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 Interview
15.07.2013

Mitbestimmung in Österreich – ein Modell für Heidelberg?

Ein Interview mit dem Sprecher der Österreichischen HochschülerInnenschaft

Kay-Michael Dankl, Politikstudent und Sprecher der ÖH Salzburg. / Foto: Christoph Straub.

Das österreichische Pendant zur Verfassten Studierendenschaft (VS) nennt sich Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Kay-Michael Dankl, Sprecher der ÖH Salzburg, erklärt im Interview, worauf die Heidelberger Studenten bei der Einführung ihrer VS achten müssen.

Könntest Du Dir eine Universität Salzburg vorstellen, an der es die Universitätsvertretung der ÖH in der jetzigen Form nicht gibt?

Ja, aber es wäre kein schönes Bild. Es gibt einfach zu viele wichtige Leistungen, die jetzt von der ÖH wahrgenommen werden. Die Studierenden leisten extrem viel Arbeit, insbesondere, was Beratung und Gremienarbeit betrifft. 

In Salzburg wäre es ein besonders schmerzlicher Verlust, weil die Stadt relativ konservativ ist und etwas fehlen würde, wenn sich Studierende zu Themen wie Kultur, dem Bettelverbot oder auch Ausländerhetze und Fremdenfeindlichkeit nicht äußern könnten.

Würden sich in einem solchen Fall in Salzburg – ähnlich, wie das in Heidelberg mit der Fachschaftskonferenz (FSK) der Fall war – unabhängige Strukturen herausbilden?

Ich glaube schon. Ich glaube auch, dass sich einige Studienvertretungen (Anm. der Red.: Studienvertretungen entsprechen den Fachschaften) zusammenschließen würden. Die größte Schwäche wäre dabei natürlich, dass es kein eigenständiges Budget gäbe. Momentan hat die ÖH Salzburg ein Jahresbudget, welches sie vollkommen autonom im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben verwenden kann. Das wäre mit den Studienvertretungen deutlich schwieriger. Die wären auf freiwillige Mitgliedsbeiträge, Sponsoring oder Mittel, die vom Rektorat gewährt werden, angewiesen – über die man aber wahrscheinlich keine freie Verfügung hätte. Das sind ja gerade auch für die Heidelberger FSK Probleme. Auch die Mitsprache in den universitären Gremien wäre deutlich schwieriger.

Ich fände es schade, wenn es in Salzburg nur eine Gruppierung von Studienvertretungen gäbe, die nach dem Personenwahlrecht gewählt wird, ohne dass man als Studierender eine klare politische Linie vorgeben kann.

Ein möglicher Vorteil wäre, dass die Studierenden einen größeren Druck hätten, selbst aktiv zu werden. Aber die Frage ist, inwiefern dieser Druck dann wirklich in Aktivität umgemünzt wird.

Was sind die Stärken der ÖH?

Die größte Stärke ist die starke Mitbestimmung in universitären Gremien. Dazu gehört beispielsweise die Drittelparität bei Angelegenheiten, die den Lehrplan betreffen. Sobald es um solche Themen geht, haben wir ein Drittel aller Stimmen und damit ein noch höheres Gewicht als sonst. Zudem haben wir eine Mitsprache bei den Berufungskommissionen und im Senat, dem höchsten Gremium. Hier gibt es eine bundesgesetzlich verankerte Mitsprache, die im Gegensatz zu Deutschland nicht beratend ist, sondern ein Stimmgewicht hat. 

Die zweite Stärke ist die finanzielle Unabhängigkeit. In Salzburg müssen alle Studierenden 17,50 Euro einzahlen. Davon gehen 17 Euro direkt an die ÖH, der Rest an die Bundesvertretung. Damit haben wir ein Budget von 500.000 Euro, mit dem man viel machen kann. 

Eine dritte Stärke ist die klare gesetzliche Verankerung des Wahlsystems: Auch wenn nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der Studierenden an der Wahl aktiv teilnimmt, ist das eine deutliche politische Legitimation.

Gibt es Dinge, die sich die Heidelberger Studierenden bei der Einführung ihrer VS von der ÖH Salzburg abschauen können?

