert gestern? Wart Ihr zufrieden mit dem Publikum?

Henni Nachtsheim: Von der Gesamtatmosphäre her sind wir total zufrieden. Das Publikum wirkte an beiden Abenden sehr flexibel. Bei einem Kalauer sind sie sich nicht zu schade zu lachen, aber kapieren auch Sachen, die in eine andere Richtung gehen. Man hat es ja manchmal, daß die Leute, hart gesagt, nur über Witze "unnerum" lachen, dann aber bestimmte Rollen überhaupt nicht kapieren, oder wenn es ihnen zu schwarz wird, die Luft anhalten. Das wirkt hier überhaupt nicht so.

ruprecht: Bezogen auf die Omas, die, weil sie das beste aus dem Tod ihrer Männer machen wollen, deren Organe und Körperteile zu Musikinstrumenten verarbeiten, stellt sich die Frage, ob es Grenzen für Euch gibt, wo Ihr sagt, das machen wir nicht?

Henni: Ja. Wir gehen zwar relativ weit, aber es gibt sicherlich Grenzen. Eine wichtige Grenze zum Beispiel ist, daß man auf der Bühne nicht eine einzelne Person, die wirklich existiert, anpißt. Das ist nicht unser Ding. Bei "Samstag Nacht" zum Beispiel kann ich es nicht leiden, wenn sich einer über das alte Gesicht von Inge Meysel lustig macht, es mit einer Lederhandtasche vergleicht. Das ist eine tolle Frau, die ein tolles Leben gehabt hat, die sich ganz spät als Lesbe geoutet hat. Und die hat es nicht verdient, nur weil jemand alt wird oder Falten kriegt. Wir würden zum Beispiel keinen Witz auf Kosten von so jemandem machen. Es sei denn, er ist 'ne Riesendrecksau.

ruprecht: Und wo nehmt Ihr die Ideen her?

Henni: Das ist eine Riesenmischung. Also teilweise Phantasie, sammeln, aufschnappen, weiterspinnen, auch auf der Suche nach eigenen skurrileren Ideen. Wie so Märchen. Es gibt dafür kein Format. Du hast ständig so einen Kassettenrekorder im Kopf an. Das haben wir jetzt schon seit über zehn Jahren.

ruprecht: Sind die Hessen ein liebenswertes Volk ?

Henni: Klar gibt es irgendwas, was wir an ihnen total mögen, aber es gibt auch teilweise was ganz Zynisches oder Schoppiges. Aber ich würde jetzt nicht sagen, der Hesse ist prinzipiell nur liebenswert.

Gerd: Der ist auch ein Stinkstiefel.

Henni: Der Hesse ist immer Fachmann. Weiß immer zu allem alles zu sagen, ob er Ahnung hat oder nicht. Das ist zum Beispiel sehr faszinierend.

ruprecht: Was habt Ihr vor Badesalz gemacht?

Henni: Also, ich war bei den "Rodgau Monotones" und der Gerd bei "Flatsch".

ruprecht: Habt Ihr eine Berufsausbildung ?

Henni: Nein, ich habe keine Berufsausbildung, nur ein ziemlich schlechtes Abitur. Und das war's. Ich war mal ein sehr guter Garantiesachbearbeiter bei Simca. (lacht). Ne, da gibt es nicht viel zu erzählen.

Gerd: So normal gearbeitet halt. Alles mögliche.Vom Fensterputzer bis nochwas. Kreuz und quer.

Henni: Also klischeemäßig. Ich les' immer hinten auf den Buchrücken bei irgendwelchen Schriftstellern, er war Fensterputzer. Aber das ist auch ganz gut, weil der Gerd dann immer bei mir am Auto noch die Fensterscheiben putzen muß, bevor wir losfahren. Da profitieren wir jetzt noch von.

ruprecht: Sind Eure Sachen gesellschaftskritisch?

Gerd: Wir legen es auf jeden Fall nicht so an. Wenn ich sehe, was die Leute teilweise so reininterpretieren, da gibt es ganz schlaue Sprüche drüber, was wir machen und ganz dumme. Da gibt es Sprüche, da haben wir gesagt, toll was die da alles denken, war gar nicht so gedacht. Es gibt ganz abstruse Abhandlungen darüber, in allen Zeitschriften vom Spiegel bis zur Zeit.

Henni: Wir wußten gar nicht, daß wir so intelligent sind.

Gerd: Man geht so an die Sache ran wie beim Komponieren, wie wenn du ein Stück machst. Daß einer nachher sagt, da hast du jetzt die und die Akkordwendung gemacht. Man kriegt ein Timing für eine kleine Form von einem Sketch oder einer Episode, manchmal sind's ja nur noch ganz kleine Einheiten, Gedankengänge. Das "obbe-unne" zum Beispiel. Es gibt so eine Form von Sturheit von zwei Leuten. Die Vorstellung, daß zwei Leute nie aus dem Haus kommen, weil einer immer den Pullover wechselt. Das werden wir auch demnächst als Kurzfilm drehen.

Henni: Es gibt zumindest nicht diesen Anspruch zu sagen, wir wollen das mit aller Gewalt machen.

ruprecht: Da ist doch zum Beispiel die Szene in dem Film, wo Ihr über die Sicherheitsleute in der U-Bahn-Station herzieht...

Gerd: Vordergründig gibt es schon Sachen, die drängen sich auf.

Henni: Aber es steht nicht in Neonschrift über unsern Köpfen. Wenn wir Lust haben in einer Ecke zu kalauern, dann machen wir das genauso und lassen uns nicht davon irritieren, wenn jemand sagt, das ist ihm zu platt. Wir sind eben kein klassisches Kabarett, das immer eine bestimmte Zielvorgabe hat.

ruprecht: Man hört oft, Badesalz sei niveaulos.

Gerd: Das ist ziemlich engstirnig oder klein betrachtet. Wenn Du jetzt ein paar gezielte Witze über CDU-Politiker machst, da sagt jeder klasse. Aber das ist mir zu einfach. Es gibt so viele Kabarett-Formen, die mich zu Tode langweilen und mir ist es egal, ob die da irgendwelche hochtrabenden Politikerwitze machen. Es gibt viel schlimmere Sachen im kleinen. Alltagsformen. Wenn Du so willst, politischer eigentlich. Ein komischer stinkiger Nachbar oder ein Drecksack, der das letztlich doch immer wieder ausführen wird, in irgendeiner Form.

Henni: Es gibt ja auch so eine Weite, wie man etwas sehen kann. Man kann ja auch von der Stimmung her rangehen. Ein Beispiel. Diese Squaw Ingrid aus dem Indianerclub. Die mißbrauchen diesen Indianerclub und diese Tradition, die in meinen Augen auch sehr wertvoll und interessant ist, bis hin zum Swingerclub. Und machen aus ihrem Scheißverein einen schlechten Campingplatz. Wenn jetzt jemand böswillig ist, sagt er, da machen sie Witze mit Fickwam und "unnerum", und kann sich da echauffieren. Unser Ausgangspunkt ist aber eher, daß da ein Indianerclub fast zum Swingerclub mißbraucht wird, weil sie dann doch wieder ihren Scheiß durchziehen und sich aber trotzdem ernsthaft im Moment damit vergleichen wollen. Wenn dann einer sagt, für mich ist das nur ein "unnerum"-Witz, dann werde ich ihn nicht mit aller Gewalt davon überzeugen wollen, daß es nicht so ist.

Gerd: Dann gibt's da noch was, was die Leute auch nicht begreifen, komischerweise. Die Sache, daß das bestimmte Rollen sind, bestimmte Positionen. Ich werd jetzt deswegen auch nicht über Robert de Niro sagen: "Der ist ganz schön niveaulos, daß der seine Frau in Regent Bull schlägt, für mich ist das'n primitiver Typ. Und wie der auch da aussah am Schluß, da wurd der auch noch so fett." Da kommt auch keiner d'rauf, weißte. Und hier verlangen die Leute, daß du gleich nebendran 'n Schild hältst, sagst: "Paß auf, ich mach jetzt hier eigentlich nur'n Sketch. Ich spiel jetzt grad den Prol, der sagt ficken, Futt und so, ich bin's aber privat meistens net. Glaub mir's bitte, bitte glaub mir des". Das ist auch ganz extrem in Deutschland, daß die Leute immer sofort die Rolle eins zu eins sehen, das ist ganz absurd.

Henni: Das heißt dann oft in den Kritiken, sie sind unanständig, proletarisch oder primitiv oder sonstwas, das wird dann auf uns beide als Personen bezogen, und gar nicht mehr das Geschehen interpretiert.

Gerd: In Extremform, weißte, die eine Freundin von dem Klaus aus Gießen, da saß die da abends in 'ner Kneipe neben uns, da kamen wir in's Diskutieren, da guckt die uns mit so riesigen Augen an, so nach dem Motto "Ihr seid ja ganz anders." Ich sach: "Was, ganz anders...?" "Ja, das hätt' ich jetzt gar nicht gedacht, daß Ihr Euch für sowas interessiert, über was Ihr alles so redet..." Sach ich: "Ja, was ist denn?" - "Ja, Ihr habt doch das und das gestern da gesagt..." Hab ich zu der gesacht: "Glaubst Du, wir sind genauso wie auf der Bühne, oder was?"

Henni: Wir sind doch nicht Richie und Headbanger, wir...

Gerd: Das war so 'ne Germanistik-Studentin, oder Philosophie, oder was weiß ich was. Ganz ernsthaft saß die da mit ihrer Brille, plötzlich war sie ganz angetan und sachte, wie toll sie das fände, daß sie sich mit uns hier unterhalten hat. Sach ich: "Aber, du kannst doch mit mir nicht auf der Bühne diskutieren". Das ist ganz absurd.

ruprecht: Vielleicht können die Leute das nicht trennen, weil ihr solche Szenen aus dem Leben greift.

Gerd: Ja, und weil die Leute selbst auch keine Berührungspunkte haben zu diesen Menschen, das finde ich eigentlich fast kriminell. In ihrem Leben kennen sie vielleicht gar nicht solche Leute direkt oder meiden die so extrem, haben ihre eigenen Kreise, ihre eigene Kultur, ihre eigenen Studenten, Weinkeller, weiß 'te, alternatives Fest. Und ham gar keine Berührung zu irgendwelchen Vertretern oder zu Typen, die ganz merkwürdig sind, oder 'nem Autohändler. Wir kennen ja alle möglichen Leute, wo du sagst, das ist ja ganz skurril. Dieses Panoptikum, wenn so zehn, zwanzig Leute zusammensitzen. Gerhard Polt sagt immer: "Es ist eigentlich ein Verbrechen, wenn jemand keinen Versicherungsvertreter kennt." Die Leute kapieren oft ganze Zusammenhänge nicht, wenn die immer in ihren Kreisen bleiben.

Henni: Aber es gibt ja genug Leute, die's auf die Reihe kriegen.

ruprecht: Habt Ihr schon mal Streit mit anderen Künstlern gehabt, ich denke zum Beispiel jetzt an diese Geschichte mit Stefan Raab und dem Moses P. Peter Maffay kam jetzt mal vor...

Gerd: Der wird sich wahrscheinlich drüber aufregen, weil er sich über alles aufregt. Also, das ist einer, wahrscheinlich der Humorloseste von allen. Ja gut, wir lassen uns auch nicht auf solche Geschichten ein, daß wir jetzt so die extremen Namensgeschichten machen.

Das wär was anderes, wenn wir jetzt so was Tägliches machen würden. So wie Schmidt oder so. Aber wir spielen ja auch länger so'n Programm, da werden Sachen auch schnell altbacken.

ruprecht: Was findet Ihr komisch außer Badesalz? Könnt Ihr über Eure Sachen auch nach längerer Zeit noch lachen?

Henni: Wenn wir eine Platte schreiben gibt's Momente, wo wir uns gegenüber sitzen, wo's viel zu lachen gibt. In dem Moment, wo wir's aufgenommen haben vielleicht auch nochmal, aber dann ist das eigentlich relativ bald gegessen. Ich kann über 'ne Menge Sachen lachen...

ruprecht:

Auch über irgendwelche bestimmten Komiker oder Filme?

Henni: Harald Schmidt ist zum Beispiel im Moment so 'n Favorit von uns, das gucken wir beide extrem gern. Diesen Standup-Teil, also so die erste halbe Stunde, halte ich im Moment so im Komik-Bereich für das Beste. Der macht das einfach aus seiner Sendung heraus, das bewundern wir beide total. Darüber kann ich zum Beispiel herzhaft lachen. Es gibt 'ne Menge Leute. Wir waren vor 'n paar Jahren auf der Helge-Schneider-Tour. Da haben wir auch unter 'm Stuhl gelegen. Wir können auch durch die Fußgängerzone in Heidelberg laufen und da gibt's viel zu lachen, viele skurrile Figuren. Es ist immer schwer, seinen eigenen Humor so zu definieren...

ruprecht: Gibt es irgendwas, weswegen Ihr gradverücktwern könntet?

Henni: Dieses Gesicht vom Lafontaine unter der Cyberspace-Maske, das ist zum Beispiel was, wo ich heute morgen grad verrücktwern konnte. Der ist auf 'ner Messe und hat so eine Cyberspace-Maske auf. Ich ertrag den irgendwie schlecht.

ruprecht: Was habt Ihr tagsüber in Heidelberg gemacht?

Henni: Lange gefrühstückt, im Hörnchen. Und Schallplatten geguckt, Zeitungen gekauft... Es ist schön, es ist 'ne gute Atmosphäre.

ruprecht: Habt Ihr irgendeine Meinung zu Studiengebühren?

Henni: Da kenn ich mich nicht aus.

Gerd: (lacht) Ich glaub, das gibt's ja wohl eigentlich net, ne.

Henni: Tut mir leid, da muß ich jetzt leider passen.

ruprecht: Was habt Ihr als nächstes geplant?

Gerd: Es gibt verschiedene Projekte, die so in der Schwebe sind...

Henni: Es gibt einen Kurzfilm und die Platte. Das sind die beiden Sachen, die ganz konkret geplant sind. Anfang Juli drehen wir den Film. Das ist so 'n Liebhaberprojekt, wo's erstmal gar nicht so um eine kommerzielle Geschichte geht. Der Kurzfilm ist eine Form, die auf uns total zugeschnitten ist, weil wir sowieso immer in kurzen Episoden erzählen. Danach machen wir die nächste Platte, die kommt konkret im Oktober raus. Da ziehen wir uns dann zurück und schreiben. Die Ideen, die im Laufe des Jahres aufgekritzelt wurden, werden weitergesponnen.

