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 Interview
04.05.2010

"Wenn ich nicht mehr singe, bin ich tot"

Der niederlĂ€ndische KĂŒnstler Hermann van Veen im Interview

Herman van Veen ist ein wahrer Tausendsassa. Der Erfinder der Ente Alfred Jodocus Kwak schreibt, singt, malt und setzt sich fĂŒr Kinderrechte ein. Seine Kritik an der niederlĂ€ndischen Rechten hat ihn zur Zielscheibe von Morddrohungen gemacht.

ruprecht: Herr van Veen, was verbinden Sie mit der Stadt Heidelberg?

Hermann van Veen: Wenn ich an Heidelberg denke, denke ich an einen amerikanischen Englisch-Professor der UniversitĂ€t, der immer unsere Konzerte besuchte. Er hat viele Studenten mitgenommen und war ein großer Bewunderer von Bob Dylan. Mit ihm habe ich oft und lange ĂŒber Musik gesprochen.

Auf Bildern von Ihnen taucht mehrmals ein gelber Regenschirm auf. Hat der eine besondere Bedeutung?

Wenn das Wetter so blöd ist, habe ich so meine eigene Sonne dabei, die mich auch noch beschĂŒtzt. 

Sie sind Dichter, SÀnger, Poet, Komiker und Clown. Auf was davon könnten Sie nicht verzichten?

Das Singen. Wenn ich nicht mehr singe, bin ich tot. Ich habe mit sieben Jahren entdeckt, dass Singen ein Teil meines Lebens ist. Damals habe ich mich in meine sehr schöne Gesangslehrerin verliebt. Da singt man noch schöner. Singen ist herrlich und sehr empfehlenswert. Ich wĂŒrde jedem raten, sofort damit anzufangen. Es ist gut fĂŒr die Lungen und man kann so seine Lust, seinen Frust und sein GlĂŒck loswerden.

Gibt es Ihrer Meinung nach Menschen, die nicht singen können?

Alle Menschen können singen. Menschen, die nicht singen können, mĂŒssen zum Ohrenarzt. 

Sie malen auch. Sind das eher abstrakte Bilder?

Ja, ich hatte in den letzten zwei Monaten enorm viel zu tun, weil ich Ende MĂ€rz in den Niederlanden eine große Ausstellung in einem bekannten Museum bei Amsterdam habe. Dort hĂ€ngen GemĂ€lde von großen Malern wie Vincent van Gogh oder Piet Mondrian. Jetzt hĂ€ngen dort nun auch meine Bilder. Das ist doch was.

Was hat Sie dazu inspiriert?

Ich war von dem Gedicht „Bedingungslose Freundschaft“ von der Dichterin Maria Vasalis inspiriert. Das besteht aus 15 Zeilen und zu jeder Zeile habe ich ein GemĂ€lde gemalt. Diese Bilder sind abstrakt, weshalb also jeder darin sehen kann, was er sehen will. Das war eine schöne Aufgabe.

Bei Ihrem Namen denke ich, wie viele andere in meinem Alter immer zuerst an ihre Figur, die gelbe Ente „Alfred Jodocus Kwak“. Nervt es Sie, damit heute noch in Verbindung gebracht zu werden?

Nein, also absolut nicht. Alfred ist ein Kind, das ich nie bekommen habe. Ich habe mir Alfred auch nicht ausgedacht. Die Figur basiert auf einer Ente, die ich aus Versehen einmal totgefahren habe. Ich hatte versucht, sie zu begraben, aber der Boden war damals so gefroren, dass es nicht ging. Am nĂ€chsten Tag sah ich in der NĂ€he meines Hauses eine Enten-Mutter mit ihren sieben KĂŒken watscheln. Da dachte ich: „Oh Scheiße, ich habe deren Vater totgefahren!“

Ich habe dann viele Geschichten aus der Perspektive eines Kindes zwischen vier und zehn Jahren geschrieben, das andauernd fragt: „Warum?“ und so alle anderen in Verlegenheit bringt. Die sagen dann immer „Hör‘ doch mal damit auf“, weil sie nicht wissen, was sie darauf antworten sollen. Alfred fragt zum Beispiel: „Warum machst Du Krieg?“. Die Antwort: „Ja, Ă€h, weil.“ Alfred fragt weiter: „Warum haben die Recht?“ – „Weil es immer so gewesen ist“ und so weiter. Alfred fragt immer nur „Warum?“ und bringt damit alle in ErklĂ€rungsnot.

Wie sehen Sie die Rolle des KĂŒnstlers in der Gesellschaft?

Kunst ist fĂŒr mich wie Sauerstoff, wie ein Niemandsland. Abstrakte Kunst finde ich dabei am Schönsten. Doch Kunst sollte keine Botschaft haben. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie ist ein Abdruck der Seele des KĂŒnstlers.

Sollte ein KĂŒnstler zu den schlimmen Dingen, die weltweit geschehen nicht auch Position beziehen?

Ja, aber das hat mit seiner Kunst wenig zu tun. Neben Maler, SĂ€nger oder Theatermensch bin ich auch Kinderrechtsaktivist. Das bin ich zwar nicht auf der BĂŒhne, aber ich setze mich seit 45 Jahren fĂŒr Kinderrechte ein. Wenn Kinder buchstĂ€blich ihre Rechte hĂ€tten, wĂ€re die Welt harmonischer und friedlicher. Es ist bezeichnend fĂŒr unsere Zivilisation, dass 800 Millionen Kinder heute nicht Ă€lter als zehn Jahre werden. Das ist eine perverse Wirklichkeit und macht mein Engagement nicht gerade leichter. 

Die Kinderarmut in Deutschland ist auch betrÀchtlich, im Verborgenen.