Wir haben für die ÖH-Wahlen Fairnessabkommen eingeführt, die alle politischen Listen unterzeichnen müssen. Damit trennen wir den politischen Wahlkampf auf Universitätsebene von dem Personenwahlkampf auf Studienvertretungsebene. An anderen ÖH-Universitätsvertretungen gibt es ausgeprägte Versuche, pseudo-unabhängig in den Studienvertretungen Parteiarbeit zu machen. Auch im Heidelberger Modell besteht die Gefahr, dass Angehörige politischer Listen sich in die Fachschaften wählen lassen, um im StuRa ihre Mehrheit auszubauen.

Was ist die größte Herausforderung einer Studierendenvertretung?

Die komplizierte Struktur der ÖH mit ihren unterschiedlichsten Aufgabengebieten ist den wenigsten bekannt. Da muss man versuchen, den Kontakt zu den Studierenden zu halten und diese Komplexität nach außen hin nachvollziehbar zu machen. Das wird auch in Heidelberg eine Herausforderung sein. Sie wächst vor allen Dingen dann, wenn sich ein Modell etabliert hat und nicht mehr über die Form verhandelt wird.

Unter den Studierenden scheint das Interesse an der Hochschulpolitik relativ gering zu sein. In Heidelberg lag die Beteiligung an den Gremienwahlen in den vergangenen Jahren bei etwa 11 bis 13 Prozent, bei der Urabstimmung zur VS fanden immerhin 17 Prozent den Weg zur Urne. Auch bei den Wahlen zur ÖH vor einigen Wochen gingen nur rund 25 Prozent wählen. Woran liegt das?

Generell kann man bei den Nichtwählern und Nichtwählerinnen zwischen jenen, die nicht wählen wollten, und jenen, die nicht konnten unterscheiden. Wie aus einer Studie hervorgeht, gehört etwa ein Viertel der Studenten dieser zweiten Gruppe an. Sie hatten gar nicht die Möglichkeit, weil sie an den Tagen der Wahl nicht vor Ort waren und es keine Online- oder Briefwahl gibt. Spannender ist aber die Frage, was mit jenen Studierenden los ist, die nicht wählen wollten. Da kommen mehrere Sachen zusammen. Eines ist sicher die Wahrnehmung, dass die ÖH eh nicht so viel erreichen kann. Diese Nichtwähler sehen nicht, wie ihre Stimmabgabe zu einer konkreten Verbesserung ihrer persönlichen Studiensituation jetzt und nicht erst in zehn Jahren führt. 

Ein zweites Phänomen ist meiner Meinung nach der geringe Informationsstand. Viele Studierende wissen nicht: Wer steht zur Wahl? Wie unterscheiden sich die Listen voneinander? Wenn man das mit einem politikwissenschaftlichen Ansatz erklärt, ist das durchaus rational: Der Aufwand, sich zu informieren, ist nicht unerheblich. Der Nutzen, eine Stimme der Partei zu geben, von der man sich vielleicht ein bisschen mehr Vorteile verhofft, erscheint dagegen sehr gering. Es ist also nach der Rational Choice Theorie ein rationaler Ansatz, nicht wählen zu gehen.

Ein dritter Grund ist die sehr viel geringere Bindung an die Universität. Die Studierenden sind drei, vier, fünf, maximal sieben Jahre an der Universität. Bei Bundestags- oder Landtagswahlen sieht man, dass dort viele Leute wählen, die auch in den letzten 20 Jahren schon immer gewählt haben. Das erscheint einfach wichtiger. Man wird nicht nur viel einfacher informiert, weil in allen Medien darüber berichtet wird, sondern findet vielmehr eine Tradition des Wählens, die Stammwähler. An der Uni gibt es die nicht, weil die Studenten zwei, drei Mal wählen und dann wieder weg sind.

Kann man die Studierenden durch die Wiedereinführung der VS stärker für Hochschulpolitik interessieren?

Durch die Aufwertung studentischen Engagements in Fachschaften, Hochschulgruppen und Gremien sind bei der Wahlbeteiligung bestimmt einige Prozentpunkte drin.

Wie könnte man ein solches Potential am besten nutzen?

Leute die glauben, die Studierendenvertretung bringt eh nichts, kann man nur schwer vom Gegenteil überzeugen. Viel einfacher ist es, diejenigen, die schlecht informiert sind, besser zu informieren. Das ist ein viel kleinerer Schritt, der leichter zu bewältigen ist. Dabei sollte man natürlich keine Kosten und keinen Aufwand scheuen, Öffentlichkeit zu schaffen.

von Christoph Straub
   

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