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 Heidelberg
17.11.2012

Nicht mĂŒde werden

Ein Bericht von der wohl grĂ¶ĂŸten US-Wahlparty Baden-WĂŒrttembergs

Das volle DAI im Wahlfieber: einige halten durch bis um 5.20 Uhr das Ergebnis feststeht. / Foto: Tina Scholz (dai)

Wenn Amerika wĂ€hlt, ist das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) in Heidelberg einer der geeignetsten Orte, um das Spektakel live zu verfolgen. In der Stadt, in der die Verbindung zu den Vereinigten Staaten nicht zuletzt durch die mehreren Tausend hier lebenden US-Amerikaner besonders eng ist, bot sich hier die Gelegenheit, Diskussionen, Expertenmeinungen und Kommentare einzufangen und den Wahlsieg Barack Obamas nicht am Morgen dem Radio zu entnehmen, sondern Staat fĂŒr Staat mit durchzustehen.

Als Barack Obama um 7.35 Uhr in Chicago vor seine AnhĂ€nger tritt, werden im DAI noch die Spuren der vergangenen Nacht beseitigt. Auf dem Boden sind leere Bierflaschen zurĂŒck geblieben, an dem ein oder anderen Stuhl kleben noch Senf-reste. Den fast leeren Saal zieren vor NervositĂ€t klein gefaltete Stars and Stripes. Großformatige PortrĂ€ts der vormaligen Kontrahenten werden abgerĂ€umt. Die fulminante Rede des alten und neuen US-PrĂ€sidenten erreicht hier niemanden mehr.
Zwölf Stunden zuvor stehen sich der PrĂ€sident und sein Herausforderer noch gegenĂŒber. Davor fĂŒllt eine gespannte Menge gleich alle drei Stockwerke des Deutsch-Amerikanischen Instituts – dem Ort in Baden-WĂŒrttemberg, um die US-Wahl zu verfolgen. So jedenfalls sehen das die Kollegen vom SWR, die vielen Hundert, ĂŒberwiegend deutschen Besucher und Jakob Köllhofer, Direktor des Instituts. „Die ‚Election Night‘ ist schon seit 1980 eine feste Tradition im DAI“, sagt er und freut sich besonders, dieses Mal viele junge Leute zu sehen. Wann er mit einem Ergebnis rechne? „FrĂŒhestens sechs Uhr.“ Verdutzt blicken wir uns an; auf ein amerikanisches FrĂŒhstĂŒck waren wir eigentlich nicht eingestellt.
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch keine Stimme ausgezĂ€hlt ist, steht ein Sieger bereits fest. Bei der Podiumsdiskussion zwischen dem flippigen Republikaner Scott Cummingham und seinem Widerpart John McQueen hat der „Democrat Abroad“ eindeutig die Sympathien auf seiner Seite. Im bestens gefĂŒllten Saal ist inzwischen die typische DAI-Hitze entstanden; gespannt verfolgen die Zuschauer den Schlagabtausch. Ein wenig spiegelt sich der große Showdown hier im Kleinen wider: WĂ€hrend Cummingham von Beginn an krĂ€ftig austeilt und keine Gelegenheit ungenutzt lĂ€sst, ĂŒber die demokratische Regierungsbilanz herzuziehen, tritt John McQueen – ganz auf die Wahlkampftaktik seines PrĂ€sidentschaftskandidaten setzend – seinem Streitpartner gelassen entgegen. „Die Menschen in Amerika mögen die Gesetze von Obama nicht“, wettert der Republikaner. Der Demokrat hĂ€lt entgegen: „Obamas guter Ruf dringt bis nach Europa, das Problem in Amerika ist die fehlende Transparenz.“

 

