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 Interview
10.03.2010

„Integration verbitte ich mir!“

Feridun Zaimoglu über Pop, Provokation und Prügel-Machmuts

Feridun Zaimoglus erstes Buch „Kanak Sprak“ machte ihn 1995 zum Kultautor. Als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist bekam er zahlreiche Preise für seine oft provozierenden Werke und gilt als „Malcom X der deutschen Türken“.

Erstmals erschienen am 15. Juli 2003 in der ruprecht-Ausgabe 85.

Feridun Zaimoglu wurde 1964 in Bolu in der Türkei geboren. Sein Vater gab ein in Istanbul aufgenommenes Studium auf, um in Deutschland in einer Fabrik zu arbeiten. Sein Sohn sollte es in Deutschland einmal besser als er haben. Auf Drängen seiner Eltern begann Feridun Zaimoglu in Kiel das Studium der Humanmedizin. Auch im Kunststudium versuchte er sich. An der Universität Kiel wurde er Ausländerreferent.

Sein erstes Buch „Kanak Sprak“ erschien 1995 und machte ihn zum Kultautor. Bis heute hat der Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist zahlreiche Preise und Auszeichnungen für seine oft provozierenden Werke bekommen. Sein Buch „Abschaum“ wurde verfilmt und kam im November 2000 in die Kinos.

Kürzlich wurde sein Text „Häute“ bei der Ingeborg-Bachmann-Preisverleihung mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet. Im Rahmen der Heidelberger Poetik-Dozentur las Feridun Zaimoglu mit anderen jungen Autoren in der Halle 02. Der ruprecht sprach mit dem „Malcom X der deutschen Türken“ (Die Zeit).



ruprecht: Herr Zaimolgu, Sie schreiben nicht nur, sondern malen auch. Ihre Bilder wurden als „orientalischer Pop“ bezeichnet. Würden Sie Ihre Texte der Popliteratur zuordnen?

Feridun Zaimoglu: Tja, Pop, was ist Pop? Ich würde eher sagen, sie sind Hardcore. Man konnte viel darüber in den Zeitungen lesen. Auch im wissenschaftlichen Literaturdiskurs, den ich mit Interesse verfolge, wurde viel dazu geschrieben. Es ist immer so eine Sache mit dem Labelling, dem Kategorisieren. Die Autoren, die unter Popliteratur gefasst werden, wehren sich ja größtenteils dagegen. Aber wenn wir schon dabei sind: Meine Texte sind arabesk, sie sind oriental, sie sind German Hardcore.

Sie haben ja Kracht und von Stuckrad-Barre vorgeworfen, „Knabenwindelprosa“ und „Mittelstandsneurosenschreibe“ zu fabrizieren. Was halten Sie von diesen Popliteraten?

Christian Kracht ist ein hervorragender Autor. Ich habe seinen Roman „1979“ genauso verschlungen wie damals „Faserland“. Ein großartiges Buch. Der kann exzellent mit Sprache umgehen, ich habe großen Respekt vor seiner Arbeit. Doch, wie gesagt, haftet ihm eine gewisse Schnöselhaltung, eine abgehobene Unerreichbarkeit an, bei aller Kultiviertheit, die er als Literat hat.

Und was denken Sie über Benjamin von Stuckrad-Barre?

Zu von Stuckrad-Barre möchte ich lieber nichts sagen. Was der schreibt ist tot, und über Tote soll man immer schweigen. Diese Arroganz, diese schnöselige Mittelstandsneurose interessiert mich einfach nicht. Der lebt nur für Prominente hier und fette Autos da, dann kritzelt er einfach runter, was sich in seinem Scheißleben tut, obwohl doch eigentlich gar nichts passiert, und das war‘s. Das ist doch nichts Reales, so sieht die Welt doch nicht aus!

Glauben Sie, dass in ihrer Literatur mehr „Reales“ steckt? Was bedeutet Authentizität für Ihre Arbeit?