Henni: Und das Back For Good, unsere letzte Zugabe, das kommt als Liveversion ungefähr in einer Woche als Vorab-Single. Wir fanden 's mal ganz gutgerade als Gegenstück zu der ganzen überladenen Musik, die man hört. Das gefällt uns, daß man nur dieses Kladderading hört und den Gesang.

ruprecht: Wir danken Euch für das Gespräch. (te,kh)


Verkehrt


Tat für's Rad

Preiswerte Hilfe für lockere Schrauben

Die etwas andere Art, dem Fahrrad eine Ruhepause zu gönnen.

Die folgende Situation kann man häufig beobachten: Ein Fremder kommt mit dem Zug am Heidelberger Hauptbahnhof an. Er verläßt das Bahnhofsgebäude und ist erstaunt von der immensen Zahl an Fahrrädern, die mehr oder weniger in Reih' und Glied rund um den Bahnhof stehen oder liegen.

Für den Heidelberger - und vor allem für den Heidelberger Studenten - gehört dieses Bild zum Alltag. Denn wer hier studiert, ist auf seinen Drahtesel angewiesen, vor allem in der Altstadt und nach diversen Feten. Und wer gerne und viel radelt, hat auch entsprechend Bedarf an Reparaturwerkstätten für Fahrräder. Auch hier gilt das Motto "Qualität hat seinen Preis", dieser kann jedoch von jedem ziemlich nach unten gedrückt werden, wenn man die richtige Werkstatt auswählt.

An erster Stelle sei hier URRmEL zu nennen, die Universitäre Rad Reparaturwerkstatt mit Eigenleistung. URRmEL wurde 1995 von Studenten als mobile Werkstatt ins Leben gerufen, damals fuhr man noch die Mensen an und bot Hilfeleistungen vor Ort an. 1996 bezog man dann das jetzige Domizil, eine Garage beim Institut für Hochenergiephysik in der Schröderstraße 90. Dort findet man sowohl ein reichhaltiges Sortiment an Werkzeugen als auch fachkundige und freundliche Hilfestellung rund ums Rad. Denn wie schon der Name verrät, Eigeninitiative ist angesagt. Doch keine Angst, auch Akademikerhände sind in der Lage, Räder zu reparieren, wie uns Paul, einer der rund zehn studentischen Mitarbeiter wissen läßt: "Wir versuchen, den Leuten die Scheu zu nehmen. Denn im Gegensatz zum Auto kann man am Fahrrad alles reparieren." Und wenn der Drahtesel mal ein Rad ab hat oder sonst ein Ersatzteil fehlt: kein Problem, denn URRmEL bietet auch ein großes Ersatzteillager. Und der Clou bei der Geschichte: URRmEL stellt nichts in Rechnung, man wird lediglich um eine entsprechende Spende gebeten, jeder wie er kann und will. Lediglich der Nachwuchs bereitet den Hobbymonteuren etwas Kopfzerbrechen. Auch hier gilt es, Interessenten die Bedenken zu nehmen, oder, wie es Paul augenzwinkernd formuliert: "An fremden Fahrrädern lernt man gut."

Mit 66 Jahren... Eine weitere Möglichkeit, sein Fahrrad wieder auf Vordermann zu bringen, bietet sich bei Pensionär Gustav. Der ehemalige Bäckermeister hat seine kleine Werkstatt im Autonomen Zentrum in der Alten Bergheimer Straße 7a. Dort empfängt der ältere Herr seine Kunden kühl aber herzlich. Auch hier ist Eigeninitiative gefordert, wobei Gustav stets bereit ist, mitanzupacken, wenn der arme Studi nicht mehr weiter weiß. Ansonsten macht Gustav, die Situation beobachtend und an seiner Zigarette ziehend, gerne mal Späße über asiatische Billigprodukte und Uralträder, die schwer zu reparieren sind. In seiner Werkstatt sind Reparaturen aller Art möglich, wenn alle Stricke reißen, hilft ihm ein Heidelberger Fahrradgeschäft weiter, mit dem er zusammenarbeitet. Ersatzteile finden sich auch hier mehr als genug, die Gustav alle zum Selbstkostenpreis weitergibt.

Wer weniger fachkundige Hilfe, sondern lediglich Werkzeug benötigt, und zudem im Neuenheimer Feld wohnt, ist mit dem sogenannten Werkstattutorium gut beraten. Studenten haben dort die Möglichkeit, sich gegen Kaution die notwendigen Werkzeuge, die man für kleinere Reparaturen benötigt, zu leihen. Zu finden ist die Werkstatt in INF 681, in einem der drei Hochhäuser.

"Fahrradwerkstatt mit Laden für gebrauchte Räder" - der Name dieser Werkstatt mutet etwas schwülstig an, er sollte aber vor einem Besuch in der Hinterhofwerkstatt in der Alten Eppelheimer Straße 31 nicht abschrecken. Schon wenn man den Hof betritt, wird man von Daniel und seinen Mitarbeitern begrüßt und bekommt Hilfe angeboten. Ökologie wird in dieser Werkstatt großgeschrieben, so versteht es sich von selbst, daß Ersatzteile ausschließlich von alten und defekten Fahrrädern wiederverwertet werden. Daniel und seine Mannen sehen in ihrer Tätigkeit als Händler und Mechaniker auch eine umweltpolitische Dimension: "Für uns muß die Welt nicht mit Autos und Straßen zugeknallt werden - und eigentlich gibt es keinen Grund, anzunehmen, daß es für irgend jemand sonst so sein muß." Da sich der Laden aus dem Verkauf von Gebrauchträdern finanziert, können die Reparaturen zu einem sehr niedrigen Preis durchgeführt werden, sofern man selbst mit Hand anlegt. (jh)

URRmEL: Mo 14-16; Di 12-14; Do 12-14 sowie 18-20 Uhr

Gustav im AZ: tägl. 6-20 Uhr (!)

Werkstatt INF: Mi 18.30-1930; Do 19-20 Uhr

Fahrradwerkstatt mit Laden für gebrauchte Räder: Mo-Fr 10-12 sowie 14-18.30 Uhr


Spaß ohne Gas

"Autofreier Hochschultag" auch in HD

Stell dir vor, es ist Uni, und keiner kommt mit dem Auto. Einen Tag lang lassen alle ihre ganz persönliche Tonne Blech stehen und kommen mit Fahrrad, Bus oder Schuhsohle zum Lernen, Lehren oder Arbeiten. Einen ganzen Tag lang. Oder länger. Ist das vorstellbar? Aktivisten von der Fachschaftskonferenz, der Fahrradwerkstatt URRmEL und den Personalräten der Uni und des Klinikums glauben das. Sie rufen, so wie bundesweit an vielen anderen Hochschulen, für den 17. Juni zum "Autofreien Hochschultag" auf.

Da die Angehörigen der Universität ein Fünftel des Heidelberger Verkehrsaufkommens verursachen, gibt es einiges, was getan werden könnte, ohne den eigenen Lebensstil gleich völlig in Frage zu stellen: Fahrgemeinschaften gehören ebenso dazu wie die Einsicht, daß auf den meisten Strecken im Stadtgebiet auch mäßig trainierte Radfahrer schneller, billiger, gesünder und entspannter in den Hörsaal kommen als mit dem Auto.

Doch noch mehr ist möglich. Es gibt an der Universität Heidelberg immer noch kein dem studentischen Semesterticket vergleichbares "Jobticket" für die Angestellten. Da für die Finanzierung das Land als Arbeitgeber rund eine Million Mark zuschießen müßte, scheiterte der erste Vorstoß am Einspruch des baden-württembergischen Finanzministers Gerhard Mayer-Vorfelder. Die aktuelle Initiative, das "Heidelberger Konzept", das die Finanzierung über eine Parkplatzbewirtschaftung vorschlägt, von der Fachschaftskonferenz mit Unterstützung der Verwaltung und des Rektors vorgeschlagen, wurde bisher vom Land abgelehnt.

Neben der Umweltkommission und der Universitätsverwaltung hat auch der Kanzler der Uni seine Unterstützung für den autofreien Tag zugesagt. Daß seine Unterschrift bisher unter den entsprechenden Papieren fehlt, mag an Diskussionen im Rektorat liegen. Das nämlich hatte schon dem autofreien Tag der Stadt Heidelberg seine Unterstützung verweigert.

Im Mittelpunkt der Aktion an der Uni soll also ein Rundschreiben des Kanzlers stehen, daß von einer Plakataktion an allen Uni-Instituten begleitet wird und aufruft, mindestens an diesem Tag ohne Auto zu kommen. Infostände der HSB und der Personalräte vor dem Versorgungszentrum und im Altklinikum sollen zusätzlich aufmerksam machen. Außerdem findet eine symbolische Parkplatzbewirtschaftung und eine Flugblattaktion auf dem Parkplatz Im Neuenheimer Feld statt.

Eingebettet ist der "Autofreie Hochschultag" in die Aktionswoche "Mobil ohne Auto", die vom 9. bis 17. Juni stattfindet. Sie wird seit '90 bundesweit von BUND, Naturschutzjugend, Pro Bahn, Verkehrsclub Deutschland, Bundeskoordination Studentischer Ökologiearbeit und weiteren Organisationen getragen und möchteAlternativen zum Auto aufzeigen. Auch in Heidelberg gibt es ein Programm zum Motto. (hn,jm)

Heidelberger Programm der Aktionswoche "Mobil ohne Auto":

Montag, 9.6., 20 Uhr: "Carwalking-Seminar". Das Überrennen falsch parkender Fahrzeuge ist angeblich nur ein Nebenthema, vorrangig soll es um den Aufbau eines Selbstbewußtseins als Fußgänger gehen.

Dienstag, 10.6., 16-18 Uhr: Auf dem Radweg in der Mittermaierstraße findet ein Minigolfturnier statt - als Demonstration für den guten Zustand der Fahrradbahn. Dem Gewinner winkt ein Fahrrad (was sonst?)

Mittwoch, 11.6., 14 Uhr: Einweihung einer neuen Verkehrsschildart: "Gefährlicher Radweg". Aus gutem Grund findet das am Radweg in der Mönchhofstraße statt.

Donnerstag, 12.6., 17-19 Uhr: ADFC-Infostand am Bismarckplatz, Mobile Fahrradreparatur durch "URRmEL"

Und noch eine zünftige Fahrraddemo am Samstag, 14.6., 11 Uhr am Bauhaus. Motto "Radachsen ohne Nadelöhr" mit Redebeiträgen zu den Engpässen in der Plöck, der Mittermaierstraße und in Richtung Ziegelhausen.


Entwürfe

Uni-Frauentag

Am 13. Juni wird zum ersten Mal ein Frauentag an der Uni Heidelberg, genauer gesagt: in den Räumen des Psychologischen Instituts, stattfinden. Ziel ist, mehr Aufmerksamkeit auf die Forschung von und über Frauen zu lenken.

So werden die Töchter Evas ganz im Mittelpunkt eines umfangreichen Vortragsprogrammes stehen. Heidelberger Wissenschaftlerinnen aus allen Fachbereichen stellen ihre Arbeit vor - ein Vortrag über "Die Evolution der Geschlechtschromosomen" steht genauso auf dem Plan wie Beiträge über "Interkulturelle Beobachtungen zur Weiblichkeit des Heiligen Geistes". Die Veranstaltung ist übrigens keine reine Frauendomäne: Auch etliche Redner werden vors Mikrophon treten und über Themen wie z.B. "Sex and Crime - oder: Was hat die Sprache aus den Frauen gemacht" sprechen. Und selbstverständlich sind Männer auch eingeladen. Für den Nachwuchs gibt es eine Kinderbetreuung.

Parallel zur Vortragsreihe werden sich Gruppen und Projekte aus der Frauenarbeit in einer Infobörse vorstellen, die von 10 bis 16 Uhr im Psychologischen Institut eingerichtet wird. Hier soll der Frauentag ab 20.30 Uhr bei Musik und Unterhaltung auch ausklingen.

Infos gibt es im Büro der Frauenbeauftragten, Tel. 06221 - 547697.


Gemein

Kleine Dramen im IDF

Wer kennt sie nicht, die Schwierigkeiten, auf die man als nichtsahnender Ausländer beim Erlernen einer Fremdsprache stößt? Manchmal kommt etwas ganz anderes heraus als das, was man eigentlich sagen wollte... Peinlich, peinlich, aber menschlich.

"Allerhand Mißverständnisse" hatte IDeFix, die Theatergruppe des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie (IDF), ihre letzte Theaterrevue genannt und damit ihr Publikum begeistert.

Diesmal sind es "Allerhand Gemeinheiten", die in Szene gesetzt werden: kleine böse Absichten von Menschen, die nicht immer nur gut und fromm sein können (und wollen). Minidramen von Franz Hohler, Samuel Beckett, den Marx Brothers, Loriot, Ken Campbell, Karl Valentin und Gerhard Polt vermitteln dem Theaterbesucher das Vergnügen an kleinen Boshaftigkeiten.

"Was machen Sie denn da?" - Termine: Do., 26., Fr., 27., Sa., 28. & So., 29. Juni 1997, jeweils 20 Uhr im Romanischen Keller, Unkostenbeitrag: DM 6 (ermäßigt)/DM 8, Vorverkauf im Auslandsamt, Zimmer 175, Tel: 54 24 88.


Die andere Saite


Chaotischer Perfektionist

Der russische Gitarrist Aleksej Liapko

Aus dem tiefen, rauhen Sibirien kommen wahre Russen wie er: Die schwarze Mütze, deren Designer sich nicht zwischen Basken- und Matrosenmütze entscheiden konnte, verdeckt seine kurzen blonden Haare und sitzt etwas ungeschickt auf den Ohren. Die Gitarre, die einfach zu ihm gehört wie das verschmitzte Lachen, hält er so zärtlich im Arm wie eine Frau - jene hat ihn immerhin auch noch nie enttäuscht. Aleksej Liapko, Gitarrist, Komponist und Liedermacher, wartet in Heidelberg auf seinen großen Durchbruch als Musiker.

