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 Wissenschaft
27.01.2010

"Heidelberg ist Weltspitze"

Eine Archäologie-Legende verabschiedet sich leise

Professor Tonio Hölscher, langjähriger Institutsleiter der Klassischen Archäologie, verlässt den aktiven Dienst an der Univ Heidelberg. Mit dem ruprecht sprach er über sein Studium, Bologna und die Erfahrungen als Dozent.

Professor Tonio Hölscher, langjähriger Institutsleiter der Klassischen Archäologie, verlässt den aktiven Dienst an der Univ Heidelberg. Mit dem ruprecht sprach er über sein Studium, Bologna und die Erfahrungen als Dozent.

Das Gespräch führte Julia Held.

ruprecht: Herr Hölscher, Sie verlassen nächstes Semester den aktiven Dienst an der Universität Heidelberg. Worauf freuen Sie sich am meisten und was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?

Tonio Hölscher:
Ich freue mich sehr, dass ich endlich zu konzentrierter Forschung komme. Ich habe eine ganze Reihe von Projekten: ein großes Projekt über politische Denkmäler im antiken Griechenland, in Etrurien und in Rom, der Thesaurus der antiken Kulte und Riten, ein Forschungsprojekt der Heidelberger Akademie, ein Gruppenprojekt über die Antithese Ost – West im Rahmen des Exzellenz-Clusters, ein Buch über die Kultur des Sehens, das ich auf englisch schreibe. Außerdem gibt es Einladungen nach Amerika, um dort für ein Jahr zu lehren und zu forschen.

Ist es inzwischen in der Wissenschaft nötig, seine Bücher auf englisch zu schreiben?

Es wird inzwischen viel auf englisch geschrieben, ich selbst tue das in zunehmendem Maß, aber ich vermeide es gewöhnlich, wo es möglich ist. Ich finde es vernünftiger, dass die großen Wissenschaftssprachen weiter gesprochen werden und auf Kongressen jeder seine eigene Sprache spricht und darauf vertraut, dass die anderen es verstehen. Aber in dem Fall ist es eine lecture series in Berkeley gewesen, die ich auf englisch gehalten habe und die dann natürlich auf englisch erscheint.

Was wird Ihnen hier in Heidelberg, an der Uni und an den Studenten fehlen?

Das ist ganz einfach. Mir wird die Stimulierung durch die Studierenden fehlen, die wirklich vital am Fach interessiert sind, sich auch eigene Konzepte bilden und auch mal wissenschaftlichen Widerstand leisten und mich dadurch herausfordern.

Bei Ihnen liegen Altertumswissenschaften quasi in den Genen, viele Ihrer Familienmitglieder waren ebenfalls angesehene Wissenschaftler. War für Sie immer klar, welchen Beruf Sie ergreifen würden?

Nein. Ich erfülle tatsächlich alle problematischen Klischees einer bildungsbürgerlichen Wissenschaftlerfamilie. Mein Großvater war Alttestamentler, mein Großonkel Architekturhistoriker und Ägyptologe, mein Vater Klassischer Philologe, meine Mutter Germanistin. In unserer eigenen Generation sind alle Wissenschaftler geworden. Für mich war es nicht selbstverständlich, Altertumswissenschaften zu betreiben. Ich habe an Germanistik oder Physik gedacht. Dass es dann darauf hinausgelaufen ist, ist merkwürdig, weil in meinem Elternhaus mehr von Nietzsche und Goethe als von Homer die Rede war. Am Anfang habe ich nicht wirklich begriffen, dass ich so nah am Beruf meines Vaters andocke. Aber ich finde immer noch, dass Archäologie etwas anderes ist als Klassische Philologie.

Sie haben in den 1960er Jahren studiert. Was sind die Unterschiede zwischen dem Studium von damals und dem von heute?

Eine meiner ersten etwas diffusen Beobachtungen im Studium war, dass die Studierenden vielfach orientierungslos waren und sich nicht so furchtbar dafür interessierten, was sie taten. Ich habe natürlich nicht geahnt, dass es mal eine Explosion geben würde, aber im Nachhinein schien es mir eigentlich nötig zu sein. Das Studium damals war sehr anders. Meine erste richtige Prüfung war mein Doktorexamen. Es gab sehr viel weniger Kontrolle und Lenkung. Es wurde sehr viel auf Eigeninitiative und Selbstmotivation gesetzt. Das war ein Vorteil für die Starken und Nachteil für die Schwachen, die mit dieser Art von Freiheit zunehmend weniger anfangen konnten. Heute ist das natürlich alles sehr stark reglementiert.

Zu stark?

Ich mache Bologna nicht für alles verantwortlich. Ich finde, dass Bologna keine sehr zukunftsweisenden Perspektiven entwirft. Aber ich glaube, dass Bologna deutlich größere Freiräume lassen würde und dass vieles worüber heute zurecht geklagt wird, daran liegt, dass die Ministerien und auch die Universitäten Bologna viel zu strikt auslegen und realisieren. Ich würde mich nie für Bologna positiv stark machen, aber man hätte sehr viel besseres daraus machen können.