Ich bin nicht der Türken-Feldforscher, der mal kurz rübergemacht hat ins Ballungsviertel, ins Kanakenghetto, um da das Elend der Diskothekenverbrecher, der Spielotheken-Machmuts, der Jacken-Abzocker anzuzapfen und nachher zu sagen: „Tschüs, ich geh‘ dann.“

Wie bekommen Sie Ihre detaillierten Eindrücke aus dem Millieu?

Mein Vorteil ist, dass ich aufgrund meiner Biographie schon immer drin war in der Szene und nicht wie so ein paar linke Bessermenschen, die sich für den Gemüseladen-Ali interessieren im großen Multikultizoo. Die sind dann betroffen, schreiben vielleicht darüber, triefen von falscher Authentizität, halten den Spiegel vor. Das ist doch alles Ethnokacke!

Was halten Sie von Literatur anderer Autoren, die sich auch mit den Problemen von Türkischstämmigen in Deutschland beschäftigt? Beispielsweise Jakob Arijouni mit seinen „Kayankaya“-Romanen.

Sehr viel! Respekt, diese Geschichten sind einfach großartig. Der Typ kann schreiben und hat gute Themen. So was brauchen wir.

Eine Ihrer eigenen Vorgehensweisen ist die Provokation. Was wollen Sie damit erreichen?

Sie nehmen Bezug auf mein erstes Buch „Kanak Sprak“. Das war vor acht Jahren. Ich denke, ich habe seitdem eine enorme Entwicklung durchgemacht. Diese Art der Provokation finden Sie in meinen neueren Texten nicht mehr. Aber damals musste das einfach sein. Diese Mittelstandsgesellschaft war so selbstgerecht, dass man sie nur mit einer gewaltigen Provokation auf das Thema Kanaken in Deutschland, am Rande der Gesellschaft, aufmerksam machen konnte. Ich denke, das hat gewirkt.

Solch ein Thema ist höchst politisch. Würden Sie sich als politischen Autor bezeichnen?

Nein! Ich will niemanden bekehren, oder mit dem hoch erhobenen Zeigefinger nerven. Das spielt doch keine Rolle! Ich bin vielleicht in dem Sinne ein politischer Autor, dass ich gegen die jahrzehntelang zementierten Konstrukte einer türkischen Community angehe. Ich versuche nicht einen einheitlichen Ton zum Klingen zu bringen. Die Leute im Publikum fragen nicht, ob das authentisch ist, sondern sie gehen einfach mit.

Bevor Sie vor großem Publikum lesen konnten, waren Sie unter anderem Ausländerreferent an der Universität in Kiel. Wie haben Sie sich als Türkischstämmiger unter deutschen Studierenden gefühlt?

Die meisten haben gedacht, ich sei Italiener, was ja für die immer noch halbwegs akzeptabel ist. Aber wenn mich auf der Straße einer fragt: „Ey, was für ‘n Landsmann bist Du? Du siehst doch nicht deutsch aus!“ Dann sag‘ ich: „Fick Dich, Alter! Ich bin Deutscher!“

Meinen Sie, man findet unter Akademikern die gleichen Vorurteile und Klischees?

Da ist es ja noch viel schlimmer! Nur läuft das Ganze viel subtiler ab, viel netter. Hier wird dir nie einer ins Gesicht sagen: „Hau ab, Kanake!“ Es gibt da so eine elende Schleimspur im akademischen Betrieb, die alle Ressentiments unter einem beschissenen Deckmantel hält.

Haben Sie wegen dieser verdeckten Vorurteile Ihr Medizin-Studium an den Nagel gehängt?

Es wäre jetzt selbstgerecht, das zu sagen. Nein, Medizin, das war einfach nichts für mich. Da gehör ich nicht hin. Vieles, was ich damals auch im Bereich der Kunst gemacht habe, war einfach scheiße, ohne Bewusstsein.

Wie sollte denn Ihrer Meinung nach Integration von Fremdstämmigen in Deutschland stattfinden?