1958 wurde Liapko in der Unwirtlichkeit des sibirischen Nowosibirsk geboren und zog im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Tadschikistan. Mit zehn Jahren entdeckte er seine Liebe zum Gitarre-Spielen, das er sich im Selbststudium beibrachte, und mit fünfzehn begann er, seine ersten Jazz-Stücke zu komponieren. Dennoch studierte er nach der Schule an der staatlichen Musikakademie Waldhorn und Klavier, "weil Gitarre da nicht angeboten wurde". Verantwortlich für diese fünf Jahre verschwendeter Zeit war nicht nur seine mangelnde Beharrlichkeit sondern vor allem das starre kommunistische System, dem zu entfliehen nicht so einfach war. Schon während des Musikstudiums bestritt er mit verschiedenen Jobs in Orchestern allein seinen Lebensunterhalt, worauf er heute noch stolz ist. "Eine Familie hatte ich nie so recht, die Gitarre ersetzte mir die Eltern. Und schon mit vierzehn habe ich damit auf Hochzeiten und ähnlichen Veranstaltungen Geld verdient", betont er mit Nachdruck - und mit seinem unwiderstehlichen russischen Akzent.

Nach dem Studium wartete der Staat mit zwei Jahren Militärdienst auf ihn. Dieser Lebensabschnitt war zwar nicht gerade das, was man "die schöne Jugendzeit" nennt, aber er wußte sich die harte Zeit dank seines musikalischen Könnens zu versüßen. Statt wie seine Kameraden durch den Schlamm zu robben, spielte er mit den Offizieren im elitären Militärorchester Kasachstans. Doch die Gitarre blieb nicht seine einzige Liebe, und ein Seitensprung mit dem Freund Alkohol mußte er mit dem Rausschmiß aus dem Offiziersorchester büßen. Das Stiefellecken und Schlammrobben blieb ihm zwar erspart, doch fortan durfte er nur noch in einem einfachen Heeres-Blasorchester mit den unteren Rängen seinen restlichen Dienst ableisten. "Aber letztlich habe ich durch diese politischen Ränkespiele beim Militär gut verdient", gesteht er in seiner ehrlichen Art offen ein, ohne zu verschweigen, daß er dies verabscheut. "In der Sowjetunion habe ich auch gelernt, jedes Geschwätz zu ertragen und nur das wirklich Interessante herauszuhören. Das hilft mir auch heute so manchesmal, meinem Gegenüber nicht einfach 'Halt die Klappe!' an den Kopf zu werfen", erzählt er mit einem verschmitzten Grinsen - schickt aber vorsichtshalber sofort eine entschuldigende Erklärung hinterher. "Und außerdem kann ich bei einem solchen Geräuschpegel am besten komponieren."

Nach dem Militärdienst zog es Liapko in die lettische Hauptstadt Riga, wo er in der Band der als "Perestroika-Sängerin" bekannten Popsängerin Laima Waikule sein Brot verdiente. Die Tourneen mit ihr führten ihn 1987 u.a. nach Stuttgart, Wiesbaden und Tübingen. Dieser erste Kontakt mit dem "Goldenen Westen" beeindruckte ihn zwar nicht wesentlich, aber nach knapp drei Jahren in der Band war er die fade Popmusik, die ihn ohnehin nie begeistert hatte, endgültig leid. Als ihm auch noch seine Freunde und Kollegen rieten, in den Westen zu gehen, wo er mehr aus seinem Talent machen könne, faßte er 1990 den Entschluß zur Ausreise nach Deutschland. "Anfangs dachte ich, ich müsse hier putzen gehen, weil ich überzeugt war, das musikalische Niveau sei hier höher als im Osten, aber ich merkte schnell, daß das eine völlige Überschätzung war." In der Anfangszeit hielt er sich allein mit Auftritten in Restaurants und Kneipen über Wasser, und nachdem er Deutsch gelernt hatte, bekam er 1992 eine Stelle als Lehrer in der Volkshochschule und dann in der Musikschule, wo er auch heute noch unterrichtet. Eine besondere Erfahrung war für ihn die Arbeit als Klavierlehrer für blinde Kinder in Ilvesheim, die ihm viel Spaß machte. "Das erfordert eine ganz andere Unterrichtsweise als mit Sehenden", berichtet er fast enthusiastisch.

Weniger begeistert ist er von Konzerten in Gaststätten. "Ich hasse es, 'Würstchen-Blues' zu spielen: Die Leute kauen vor sich hin, keiner hört zu, und erst, wenn sie satt sind, klatschen sie." In solchen Momenten klingt seine Stimme desillusioniert, und er muß aufpassen, daß er nicht in die "Es-hört-mich-eh-keiner"-Stimmung verfällt. Doch graue Wolken lösen sich bei ihm meist schnell auf. Sobald er von seiner neuen CD erzählt, ist er kaum noch zu bremsen. "Ich kenne Leute, die mich als den besten Gitarristen Heidelbergs bezeichnen, andere nennen mich den besten Gitarristen Deutschlands, und ich wurde sogar schon der weltbeste genannt!"

Plötzlich überschlägt er sich vor Selbstüberzeugung und Selbstvertrauen. Seine musikalischen Vorbilder Pat Metheny, Tuck Andrews, Joe Pass und Paco de Lucia - den er einmal in Sankt Petersburg traf - beeinflußten seine Musikrichtung ebenso wie russische Folklore oder brasilianische Musik, die er in einer sehr eigenen Art zu arrangieren vermag. Er liebt außerdem das Experimentieren: Während auf der ersten CD vom letzten Sommer Eigenkompositionen mit klassischer Gitarre und Jazz-Standards zu hören sind, hat er auf der neuen CD den für den Blues charakteristischen Slide-Sound in seinen Jazz-Kompositionen verarbeitet.

Doch dem großen Durchbruch steht noch eine Hürde bevor: Die CDs sind zwar aufgenommen, doch zu kaufen gibt es sie noch nirgendwo. Ob eine Plattenfirma sie verlegt, kann Liapko allerdings erst wissen, wenn er sie auch angeboten hat. "Ich muß da noch einiges verbessern, die sind noch nicht gut", antwortet er nun wieder sehr selbstkritisch, und sein unschlüssiges Gesicht verrät, daß er jemanden braucht, der ihn an die Hand nimmt und am besten alles für ihn organisiert. Das Chaos in seiner Wohnung spiegelt die mangelnde Selbstdisziplin wider, die für den wirtschaftlichen Erfolg nötig ist - auch wenn man noch so talentiert ist.

Allerdings kämpft Liapko nicht nur mit sich selbst, sondern noch mit einem viel stärkeren Gegner: dem deutschen Staat. Gleich nach seiner Einreise nach Deutschland hat er einen Asyl-Antrag gestellt, doch das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat diesen abgelehnt. Sein von der UdSSR in Riga ausgestellter Paß ist inzwischen abgelaufen, und sowohl Lettland als auch Rußland fühlen sich nun nicht mehr zuständig. Damit ist er staatenlos geworden, doch gerade dies scheint auch sein Vorteil zu sein, denn er kann von Deutschland nicht abgeschoben werden, weil niemand ihn als seinen Bürger anerkennt. Mit seinem Anwalt überlegt er jetzt, eine Petition beim Landtag einzureichen - es gibt immerhin noch auszuschöpfende Ermessensspielräume und Härtefallregelungen -, "doch das kann auch bedeuten, schlafende Hunde zu wecken", befürchtet sein Anwalt.

"Wenn ich einen Paß bekomme, werde ich vielleicht in die USA gehen", überlegt Liapko, und träumt weiter von einem Haus auf dem Lande mit eigenem Studio. Doch die Realität holt ihn schnell ein: "Wenn Du etwas Ehrliches machen willst, ist es schwer, durchzukommen." (gz)


Ohnmacht

Lowrys Roman

Als Bill Ramsey wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten wird, ahnt er noch nicht, was auf ihn zukommt: Von der Polizei nach einer kleinen Rangelei schnurstracks an die Psychiatrie weitergeleitet, durchleidet er eine kafkaeske Odyssee.

Scheinbar rechtlos und angeblich unzurechnungsfähig wird er von einer Anstalt in die nächste herumgereicht, mit Medikamenten abgefüllt und mit Elektroschocks "behandelt". Ramsey kann nicht fassen, daß er den Psychiatern ohnmächtig ausgeliefert ist. Nachdem sein Gehirn immer mehr von Medikamenten und E-Schocks zerrüttet ist, bekommt Ramsey antisemitische Wahnvorstellungen und sieht sich von einer jüdischen Verschwörung umgeben.

Diese Geschichte erzählen die jetzt erstmals auf deutsch erschienenen autobiographischen Aufzeichnungen von Robert Lowry. In der Beschreibung seiner Leidensgeschichte erspart der Autor dem Leser kein noch so grauenerregendes Detail. Der Roman ist ebenso zerrüttet und zerrissen wie der Mensch, der ihn geschrieben hat. Man könnte sich sogar fragen, ob man "Lebendig begraben" (so der deutsche Titel) überhaupt als Roman bezeichnen kann. Es handelt sich um eine eher lose Sammlung von Erlebnisberichten, Protokollen und Briefen.

Diese Aufzeichnungen überhaupt anzufertigen muß ein riesiger Kraftakt für den 1952 von seiner Frau zwangseingewiesenen Lowry gewesen sein. Nicht weniger nervenaufreibend war seine Suche nach einem Verleger: Wegen der geäußerten antisemitischen Inhalte mußte Lowry den Text achtmal umschreiben. Wieviel die von Carl Weissner souverän übersetzte Version mit Lowrys erstem Entwurf zu tun hat, ist nicht mehr rekonstruierbar.

Ramseys antisemitische Paranoia vor den Hintergrund der antikommunistischen Hetze McCarthys zu stellen, wie das Hans Helms in seinem Nachwort vorschlägt, ist sicher sinnvoll. Dennoch bleibt der Leser in einer Zwickmühle: hält er die Hauptfigur (und somit implizit Lowry selbst) wegen des Antisemitismus für paranoid, gibt er den selbstherrlichen Ärzten recht. Zweifelt man jedoch an der Diagnose der Ärzte, steht man vor der Unmöglichkeit, einen paranoiden Antisemiten für gesund zu halten. "Lebendig begraben" ist gerade deswegen ein lesenswertes Buch, weil es keine endgültige Interpretation zuläßt. (fw)


Heidelberg


Von Zucker und Zahnweh

Süße Träume sind käuflich: Heidelberger Zuckerladen

Wenn es diesen Laden nicht gäbe, müßte er erfunden werden. Jedenfalls kann man das deutlich an den Augen des Knirpses ablesen, der von den Schultern seines Papas wie hypnotisiert auf die Wand voller Süßigkeitengläser starrt. Dann ein verwirrter Blick auf den Haarschopf seines Erzeugers: Ist das auch alles echt? Da der Haarschopf nichts Gegenteiliges äußert, fängt der Kleine wie wild an zu strampeln, um an die Quelle seiner Wünsche heranzukommen.

Neidisch betrachte ich die Szene: Jetzt drei Jahre alt sein. Dann könnte ich genau das tun, wovon der Dreikäsehoch von seinem Vater nur mühsam abgehalten werden kann: das Glas voller sündhaft roter Fruchtgummierdbeeren schnappen, losrennen und mich dann für die nächsten zwei Stunden in eine ruhige, beschauliche Ecke verziehen, an der außer sehr netten Leuten mit nicht zuviel Hunger niemand vorbeikommt.

Bevor angesichts solcher Aussichten auch meine letzten Hemmschwellen brechen, werde ich aus meinen Tagträumen herausgerissen: Aus dem Kabuff hinter der Eingangstür erscheint eine vierstöckige Süßigkeitentorte - eine Kreation aus gewölbten Marshmellowzungen, größenwahnsinnigen Lutschern und garantiert farbstoffhaltigen Weingummitieren. Dahinter taucht Jürgen auf, der mit lauten Zurufen die Massen vor der Theke zur Seite befiehlt. Er bugsiert die Kalorienbombe in die Hände einer der Wartenden, die wohl die Bestellung aufgegeben hat, hält die Tür auf, vergibt noch letzte Ratschläge zum Transport und Grüße an gemeinsame Bekannte und wühlt sich wieder in Richtung Kasse.

Die Schlange davor ist inzwischen bedrohlich lang geworden - zaghaft flackert die Erinnerung an die Vorlesung, die ich ursprünglich besuchen wollte, in der Abteilung für schlechtes Gewissen meines Gehirns auf. Aber eigentlich war mir schon klar, daß daraus nichts mehr werden würde, als ich auf die Klinke der Ladentür drückte: Für Eilige ist der Zuckerladen ein unpassender Ort. Und eigentlich wäre das auch widersinnig: sich Papiertüten voller Leckereien zusammenstellen zu lassen - und dann ohne einen kleinen Schwatz aus dem Laden zu stapfen: sich über die Besonderheiten von Afri-Cola auszutauschen, die beste Methode zu diskutieren, helix promatia - Lakritzrollen - zu verspeisen oder die derzeitigen Vergnügungen auf der Neckarwiese zu erörtern. Nicht immer kommen dabei auch die Kunden zu Wort - wenn man Jürgen beobachtet, fragt man sich, ob Zucker die Beredsamkeit steigert. Doch mancher ist hier schon mehr Vertraulichkeiten losgeworden als bei der Nightline.

Bevor man für Leckereien und Zahnverderber zahlen darf, muß man erst spielen. Selbst Pechvögel haben dabei Gelegenheit, ihr Glück zu entdecken. Jürgen und Marion, die den Laden in den letzten zwölf Jahren aufbauten, finden, daß es bei Süßigkeiten nicht nur auf den Geschmack ankommt - sondern auch auf den Spaß dabei. Schon die Einrichtung des Ladens ist dazu angetan, die Erfindung der Uhr zu verdrängen. Empfindsame Gemüter bekommen bereits beim Betrachten der Vitrinen, Gläser und Tische mit Süßkram Zahnweh: Kunstwerke aus Schokolade lächeln die Betrachter von pyramidenförmigen Stapeln aus gutmütig an, und Weingummis und Lakritzen in den Gläsern grinsen aus den Bonbonnieren: Vernasch uns! Sie heißen Sex, Drugs und Cola Cool, Neckar-Kraken oder Ozonlöcher, Arschpirin und Knallharte Mädchen und sehen aus wie der Untergang aller Diätpläne.

Also Revolution? Eine nach dieser Art zum Beispiel: "Frauen, schmeißt die Kalorientabellen in den Neckar, Männer, vertauscht eure Handys gegen welche aus Schokolade, es geht ein Lakritz um in Europa." Nein, zum Glück geht es nur um Süßigkeiten - und damit jeder unangebrachte Übermut im Keim erstickt wird, steht vor der Kasse eine vorwurfsfoll blickende Waage, und hinter der Theke droht ein alter Zahnarztfolterstuhl.