Aber auch schon vor der Einführung des Bachelor/Master-Systems hat sich der heutige Magister sicher von dem damaligen Studium unterschieden?

Den Magister habe ich mit großer Zuversicht mitgestaltet. Der Magister hat einen Rahmen gegeben, mit dem man viel machen konnte. Das war eine Veränderung, die ich absolut positiv gesehen habe.

Tut es also weh, den Magister aufzugeben?

Ja, ich würde schon denken, dass man da was verliert. Nicht unbedingt so wie diese Ordnung war, aber sozusagen als Potential, was man daraus noch hätte machen können und auch zum Teil machen konnte.

Während den 1968er haben Sie zwar nicht mehr studiert, aber Sie waren Dozent an der Uni.

Ich war in Würzburg. Ich habe von dieser Bewegung durchaus profitiert. Aber ich mache auch nicht die Augen zu vor den negativen Seiten, die damit eingekauft wurden. Es war eine Bewegung, die mir intellektuell sehr viel geöffnet hat.

Aktiv teilgenommen haben Sie nicht?

Ich war kein Student mehr. Unsere Generation hat damals versucht neue Institutionen zu gründen, wie den Deutschen Archäologen-Verband. Wir haben Forschergruppen gebildet, die versucht haben, Archäologie und Politik zusammenzubringen, die aktuellen Fragestellungen zwischen Archäologie und Gesellschaft zu betreiben. Das ist die Fragestellung gewesen, die damals hoch kam. Die Studentenschaft war ungemein politisch. Es war extrem interessant, man tat alles vor dem Hintergrund der politischen Konsequenzen.

Wurden die Altertumswissenschaften dabei also auch aktueller?

Natürlich. Eine Archäologie, die bis dahin sehr stark kunstwissenschaftlich, ästhetisch orientiert war, wurde nun neu verstanden als eine Wissenschaft von materiellen und visuellen Kulturen in antiken Gesellschaften. Wir alle haben angefangen uns mit Grenzfragen zwischen Kunst und Politik, Kunst und Gesellschaft zu beschäftigen.

Archäologie wird von vielen Menschen mit Abenteuern à la Indiana Jones verbunden. Gab es während Ihrer Karriere eine Entdeckung, die Sie als spektakulär bezeichnen würde? 

Ich habe mich immer gegen Sensationsarchäologie gewehrt, weil Sensationsarchäologie in aller Regel mit einer Reduzierung von Komplexität einhergeht. Als Student habe ich zwar gegraben, aber ich habe nie eine richtige Grabung selber geleitet und kann deswegen keine Sensationsfunde bieten. Ich konnte gewisse Monumente rekonstruieren, zum Beispiel ein römisches Siegesdenkmal der republikanischen Zeit, aber es wäre deutlich zu hoch gegriffen, wenn ich das spektakulär nennen würde.

Aber dennoch ist Sensationsarchäologie wichtig, um an Gelder heranzukommen und das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken.

Das ist natürlich richtig. Das Problem ist, dass die Sensationsfunde oft das Interesse an den intellektuellen, wissenschaftlichen Durchbrüchen überdecken. Andere Wissenschaften kommen auch ohne Sensationsfunde aus.

Wie hat sich die Finanzierung am Institut in den letzten Jahren verändert?

Wir in Heidelberg sind durchgehend von allen Rektoraten auf einem ordentlichen Stand gehalten worden. Zusätzliche Gelder haben wir durch Drittmittelprojekte bekommen. Das kann funktionieren. Wir brauchen uns nicht zu beklagen.

Sie waren auch häufiger an Universitäten im Ausland tätig, zuletzt in Berkeley. Wie unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre an deutschen Universitäten zu denen im Ausland?

Als Institution, mit den vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten, sind die Heidelberger Altertumswissenschaften und speziell die Klassische Archäologie Weltspitze. So eine Situation gerade für interdisziplinäres Arbeiten kenne ich auf der ganzen Welt nicht noch einmal.

Welche Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Studenten haben sie festgestellt?

Die amerikanischen Studenten sind sehr interessant, nicht ganz so stark mit Sachwissen ausgebildet. Aber sie sind sehr kommunikativ, wollen sehr viel von einem und haben offensichtlich einen sehr ausgeprägten Blick für wesentliche Fragen und Phänomene. Sie haben einfach eine Fähigkeit sich in sehr kurzer Zeit, die wichtigsten Fragen und Probleme zu erschließen, die wichtigste Literatur zum Thema zu finden und dann noch mit einer eigenen These zu kommen. Das ist ungemein zielgerichtet. Da kann man etwas lernen. Da müssten wir in Deutschland tatsächlich unsere Lehre verbessern.

Wie könnte das funktionieren?

Das muss man einfach üben. Wir müssten nicht unser ganzes System auf diese kleinen Papers umstellen, aber es könnte gut tun, häufiger nicht diese etwas schwer fälligen und ausufernden Seminararbeiten schreiben zu lassen sondern Essays die auf 6-8 Seiten das Wesentliche darlegen.