„Obama verkörpert das Amerika, das wir uns wĂŒnschen“


Das kommt beim Publikum gut an. Umfragen hatten gezeigt, dass eine ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit der Deutschen eine zweite Amtszeit Barack Obamas befĂŒrworten wĂŒrde. Und auch die Abstimmung im DAI fĂ€llt deutlich aus: der Amtsinhaber lĂ€sst seinen Herausforderer Mitt Romney mit 481 zu 38 Stimmen weit abgeschlagen zurĂŒck.
Warum sind sich die US-WĂ€hler so uneinig, wo den EuropĂ€ern die Entscheidung so leicht fiele? „Die UnterstĂŒtzung der Deutschen fĂŒr Obama bietet eine Gelegenheit, den eigenen Antirassismus ein bisschen unter Beweis zu stellen“, meint Manfred Berg. Er ist Inhaber des Lehrstuhls fĂŒr Amerikanische Geschichte in Heidelberg und hat selbst in den Vereinigten Staaten gelebt. „Obama verkörpert das Amerika, das wir uns wĂŒnschen“, sagt Berg, wĂ€hrend Romney und die Republikaner „sich einem fahnenschwenkenden Right-or-Wrong-My Country-Chauvinismus verpflichtet“ haben, der im Rest der Welt nicht gut ankomme.
Erstaunlich ist, dass die nun schon vier Jahre andauernde UnterstĂŒtzung Barack Obamas im moralistischen Europa auch angesichts seiner zweifelhaften außenpolitischen Leistungen nicht geschwunden ist. Denn weder ist, wie er vor dem letzten Wahlkampf versprochen hatte, das Gefangenenlager GuantĂĄnamo geschlossen, noch der Nahe Osten befriedet. Den Drohnen-Krieg in Afghanistan hat Obama sogar noch verschĂ€rft. „Man sieht ihm mehr nach“, erklĂ€rt Manfred Berg.
Wen Eckhart WĂŒrzner an diesem Abend unterstĂŒtzt, wird spĂ€testens um 0.30 Uhr klar. Da darf der OberbĂŒrgermeister von Heidelberg in die fĂŒr ihn ungewohnte Rolle des Journalisten schlĂŒpfen. Via Skype  telefoniert er mit Christoph von Marschall, dem USA-Korrespondenten des Tagesspiegel. Schnell spiegelt ihr GesprĂ€ch die deutsche Wahlberichterstattung wider – ĂŒber die allerorten zu hörenden Phrasen kommt auch der OberbĂŒrgermeister nicht hinaus.
Jenseits des Ozeans sieht es derweil weiter knapp aus: Zwar verlassen einige Obama-AnhĂ€nger, als um kurz nach ein Uhr mitteleuropĂ€ischer Zeit die ersten Prognosen auf der Leinwand erscheinen, siegessicher das DAI. Der PrĂ€sident hat laut ersten Hochrechnungen im Swing State Florida die Nase vorn. Allerdings sind um diese Zeit erst ein  Prozent der Stimmen ausgezĂ€hlt, und das Florida-Ergebnis stand noch einige Tage danach nicht fest. Vorerst bleibt es also spannend.
Indes versorgt sich, wer sich an diesem Abend gĂ€nzlich amerikanisch fĂŒhlen möchte, mit badischem Rothaus-Bier und Hot Dogs, die sich als Vollkorn-Brötchen mit Wiener WĂŒrstchen entpuppen. Ein Tisch bietet FĂ€hnchen, HĂŒte, Wimpel an – alles in den Farben des Star-Spangled Banner und, natĂŒrlich, alles „Made in China“. Im Untergeschoss lĂ€uft dazu, gĂ€nzlich ohne Anspruch darauf, sich irgendwie ins Abendprogramm einzufĂŒgen, ein Chaplin-Film.
Ein bisschen skurril nimmt sich auch das Bild in der DAI-Bibliothek aus, wo zwischen  Unmengen BĂŒchern Wolf Blitzer vom CNN die aktuellsten Prognosen verkĂŒndet. Darunter thront Institutsleiter Köllhofer, zufrieden angesichts des sich abzeichnenden Vorsprungs fĂŒr den PrĂ€sidenten.
Hier treffen wir auch auf einen „echten“ Amerikaner, der unter all den wahlbegeisterten Deutschen wahrlich nicht leicht zu finden war. Abgestimmt habe er schon per Briefwahl, erzĂ€hlt uns Neil Salomon, der in Heidelberg bei einem kleinen Wissenschaftsverlag arbeitet.
Weshalb er Obama unterstĂŒtzt? „Because I‘m scared of Romney!“ Auf die Frage, was denn so schlimm am republikanischen Kandidaten sei, rĂ€t er nur: „Remember what it was like under Bush.“
Salomon bestĂ€tigt uns, was die deutschen Medien seit Wochen berichten: Dass die USA tief gespalten seien und die wenigen, umkĂ€mpften ‚Swing States‘ wahlentscheidend sein wĂŒrden. Seine Prognose fĂŒr den Abend: „Ohio could be the Florida of 2012.“
ZurĂŒck im Saal wird jede Nachricht ĂŒber einen Staat, dessen WahlmĂ€nner an Obama gehen,  mit Applaus quittiert. Gewinnt Romney, herrscht nur eisiges Schweigen – einen letzten Republikaner sucht man hier vergeblich. Selbst die Junge Union, der Romneyschen Kombination aus Wirtschaftsliberalismus und gesellschaftspolitischer Gestrigkeit nicht unverdĂ€chtig, weist die Vermutung weit von sich. „Unser Standpunkt ist klar fĂŒr Obama“, so Matthias Kutsch von der JU Heidelberg, der den Wahlabend ebenfalls im DAI verfolgt.
Wie kommt es, dass bei so viel EinmĂŒtigkeit die Deutschen dennoch solche Begeisterung aufbringen können fĂŒr einen Wahlkampf, von dessen Ausgang erst am FrĂŒhstĂŒckstisch zu erfahren vollkommen ausreichte?