Es scheint manchmal sogar so, als wollte der Laden möglichst viele Kunden abschrecken, damit nur wahrhaft Kaloriengläubige den Weg in das Guttimekka finden. Um Touristenhorden zu verekeln, die außer typischen Heidelberger Kuckucksuhren auch Zuckerstangen als Souvenir mit über ihren jeweiligen Teich nehmen wollen, hängt ein großes Photographierverbotsschild über dem Bonbonierengang; und das Schaufenster mit seiner Gebißabdrucksammlung mag schon manchen potentiellen Kunden an den längst überfälligen Zahnarzttermin erinnert haben.

Als ich nach einer Dreiviertelstunde wieder auf die Plöck hinaustrete, sieht alles viel zu wenig süß aus. Das Carolinum unter blauem Zuckerguß? Zartbittererker an Gründerzeitfassaden von Burschenschaftshäusern? Das Leben wäre einfacher. Bevor mich das schlechte Gewissen, in den letzten zwanzig Minuten unter einer dicken Schicht Couvertüre begraben, wieder in den Hörsaal treibt, greife ich mir ein Gummispaghetti aus der kleinen Tüte in meiner Tasche - und der Tag ist gerettet. (gan)


Ausgestanden

Die Heidelberger Wagenburg zog ab

Heidelberg ist um eine alternative Wohnform ärmer - oder um ein städtisches Ärgernis erleichtert. Am 22. Mai verließen die letzten Bewohner der Wagenburg das Grundstück am Klausenpfad am nördlichen Ende des Neuenheimer Feldes. Nahezu sechs Jahre standen die Bauwagen auf dem im März 1991 besetzten Grundstück, das dem Land Baden-Württemberg gehört.

Als Eigentümer verlangte das Land schon 1991 die sofortige Räumung, wobei "Heidelberg in der Rolle des Erfüllungsgehilfen ist und keine andere Möglichkeit hat als dem Wunsch des Eigentümers Folge zu leisten", so Herr Pöltel vom Rechtsamt der Stadt Heidelberg. Allerdings ist eine Bebauung des Grundstücks nach momentaner Rechtslage nicht erlaubt und eine Nutzung für die nähere Zukunft auch nicht geplant. Um der Wagenburg dennoch einen Platz in Heidelberg zu ermöglichen, brachte die Stadtverwaltung bereits 1992 einen Antrag in den Gemeinderat ein. Es sollte ein Ersatzgrundstück gesucht werden. 1993 fiel dann das Augenmerk auf eines in Rohrbach, doch da sich der Gemeinderat mit den Stimmen der CDU und einer der SPD gegen eine Änderung des dortigen Bebauungsplanes wehrte, ohne die auch auf diesem Grundstück keine Wagenburg hätte errichtet werden dürfen, starb diese Initiative.

Die Bewohner der Wagenburg blieben und wehrten sich gegen die vom Land verlangte Räumung; eine Abbruchsanordung sollte der Grundstücksbesetzung dann 1993 ein Ende machen. Diesem widersprachen sie vor Gericht, aber im Oktober letzten Jahres kam dann doch die abschließende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg. Die Besetzung des Grundstückes wurde endgültig für rechtswidrig erklärt, und die Stadt Heidelberg konnte es mit Gewalt räumen lassen. Zunächst legten die Bewohner beim Bundesverwaltungsgericht Revision gegen die Entscheidung ein, zogen diese dann aber wieder zurück und verpflichteten sich freiwillig, bis zum 30. April das Grundstück zu verlassen. Doch nachdem die GAL, die LD, die Studiliste und der Vertreter der FDP eine erneute Initiative in den Gemeinderat zur Legalisierung der Wagenburg eingebracht hatten, wurde die Entscheidung darüber noch einmal abgewartet, und der Auszug zögerte sich nochmals hinaus. Aber auch diese Initiative wird wohl - wie schon diejenige der Verwaltung von 1992 - im Sand verlaufen, da eine Änderung des Bebauungsplanes, die auch für das Grundstück am Klausenpfad notwendig wäre, "mindestens drei Jahre benötigen würde und dies sehr aufwendig ist", so Herr Pöltel. Die Wagenburgler mußten nach einer Verfügung der Oberbürgermeisterin Beate Weber den Platz bis zum 22. Mai räumen, nachdem der Gemeinderat auf seiner Sitzung am 15. keine Entscheidung getroffen hatte.

Viele der ehemaligen Bewohner sind seitdem ganz aus dem Umkreis von Heidelberg verschwunden, manche ziehen im Odenwald hin und her und suchen einen neuen Platz. Neckarsteinach. Bammental. Irgendwo dort. "Wir sind ein versprengter Haufen", sagt Boris, "aber die Idee wird trotzdem weiterleben." Er ist der letzte, der Künstler. "Die Müllabfuhr wollte mich schon abtransportieren, als sie die ganzen Reste einsammelte", grinst er. Vielleicht noch zwei oder drei Wochen, sagt er, wird er hinter diesem Busch sitzen, auf den paar Stühlen. Links eine Blechtonne. Rechts der Eingang mit den zusammengezimmerten Möbelresten. Noch zwei, drei Wochen wird er auf den inzwischen umgepflügten Platz schauen, der einmal seine Heimat war. Auf dem einmal die Wagen standen mit ihren bis zu 37 Bewohnern. Auf dem sie sechs Jahre für einen anderen Lebensstil kämpften. Die Toleranz der Heidelberger auf die Probe stellten. Am 22. Mai brannten die letzten Reste davon auf einem Feuer. Und irgendwann war dann der Rauch weggezogen und die Asche untergepflügt. Dann bleibt nur noch die Erinnerung. Und Boris. Vielleicht noch zwei, drei Wochen. (rot)


Lifestyle


Tanz der Schatten

Die Liebe in den Zeiten der virtuellen Räume

Für unzählige Netzsurfer sind die uferlosen Weiten des Cyberspace längst zu einem Lebensraum geworden, in dem sie nicht nur Wissen und Zerstreuung, sondern auch die verwandte Seele suchen. Tatsächlich verheißen die Kontakthöfe des Mediums Internet neben dem billigen Thrill anonymer Lust auch die Erfüllung jenes elementarsten aller romantischen Träume: die Anrührung zweier Herzen in ihrer reinsten Form, ohne die Marginalien von Geographie, sozialem Status oder Körper. Doch so suggestiv sich die Schnittstellen auch aneinanderschmiegen: Die Sehnsucht findet im Virtuellen zumeist nur ihr eigenes Spiegelbild.

Wer Nick (alle Namen geändert.) auf seine letzte Liebesgeschichte anspricht, bekommt von ihm unweigerlich einen Satz zu hören, den Woody Allen in "Hannah und ihre Schwestern" einer Figur in den Mund legt: "Das Herz ist ein sehr, sehr elastischer kleiner Muskel." Daß der sechsundzwanzigjährige New Yorker Student auf ein bonmot des Kinokomödianten zurückgreift, hat nicht nur damit zu tun, daß er aussieht, wie man sich Allens jüngeren Bruder vorstellen würde - "nur daß Woody attraktiver ist als ich", wie Nick grinsend bemerkt. Sondern auch damit, daß Woody und Nick über das Äußerliche hinaus die Anfälligkeit für die Verwirrungen des Herzens teilen: "Mit Frauen", sagt Nick, "tue ich mich etwa so leicht, wie es Martin Luther King bei einer Kandidatur für den Vorsitz des Ku-Klux-Klan täte."

Natürlich: Wo Woody Allens stets prekäre Romanzen immerhin in den exquisit ausgeleuchteten Restaurants und Museen Manhattans spielen, ist der Ort, an dem Nick seine Herzensanliegen verfolgt, so romantisch wie das Benutzerhandbuch von Windows95: die Rechner eines großen amerikanischen Online-Dienstes, in die sich der angehende Politologe allnächtlich mit Laptop und Modem einwählt. Die Computer simulieren für ihn und seine Frauen-Bekanntschaften, die gleichzeitig, oft Hunderte von Meilen entfernt, eingeloggt sind, einen chat room, einen "Plauder-Raum". In dessen virtuellen Wänden wird dann möglich, was sich einen Austausch von Zutraulichkeiten nennen ließe, der ohne die Vermittlung der Maschine freilich buchstäblich gegenstandslos wäre. Ganz zu schweigen davon, daß er mit Rhetorik auskommen muß.

Sitzt man Nick in der Cafeteria seiner Universität an Amerikas Ostküste gegenüber, begreift man bald, daß einem wie ihm die virtuelle Alternativ-Welt wie das wahre Wunder des Informationszeitalters vorkommen muß: Hier, wo er nur als die Schrift erscheint, die er auf der heimischen Tastatur eintippt und die einen Herzschlag später auf den Bildschirmen seiner Gegenüber aufläuft, läßt er die echten oder eingebildeten Beschränkungen seiner körperlichen Existenz hinter sich, verwandelt er sich in eine Art virtuellen Cyrano de Bergerac. So kann dann selbst der über den kühl flimmernden Bildschirm eines Computers hergestellte menschliche Kontakt sehr real werden. Und wenn es nur für eine schmerzhaft kurze Weile ist.

Daß die Computer immer tiefer in das Innenleben ihrer Nutzer eindringen, sollte kaum überraschen. Seit seinen Anfängen ist der PC gewesen, was die Wissenschaftssoziologin Sherry Turkle eine "Wunschmaschine" nennt. Nun, im Zeitalter der alles erfassenden Netze, vermittelt er zwischenmenschliche Begegnungen, vom Treff für alleinerziehende Elternteile über das innig-unschuldige tête-à-tête bis zum haltlosen "Cybersex". Dabei sind die chat rooms beileibe nicht die einzigen virtuellen Treffpunkte: Beim "Internet Relay Chat" ("Internet-Weitergabe-Geplauder"; IRC) treffen sich auf Tausenden von Kanälen Studenten, Wissenschaftler und Manager zu weltumspannenden Konversationen; in den "MUDs" ("Multi-User-Dungeons" - "Viel-Nutzer-Kerkern") benutzen die Teilnehmer Worte und Programmiersprachen, um Räume und Objekte zu bauen, sich fiktive oder halbfiktive Charaktere zu schaffen, Spielhandlungen zu erfinden, um Einfluß und virtuelles Geld zu wetteifern, entleibten Sex zu haben, zu töten oder gar zu sterben. Turkle, die als die Margaret Mead der Netz-Kultur gilt, hält fest: "Die Bildschirme der Computer sind der neue Schauplatz für unsere Phantasien, sowohl erotische als auch intellektuelle."

Daß die chat-Teilnehmer einander nur als Online-Pseudonyme sehen, die sie sich selbst geben, daß Körpersprache, Gesichtsausdruck oder die Modulation der Stimme fehlen, hat den Internet-Kenner Howard Rheingold von der "ontologischen Unglaubwürdigkeit des Cyberspace" sprechen lassen: Der Mensch wird zur virtuellen Repräsentation seiner selbst, die anderen Telepräsenzen wie in einem Tanz der Schatten begegnet; die Authentizität aller Beziehungen ist ständig infragegestellt, weil das Medium ein Maß an hohes Maskierung zuläßt. Jake, ein anderer studentischer chatter, weiß: "Du kannst sein, wer immer du willst. Statt schüchtern mitteilsam, statt höflich rüde. Wie andere dich wahrnehmen, läßt sich leicht ändern, denn sie wissen nur, was du ihnen gesagt hast und sagst. Es gibt dich nur als Sprache. Und wenn deine Persona eines Tages nicht mehr funktioniert, löschst du dein Pseudonym und erschaffst eine neue." Die Folge solcher Anonymität ist die vorbehaltlose Enthemmung; ein Besuch in der Mehrheit der Plauder-Zimmern gerät schnell zum Blick in die Tiefe sexueller Abgründe. Aus der Frage "Gehen wir zu dir oder zu mir?" ist im Zeitalter virtueller Simulation das "Kommst du mit in einen private room?" geworden - und was dort geschieht, ist als "gegenseitige narrative Stimulierung" (Rheingold) eher wohlwollend beschrieben.

Paradoxerweise sind die von den Maschinen geschaffenen Räume aber auch einer der letzten Orte in unserer vom Visuellen so übersättigten Kultur, in dem das elegante Wort noch Wert besitzt. "Die Verführung im Netz geschieht durch das Wort", bemerkt Nick - und tatsächlich zeigen gerade er und Jake, daß der Cyberspace fern der Kontakthöfe für den schnellen anonymen Thrill auch Verstecke des Subtilen birgt. Wo andere Plauderer brutal direkt sind, sind die beiden suggestiv: Eine Frau, die er zum ersten Mal in einem Raum anspricht, fragt Nick: "Wie riechst du, wie fühlen sich deine Schulterblätter an?" Jake sagt einer Gesprächspartnerin, mit der er einen mitternächtlichen Badeausflug imaginiert: "Deine Hände sind wie Vögel, die sich im Dunkel verflogen haben, deine Lippen ein Geschmack." Beiden Digital-Literaten gemeinsam ist das Gefühl, wie Nick es ausdrückt, "sich das Leben auf dem Bildschirm wie in einem Drehbuch in Echtzeit zu erschreiben." Der Dialog, dessen Ko-Autoren sie sind, zieht als Strom des Wortes vorüber, indem Zeile um Zeile am oberen Rand ihrer Bildschirme verschwindet, während von unten immer neue nachquellen - Sprache, die für einen Augenblick zum Artefakt geronnen ist, aber eigenartig flüchtig bleibt. So entsteht ein Raum, der den Fieberträumen französischer Strukturalisten entsprungen sein könnte: das Leben als Austausch von Zeichen, die Welt als Text.