Und wie unterscheidet sich die deutsche Forschung von der amerikanischen.

Man kann hier ausgezeichnet forschen, wenn man die Zeit hat. In Amerika ist die Belastung durch Lehre viel geringer. Deswegen spielt auch unter den Dozenten die Forschung eine größere Rolle. In Amerika ist das erste, was Sie gefragt werden: "An was für einem Buch schreiben Sie gerade?" Wenn man sich unterhält erzählt man sich, was für einen interessanten Aufsatz oder Buch man geraden gelesen hat. Wenn man hier Kollegen erzählt, was man für ein interessantes Buch gelesen hat, dann ist die Reaktion, pointiert gesagt: "Was, Sie kommen noch zum Bücher lesen?"

Aber das Problem könnte man ja im Prinzip nur durch mehr Dozenten lösen...

Natürlich. Man muss nur wissen was man will. Andererseits, zu den Fehlern bei der Umsetzung von Bologna gehört auch, dass man die Studienpläne viel zu voll gemacht hat. Man könnte das Problem unter Umständen einigermaßen kostengünstig lösen, indem man ganz grob gerechnet 30 Prozent der Lehrveranstaltungen streicht und damit das Lehrdeputat der Dozenten um 30 Prozent senkt. Dann würden die Studierenden mehr Zeit haben, um nach den Lehrveranstaltungen darüber nachzudenken, wofür sie das alles machen, und Lehrende hätten mehr Zeit zu forschen und sich auf die weniger zahlreichen Lehrveranstaltungen vorzubereiten. Insgesamt würde ich mir eine Verbesserung für alle davon versprechen. Dann müsste man eben die Lehrveranstaltungen höher bepunkten.

Damit verringerte sich aber die Auswahl an Lehrveranstaltungen für die Studenten.

Das könnte man lenken. Und die Studienpläne wären vielleicht auch offener, in dem was Studierenden belegen sollen.

Hatten die Institutsleiter bei der Einführung von Bologna nicht auch Mitspracherecht, was belegt werden soll?

Ja, wir haben einen Studienplan gemacht, den wir damals gut fanden. Inzwischen haben wir  Erfahrungen gemacht, haben gesehen, dass nicht alles so gut ist, wie wir uns das vorgestellt haben. Jetzt ist man daran das zu verbessern. Es muss ein Prozess sein, der alle paar Jahre überdacht wird. Als man mit der Umsetzung anfing, haben uns die Ministerien zu wenig Zeit gelassen. Das hat dazu geführt, dass Deutschland viel weiter vorne bei der Realisierung dabei war als nötig. Die Professoren haben sich durchaus zu Wort gemeldet, auch öffentlich, aber das wurde nicht gehört. Wir hatten sehr wenig Einfluss darauf.

Was lernt man als Dozent von seinen Studenten?

Ich habe besonders gerne auf den extremen Stufen unterrichtet: die Anfänger und die weit Fortgeschrittenen. Bei Anfängern hat man die Chance, dass sie nichts für selbstverständlich halten und einem dadurch auch die Augen öffnen. Anfänger stellen einem ganz unerwartete Fragen, die einem in der Wissenschaft gar nicht mehr gestellt werden und das habe ich immer als sehr heilsam, anregend, stimulierend empfunden. Die weit Fortgeschrittenen bilden auch mal Gegenpositionen aus. Mit ihnen kann es zu einem wirklich wissenschaftlichen Gespräch auf Augenhöhe kommen.

Haben Sie Studenten gehabt bei denen Ihnen klar war, dass sie es mal weit bringen.

Ja. Bei vielen war mir das sehr schnell klar. Es hat gelegentlich Überraschungen in beiden Richtungen gegeben. Natürlich sind da die aufsteigenden Überraschungen erfreulicher.

Wenn Sie kaum Zeit haben Bücher zu lesen, bleibt Zeit für andere Interessen?

Ich glaube, dass eine gute Altertumswissenschaft nur möglich ist, wenn man aktiv an der eigenen Zeit teilnimmt. Das heißt, wenn man sich um Politik, Kultur, Kunst, Theater, Architektur, Musik kümmert und weiß, was im Augenblick aktuell ist.
Die Altertumswissenschaft ist nicht so sehr sinnvoll, weil sie uns unsere Wurzeln gegenwärtig macht, sondern vielmehr, weil wir an fremden Kulturen zentrale Fragen, die uns selbst beschäftigen, in einem anderen gesellschaftlichen Feld durchspielen und ausprobieren können. Wir können uns dadurch wieder klarmachen, wer wir selbst sind, wie unsere eigene kulturelle Situation ist, und deswegen beziehe ich immer das, was ich im Altertum tue, in irgendeiner Weise auf die Gegenwart. Insofern ist es mir wichtig, dass man Altertumswissenschaft in einer bewussten Zeitgenossenschaft betreibt.

Herr Hölscher, vielen Dank für das Gespräch.

von Julia Held
   

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