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15.12.2009

"Jews are no Zionists"

Wie orthodoxe Juden versuchen, den Schabbat heilig zu halten

In Jerusalem kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen orthodoxen und säkularen Juden. Letztere kritisieren vehement die bevorzugte Stellung, welche die Strenggläubigen Israelis in ihrer Gesellschaft einnehmen.

In Jerusalem kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen orthodoxen und säkularen Juden. Letztere kritisieren vehement die bevorzugte Stellung, welche die Strenggläubigen Israelis in ihrer Gesellschaft einnehmen.

Die Demonstranten kamen ganz plötzlich. Erst einmal war in Jerusalem Ruhe eingekehrt, wie jeden Freitagabend. Dort, wo sich am Vormittag noch hupende Automassen hinter überfüllten Bussen gestaut hatten, wo Israelis und Touristen zwischen Läden und Bars flanierten, war es still geworden: Die Geschäfte geschlossen, der Busverkehr eingestellt und kaum noch ein Auto auf der Straße. Das letzte Geräusch: das laute Heulen der Sirenen, die in ganz Jerusalem den Schabbat ankündigen.

An diesem Freitag dauerte die Stille jedoch nicht lange an. „Schabbes! Schabbes!“ ruft es aus allen Himmelsrichtungen, kurz darauf tauchten die Demonstranten auf. Sie sind aufgebracht, schreien und schimpfen, alte Männer und kleine Jungen. Sie halten Autos an und versperren die Straßen. Es sind ultraorthodoxe Juden, Männer mit schwarzen Anzügen, Hüten und Schläfenlocken.

Ihr Ziel liegt unmittelbar vor den Toren der historischen Altstadt – ein Parkhaus unterhalb des Jaffatores. Denn dieses Parkhaus ist sieben Tage die Woche geöffnet, auch samstags. Die Touristen kommen schließlich jeden Tag, meinen Bürgermeister und Stadtverwaltung, und einen Parkplatz zu finden, ist in den engen Gassen der Altstadt fast unmöglich. Gläubige Juden dürfen dagegen am Schabbat kein Auto fahren. Der Vorwurf der Parkhaus-Gegner lautet deshalb, die Stadt als Parkhausbetreiber entweihe den jüdischen Feiertag.

Für die spontan zusammengezogenen israelischen Soldaten, die die Demonstration eigentlich beschützen sollten, haben sie jetzt nur ein Wort übrig: „Nazi!“ Wo alle Welt über den Konflikt zwischen jüdischen Israelis und muslimischen Arabern spricht, bleibt ein Gegensatz meist unbemerkt: die Spannungen zwischen säkularen und orthodoxen Juden, wie sie besonders in Jerusalem immer wieder zu Tage treten.

Säkulare Israelis kritisieren dabei meist die Sonderstellung der Orthodoxen: Die meisten von ihnen, so die verbreitete Meinung, widmen ihr gesamtes Leben dem Thorastudium und arbeiten nicht. Stattdessen würden sie auf Kosten der Allgemeinheit von Sozialhilfe und Kindergeld leben.

In der Tat zählen nach offiziellen Angaben zwei Drittel der männlichen Haredim, wie sich orthodoxe Juden selbst nennen, nicht zu den zivilen Erwerbspersonen. Vom dreijährigen Militärdienst, den alle israelischen Mädchen und Jungen absolvieren müssen, können sie sich befreien lassen – ein weiterer Stein des Anstoßes. Weitere Vorurteile lauten wahlweise, dass sich orthodoxe Juden ohnehin nicht für Politik interessieren würden – nur jede sechste orthodoxe Familie besitzt einen Fernseher – oder dass ihr politischer Einfluss viel zu groß sei. Der größte Teil der strenggläubigen Juden lebt in der Hauptstadt Jerusalem.

Das Zentrum ist zwar modern und westlich geprägt, in anderen Vierteln hat sich traditionelles jüdisches Leben aber noch erhalten. Auf den ersten Blick scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein: Es gibt keine Supermärkte, Bars, westliche Medien und oft nicht einmal elektrische Geräte oder Autos.

Das Leben spielt sich zwischen Religion und Familie ab. Orthodoxe leben in Großfamilien. Die Töchter heiraten früh, arbeiten als Hausfrau und bekommen viele Kinder – acht durchschnittlich.

Von Freitagabend bis Samstagabend steht das Leben in diesen Vierteln still, das Ruhegebot des Schabbat gilt hier noch strenger als im übrigen Jerusalem. Sobald die Sonne am Freitag hinter den Stadtmauern verschwunden ist, arbeitet dort kein Mensch mehr. Es fährt kein Auto, und sogar die Geldautomaten sind außer Betrieb, denn gläubige Juden benutzen am Schabbat keine elektrischen Geräte. Am Freitagabend dürfen die Bewohner des ultraorthodoxen Viertels Mea Shearim Straßensperren aufstellen, damit kein Tourist mit dem Auto versehentlich ihre Schabbat-Ruhe stört.

Doch das Verhältnis zwischen Politik und Vertretern der strengen „Jews are no Zionists“ In Jerusalem kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen orthodoxen und säkularen Juden. Letztere kritisieren vehement die bevorzugte Stellung, welche die Strenggläubigen Israelis in ihrer Gesellschaft einnehmen. Glaubensauslegung bleibt problematisch. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie jüdisch der jüdische Staat sein muss. Teile der Orthodoxen fordern, dass die religiösen Gesetze des Talmud und der Thora die Leitlinien aller Israelis sein müssen. Israel werde nur dann seiner Bestimmung gerecht. Andere lehnen den Staat Israel ganz ab. Der Grund ist einfach: Der jüdische Staat müsse durch das Kommen des Erlösers ausgerufen und nicht von Menschenhand geschaffen werden.

Viele von ihnen leben bereits im Ausland, aber auch in den orthodoxen Vierteln Jerusalems hängen Transparente mit der Aufschrift: „Jews are no Zionists, Zionists are no Jews“. In Konflikten wie dem Parkhausstreit entladen sich diese Spannungen zwischen Politik und orthodoxer Religionsausübung. Und so stehen die Demonstranten am nächsten Tag wieder am Parkhaus. Das Parkhaus ist trotz der Demonstrationen samstags geöffnet, denn Touristen und die christlichen Pilger sollen weiterhin jederzeit die Stadt besuchen können.

von Beate Brehm
   

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