Der Lohn der gelungenen rhetorischen Geste ist eine Erfahrung, die Nick wie Jake jenseits des Bildschirms weitgehend entbehren: "Wenn ich im wirklichen Leben einer Frau sowas sagen würde", berichtet Jake, "würde sie das kaum rühren, weil es von einem Gnom wie mir kommt. Im Cyberspace aber höre ich Kommentare wie 'Ach, du bist aber süß'." So spielt er mit Laura, der Krankenschwester aus Texas, erotische Szenarien durch, flirtet mit Rachel, der Wirtschaftsprüferin aus dem Bundesstaat Washington, nachdem deren Mann zu Bett gegangen ist; mit der siebenundvierzigjährigen Vera aus Oregon, die er "Muse" nennt, als sei das ihr Eigenname, tauscht er selbstverfaßte Sonette aus, und hört sich an, was Julie, die Alleinerziehende aus New York, von den alltäglichen Tragödien ihrer eigenen Einsamkeit berichtet: "Sie hat im chat room mehrfach Männer kennengelernt und übers Wochenende eingeladen; am Montag kam sie dann online, erzählte mir von ihren Erlebnissen und fing vor dem Bildschirm an zu weinen, weil wieder mal ein Gast außer Sex nichts von ihr wollte."

Wo das geglückte Leben vornehmlich eine Frage der geglückten Formulierung ist, scheint auch der Kontakt des Fleisches zur bloßen Formalität zu werden, entsteht ein Sog der Emotion, dem sich zu entziehen nicht leicht fällt: "Was du da liest, geht geradewegs an dein Herz, vorbei an aller Vernunft oder Skepsis", sagt Jake. Nicht zufällig wollte LSD-Prophet Timothy Leary im Internet "die psychedelische Droge der neunziger Jahre" erkannt haben, wird unter dem spielerischen Ton, der viele Cyber-Konversationen durchzieht, ein Hunger nach Intimität ahnbar. Daß unter solchen Umständen die Romanze nicht weit ist, weiß Jake schon länger; Nick hat es kürzlich schmerzlich erfahren müssen, als er beim Plaudern Diane, eine vierundzwanzigjährige Studentin aus Kalifornien, kennnenlernte. Mehrere im chat room und am Telephon verbrachte Nächte brachten das happy end zum Greifen nahe: "Es war, als ob sich unsere Seelen berührten. Und nur unsere Seelen. Wie wir aussahen, wer unsere Eltern waren, schien keine Rolle zu spielen." Die Liebenden empfanden den Schwindel einer Zeit, die sich zum Wechselspiel der Keyboards zu beschleunigen schien, und die Erregung einer sich rapide vertiefenden Beziehung: "Wir sprachen miteinander, als seien wir seit Jahren verheiratet und nur durch den Zufall beruflicher Verpflichtungen für eine gewisse Zeit getrennt." Jake erinnert sich an seine eigene Erfahrung mit der virtuellen Liebe: "Meine Gefühle waren sehr 'real' für mich. Der einzige Unterschied zum 'wirklichen Leben' schien zu sein, daß sie ihren Kopf nicht an meine Schulter lehnen konnte."

Der Versuch jedoch, die virtuelle Nähe ins real life, ins "wirkliche Leben", zu überführen, endete auch für Nick in Enttäuschung, als er sich mit seiner Cyber-Vertrauten von Angesicht zu Angesicht traf: "Es war, als ob eine Fremde in mein Haus gekommen sei." Das tiefe Einverständnis verflüchtigte sich: "Ich mußte vor mir selbst eingestehen, daß ich meiner romantischen Rhetorik zum Trotz nicht in der Lage war, mich von innen nach außen zu verlieben. Sie konnte das." Heute ist auch Nick klar, in welchem Maße er die Beziehung konstruierte: "Sprache ist alles, was man von einer Person hat, der große Rest wird in seinem Kopf ergänzt. Schon hast du die ideale Geliebte." Wie oft sich solche Geschichten in den Weiten des Cyberspace ereignen, vermag niemand zu sagen; gewiß ist, daß Nick, Jake und ihre virtuellen Partnerinnen zu den ersten gehören, die auszuhandeln suchen, was es heißt, nicht nur mit, sondern auch durch die Computer zu leben - ein Projekt, das unsere Gesellschaft als ganzes noch vor sich hat.

Nick hat, nachdem er sich, ganz wie im wirklichen Leben, drei Monate lang gescheut hat, im chat room überhaupt jemanden anzusprechen, seit kurzem eine neue Online-Bekanntschaft, mit der auch schon kurz telephoniert hat. Er hat auch schon wieder Schritte heraus aus den Spiegelhallen des Cyberspace unternommen, so tastend sie bislang auch sein mögen. Kürzlich hat er der Frau eine kleine Tupper-Schüssel mit zwei Handvoll Cornflakes geschickt; obenauf lag, sorgsam in Klarsichtfolie verpackt, eine Erdbeere, in der Innenseite des Deckels fand sich der Text: "Hi Brett. Möchtest Du mit mir frühstücken? Wie wär's mit übermorgen? Ich ruf' Dich an, halt' die Milch bereit. - Nick." Das Herz ist eben ein sehr elastischer kleiner Muskel.

(bpe)


Feuilleton


Arrh! No!! Schmidt!!!

Ist der Mythos des deutschen Großschriftstellers am Ende?

Es ist schon mutig, ein Buch herauszugeben, das nie geschrieben wurde. 25 Jahre hat Arno Schmidt an dem Buchprojekt "Lilienthal" herumgeplant, Material gesammelt, dieses dann doch wieder in anderen Büchern verbraten, mal eine Seite geschrieben, ein paar Zettelkästen angelegt und es dann doch auf später verschoben. Mal hängt es ihm "nicht nur zum Halse" heraus, dann wieder hält er die Durchführung des Riesenprojekts doch für möglich. Jetzt erscheint es im Haffmans Verlag. Was fasziniert so an Arno Schmidt, daß man schon ungeschriebene Bücher von ihm veröffentlicht?

Aus dem Krieg zurückgekehrt, setzte sich Arno Schmidt "Duden's nicht achtend" an die Schreibmaschine, um endlich zu werden, was er schon immer hatte sein wollen: Schriftsteller. Es galt, die durch den Krieg verlorenen Jahre aufzuholen - mit erbarmungslosem Fleiß. Fünfzehn Jahre später hatte er es geschafft: Er war der Held seiner Leserschaft - und das Haßobjekt seiner Feinde.

Wie kein anderer Nackriegsschriftsteller polarisierte Schmidt das Publikum. Während 'konkret' überzeugt war, er sei "mit Abstand Deutschlands bedeutendster Prosa-Autor der mittleren Generation" schrie der Mannheimer Morgen auf: "Gott schütze die deutsche Literatur!" Im Mai 1959 machte der SPIEGEL eine Titel-Story über ihn, Überschrift: "<<,;.-:!-:!!>>". Schmidts experimenteller Umgang mit Sprache wurde als "Kalauer und Schüler-Blödeleien", als "unüberbietbare Sprachverschluderung, wirres, ekles Gestammel" und "pathologisches Gekritzel" angefeindet oder als die "Summe der nach dem letzten Krieg in der Literatur versäumten formalen Möglichkeiten" hochgejubelt.

Doch für all das, so verkündete Schmidt, interessiere er sich überhaupt nicht. Der "Würgklichkeit" hatte er spätestens seit der Erfahrung des Krieges abgeschworen. "Ich habe im Zimmer weit größere Freiheit, als draußen; und die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare." Das wahre Leben war für den selbsternannten "Wortweltnbauer" das "längere Gedankenspiel", also die Flucht in eine möglichst detailreiche und ausgeklügelte Phantasiewelt. Von ihm selbst wohl während seiner Militärzeit und der Kriegsgefangenschaft als Überlebensmittel genutzt, wurde das "längere Gedankenspiel" jetzt zum Lebenscredo: "Das muß'n armer Mann sein, der, im Lauf seines Lebens, sich nich mindestens 3, 4 kommplette Welltn, inclusieweMühtollogie aufbaut!".

Und so zog er sich, sobald er das Geld mühsam mit Radioprogrammen und anderen literarischen Brotarbeiten angeschafft hatte, in eine Hütte in Bargfeld zurück. Im Flachland um das Dörfchen fand er , was er suchte: "Wieseneinsamkeiten". "Mir war schon als Kind nichts lieber, als weite Ebenen, mit Haide bedeckt, Moor eingemischt, darin Kiefernwaldungen auf Sandboden; kurzum karge, menschenleere Öde", schrieb er in den Materalien zu einer Selbstbiographie. Er wählte die Isolation bewußt, denn "nur ungestört (und alles, was von außen kommt, ist, nach dem man genug gelebt hat, Störung!) kann man ganz der werden, der man ist." Von dort ließ er nur selten etwas verlauten, ansonsten vergrub er sich unter Büchern und Arbeit.

Eine literarische Schwerstarbeit, die ihm sichtlich zusetzte. Als sein Hauptwerk "Zettels Traum" nach fünf Jahren fertig war, wog es 9 Kilo. Auf 1330 Seiten DIN A 3 hatte Arno Schmidt einen einzigen Tag (!) beschrieben. 120 000 Zettel, auf denen er literarisch-sprachliche Kleinstideen festgehalten hatte, waren die Basis des Textes. Das erste halbe Jahr hatte er 14-16 Stunden daran gearbeitet; dann war er zusammengeklappt und hatte acht Tage lang nur geschlafen.

Daß "Zettels Traum" praktisch unlesbar, ja größtenteils überhaupt nicht mehr dechiffrierbar war, störte ihn nicht im geringsten. Denn schließlich, so rechnete er der erstaunten Öffentlichkeit vor, existiere sowieso nur eine ernstzunehmende Leserschaft in der Größe der dritten Wurzel aus p (Population). Er habe also in der BRD höchstens 390 Leser, die sein Werk verstünden.

Damit war ein wesentlicher Grundstein zu seiner Verkultung gelegt: Wer seine Bücher nicht mochte, der verstand sie nicht. Diese Einsicht wurde unumstößliches Dogma der Schmidt-Gemeinde. An die Stelle der Lust am Lesen war die literarische Ostereier-Suche getreten.

An Selbstvertrauen hat es Schmidt nie gemangelt. Den Journalisten erklärte er ganz ungeniert: "Ich finde niemand, der so oft recht hätte wie ich". Die Dichterkollegen, die im Gegensatz zu Poe, Joyce und Lewis Caroll nicht seinem literarischen Götterhimmel angehörten, sahen sich harter Kritik ausgesetzt. Nur wenige Autoren kamen ungeschoren davon. So manchen erwischte es böse: Goethe - "Rumpelkiste", Balzac - "Kein Dichter, kein Verhältnis zur Natur", Schiller - "dialogisierte Kriminalromane", Platon - "voller stillistischer und philosophischer Plattheiten" etc. Schmidt war nicht nur davon überzeugt, dies alles beurteilen zu können, auch an seiner eigenen Genialität hat er nie gezweifelt.

Und so taucht dann in einem späteren Roman sein eigenes Meisterwerk ZT (Zettels Traum) als "...dies (schon legendäre!) RiesenBuch; das vom Alltäglichen, (ja, dem Herrlichstn=SubAlläglichn ! ), der alltn Zeitn redit!...?" auf. Daß Schmidt den Verfasser des "Überbuchs" den Namen "TIMON d'ARSCH" (ein Anagramm Arno Schmidts) gibt, zeugt von gewisser Selbstironie.

Wie aber läßt sich seine Literatur beschreiben? Praktisch gar nicht! Also, versuchen wir's mal: Sie besteht aus zwei Bausätzen: 1. dem spielerischen bis verkünstelnd-verdrechselnden Umgang mit der Sprache und 2. dem Prinzip der Meta-Literatur, soll heißen: Schmidts Bücher haben kaum (oder nur unwichtige) Handlung. Das eigentlich wichtige sind die geäußerten Reflexionen über Literatur. So ist beispielsweise "Zettels Traum" als riesiges Buch über Edgar Allen Poe zu lesen. Über den unterhalten sich die Hauptfiguren nämlich bei jeder Gelegenheit ("AH! Pro:Poe;")

Daß es sich bei seinen "Anekzot'n" nicht um Kalauer handle, erklärte Schmidt anhand der "Etymtheorie". Ihr zufolge sind die Worte im menschlichen Gehirn nicht semantisch, sondern phonetisch gelagert. Ein Umstand, den sich die Werbung längst zunutze gemacht habe, man denke nur an "Rama"- wem fiele da nicht der gute Rahm ein ("oder ein englisch-rammelndes 'rum'")? Es sei endlich an der Zeit, daß auch die Literatur diese Chance nutze, um hinter das Vordergrundgeschehen einen phonetischen Echoraum zu blenden, der das Unbewußte des Lesers unbemerkt bearbeite. Der Leser solle sich dann, nachdem er von POlitik, POesie, POlemik, LiPOsomen und HiPOkrates gelesen habe, mit einem unbewußt mitschwingenden "Po-Po" im Ohr aus dem Sessel erheben. Ziemlich verschroben? Allerdings! Daß Schmidt mit dieser Theorie im Nacken bei seinen literarischen ANALysen Poes und Karl Mays mehr hinein- als herauslas, dürfte kaum überraschen.

In seinen eigenen Werken -besonders dem Spätwerk- nahm die Sprachverdrehung gar kein Ende mehr. Bisweilen wurde ihm deswegen vorgeworfen, er imitiere Joyce, vor allem dessen 'Finnegan's Wake'. Ein Vorwurf, den Schmidt brüsk zurückwies: Er selbst schrieb, es bestehe "natürlich nicht die geringste Ähnlichkeit!". Natürlich.

Trotz oder gerade wegen der Körperfremdheit ("Ich habe immer das Gefühl, als wenn "ich" mich etwa in Kopfhöhe hinter "mir" befände.") des selbsternannten "Gehirntiers" strotzten seine Bücher von Tabubrüchen. Mit seiner derben Erotik und seinem Interesse für alle Defäktions- und Drüsenaktivitäten des menschlichen Körpers war er schnell zum Feindbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft geworden. Und natürlich ließ er sich auch nicht nehmen, den literarischen Halbgott dieser Gesellschaft Thomas Mann auf eine schriftliche Anfrage hin gnadenlos abzufertigen. Mann habe, so Schmidt trocken, "sprachlich nie etwas gewagt"; ihm sei "jeder Expressionist" voraus gewesen. (Wer wollte ihm da wiedersprechen? Aber lassen wir das.).

So entwickelte sich Arno Schmidt immer mehr zum Kultobjekt einer links-intellektuellen Leserschaft, die sich gerne mit der Feder schmückte, zu den 390 literarisch verständigen Menschen der Republik zu gehören. 1970 nahm das A.S.D.S. (Arno-Schmidt-Dechifrier-Syndikat) seine Arbeit auf. Ab 1972 erschienen in der eigens gegründeten Zeitschrift "Bargfelder Boten" die neusten Nachrichten und Entschlüsselungen aus dem Kosmos des "Wortweltnbauers". Versteht man wie Umberto Eco einen Roman als eine Maschine, deren Aufgabe darin besteht, möglichst viele Interpretationen zu produzieren, so haben Schmidts Bücher zumindest diese Aufgabe bewältigt: neben dem Bargfelder Boten ergossen sich zahlreiche weitere Ströme der Sekundärliteratur, mündend im Ozean der Meta-Meta-Literatur.