Ich hasse dieses Wort. „Integration“ verbitte ich mir. Das wurde von diesen Multikulti-Linken erfunden, die immer mit ethnischer Hysterie an die Sache rangehen. Das sogenannte Ghetto, aus dem sie die armen Kanaken raushaben wollen, ist eine Imagination dieser Ethnoscheißer.

Warum meinen Sie, dass diese Leute den falschen Ansatz verfolgen?

Die haben zuviel MTV-Rap-Romantik weggekriegt, haben nicht begriffen, dass kein Gemüsehändler in türkischen Ballungsvierteln seine blankgeputzten Tomaten als authentisches Ghettogemüse feilbietet. Solche Leute waren noch nie in Kreuzberg, die trauen sich da einfach nicht rein, weil es eben ganz anders abgeht, als sie sich das in ihrer verschmusten Sozialromantik vorstellen!

Wenn dieser Ansatz so an der Realität vorbeigeht, was erwarten Sie von der Bundesregierung zum Thema Integration?

Es geht nicht darum, dass sich ein Fremdstämmiger um alles in der Welt anpasst. Doch klar ist: Regeln müssen her. Wer glaubt, er könne in Deutschland leben, ohne deutsch zu lernen, und sich in seiner kleinen türkischen Nische verkrümeln, der hat einfach gar nichts verstanden.

Denken Sie, dass viele Türken keine Möglichkeit sehen, in Deutschland anerkannt zu werden?

Ich halte nichts von diesem Sorgenkinder-Geseiere. Wenn Prügel-Machmut glaubt, er könnte hier deutsche Frauen ficken und dann eine anatolische Jungfrau heiraten, sage ich: „Du bist doch nicht ganz wach!“ Die Leute, die die ganze Zeit nur wimmern, wie kalt es in Deutschland sei, die Deutschen seien so temperamentlos, können mich am Arsch lecken!

Hat sich durch die Anschläge vom 11. September und die danach folgende deutsche Gesetzgebung zur Terrorbekämpfung das Leben von Türken in Deutschland verändert?

Das würde ich nicht sagen. Alle reden immer von diesem eskalierenden Konflikt zwischen Christen und Muslimen. Das ist doch alles Hysterie. In Deutschland kann ich das nicht beobachten. Da läuft es ab wie früher.

Was halten Sie von der neuen US-amerikanischen Hegemonialpolitik nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon?

Naja, so neu ist die ja nicht. Nur weil der Clinton Saxophon gespielt hat, war er ja nicht gleich ein besserer Präsident. Bush ist in dieser Hinsicht einfach nur ehrlicher. Doch die Demütigung bleibt, und wenn er dann noch vom Kreuzzug spricht, wird natürlich der Heilige Krieg ausgerufen.

Welche Rolle sollte die EU Ihrer Meinung in Zukunft angesichts dieser Konflikte weltpolitisch einnehmen?

Also, ich sehe mich nicht in der Lage, den europäischen Politikern irgendwelche Ratschläge zu geben, wie sie sich in der Welt verhalten sollen. Ich beschäftige mich mit Politik nur auf einer Stammtischebene. Aber es wir sicher noch ein bis zwei Dekaden dauern, bevor irgendein Gegengewicht zu den USA entsteht.

Was meinen Sie in diesem Zusammenhang zu einem Beitritt der Türkei zur EU?

Why not? Nein, wirklich, warum eigentlich nicht?

Zum Abschluss: Was ist Ihr nächstes Projekt? Arbeiten Sie an einem neuen Buch?

Warum denn Singular? Ich arbeite an vielen Projekten gleichzeitig. Erstens steht Theater ganz groß auf dem Programm. Ich habe vier Theaterstücke geschrieben, die demnächst uraufgeführt werden. Dann erscheinen bald verschiedene Kurzgeschichten. Vor allem aber arbeite ich gerade an einem riesigen Kunstprojekt in Kiel. Ich muss aufpassen, dass ich jetzt nicht zu viel verrate, denn eins ist klar: Das gibt einen großen Knall, das kann ich schon sagen!

Herr Zaimoglu, vielen Dank für das Gespräch.

von Johan Grußendorf und Sarah Elsing
   

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