 

Die verrĂŒckteren Zuschauer sind die Deutschen


„Der amerikanische Wahlkampf ist einfach eine Riesenshow. Im Vergleich sind unsere WahlkĂ€mpfe wie Weihnachtsfeiern bei der Heilsarmee“, versucht Manfred Berg die Aufmerksamkeit hierzulande zu deuten.  „Sie haben charismatische FĂŒhrer, sie haben Schurken. Die Leute sind davon fasziniert.“
Kurz vor 5 Uhr am Morgen ist die HĂ€lfte der Stimmen ausgezĂ€hlt. Den WahlmĂ€nnern nach liegt zwar noch immer Romney vorne, doch zeichnen sich fĂŒr den PrĂ€sidenten Mehrheiten in den noch nicht ausgezĂ€hlten Swing States ab.
Noch immer sind etwa einhundert Zuschauer im DAI. Die Hörfunkdame des SWR ist in ihrem Übertragungswagen verschwunden. Wer jetzt noch hier ist, wird auch nicht mehr nach Hause gehen, bevor die Wahl entschieden ist. Zu lange hat man schon gewartet. Amerikaner sind jetzt kaum noch zu sehen – die verrĂŒckteren Wahl-Verfolger sind die Deutschen.
Um 5.20 Uhr verkĂŒndet CNN plötzlich: „Barack Obama re-elected“, und fĂŒr einen Moment fĂ€hrt noch einmal Begeisterung in den ĂŒbernĂ€chtigten Haufen, der einmal Menge gewesen war. Applaus fĂŒr den Sieger, Freibier fĂŒr uns. Unsicher, ob man sich die Standing Ovations gegenseitig zollt, weil man die Nacht ĂŒberstanden hat, oder dem Mann, der einen ohnehin jetzt nicht sehen kann. Danach löst sich die Gesellschaft gemĂ€chlich, aber doch rasch auf. Man war nicht geblieben, um ausgelassen zu feiern – eher, um einmal tief durchzuatmen und mit dem Wissen schlafen zu gehen, dass der Richtige PrĂ€sident geblieben ist. Am Ende war es der Swing State Ohio, der den Ausschlag gegeben hat.
Als wir das DAI verlassen, fahren die Bahnen im Zehnminutentakt, die BÀcker liefern ihre Brötchen aus, im Briefkasten findet man die Zeitung. Niemand kann sicher sein, ob all das der Fall wÀre, hÀtte Mitt Romney die Wahl gewonnen. Einstweilen können wir uns darauf verlassen.


von Michael Graupner, Kai GrÀf und Johanna Mitzschke
   

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