Doch die Liebe zwischen den Linken und Arno Schmidt, dem orthodox atheistisch und antiklerikalen Entlarver und Verhöhner des Spießertum geriet Ende der sechziger Jahre in äußerst unruhige Gewässer. Er, der sein Leben lang mit kompromißlosem Fleiß für den ewigen Ruhm gearbeitet hatte, mußte mit Entsetzen feststellen, daß die Jugend sich einen Scheißdreck für die Ewigeit interessierte, für den von Schmidt geforderten erbarmungslosen Fleiß bei der Aneignung der Kulturgüter nicht zu haben war, sondern sich im Sumpf der Empirie den Freuden des Lebens hingab. Umgekehrt mußten sich die Linken über eine immer weiter fortschreitende Verspießerung ihres einstigen Idols wundern. Zum endgültigen Bruch mit den Linken kam es anläßlich der Goethepreisrede 1973. Hier ließ er von seiner Frau verlesen (er selbst war lieber in Bargfeld geblieben), "unser ganzes Volk, an der Spitze natürlich die Jugend," sei "mitnichten überarbeitet, vielmehr typisch unterarbeitet". Und weiter: "Ich kann das Geschwafel von der 40 Stunden Woche nicht mehr hören: meine Woche hat immer 100 Stunden gehabt." - eine Ohrfeige für die Linken. Die wahren Schmidtianer blieben dem Meister trotz allem treu ergeben.

Und heute? Da bringt der Haffmans Verlag ein enorm aufwendiges Kompendium heraus, läßt vom Herausgeber Bernd Rauschenbach alles zusammentragen, was mit dem großen Buchprojekt "Lilienthal 1801" zu tun hat, - und keinen interessiert's. Außer den Schmidtianern natürlich. Man stelle sich derartiges bei Mann oder Hesse vor! Mit der Edition der Lilienthal-Fragmente scheint eine Ära zu Ende zu gehen, Höhepunkt und Endpunkt der Schmidt-Verkultung in einem. (fw)

Arno Schmidts "Lilienthal 1801. oder Die Astronomen", Haffmans Verlag Zürich, 172 Seiten, 180 DM.


Feuilleton


Perser

Kalila und Dimna

Zwei Hochschullehrer der Heidelberger Uni übersetzen einen persischen Bestseller aus dem 12. Jahrhundert.

"Womöglich das älteste, auf alle Fälle aber eines der ältesten Bücher der Welt" hat Professor Seyfeddin Najmabadi nach eigenen Angaben mit Siegfried Weber übersetzt. Die Fabelsammlung mit dem Titel "Kalila und Dimna" ist über Jahrhunderte in die verschiedensten Sprachen übertragen worden. Der ursprüngliche Text war in Sanskrit, der alten Brahmanen-Sprache Indiens verfaßt worden. Von dort wurde sie ins Mittelpersische und Arabische übersetzt. Dabei reicherten die Übersetzer den Text mit Koran-Zitaten und anderen lehrreichen Sentenzen an. Im Mittelalter entstanden auch Übersetzungen ins Lateinische.

Es ist erstaunlich, daß eine moderne Übersetzung des Buches, das in der islamischen Welt mindestens so bekannt ist wie die Märchen aus tausend und einer Nacht, erst jetzt vorliegt.

Die Übertragung der persischen Version, die die beiden Iranisten am 30.4. im iranischen Kulturzentrum vorstellten, wirkt stellenweise etwas künstlich an die Umgangssprache angelehnt. Das schmälert jedoch die Leistung der Übersetzer nicht, die an der Übertragung der Gedichte und arabischen Einflechtungen schwer zu knabbern hatten. Die zahllosen oft vier- und fünffach ineinander verschachtelten Geschichten bereiten echten Lesespaß. (fw)

(Kalila und Dimna, Beck-Verlag, 49. 90 DM)


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:

kein ruprecht - nicht empfehlenswert
ein ruprecht - mäßig
zwei ruprechts - ordentlich
drei ruprechts - empfehlenswert
vier ruprechts - begeisternd

absolut power (3)

Vorsicht: Der Titel des Streifens klingt nach der Art Action-Schrott, wie ihn die Amerikaner ebenso mühelos wie regelmäßig in unsere Kinos schicken. Doch wenn ein Film von und mit Clint Eastwood ist, denkt sich der Zuschauer, könnte sich vielleicht doch etwas Ordentliches dahinter verbergen. Und tatsächlich: Eastwood brilliert als alternder Meister-Einbrecher, der zufällig Zeuge eines Mordes wird und bald darauf in größte Schwierigkeiten gerät, weil in den Mord kein Geringerer als der Präsident der Vereinigten Staaten verwickelt ist. Den spielt Gene Hackman, der in Hollywood inzwischen auf die Rolle des intensiven Bösewicht abonniert ist, überzeugend wie immer. Nur sieht er halt so sehr nach Gene Hackman aus, daß es ein wenig schwer fällt, sich den US-Präsidenten vorzustellen. Schade ist, daß Hauptdarsteller und Zuschauer von Anfang an alles wissen und durchschauen, so daß relativ wenig Überraschungen bleiben, was etwas von der Spannung wegnimmt. Dennoch erweist sich "Absolute Power" als gutgemachter Thriller, der, was heutzutage selten geworden ist, ohne explodierende Autos und stundenlange Schießereien auskommt, sich aber ein gelegentliches Augenzwinkern gönnt. (ah)

2 Tage L.A. (4)

Zwei Bullen, einer neurotisch, der andere scharf auf Detektivspielchen. Zwei Gangster, einer Profikiller, der andere nicht viel mehr als ein Pizzabäcker mit schlecht sitzendem Toupet. Zwei Frauen, eine läßt ihren Mann umbringen, die andere ist Gehilfin des Killers. Dazu noch ein arroganter Manager mit Nierenproblemen, eine unterwürfige Sekretärin, eine Krankenschwester und ein paar Statisten. Viele Figuren, deren Leben scheinbar nichts gemeinsam haben, werden ins Spiel gebracht und zum Teil auf irrwitzige Weise zusammengeführt. 2 Tage L.A. ist ein perfekt inszenierter, gut ausgetüftelter Episodenfilm. Voll von Überraschungen, unerwarteten Wendungen, spannend und witzig bis zur letzten Szene. (papa)

Wilde Kreaturen (3)

Vielleicht liegt es daran, daß die Tiere in "Ein Fisch namens Wanda" allesamt kein sonderlich glückliches Ende erleben durften: Jedenfalls dreht sich im neuen Film von John Cleese alles darum, einen Zoo zu erhalten. Beim engen Kontakt mit den Bestien stellt sich ganz schnell heraus, daß die eigentlichen Wilden ihre spärlich behaarten zweibeinigen Freunde sind - und folgerichtig landet Direktor Rollo, gespielt vom britischsten aller Monthy-Pythons, Cleese selbst, samt seinem Büro im Käfig. Gar nicht so einfach, einen der erfolgreichsten englischen Filme in die Kinos zu bringen und dann nicht der Versuchung zu erliegen, eine Fortsetzung zu drehen. Aber "Wilde Kreaturen" ist kein Wanda-Abklatsch. Zwar sind die Hauptrollen vom gleichen Team besetzt, aber ganz anders verteilt: Statt Mr. Fawlty Towers ist jetzt Jamie Lee Curtis als (karriere-) geile Managerin die einzig halbwegs Normale, Wanda-Stotterer Michael Palin hört nicht mehr auf zu reden ("Ein Ameisenbär gratis beim Kauf von zwei überteuerten T-Shirts"), und Kevin Kline, der seit der Pommes-Frites-Folter einen Oscar zu Hause hat, darf sogar zwei Charaktere spielen.

Kein Film, der für die Ewigkeit ist - aber ewig viel Spaß macht. (gan)

Lone Star (4)

Auf einem alten Schießplatz in der texanischen Wüste finden zwei Männer ein Skelett: die Überreste des alten Sheriffs der Gegend, der vor vierzig Jahren mit der Gemeindekasse verschwand und in der Erinnerung der Menschen als korrupter Blutsauger weiterlebte. Inzwischen hat den Posten der Sohn des Widersachers und Nachfolgers des tyrannischen Gesetzeshüters inne, Sheriff Deeds junior.

Sein Vater ist zum Mythos für Gerechtigkeitsliebe und Prosperität des Ortes geworden. Als Deeds versucht, die Rolle seines Vaters beim Verschwinden des alten Sheriffs herauszufinden, stößt er auf immer neue Widersprüche - bis aus der Routineermittlung eine Suche nach der eigenen Vergangenheit geworden ist.

Unter dem Steppensand ist mehr als nur ein paar bleiche Knochen begraben. Die Wahrheiten, die Deeds schließlich entdeckt, sind ganz andere, als er finden wollte: er begreift, daß allzu menschliche Zwänge den Vater bei seiner Erziehung leiteten.

Fazit: Regisseur John Sayles ist mit Lone Star eine fast schon zu schön erzählte, dichte Story gelungen, die trotz Themen wie Rassismus und dem Generationenstreit den moralischen Zeigefinger und Happy-end-Schmalzerei ausläßt. (gan)

Zeit der Sinnlichkeit - Restoration (2)

Männer mit Lockenperücken, wohlfrisierte Damen in wallenden Gewändern, pompöse Musik, prunkvolle Gemächer und viel Gold: ein Film von Michael Hoffmann so bunt wie der Hof Charles' II. von England um 1660.

Nicht jedem jungen, aufstrebenden Arzt ist es vergönnt, eigenhändig das schlagende Herz eines lebenden Menschen zu berühren. Merivel (Robert Downey jr.) tut es. King Charles ist begeistert und ruft ihn an den Hof. Der eifersüchtigen Gattin wegen verheiratet Charles den hörigen Lakaien kurzerhand mit seiner Maitresse - Voraussetzung: Die "Sinnlichkeit" bleibt dem König vorbehalten. Das Unvermeidbare geschieht: Der Frauenheld verliebt sich in die eigene Frau... - Aus dem Hofarzt für Hündchen wird ein Irrenarzt und Musiktherapeut bei Quäkern, schließlich arbeitet er als Pestarzt.

Der Stoff ist nicht neu, doch wem bei Historienschinken über Liebe und Tod, Auf und Ab des Lebens, Taftröcke und Spanieldamen kein Schauder über den Rücken läuft, wer schon immer mal Hugh Grant mit Löckchenperücke und Schönheitsflecken oder Meg Ryan als irre Irin sehen wollte, kann diesem Film durchaus einen Sonntagabend widmen; er ist besser als sein Titel verspricht. (cw)


ruprecht on the record

Musiktips

...but alive:

Bis jetzt ging alles gut

Als die Split -Single "Ich will Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen" erschien (die anderen "Quotenhuren" kommen übrigens auch nicht viel besser weg), konnten sich die ...but alive-Freunde sicher sein, daß die Hamburger Indie-Band auch auf ihrem dritten Album Tacheles reden würden. Und in der Tat: Auf "Bis jetzt ging alles gut" legen die Herren aus Hamburg nicht nur den Finger in die Wunde, nein, sie puhlen auch noch kräftig darin herum. Zeilen wie "Alles, was du nicht brauchst, muß genügen" gehören wohl zum Besten an deutschsprachiger Underground-Lyrik der Gegenwart. ...but alive schwingen nicht den moralischen Zeigefinger. Dennoch fühlt sich der Hörer auf Schritt und Tritt ertappt.

Die dritte CD ...but alive stellt gleichzeitig ein Debüt dar. Es ist die erste, die die Hamburger Band auf ihrem eigenen Label (B.A. - Records) herausgebracht haben.

Musikalisch paßt auch die neue ...but alive in keine Schublade: Wurzeln im Punk und Einflüsse aus dem SKA sind unüberhörbar, doch der schnelle, gitarrenlastige Sound bleibt unkategorisierbar. Also: kaufen, selber hören! (fw)

Buckshot LeFongue:

Music Evolution

"Add a little this, take out a little that. Than you come up with that jazz called rap"

Das gibt Branford Marsalis mit auf den spannenden Weg durch seine neueste CD. Wer nur Jazz-Hiphop- erwartet, wird getäuscht: Selten findet man Künstler wie Marsalis, die das Wagnis eingehen, Titel in verschiedenen Musikgenres auf einer CD, sogar im gleichen Stück, zusammenzubringen: ruhigen Soul-Pop mit Streichern, von Hiphop-Groove unterlegt oder Beebop-Bläsersätze im Jungle-Groove. Nach jedem Titel muß der Zuhörer auf alles gefaßt sein: Einem Saxophon-Solo über Sample-Grooves folgt gitarrenstarker Hard-Core-Rap, darauf eine Ballade im Stevie-Wonder-Sound. Bei so vielen Einflüssen dürfen die Originale nicht fehlen: So duellieren sich David Sandborn und Marsalis über James-Brown-Bläsersätze oder G.U.R.U., mit seinem Projekt Jazzmatazz einer der großen Wegbereiter des Hiphop-Jazz, interveniert als Gast-Rapper. Mit Leichtigkeit und viel Witz kombiniert Marsalis Samba-Motive und Hiphop und verabschiedet sich schließlich ganz in Coreas Electric-Light-Orchestra-Manier. (jm)

Bobby McFerrin:

Circlesongs

Einer allein eine Band - Bobby Mc Ferrin glänzt bei seinen Soloauftritten durch seine Gabe, eine Vielzahl von Stimmen und Geräuschen alleine produzieren zu können. Im Zusammenspiel mit anderen hat er sich nie festlegen lassen. Mal Pop, mal Jazz und zuletzt auch Klassik, McFerrin beherrscht alle Bereiche und fügt ihnen seine unverwechselbare Färbung hinzu. Das neuste Produkt McFerrins besteht aus acht A capella-Aufnahmen, die weder eigentlichen Titel noch Text haben. Formal gesehen sind die Stücke alle gleich aufgebaut, sie haben eine Grundsequenz, die nur aus 4 Takten besteht. Man könnte daher Monotonie und Langeweile erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Für ein voluminöses und vielschichtiges Fundament sorgen 12 Sängerinnen und Sänger aus aller Welt. Darüber legt McFerrin in gewohnt ungewohnter Weise Klänge aus allen Tonlagen. "Circlesongs" hat etwas ungemein Beruhigendes an sich, wohl auch wegen der einfachen Grundsequenz und den eingängigen Rhythmen; Ähnlichkeiten mit Gospelsongs bestehen. Die Detailstärke des Ensembles macht aber auch bei konzentriertem Zuhören große Freude. (papa)

Glenn Gould:

Bach: Italienisches Konzert

D. Scarlatti: Sonaten

Glenn Gould hörte mit 30 auf, Konzerte zu geben. Die Situation des Konzerts sei sadistisch gegenüber dem Solisten, und der Zuschauer (besonders die fachkundige Konkurrenz) hoffe nur darauf, daß er sich endlich kräftig verspiele. Außerdem mache die Perfektionierung der Tontechnik den Konzertsaal völlig unnötig. Also widmete sich Gould völlig der Arbeit im Tonstudio.