Ja, aber nicht nur das! In Holland werden ganze Familien ausgewiesen, ohne dass die HollĂ€nder garantieren können, dass die Kinder nach der Ausweisung Schulbildung, Gesundheitsversorgung oder Kleidung bekommen. Das ist in ganz Europa so. Viele Iraker sind nach dem Irak-Krieg hierher geflĂŒchtet, weil sie dachten, dass Holland loyal zu ihnen sei. Doch diese LoyalitĂ€t gibt es hier gar nicht. Das Gleiche gilt fĂŒr Afghanistan. Auch von dort kommen viele Frauen und Kinder, weil sie glauben, dass es in Holland besser wĂ€re. Ich kenne unglaubliche Geschichten darĂŒber, was denen hier passiert, wie Familien im Wald leben, weil sie sich illegal im Land aufhalten. Ich denke da immer an den Satz von Jesus: „Lasset die Kinder zu uns kommen.“ Kinder haben da fĂŒr mich die höchste PrioritĂ€t.

In Ihrer Rede zum 20. Jahrestag des Berliner Mauerfalls haben Sie die rechtspopulistische „Partei der Freiheit“ und ihren Vorsitzenden Geert Wilders mit der niederlĂ€ndischen Nazibewegung verglichen. Danach gab es Anfeindungen gegen Sie.

Das war extrem bedrohlich. Ich hatte und habe noch immer richtig Schiss. Da frage ich mich, was aus der Freiheit des Wortes geworden ist. Das ist doch ein Menschenrecht! Man hat doch die Freiheit, historische Parallelen zu ziehen, Strukturanalysen zu machen. Das bedeutet doch Wissenschaft. Wenn man das nicht vor Publikum und in der Öffentlichkeit tun kann, ohne dabei von denen bedroht zu werden, die sich angesprochen fĂŒhlen, ist das sehr peinlich. Ich bin wegen der Dinge, die ich singe und sage, oft bedroht worden, obwohl ich ein sehr ruhiger Mensch und kein Provokateur bin. Ich nehme Dinge immer sehr ernst. Es ist wohl dieser Ernst, auf den Leute reagieren. Es liegt mir am Herzen, vor Menschen ĂŒber meine Erfahrungen, ĂŒber Rechtssysteme und auch Demokratie zu reden. Angesichts bestimmter Entwicklungen in der europĂ€ischen demokratischen Wirklichkeit habe ich wirklich Angst.


Auch vor dem Hintergrund des Mordanschlags auf Kurt Westergaard, den dÀnischen Zeichner der Mohammed-Karikaturen?

Ja. Das ist eine sehr merkwĂŒrdige Entwicklung. Man sollte da eine klare Sprache sprechen, egal ob man links oder rechts steht.

Aus Angst vor Repressalien sollte man also nicht schweigen?

Die Freiheit des Wortes ist elementar. Wir mĂŒssen sie bewahren, auch wenn Leute damit nicht einverstanden sind. Ideal wĂ€re der unbedingte Dialog. Erst dann kann ein GesprĂ€ch stattfinden. Man braucht Respekt fĂŒr das, was jemand denkt und muss fragen: „Wer bist Du, wie siehst du das? Wer bin ich, wie sehe ich das?“ Dann können wir BrĂŒcken schlagen, ohne uns die Köpfe einzuschlagen. Das fĂ€ngt mit dem Recht an, sich völlig frei Ă€ußern zu dĂŒrfen. Das ist derzeit in Europa nicht ganz leicht.

In den Niederlanden ist dies offenbar auch schwierig. Vor dem Hintergrund der politischen Morde an Islamkritikern wird jetzt davor gewarnt, Geert Wilders zu dÀmonisieren. Was meinen Sie dazu?

Ich will mich zu dieser Person nicht Ă€ußern, weil es mir um die Bewegung geht. WĂ€re Wilders nicht mehr da, gĂ€be es morgen irgendjemand anderen. Ich will mich da nicht in einfache Polemik verstricken. Mir geht es um die Wurzeln und Gedankenwelt dieser Strömungen. Das mĂŒssen wir ansprechen.

Was wollen Sie da genau ansprechen?

Die Niederlande sind eine multikulturelle Gesellschaft. Das ist schon sehr lange so. Wir mĂŒssen uns da in Frieden zusammenfinden und dĂŒrfen keinen Leuten vertrauen, die auf altbekannte Weise Schuldige suchen. Man darf keinen Hass schĂŒren, indem man sagt: „Es liegt an Nordafrikanern oder Menschen, die in Europa Arbeit oder Gesundheitsversorgung suchen oder vor Krieg flĂŒchten.“ Diese Menschen sollte man nicht missbrauchen, um die eigene Macht zu vergrĂ¶ĂŸern. Doch genau das passiert gerade. Das ist ein sehr ernstes Thema. Seit drei Monaten lebe ich unter stĂ€ndiger Bewachung, weil ich rechte Gruppen kritisiere und dafĂŒr Morddrohungen erhalten habe.

Sie werden also rund um die Uhr bewacht?

Das kommt auf das Land an, in dem ich gerade bin, aber es ist heftig. Ich habe deswegen sogar schon viele Konzerte  gegeben, bei denen meine Bodyguards mit auf der BĂŒhne waren. Das ist doch nicht mehr normal.

Und wie sieht es hier in Heidelberg aus?

Keine Ahnung, bin jetzt eben erst hier angekommen und hatte ein GesprÀch mit einer Studentin. Die sah nicht gefÀhrlich aus. Ich vertraue darauf, dass es hier sehr ruhig ist, dass wir Lieder singen und einen schönen Abend verbringen.

Herr van Veen, vielen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch!

von Sabrina Schadwinkel
   

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