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07.02.2012

"Kreativ und fleißig"

Über Korea gibt es noch zu viele Vorurteile

Hans-Ulrich Seidt ist seit 2009 deutscher Botschafter in Süd-Korea. Jana Kühnl traf den fast 30 Jahren im auswärtigen Dienst tätigen Diplomaten in der Deutschen Botschaft in Seoul. / Foto: privat

Seit September 2009 ist Hans-Ulrich Seidt deutscher Botschafter in Süd-Korea. Unsere Korrespondentin Jana Kühnl sprach mit ihm über die deutsch-koreanische Beziehungen, typische Vorurteile und was beide Länder voneinander lernen können.

ruprecht: Sie waren im auswärtigen Dienst unter anderem in Moskau, Washington und Kabul tätig. Seit 2009 sind sie deutscher Botschafter hier in Seoul. Warum haben Sie sich für Korea entschieden?

Hans-Ulrich Seidt: Weil mir die Stelle des Botschafters hier in Seoul vom Auswärtigen Amt angeboten wurde und als ich es meiner Frau mitteilte sagte Sie: „Mach das, das ist bestimmt nicht schlecht“. Wir beide hatten keinerlei Ostasienerfahrung aber die Aussage meiner Frau war genau richtig!

Sie haben die Entscheidung nie bereut? 

Nein, in keinster Weise. Ich genieße jeden Tag hier. Erst letztes Jahr erhielt die deutsche Kanzlerin die Ehrendoktorwürde der Ewha Womens University hier in Seoul. 

Wie würden Sie die deutsch-koreanischen Beziehungen beschreiben?

Die deutsch-koreanischen Beziehungen sind eng, vertrauensvoll, freundschaftlich. Wir haben seit über 125 Jahren diplomatische Beziehungen mit Korea. Deutschland verfügt in Korea über ein hohes Ansehen. 

Südkorea ist kein typisches Reiseland der Deutschen und daher vielen eher unbekannt. Mit welchen Vorurteilen über Südkorea würden Sie gerne aufräumen?

Erstens, dass Südkorea im Schatten einer militärischen Bedrohung durch den Norden lebe. Sicherlich ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel seit dem Ende des Koreakrieges dadurch gekennzeichnet, dass das Land immer noch im Krieg lebt. Es gibt nur einen Waffenstillstand. Aber dieses Land im Süden der Halbinsel ist friedlich, wohlhabend, unglaublich modern, unglaublich dynamisch und keinen Falls gefährlich. 

Zweitens: Südkorea sei nicht kreativ, sondern ist ein Land, das abkupfert. Meiner Erfahrung nach ist Korea sehr kreativ. Sowohl im musikalisch-musischen Bereich, im künstlerischen Bereich, aber auch im Bereich wissenschaftlicher Innovation. Es ist ja kein Zufall, dass ein Großkonzern wie Samsung ein unglaublich hohes Entwicklungstempo im Bereich der Smartphones an den Tag legt. Es ist auch kein Zufall, dass Korea im Bereich der Automobilherstellung, der Flachbildschirme oder im Batterien Bau für Elektromobilität in der Zwischenzeit zu den bedeutendsten Anbietern weltweit gehört. Eine solche Position erlangt man nicht, wenn man nur die Produkte anderer kopiert. 

Drittens: Die koreanische Küche bestehe nur aus Kimchi, Reis und Tee. Die koreanische Küche ist unglaublich vielfältig, sehr gesund, sehr schmackhaft und wer wirklich gut koreanisch Essen will, der sollte wirklich mal nach Korea kommen und es hier erleben.

Bildung hat in Korea einen sehr hohen Stellenwert. Gleichzeitig stehen aber gerade die koreanischen Schüler unter sehr hohem Druck, um an eine der begehrten Universitäten zu kommen. Was kann das deutsche Bildungssystem vom koreanischen lernen und wie sieht es umgekehrt aus? 

Wir sollten uns daran erinnern, dass es ohne Fleiß keinen Preis gibt. Es gibt ein altes griechisches Sprichwort, das lautet: „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt.“ Das heißt: wir sollten uns in Deutschland, vor allem auch in unseren deutschen Schulen, wieder daran erinnern, dass es darauf ankommt, fleißig zu lernen. 

Ich glaube von Deutschland kann Korea lernen, dass eine Überbetonung der akademischen Ausbildung möglicherweise nicht für alle Menschen gut ist. Wenn von einem Abiturientenjahrgang 80 Prozent anschließend studieren und von denen dann 70 Prozent ein Hochschulexamen absolvieren, ist die Gefahr einer Überakademisierung nicht von der Hand zu weisen. 

Es zeichnet sich ab, dass es hier eine große Arbeitslosigkeit unter jungen Akademikern gibt, die dann in Dienstleistungsberufe ausweichen. Ich würde da von einem akademischen Dienstleistungsprekariat sprechen. Deshalb empfehle ich meinen koreanischen Gesprächspartnern immer wieder sich mal das deutsche duale System anzuschauen. Berufsschule und Lehre. Einen größeren Respekt auch für die Leistung und Qualität der Fachhochschulen und eine Abkehr von der einseitigen Betonung des akademischen Studiums, als Ausbildungsziel. Ich glaube da können wir beide voneinander lernen.

Wenn Sie in einigen Jahren einen neuen Posten in einem anderen Land antreten werden, was werden Sie aus Korea mitnehmen und hier erreicht haben? 

Mitnehmen werde ich, dass die Menschen Koreas freundlich, intelligent und fleißig sind - und fröhlich! Ich werde die Koreaner und dieses Land immer in guter Erinnerung behalten. 

Erreicht haben möchte ich, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Korea, insbesondere im Bildung und Wissenschaftsbereich noch einige zusätzliche Impulse erhalten hat. Ich sehe den Schwerpunkt darin, wissenschaftliche Kooperation zwischen koreanischen und deutschen Hochschulen zu intensivieren - auch mit der Universität Heidelberg. Es gibt hier den "Heidelberg Club" und eine sehr, sehr aktive Alumnigemeinde koreanische Akademiker, die in Heidelberg studiert haben. Ich möchte, dass wir ähnliche aktive Formen der Kooperation etwa auch mit Hochschulen in den mittel- und ostdeutschen Bundesländern haben. 

Und ich möchte auch die Zahl der koreanischen Naturwissenschaftler erhöhen, die in Deutschland ihren Master oder ihren Diplomingenieur machen oder vor allen Dingen auch in technischen oder naturwissenschaftlichen Fächern promovieren. Das ist eine ganz klare Vorgabe. Wir haben jedes Jahr 5200 koreanische Studenten in Deutschland, überwiegend in den Geisteswissenschaften und in den musischen Fächern.

Diesen Anteil der Naturwissenschaftler möchte ich deutlich erhöhen. Ich glaube, da sind wir auch auf einem guten Weg. 

   

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