Ständig begann er neue Projekte (Gesamtaufnahme der Skriabin-Klaviersonaten, Gesamtaufnahme der Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien), um sie nach kurzer Zeit wieder abzubrechen.

So blieben den vom Perfektionisten Gould entnervten Herren von Columbia-Records ständig Aufnahmen übrig, die nur schwer zu einem sinnvollen Album zusammenzustellen waren. Ähnlich bei den nun auf CD erschienen Aufnahmen. Wer Goulds klaren Stil mag, wird hier großes Hörvergnügen haben. Was soll man sagen? Gould zu loben wäre einfach anmaßend! (fw)


Allerhand


Leserbriefe

zum Interview "Aus für Freud?" mit Publizist Ludger Lütkehaus, ruprecht 47

Wer, wie Ludger Lütkehaus, Freud und seiner Psychoanalyse Antiquiertheit vorwirft, wenn auch nur in der harmlosen Form eines Verdachts, der fällt dieser selbst anheim. Denn es ist eine Binsenweisheit, daß wissenschaftliche Entwürfe sich ständig aufgrund ihrer sowohl theoretischen als auch inhaltlichen Weiterverarbeitung im Wandel befinden. Solange die Tiefe, die die Theorie selbst zeigt, nicht ausgelotet ist, gerät Kritik schnell zum bloßen Abschaffungspostulat. (...) Sicherlich traf Freud höchst problematische Zuordnungen zwischen subjektiven Erfahrungen und den als objektiv vorgestellten Energieabläufen, als er die aus der Praxis eines therapeutischen Interaktionsprozesses entwickelten Kategorien in ein Energieverteilungsmodell übertrug. Solch ein methodologischer Irrweg läßt sich aber als fruchtbarer Irrtum (Lorenzer) lesen. (...) Wer Freuds Triebkonzept als "hangover" des 19. Jahrhunderts behandelt, bleibt bei der vulgären Triebtheorie einer Dampfkesselfunktion stehen.

Bemerkenswert ist, daß Ludger Lütkehaus in seinem Interview nicht dem Trend subjektivistischer Erklärungsansätze, die allgemein als Reaktion auf einen überspitzten Objektivismus gesehen werden können, zu folgen scheint. Er entdeckt als Forschungsobjekt "das Innenleben der Dinge". Während er hier aber lediglich auf der Ebene sozialintegrativer Prozesse verbleibt, die das Individuum normativ einbinden, wird dem Interessierten vorenthalten, was denn eigentlich das Wesen des "Innenlebens der Dinge" ist. Er vermeidet zu benennen, was es erklären könnte, nämlich Marxens Entdeckung des Doppelcharakters der Ware. Sie stellt das Einfallstor jenes Bereiches dar, in dem der Wirkzusammenhang von Warenstruktur und handelndem Subjekt analysierbar wird. Hier ist die allgemeine Fetischisierung der Warengesellschaft, also jener Fetischcharakter der Ware - als subjektives Verhaltensbewußtsein - zu nennen, dessen objektive Ursache in der ökonomischen Struktur verankert ist und jenes notwendig falsche Bewußtsein produziert, das die subjektive Sicht in objektive Verhältnisse versperrt.

Lütkehaus schüttet schließlich das Kind mit dem Bade aus, wenn er, getreu dem Motto: Brauchen wir den Menschen noch?, eine "Antiquierungsgefahr des Menschen" heraufbeschwört, ja die Humanwissenschaft unter "Antiquierungsverdacht" stellt, weil er im Zuge der Entwicklung heute, "an die Stelle des Subjekts Mensch mehr und mehr die Dinge treten" sieht. Wissenschaft veraltet nicht, wenn ihr Forschungsgegenstand gegen Kritik immun zu sein scheint. Es gilt vielmehr die Analyse und Kritik der objektiven Verhältnisse selbst dergestalt fortzusetzen, so daß das Subjekt im Sinne der Verwirklichung des Humanums wieder zur Geltung kommt. Alles andere ist Zynismus.

Dr. Klaus Irmer, Frankfurt a.M.

zum Artikel "Flaues Gefühl bei schmucker Elite - Symposium über Ausbildung", ruprecht 47

Man kann nur hoffen, daß der Artikel versehentlich auf die falsche Seite gerutscht ist und normalerweise unter der Rubrik "kleiner Scherz am Rande" aufgetaucht wäre. Ansonsten ist es völlig unverständlich, wieso in einer Studentenzeitung ein anti-elitärer Artikel erscheinen kann. Dem Blatt, das mehr Wert darauf legt, Studenten die Möglichkeit zu geben, ihre unüberlegte Meinung zu verbreiten, anstatt sich um ein journalistisches Gesamtkonzept zu bemühen, scheint entgangen zu sein, daß die Elite, die es für das Übel unserer hoch entwickelten und technisierten Gesellschaft hält, notwendige Voraussetzung für diese ist. Der politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und persönliche Standard, den jeder in unserer Gesellschaft genießt, wäre ohne die entsprechende Elite gar nicht möglich. Ohne sie wäre auch eine Entwicklung unvorstellbar und wir alle würden ein geregeltes Dasein als Selbstversorger führen. Dem Autor mag die Aussicht, eine Jäger- oder Sammler-Existenz zu fahren, vielleicht romantisch erscheinen, aber jeder, der schon einmal in den Genuß einer Blinddarmoperation oder einer Altantiküberquerung im modernen Großraumflugzeug gekommen ist, sollte seine unüberlegte Anti-Haltung (auch wenn sie gerade sehr 'in' ist) vielleicht noch mal überdenken. (...)

Unser gesellschaftliches Prinzip beruht auf Arbeitsteilung. Jeder macht oder versucht das zu machen, wozu er fähig ist. Für uns heißt das, jeder ist auf jeden angewiesen. Wir auf die Elite, genauso wie die Elite auf uns. Eine Gesellschaft kann deshalb genausowenig nur aus Elite bestehen wie aus Durchschnitt. Auffällig daran ist, daß die Menschen, die wir als Elite bezeichnen, dies zu verstanden haben scheinen, aber leider nicht umgekehrt. (...)

Wenn also unbedingt eine völlig überflüssige Eliten-Diskussion stattfinden soll, dann doch bitte über die Frage, warum der Begriff Elite selbst unter Studenten immer noch ein Tabu ist und die nötige Förderung, die Begabte erhalten müssen, in Deutschland - ganz im Gegensatz zum Rest der Welt - verpönt ist!

Dieter Kurtze

Heidelberg


Termine

Tragische Opfer

Vom 19. Juni bis 9. Juli 1997 zeigt die Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte die Ausstellung "Deutsche Jüdische Soldaten - Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege", die vom militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam erarbeitet wurde. Sie zeigt einen Ausschnitt jüdischen Lebens in Deutschland, der immer von den beiden Gegensätzen Patriotismus und Antisemitismus gekennzeichnet war. Eine besondere Tragik liegt darin, daß gerade die Opferbereitschaft für Deutschland, die Deutsche jüdischen Glaubens im Ersten Weltkrieg gezeigt hatten, viele Juden zunächst nicht an die tödliche Konsequenz der Verfolgung durch die Nazis glauben ließ.

Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Pfaffengasse 18. Geöffnet täglich, außer montags, von 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 20.00 Uhr. Eintritt frei.

Diverses

2.-20. Juni: 5. Heidelberger Poetikdozentur - Brigitte Kronauer (Seminare, Vorträge, Lesung), Info: Germanistisches Seminar, Tel. 543230 (Di. und Mi. 11-13 Uhr)

3. Juni: Informationsveranstaltung für Staatsexamenskandidat(inn)en um 19 Uhr im Hörsaal 8, Neue Uni.

6. Juni: Autorenlesung von Daniel Chavarría (Havanna) aus "Die Wunderdroge" (ein lateinamerikanischer Politthriller), 20 Uhr, Buchhandlung Himmelheber.

9. Juni: Prof. Dr. Peter Ulmer, "Ich rechne ab", 15 Uhr, INF 684 (Klausenpfad-Aula). Im einzig öffentlich tagenden Uni-Gremium legt der Rektor vor seinen Kollegen und Untergebenen seinen Rechenschaftsbericht ab. Erlebt, wie sie dabei umgehen. Spontane Publikumseinlagen sind, wie Nachfolger Jürgen Siebke bei der letzten Versammlung erleben mußte, möglich, aber nicht für alle erheiternd.

13. Juni: Frauentag am Psychologischen Institut, 9-18 Uhr - nicht nur für Frauen. (siehe S. 2)

15. Juni: Projekttag Altertumswissenschaften.

17. Juni: Uniwahlen (siehe S. 2).

18.-23. Juni: Aktionswoche - Agitation von Fete bis Hochschulkritik.

Bis jetzt haben einige Fachschaften, ein paar FSK-Referate und -Arbeitskreise, die Jusos, das Aktionsbündnis "Zahltag", "Appel un' Ei", die Fahrradwerkstatt "URRmEL" und die KSG Aktivitäten angekündigt.

Koordinationstreffen: dienstags 18 Uhr bei der FSK, Lauerstr.1.

Immer erreichbar, ob im Juni oder in einem anderen Monat: Nightline - Studierende helfen Studierenden, Telefon 184708, montags, mittwochs, freitags 21-2 Uhr.


Personals

Harald? Schön, daß du bei uns mitmachen willst. Haben wir deine Telephonnummer schon? - Red.

Felix! Ich schließ' mich Ugo an: Willkommen, Sonnenstrahl. - Gunni.

Gundula! Des Bild bleibt so! - papa.

A.! Tut mir leid. - B.

Bernd! "Kuchen gegessen" habt ihr, hm? Im Park? Respekt, Mann! - The Greek Team.

bpe! Wieso bestellst du immer zwei Studententeller? - papa.

papa! Weil es von mir erwartet wird. - bpe.

SweetShoulders! When the heavens thy substance did engender / 'Twas meant to be devoured, and in plenty spent. - bpe.

Steffi! Sista moon will be ah guide. - papa.


Impressum

ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en Zeitung, erscheint drei Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht ruprecht als unabhängiges Organ, das keiner Gruppierung oder Weltanschauung verpflichtet ist. MitarbeiterInnen und RedakteurInnen sind willkommen; die Redaktion trifft sich während des Semesters jeden Montag um 20 Uhr im Haus der Fachschaften in der Lauerstr. 1, 3. Stock. Für namentlich gekennzeichnete Artikel übernimmt der/die AutorIn die Verantwortung.

V.i.S.d.P.: Gundula Zilm, Schiffgasse 9, 69117 Heidelberg

Redaktionsadresse: ruprecht, Lauerstr.1, 69117 Heidelberg, Tel./Fax 06221/542458

E-Mail: ruprecht@urz.uni-heidelberg.de

Graphiken: jr, bw, papa

Druck: Caro-Druck, Frankfurt

Auflage: 12.000

Die Redaktion: Julia Bonstein (jb), Helge Cramer (hpc; Ressort Anzeigenakquisition), Hedwig Ebinger (hee), Bertram Eisenhauer (bpe), Thilo Elsässer (te), Katharina Hausmann (kh), Jörg Heyd (jh), Jochen Maul (jm), Gabriel Neumann (gan), Harald Nikolaus (hn; Hochschule), Patrick Palmer (papa; Fotos), Jannis Radeleff (jr; Anzeigenlayout), Robert Thielike (rot), Claudia Wente (cw), Felix Wiesler (fw; Kultur), Bernd Wilhelm (bw), Gundula Zilm (gz)

Freie Mitarbeiter(innen): Carina Börries (cab), Kerstin Henke (ke), Andreas Hüske (ah), Lena Kempmann (lk), Danilo Suntal, Holger Traupe (hot), Melanie Ziegler (mz)

Red.-Schluß für Nr. 49: 27.06.1997

ISSN: 0947-9570

ruprecht im Internet: http://www.uni-heidelberg.de/stud/presse/ruprecht/


Nebenbei...

Plakate haben eine kurze Lebenserwartung: Kaum sind sie aufgeklebt, werden sie schon brutal abgerissen. So auch die Plakate für die ruprecht-Fete: Kaum bin ich um die Ecke gegangen, um das nächste Plakat zu befestigen, ist das vorige verschwunden. Sisyphos läßt grüßen. Wer macht so was bloß? Nun, wenn an denselben Stellen, wo vorhin noch unsere Plakate hingen, plötzlich welche hängen, die für die Soziologen-Fete werben, drängt sich ein Verdacht auf. Und tatsächlich begegnen mir zwei Soziologen, die ein zerknülltes ruprecht-Plakat in den Händen halten. Sie schauen mich schuldbewußt an. Wir hätten ja damit angefangen, ihre Plakate abzureißen, behaupten sie. Ich gebe das Kompliment zurück, aber was soll's? Ob nun das Huhn oder das Ei... - wir einigen uns auf Waffenstillstand: Sie lassen die Finger von unseren und wir von ihren. Als dann immer noch ruprecht-Plakate in der Mensa verschwinden, erklärt mir eine Angestellte, ich bräuchte nichts aufzuhängen, da sie es sowieso wieder abreiße. "Da brauche Se ä schriftlische Genehmigung!", weiß sie. Alles Verhandeln nützt nichts - auch auf die Frage, wen das denn störe, wenn das Plakat bis heute abend hängenbleibe, fällt ihr nichts ein als "schriftlische Genehmigung!" Wenn ich mir ihr Gesicht ansehe, wird mir klar, daß sie mir ohne schriftlische Genehmigung nicht mal die Uhrzeit sagen würde. Ich sollte sie besser nicht überfordern. Beim nächsten Plakat erwischt mich ihre Kollegin, doch die erweist sich als kooperativer. Sie müsse leider alle Plakate abreißen, weil sie sonst von ihrem Chef auf den Deckel bekomme. Aber "mittags kannst Du die aufhängen, das geht". Na, das ist doch ein Angebot. Auf meine Frage, ob sie nichts Wichtigeres zu tun habe, folgt die nächste Belehrung: "Des isch verbode!" Waren wir nicht schon mal so weit? Und es grüßt wieder Sisyphos... (ah)


Sport


Haball, Fuball, Voball

Hochschulmeisterschaften, Hale-Bopp und der kleine Prinz

Ein Text über reihenweise Vorrunden zu Deutschen Hochschulmeisterschaften der zurückliegenden Semesterwochen, jede Menge Fragen und einem seltsamen Gefühl, daß Hale-Bopp uns die Sinnlosigkeit verkaufen wollte.

