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 Wissenschaft
26.05.2012

Mehr Überblick – besserer Schutz

Psychologieprofessor Joachim Funke will Videoüberwachung verbessern

Joachim Funkes Arbeitsgruppe forscht an der semiautomatischen Auswertung von Überwachungsvideos. / Foto: Simone Mölbert

Trotz Videoüberwachung nimmt an Bahnhöfen die Gewalt zu. Das Überwachungspersonal ist von der Bilderflut überfordert. Joachim Funke forscht in Heidelberg am Überwachungssystem ADIS, dass Gefahrensituationen automatisch erkennen und Alarm schlagen soll.

Das Gespräch führte Madalina Draghici

ruprecht: Herr Funke, könnten Sie uns kurz Ihr Forschungsprojekt „PADAK“ vorstellen?

Joachim Funke: Wir sind Teil des größeren Verbundvorhabens „Automatisierte Detektion interventionsbedürftiger Situationen in öffentlichen Räumen durch Klassifizierung visueller Muster“ - kurz ADIS -, das angestoßen wurde durch ein Programm der Bundesregierung, die sich Gedanken darüber macht, wie man die Sicherheit auf öffentlichen Plätzen erhöhen kann. Anlass dazu waren ein paar schreckliche Ereignisse, Vorfälle die sich auf öffentlichen Bahnsteigen ereignet haben, die bis hin zur Tötung von unbeteiligten Personen geführt haben. Das ist der große Rahmen, mein Teilprojekt PADAK, dass ich hier in Heidelberg betreibe, bezieht sich auf die Frage: Was kann die Psychologie eigentlich zur Mimik, zur Gestik, zur Bewegung sagen? Kann man aufgrund von Merkmalen, die sich in der Gestik zeigen, in der Kommunikation mit anderen, Vorhersagen darüber machen, ob eine Situation eskaliert, ob es zu einer Schlägerei kommt? Das ist unser Gegenstand an dem wir hier forschen.

Was ist an dem Projekt ihrer Meinung nach ganz besonders interessant?

Ganz besonders interessant ist hier sicher die hohe Anwendungsrelevanz. Wir erforschen hier etwas, bei dem die Psychologie vielleicht einen guten, direkten Nutzen für die Bevölkerung leisten kann.

Das Projekt PADAK läuft ja bereits seit 2010. Gibt es schon Ergebnisse oder Thesen?

Ja, wir haben natürlich eine Sammlung der bisherigen Vorfälle erstellt, wir haben Datenerhebungen mit Versuchspersonen durchgeführt, was ihrer Meinung nach gefährliche Situationen auszeichnet. Dabei ist interessanterweise herausgekommen, dass Merkmale wie das Geschlecht der Person, die in einen Streit verwickelt ist, gar nicht so wichtig sind. Vielmehr ist für die meisten Befragten die Tatsache relevant, ob die beteiligten Personen alkoholisiert sind.

Bezieht sich die Fragestellung auf Gewaltprävention im Allgemeinen oder explizit auch auf Terrorismusprävention?

Terrorismus ist nicht in unserem Fokus, wir beziehen uns auf öffentliche Plätze wie Bahnhöfe und U-Bahnstationen. Aber auch da ist nicht eine generelle Prävention unser Ziel, sondern wir möchten helfen, die Informationen, die durch das Videomaterial gesammelt werden, semiautomatisch vorzusichten, so dass die Flut der Informationen etwas gezielter auf die Tische der Entscheider kommt.

Das Ziel ist es also, dem Ãœberwachungspersonal entsprechende Handreichungen zu geben, wo es eingreifen soll?

Die sollen zunächst mal noch gar nicht eingreifen, sondern sie sollen sich das zunächst mal ansehen. Sie müssen sich vorstellen, dass an einem großen Bahnhof in einer Großstadt Videoströme sind, die kommen von tausenden von Kameras, und sie haben vielleicht einen Sicherheitsmann, der irgendwo in der Zentrale diese Videoströme beobachten soll. Man kann nicht tausend Inputs gleichzeitig sehen und deswegen versuchen wir einen Filter zu schaffen.

Kann es nicht passieren, dass durch solche Methoden Personen zu Unrecht als potentielle Täter behandelt werden?

Nein, also die Sorge habe ich überhaupt nicht, weil wir ja nur für eine Auswahl von Videosignalen sorgen, die dann von einem Beobachter beurteilt werden. Wir machen damit nicht jemanden gleich zu einem Straftäter oder zu einem Verdächtigen. Das lässt auch durchaus zu, dass wir uns irren, es braucht ja immer die menschliche Entscheidung, um zu sehen, ob eine ganz bestimmte Szene wirklich kritisch ist oder nicht.

Wurden Sie bereits mit Kritik an dem Projekt konfrontiert?

Wir haben von Anfang an mit Kritik gerechnet, weil wir natürlich die Einwände von Datenschützern kennen und ernst nehmen. Wir haben in unserem Projekt eine eigene Arbeitsgruppe, die in Tübingen angesiedelt ist und die sich mit den datenschutzrechtlichen Aspekten von dieser semi-automatischen Videoüberwachung beschäftigt, so dass wir von Anfang an natürlich einen Blick auf diese kritischen Gesichtspunkte haben.

Was würden Sie eventuellen datenschutzrechtlichen Bedenken entgegnen?

Dass wir gar keine personenbezogenen Daten sammeln. Wir werten Videomaterial aus, dessen Qualität so schlecht ist, dass Sie noch nicht einmal das Gesicht der Person erkennen können. Für unsere Studien arbeiten wir außerdem gar nicht mit realistischem Videomaterial. Wir erzeugen für unsere Experimente im Labor eigene Videoszenen, wir erstellen eigene Grafiken, also arbeiten wir mit einem Material für das überhaupt keine personenbezogenen Daten anfallen.

Wenn die Gewalt im öffentlichen Raum tatsächlich gestiegen ist, könnte man dann nicht auch sagen, dass die Videoüberwachung versagt hat?

Ich meine, Videoüberwachung ist nicht das Allheilmittel, um Gewalt in einer Gesellschaft zum Verschwinden zu bringen. Ich glaube, um Menschen zu einem wertebewussten Verhalten zu bewegen, muss man an ganz anderen Stellen anfangen. Dennoch ist Videoüberwachung hilfreich, allein schon für den Opferschutz.

Was wären für Sie sinnvolle Maßnahmen zur Gewaltprävention?

Sinnvolle Maßnahmen zur Gewaltprävention wären für mich sicher pädagogische Maßnahmen, die ganz früh ansetzen. Wir können nicht auf dem Bahnsteig anfangen mit einer Gewaltprävention. Die muss viel früher im Erziehungsprozess beginnen.

Herr Funke, vielen Dank für das Gespräch.

   

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