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05.06.2010

Lech Kaczynskis Erbe

Zwillingsbruder Jaroslaw bewirbt sich um die PrÀsidentschaftsnachfolge

Am 20. Juni 2010 finden in Polen die vorgezogenen PrĂ€sidentschaftswahlen statt. Meinungsforscher sehen ÜbergangsprĂ€sident Bronislaw Komorowski als Favoriten vor seinem schĂ€rfsten Konkurrenten Jaroslaw Kaczynski, dem Bruder des verunglĂŒckten PrĂ€sidenten Lech Kaczynski.

Am 20. Juni 2010 finden in Polen die vorgezogenen PrĂ€sidentschaftswahlen statt. Meinungsforscher sehen ÜbergangsprĂ€sident Bronislaw Komorowski als Favoriten vor seinem schĂ€rfsten Konkurrenten Jaroslaw Kaczynski, dem Bruder des verunglĂŒckten PrĂ€sidenten Lech Kaczynski.

Von Adrian Harthschuh aus Warschau (Polen)


Zehn Wochen nach dem tragischen Absturz der polnischen PrĂ€sidentenmaschine nahe dem westrussischen Smolensk wĂ€hlen die Polen am 20. Juni ihren neuen StaatsprĂ€sidenten. Sollte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, kommt es zwei Wochen spĂ€ter zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten.

Als aussichtsreichster Kandidat gilt der derzeitige kommissarische StaatsprĂ€sident Bronislaw Komorowski (57). Als ParlamentsprĂ€sident und Mitglied der regierenden BĂŒrgerplattform (PO) hat er nach dem Tod Lech Kaczynskis das Amt des StaatsprĂ€sidenten geschĂ€ftsfĂŒhrend ĂŒbernommen. Komorowski hatte sich Ende MĂ€rz im innerparteilichen Wahlkampf um die Kandidatur fĂŒr das Amt des PrĂ€sidenten gegen Außenminister Radoslaw Sikorski (47) durchgesetzt.

Damals war man noch von dem regulĂ€ren Wahltermin im September diesen Jahres ausgegangen. Innerhalb der PO steht Komorowski fĂŒr den eher konservativen FlĂŒgel. Er engagierte sich zunĂ€chst in der polnischen Freiheitsunion, spĂ€ter in der konservativen Volkspartei und schloss sich 2001 der neugegrĂŒndeten PO an. Außenpolitisch gilt Komorowski als zuverlĂ€ssiger und berechenbarer Politiker.

Als Jaroslaw Kaczynski (60), der Zwillingsbruder des verstorbenen PrĂ€sidenten Lech Kaczynski, am 26. April wenige Minuten vor Ablauf der gesetzlichen Meldefrist seine Kandidatur bekanntgab, erklĂ€rte er: „Das tragische Ende des Lebens des PrĂ€sidenten und der Tod der patriotischen Elite Polens bedeuten fĂŒr uns eines: Wir mĂŒssen ihre Mission vollenden.“ Das sei man dem Vaterland schuldig, so der MitbegrĂŒnder der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

GerĂŒchte um seine Kandidatur hatte es bereits kurz nach dem FlugzeugunglĂŒck gegeben. Polnische Kommentatoren gehen davon aus, dass die Ernennung und die Vorstellung eines neuen Kandidaten die PiS in dem ohnehin extrem verkĂŒrzten Wahlkampf wichtige Zeit gekostet hĂ€tte. Die Kandidatur Jaroslaw Kaczynskis anstelle seines verstorbenen Zwillingsbruders scheint hingegen kurzfristig die grĂ¶ĂŸtmögliche Mobilisierung zu garantieren. Der ehemalige polnische MinisterprĂ€sident, dessen Partei von 2005 bis 2007 die Regierung bildete, ist jedoch sowohl im Ausland als auch in Polen umstritten.

Besonders die europakritischen Äußerungen und sein scharfer Ton im Umgang mit Deutschland brachten ihm hierzulande reichlich Kritik ein. Nach dem Scheitern seiner nationalpopulistischen Regierung und dem Wahlerfolg der BĂŒrgerplattform unter ihrem Vorsitzenden und heutigen MinisterprĂ€sidenten Donald Tusk (53) entspannte sich das deutsch-polnische VerhĂ€ltnis merklich.

In den letzten Jahren fielen die Umfragewerte der Kaczynskis in den Keller und auch bei der PrĂ€sidentschaftswahl sehen Demoskopen Jaroslaw Kaczynski momentan deutlich hinter Komorowski. Dieser könnte sich aktuell mit 49 Prozent der Stimmen gegen Kaczynski mit 31 Prozent klar durchsetzen. Allerdings schmilzt der Vorsprung kontinuierlich. Schon jetzt wĂŒrde Komorowski die absolute Mehrheit verfehlen und mĂŒsste sich einem zweiten Wahlgang stellen. Eine Ă€hnliche Situation gab es bereits vor fĂŒnf Jahren. Bei der damaligen PrĂ€sidentschaftswahl lag Lech Kaczynski im ersten Wahlgang klar hinter seinem Konkurrenten Donald Tusk, konnte aber die anschließende Stichwahl fĂŒr sich entscheiden.

Jaroslaw Kaczynski, der noch vor wenigen Monaten zum unbeliebtesten Politiker des Landes gewĂ€hlt wurde, ĂŒbt sich im aktuellen Wahlkampf in einer völlig verĂ€nderten Rolle. Sein 2007 von den WĂ€hlern abgestrafter aggressiver Kurs ist einem milden und moderaten Stil gewichen. Die schweren Zeiten, die Polen nach dem Flugzeugabsturz und der Hochwasserkatastrophe erlebe, erforderten „Liebe, Freundschaft und VerstĂ€ndigung“. Sich auf diesen verĂ€nderten Kurs einzustellen, fĂ€llt Komorowski sichtlich schwer.

Auch sein Auftreten bei der Trauerfeier fĂŒr die Opfer des Flugzeugabsturzes wurde von vielen als kĂŒhl und distanziert bewertet und könnte ihn einige WĂ€hlerstimmen kosten. Ein „Schröder-Effekt“, wie er angesichts der Elbflut 2002 im deutschen Bundestagswahlkampf zu beobachten war, ist im Zuge des Hochwassers an Weichsel und Oder bislang nicht zu erkennen.

   

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