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25.12.2010

Mehr Kosten für alle

Großbritannien will die Studiengebühren massiv erhöhen

Die Bildungskürzungen treiben in Großbritannien die Studenten auf die Straße. Die neue Regierung rechtfertigt dies mit der nötigen Sanierung des Staatshaushalts. Die Liberalen haben damit ein Wahlversprechen gebrochen.

Die Bildungskürzungen treiben in Großbritannien die Studenten auf die Straße. Die neue Regierung rechtfertigt dies mit der nötigen Sanierung des Staatshaushalts. Die Liberalen haben mit der nun angekündigten Erhöhung der Studiengebühren ein Wahlversprechen gebrochen.

Mit einem lauten Klirren gibt die Fensterscheibe nach. Den Schlägen und Tritten der Demonstranten konnte sie nicht länger Stand halten. Einige der Randalierer schienen gut vorbereitet zu sein. Sie attackierten das Glas mit Hämmern. Auf den Videoaufzeichnungen der Proteste zehntausender Studenten in London versinkt das Hauptquartier der Tories im Chaos. Dutzende Studenten stürmen das Gebäude der regierenden Konservativen Partei, entrollen Schriftbanner vom Dach und setzen Büros in Flammen. Die Eskalation des sonst friedlich verlaufenden Protests überfordert die Polizei, wie ein Sprecher später zugeben wird. Man hatte die Wut der Studenten über die Sparpläne der Regierung unterschätzt.

 Grund für die Proteste ist das „härteste Sparprogramm der britischen Nachkriegsgeschichte“, das in diesem Monat verabschiedet werden soll. Die konservativ-liberale Regierung unter Premierminister David Cameron will in den kommenden vier Jahren rund 83 Milliarden Pfund (97,7 Milliarden Euro) einsparen. Im Bildungssystem sehen die Pläne Kürzungen von 40 Prozent bei der Finanzierung der Lehre an Universitäten vor. Diese werden insbesondere die Geisteswissenschaften treffen. Darüber hinaus soll die so genannte „Education Maintenance Allowance“ (EMA – Beihilfe zur Aufrechterhaltung von Bildung) gestrichen werden, die Jugendliche aus ärmeren Verhältnissen mit bis zu 30 Pfund pro Woche fördert.

Für den größten Aufschrei sorgte jedoch die Ankündigung einer Erhöhung der Studiengebühren. Diese soll für Studenten gelten, die ab 2012 ein Studium aufnehmen. Das Studium an staatlichen Universitäten in England wäre dann das teuerste der Welt, wie die britische Tageszeitung The Guardian berechnete. Bisher müssen Studenten in England bis zu umgerechnet rund 3.900 Euro zahlen. Zukünftig sollen Universitäten bis zu 7.063 Euro verlangen dürfen, unter „außergewöhnlichen Umständen“ sogar bis zu 10.600 Euro. Universitäten, die dieses Limit ausreizen wollen, sollen aber Maßnahmen ergreifen, um Studenten aus armen Verhältnissen anzuwerben.

Doch auch die höheren Gebühren werden, so die allgemeine Befürchtung, die drastischen Kürzungen im Bildungshaushalt nicht ganz ausgleichen können. Viele Stellen müssen gestrichen werden. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Studenten im November in vielen Städten auf die Straße gingen und Universitätsgebäude und Vorlesungssäle besetzten. Bis auf die Proteste in London verliefen diese aber weitgehend friedlich. „Es ist eine Schande, dass die Proteste in London gewalttätig geworden sind“, sagt Alexandra, die in Leeds studiert. „Somit haben sie die Aufmerksamkeit der Medien von der eigentlichen, friedlichen Demonstration abgelenkt.“

Lehrkräfte verschiedener Universitäten haben einen öffentlichen Brief verfasst, in dem sie ihrem Ärger über die Kürzungen Luft machen. Es gehe nicht nur um ihre eigenen Jobs, sondern auch um die „größere Bedeutung der Bildung für die Gesellschaft“. Sie befürchten, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. Durch die geplante Abschaffung der EMA werden weniger Schüler ihre A-Levels, das englische Äquivalent zum Abitur, absolvieren können. Die Zahl der Studenten aus ärmeren Verhältnissen werde dementsprechend zurückgehen.

Die Politiker verweisen angesichts dieser Vorwürfe auf Änderungen der Stipendien- und Darlehensregelungen, die das System fairer und mobiler machen sollen. Mit einem 177,6 Millionen Euro starken Budget für Stipendien wollen sie verhindern, dass begabte Studenten aus ärmeren Verhältnissen benachteiligt werden. Zusätzlich sollen Absolventen Darlehen erst zurückzahlen müssen, sobald ihr Einkommen 24.700 Euro überschreitet. Momentan liegt das Mindesteinkommen für die Rückzahlung bei 17.660 Euro. Außerdem sollen Absolventen mit höherem Einkommen mehr zurückzahlen müssen. Vielen Studenten reicht das nicht.

Ein Großteil der Wut richtet sich gegen die „Liberal Democrats“ um den Parteivorsitzenden Nick Clegg. Dieser ging nach den Wahlen im Mai eine Koalition mit den Konservativen ein, da keine der beiden großen Parteien eine absolute Mehrheit hatte. „Ich glaube, dass es an der Zeit ist, Versprechen zu halten“, hatte Clegg geworben und dabei immer betont, dass er sich für eine Abschaffung der Studiengebühren einsetzen wolle. Besonders unter den Studenten erreichte der Hype um Clegg ähnliche Ausmaße wie einst der um US-Präsident Barack Obama.

Doch genauso schnell wie dieser seine Position als Hoffnungsträger in den USA verlor, geht es nun auch für Clegg und seine Partei bergab. Laut einer Guardian-ICM-Umfrage würden 45 Prozent der Wähler, die bei der vergangenen Unterhauswahl für die Liberaldemokraten gestimmt hatten, der Partei die Stimme heute verweigern. „Die Studenten fühlen sich von Clegg betrogen, nachdem er sein Versprechen, die Gebühren nicht zu erhöhen, brach“, sagt Politikstudent Daniel aus Leeds.

Cleggs hilflose Entschuldigungen können die Studenten dabei nicht beruhigen. Zwar gibt es Verständnis dafür, dass die Staatsausgaben angesichts der hohen Schulden gekürzt werden müssen. Ob das Bildungswesen der richtige Ort sei, um diese vorzunehmen, wird bezweifelt. „Ich denke, dass Kürzungen notwendig sind“, räumt Daniel ein. „Ich lehne jedoch das extreme Ausmaß der Kürzungen im Hochschulwesen ab.“ (aks, amw)

von Annika Kasties und Anna Wüst
   

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