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 Interview
10.07.2011

„Das Original ist das Rohmaterial“

Marcus Ingendaay über Freiheit und Verantwortung in seinem Beruf

Marcus Ingendaay

Marcus Ingendaay

Vom Dienen hält der Literaturübersetzer Marcus Ingendaay wenig. Souverän gibt er Werken von David Foster Wallace, Truman Capote und Helen Fielding ihren deutschen Text. Dabei agiert er als Anwalt, der seine Autoren gut aussehen lassen will.

Das Gespräch führte Anne-Kathrin Glaser

ruprecht: Was bedeutet Literatur für Sie?

Marcus Ingendaay: Irgendwann, so mit 16, bekommt man einfach Hunger darauf und beschäftigt sich mit nichts anderem mehr. Ab diesem Zeitpunkt ist dann klar, dass man etwas in diesem Bereich machen will. Und es ist wirklich so: Klasse Bücher, die man übersetzt, führen zu einer Art Besessenheit. Sie prägen die ganze Zeit, in der man an ihnen arbeitet. Daneben gibt es auch ganz furcht-bare Zeiten, wenn man nach 400 Seiten merkt, dass man das falsche Buch übersetzt und den Krampf irgendwie zu einem Ende bringen muss. Also, beides ist da.

ruprecht: Übersetzen Sie Literatur, um mit der Sprache zu spielen und ihre Grenzen auszuschöpfen? Oder wollen Sie Menschen helfen, sich besser zu verstehen?

Marcus Ingendaay
: (lacht) Es macht mir einfach Spaß. Als Jugendlicher begann ich damit, die ersten Geschichten von Edgar Allan Poe zu übersetzen. „Das verräterische Herz“ und so. Das faszinierte mich. Dann kommt man plötzlich an den ersten Auftrag und macht den ganz gut. So entwickelt sich das.

ruprecht: Inspiriert Sie das Ãœbersetzen zum Schreiben eigener Werke? Sind Sie eigentlich auch Schriftsteller?

Marcus Ingendaay: Ja, bin ich eigentlich auch. Ich denke, diese Begabung sollte vorhanden sein. Wenn ich übersetze, schreibe ich eine deutsche Version des Buches und agiere entsprechend souverän. Das Original ist für mich kein unerreichbares, unantastbares Heiligtum, sondern das Rohmaterial. Ein paar meiner Übersetzungen sind mitunter deutlich besser als das Original. Man muss natürlich wie ein Schriftsteller denken. Beim Übersetzen versuche ich immer zu antizipieren, was der Autor machen wird. Ich frage mich: Was kommt als Nächstes? Manchmal geschieht genau das, was ich mir gedacht habe. Oft passiert was völlig Unerwartetes. Das ist immer der schönste Moment. Oder der Autor versemmelt den Text. Ein Übersetzer sollte also nie aufhören selbst mitzudenken. Nur so kann man für den Autor wirklich was tun. Ich bin der Anwalt des Autors, nicht der Diener des Textes. Ich tue etwas für ihn, was er nicht tun kann. Für den Autor hat das eine ganz missliche Konsequenz: Er verschwindet. Ich nehme mir ihn im Deutschen und er muss es geschehen lassen. Damit haben einige Kritiker Probleme, auch wenn sie wegen des Erfolges darauf angewiesen sind.

ruprecht: Das heißt Stellen, die Sie nicht gelungen finden, ändern Sie nach Ihrem Geschmack?

Gar nicht. Ich versuche herauszufinden, was der Autor will und was er kann. Das ist die Frage nach der Autorenintention. Angeblich soll es ja unmöglich sein, zu erspüren, was der Autor will. Gute Übersetzer tun das aber trotzdem. Sie wissen, wie der Autor tickt. Dazu versuche ich aus dem Text zu holen, was wirklich in ihm steckt. Was will der Autor? Wie tickt er? Daraus ergibt sich meine ganze Freiheit. Man muss natürlich immer im Sinne des Autors arbeiten, nicht gegen ihn. Er hat schließlich ein Recht auf den Text. Ich lasse ihn vor dem deutschsprachigen Publikum nur möglichst gut aussehen. Er soll mich im entscheidenden Punkt aber auch machen lassen.

ruprecht: Das heißt, durch die Übersetzung wird der Text komplett?

Marcus Ingendaay: Ach, komplett ist der Text ja. Ich versuche den deutschen Lesern eben möglichst viel zu bieten. Ganz nach dem Motto: „your pleasure is our business“. Daher sind meine Übersetzungen immer einen Tick lustiger, ironischer, schneller oder feuilletonistischer als das Original. Das gefällt nicht jedem, aber das fällt auch nicht jedem auf. Das ist auch nie übertrieben, sondern immer im Rahmen der Möglichkeiten, die man als Übersetzer ohnehin hat. Man muss sich diese Freiheiten einfach nehmen. Wenn das Ergebnis gut ist, ist das okay.

ruprecht: Einer Ihrer Favoriten ist David Foster Wallace. Wie erging es Ihnen beim Ãœbersetzen seiner Werke?

Marcus Ingendaay: „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ war lustig. Im Gegenteil zu seinen eher offenen Büchern. Die sind teilweise sehr schwergängig und gehen einem, wenn man sie ernst nimmt, richtig an die Seele. Das ist mir bei einem anderen Buch von Foster Wallace passiert. Nach 100 Seiten merkte ich, dass ich das Buch nicht mehr weiter übersetzen kann und überließ die Sache meinem Kollegen Ulrich Blumenbach. dem Übersetzer von „Infinite Jest“, das im Deutschen den Titel „Unendlicher Spaß“ trägt. Ihm geht das auch so. Seither wechseln wir uns mit den Übersetzungen ab. Außerdem ist David Foster Wallace einfach zu gut. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der sein literarisches Handwerk so beherrscht wie dieser Autor.

Marcus Ingendaay: Vielen Dank für das Gespräch.

   

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