Wie Torwarte sich wohl fühlen? Vielleicht so wie dem kleinen Prinzen zumute wäre, wenn er sich auf den Kometen Hale-Bopp verirrt hätte. Wenn er sich jemals dorthin verirren sollte. Dort muß es wohl so sein wie in einem Tor, tausenden von Teilchen hilflos ausgesetzt, die kreuz und quer durch den Raum fliegen. Und weil er sich dort garantiert nicht wohl gefühlt hätte, wäre der kleine Prinz wohl auch nie Fußballtorwart geworden. Und Handballtorwart schon gar nicht. Er hätte auch bestimmt nie verstanden, warum es so einem Torwart beim besten Willen nicht gelingt, diesen Geschossen auf sein kleines Reich auszuweichen. Vielleicht ist ja auch gerade deswegen das Netz hinter ihm, sozusagen als Gefängnis. Weil er gerne ausweichen und weglaufen würde. Aber Schießbudenfiguren wären sehr schnell sehr langweilig, könnten sie dies einfach. So hat man dann das Netz erfunden.

Manchmal meinen es die Spieler dabei sogar noch gut mit den Torhütern und zielen genau in die Ecke. Dorthin, wo wirklich keiner mehr hinkommt. Mit Mitleid muß das wohl zu tun haben. So gesehen, sind die Heidelberger Herren, zumindest was Fußball und Handball betrifft, sehr freundliche Menschen. Viele Tore, viel Mitleid. Die Handballer sind vorletzten Montag Baden-Württembergischer Hochschulmeister geworden und haben sich damit für die Zwischenrunde um die Deutsche Hochschulmeisterschaft qualifiziert. Auch die Fußballer sind in die Runde um die Baden-Württembergische Meisterschaft eingezogen, hier allerdings im Halbfinale vergangenen Mittwoch gegen Freiburg ausgeschieden. Die Handballmannschaft hingegen errang vergangenes Jahr den deutschen Vizemeistertitel. Im Finale spielte Karlsruhe sie damals an die Wand, jetzt haben sie dort in der Vorrunde mit einem Unentschieden Karlsruhe wenigstens zur Hälfte festgenagelt. Die andere Hälfte hängt noch etwas lose und schlaff von der Wand. Aber man trifft sich ja wieder, vielleicht im Finale. Noch ein bißchen Zeit, um sich den nächsten Satz Nägel zu besorgen. Frauen sind da nicht ganz so gut. Im hämmern. Deswegen sind sie auch nur Baden-Württembergischer Vizemeister geworden. Die Zwischenrunde haben aber auch sie damit erreicht. Nur die Fingerkuppen sind wohl jetzt ein bißchen blau vom dauernden Danebenhämmern.

Beim Volleyball ist das alles irgendwie ziemlich ähnlich. Nägel werden auch hier unglaublich freigiebig verteilt, nur die Schießbudenfiguren sind im Plural vorhanden. Fünf an der Zahl. Masochisten ihres Spieltriebs. In dieser Verfassung fuhren sie nach Konstanz, um eine der drei Mannschaften ihrer Gruppe bei der ersten Vorrunde vom Rande ihrer Sportwelt zu kippen. Daß dann Stuttgart überhaupt nicht erst antrat, machte alles ganz schön einfach. Ein Turnier mit zwei Mannschaften, von denen alle beide bereits für die nächste Runde qualifiziert sind, ist natürlich stinklangweilig. So spielten Konstanz und Heidelberg dann eben ein bißchen kreuz und quer durch die Halle, da man schon einmal da war. Draußen schienen sowieso gerade alle Götter des Himmels gleichzeitig zu urinieren, der Bodensee war ein grauer, häßlicher Tümpel. Heidelberg verlor drei Sätze und das Spiel. Weiter war man trotzdem.

In Freiburg, während der zweiten Vorrunde, wurde es ein bißchen schwieriger: Vier Mannschaften traten an, Heidelberg wurde zweiter. Jetzt wartet die Zwischenrunde am 4. Juli in Münster, aus der sich dann der erste für die Endrunde am 28./29. Juni in Mainz qualifiziert. Dabei wollten sie doch alle zu Beginn gar nicht so richtig spielen, an diesen Turniertagen irgend etwas Lustigeres machen als in einem dröhnenden Kleinbus genervte Sportwagenfahrer an sich vorbeiziehen zu sehen. Und jetzt müssen sie alle nach Münster. Dort oben soll es ja besonders viele Sportwagen geben. Schon wieder gibt es auch eine Damenmannschaft, die in Würzburg zweiter der Baden-Württembergischen Meisterschaften geworden ist. Auch die sind eine Runde weiter.

Fehlen noch die Basketballerinnen. Denen hatte ihr Coach nicht einmal Nadel und Faden mitgegeben, um das untere Loch im Netz am Ring zu flicken. So versuchten sie denn immer wieder, die Bodenlosigkeit zu füllen. Und wenn der Coach draußen stand und vor Schadenfreude grinste, so war er, wie wohl alle Trainer sind. Machen das immer so. Denken sich sinnlose Sachen aus und freuen sich, wenn ihre Sportler diese Sinnlosigkeit mit Enthusiasmus meistern. Die Heidelberger Basketballerinnen haben dies dann auch besser gemacht als alle anderen Konkurrentinnen, sind in Karlsruhe Baden-Württembergischer Hochschulmeister geworden mit nur einem einzigen verlorenen Spiel gegen den Gastgeber. Eine Schlappe, die sie aber im Finale wieder wettmachten. 54:51 löcherten sie Karlsruhe vom Feld und sich selber direkt in die nächste Runde, die am 15./16. Juni vielleicht in Heidelberg stattfindet. Vielleicht auch nicht.

Aber das Netz hat immer noch zwei Löcher und Hale-Bopp ist immer noch irgendwo da oben unterwegs. Und vielleicht steht auf ihm ja doch der kleine Prinz, hält Nadel, Faden und eine Goldmedaille in der Hand und wundert sich ein bißchen über die Menschen. Nur nicht über die Schwimmer, denn die versteht er sicherlich. Wenn man jeden Tag seine Rose gießen muß, weiß man bestimmt, wie gerne manche Lebewesen Wasser haben. Auch wenn vielleicht Schwimmer weit davon entfernt sind, Rosen zu sein. Die kriegen sie nur manchmal bei einer Siegerehrung, zusätzlich zu dem Metall, das daheim in der Schublade die Jahrhunderte für die Archäologen dokumentiert. Die Schwimmer sind bei ihren Deutschen Hochschulmeisterschaften Mannschaftsmeister geworden, aber ob sie alle Rosen bekommen haben, weiß auch der Sportreporter leider nicht. Nur Anja Eichstätt hat bestimmt eine bekommen. Über 200 Meter Rücken. Denn hier hat sie gewonnen. Mehr war leider bei Redaktionsschluß nicht zu erfahren. (rot)


Kreative Fußballer

"Hertha BSE" und "Quietscheentchen"

Alle Vorrunden laufen noch, manche Mannschaften sind schon jetzt völlig eingegangen, haben sich aber trotzdem die Knie blutig geschürft auf einem Hartplatz, der bestimmt nur davon schon ganz rot ist.

Nicht, daß anderes zu erwarten gewesen wäre, aber in den Team-Namen steckt doch eigentlich viel mehr als das, was dort auf dem Platz dann so dargeboten wird.

Aber wenn Namen stets die Wahrheit sagten, müßten manche Kinder "Hängematte", vielleicht auch "Tiefflieger" oder "Hohlroller" heißen. Namen lügen. Warum sollten da wohl Fußballer anders sein. Wir küren die schönsten Lügen und härtesten Wahrheiten.

"Hertha BSE" ist noch härter, als BSE sowieso schon ist, die Weichhirne bewähren sich auf dem Platz nur sehr zögerlich. Einen gravierenden Nachteil haben sie ganz bestimmt im Luftkampf, wo es mit dem Kopf zur Sache geht.

"Atletico Quadrizeps femoris" läßt an Monsterwaden denken, an dicke Klötze, die in keinen Strumpf mehr hineinpassen. Deswegen sind wohl Sportsocken auch so kurz. Aber was man dann so auf dem Sportplatz sieht, sind Striche in der Landschaft, so dünn, daß sogar die Stutzen unterhalb des Knies mit Bändchen angebunden werden müssen, um nicht herunterzurutschen.

"Quietscheentchen". Es beißt die Badeseife im Auge und Mutters Hand drückt einen in diesen Sud aus Seife und Dreck, um endlich auch einmal die Haare zu waschen. Was das wohl mit Fußballspielen zu tun hat?

"Das magische Elfeck" wollte wohl endlich einmal Schluß machen mit der ewigen Reihentaktik des deutschen Fußballs. Bloß hat es bis jetzt noch nie in dieser Formation gespielt und das einzige, was übrig bleibt, ist die Magie. Aber das ist unfair.

"FC Dante's Tod Romanix". Was das soll? "Dantes literarisches Werk reflektiert in einzigartiger Weise individuelles Leiden sowie Bildungshorizont und geistige Ordnung des späten Mittelalters" sagt dazu das Lexikon. "Langzeitstudenten" haben nicht auf Herrn Ulmer gehört. Das haben sie jetzt davon. Wer nichts wird, wird Fußballer. "Milan Duracell" ist auf dem Weg zum Horizont. In einem kleinen Paddelboot, eine ganze Mannschaft verkleidet als Hase. Bloß den Sportplatz haben sie wohl immer noch nicht gefunden.

"Equipo Infernal" will wohl den anderen Feuer unterm Hintern machen. Nur brennen Nylonhosen wahnsinnig schlecht, so müssen sie dann ihre überschüssige Energie in Fouls anlegen. Ganz fies auf einem Hartplatz. Infernal ist das aber trotzdem nicht sonderlich, und im übrigen foulen ja alle Mannschaften. So wie "Entropie Heidelberg", denen als einzige ein wirklich ehrlicher Name eingefallen ist. Sie spielen kreuz und quer über eigentlich das ganze Gelände des Sportinstituts, so daß der Platzwart nach dem Spiel die versprengten und völlig verirrten Haufen mit seinem kleinen Traktor aufsammeln mußte.

Alles Lüge. Am Montag den 9.6. finden die ersten Viertelfinalbegegnungen statt. Dann wird es interessant. Mal sehen, wer dann von den angetretenen 22 Mannschaften noch übriggeblieben ist. (rot)


Die Letzte


Hare, Hare, willsch mah, Opa?

Ein lauer Sommerwind weht durch die Untere Straße. Lästerfreudig und nichtsahnend schlendere ich an den Kneipen entlang. Ein alter Japaner kommt mir entgegen. "Tolle Brille, Opa" - "Ich abe vie Semeste in Mains studiet". Nicht mal lästern darf man ungestraft.
So, jetzt aber ab zum Drogen-Müller. Der Abend könnte lang werden, also schnell noch ein paar Kondome kaufen. Mist, zwei hinter mir an der Kasse Professor G., lieber unauffällig verschämt noch ein paar Ricolas dazulegen. Die Hausfrau hinter mir schielt schon ahnungsvoll, da schreit auch schon die Kassiererin zur Verkäuferin: "Du, Helga, der Barcode dud ned. Kansch mer mol sage, was die R3-Feuscht koschded?" Klasse, wie im Fernsehen. Hätte bloß noch gefehlt, daß die Verkäuferin Erna heißt. Raus aus dem Laden. Als guter Germanist noch schnell in die Bibliothek, wenn schon nicht kapieren, dann wenigstens kopieren. Und dann? Heute schon geNanzt? Nein! Also nix wie rein in diese Apotheke für Lebensmittel! Wenn die Politiker in Bonn auch nur einen Monat lang beim Nanz einkaufen würden, kämen sie um eine Verdoppelung des BAFöGs nicht herum. Schon wieder eine Kasse. Und irgendwie beschleicht mich das Gefühl, daß die Kassiererin vor einer halben Stunde noch die Bibliotheksaufsicht gewesen sein könnte. Nach zwei Sätzen und einer Ohrfeige begebe ich mich mit einer himmlischen Ruhe zum Bismarckplatz. Menschengemenge, ich mittenrein. Vor mir klappt eine Blondine wegen offensichtlich zu hoher Absätze ihrer Plateausandalen kreischend zusammen, endlich freie Sicht auf den vor mir liegenden Stand. "Hast Du Dich schon mal mit tantrischem Sex beschäftigt?" Irritiert wende ich mich um. Schon steht ein Hare Krishna vor mir. Offensichtlich hat er seit Weihnachten nichts mehr gegessen. Es fällt mir schwer, nicht durch ihn hindurchzusehen. "Tanz mit mir für den Weltfrieden!". Fehlt bloß noch, daß ich mit ihm als Yogiflieger durch den Bundestag schweben soll, um die bösen Kräfte zu neutralisieren. Und weil die Ampel rot ist, quatscht mich der typische Vertretertyp für Toilettenpapier an. "Hätten sie nicht Lust ein Buch zu schreiben? Wir unterstützen sie von Anfang an!" - "Na klar. Wie wär's mit: 'Heidelberg. Ein Alptraum in fünf Aufzügen'?" (papa)

In der Datei "ruprecht in einer Datei" gibt es von der "Letzten" immer nur die Beiträge, die tatsächlich etwas Text enthalten, also ziemlich wenige. Die Letzte in voller Pracht gibt es im "ruprecht in kleinen Stückchen".