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 Wissenschaft
17.06.2013

Der lebendige Geist in Ketten

Entspricht unsere Universität tatsächlich dem Ideal der Unabhängigkeit?

Eitel als Handlanger der Konzerne? / Grafik: Jakub Szypulka.

Universitäten sollten Räume für freies und kritisches Denken eröffnen. Doch viel zu oft stehen externe Interessen großer Unternehmen diesem Anspruch im Weg.

"Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung", schrieb Wilhelm von Humboldt 1792. "Humboldt ist tot", sprach 1997 der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers.

Seit diesem bezeichnenden Ausspruch haben sich die universitäre Landschaft in Deutschland und vor allem der Bildungsbegriff tiefgreifend verändert. Mittlerweile erscheint es konsensfähig, die Universität lediglich als Dienstleisterin im Wirtschaftsgefüge einer modernen und "wettbewerbsfähigen" Gesellschaft zu verstehen. Im Zuge der Bologna-Reform und weiterer Maßnahmen wie G8 wurde die Bildungslaufbahn beschleunigt und auf die Erfordernisse der Humankapitalnachfrage der Marktwirtschaft zugeschnitten.

Des Weiteren sehen sich die Universitäten nicht erst seit dem Wegfall der Studiengebühren einem massiven Finanzierungsdruck ausgesetzt. Die Länder können, der Bund darf die Universitäten nicht mit genügend Mitteln ausstatten. So suchen viele Universitäten, auch die Heidelberger, ihr Heil in der sogenannten Drittmitteleinwerbung: Partnerschaften und lukrative Kooperationen sollen die Lücken im Budget schließen. Dafür stellen die Universitäten in Public Private Partnerships oder sogenannten "anwendungsorientierten Forschungsplattformen" ihr Know-How der Wirtschaft zur Verfügung.

Wie steht es heute um die akademische Freiheit in Heidelberg?

Auch an der Uni Heidelberg wurden im Jahr 2010 wirtschaftsnahe Forschungsprojekte mit einem finanziellen Umfang von insgesamt 34,2 Millionen Euro durchgeführt, die unter dem Schlagwort "Technologietransfer" firmieren. Einen Schwerpunkt bildete unter anderem ein Labor zur Katalyseforschung, das gemeinsam mit BASF betrieben wird. Auch Merck, SAP und andere beteiligen sich: Ihr "Innovation Lab" forscht zur organischen Elektronik, während Sony, Bosch und weitere Unternehmen im Heidelberg Collaboratory for Image Processing vertreten sind. Die Liste der Industry-on-Campus-Projekte ist lang.

Doch wie kann eine Universität, zur bloßen Ausbildungsstätte und zum Spielball externer Interessen degradiert, zugleich ihrem Anspruch gerecht werden, unabhängige Lehre und Forschung zu betreiben und gar autonome Persönlichkeiten zu formen? Kurzum: Wie steht es heute um die akademische Freiheit?

Einige erschreckende Beispiele sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Im April 2012 besiegelte die Universität Luzern einen Kooperationsvertrag mit der Bank UBS, unter Ausschluss ihres eigenen Lehr- und Forschungspersonals. Durch einen großzügigen Zuschuss von umgerechnet knapp 80 Millionen Euro wird die Universität um das "UBS International Center of Economics in Society" bereichert. Ganz im Sinne des programmatischen Titels darf man dieses Vorhaben wohl als Meinungsmache bezeichnen. Gegen den Vertrag regte sich entsprechender Protest: Der sogenannte Zürcher Appell, ein Aufruf zahlreicher Schweizer Professoren, forderte die Wahrung der universitären Unabhängigkeit.

Die Illusion der Freiheit

Auch in Deutschland sind Beispiele dieser Art keine Seltenheit: 2011 erregte eine Partnerschaft zwischen Deutscher Bank und den beiden großen Berliner Universitäten öffentliches Aufsehen. Gemeinsam sollte ein Institut für angewandte Finanzmathematik geschaffen werden. Im Gegenzug für ihre Gelder forderte die Bank jedoch neben speziellen Werbeflächen auch eine Beteiligung an den Lehrkonzepten sowie ein Vetorecht in Bezug auf Forschungsergebnisse.

Seit dem Bekanntwerden (und anschließenden Scheitern) dieses Vorhabens betreibt die Tageszeitung gemeinsam mit Transparency International und Studentenvertretungen das Projekt hochschulwatch.de, das derartige Kooperationen öffentlich machen möchte.

Nach dortigen Informationen bezieht die Uni Heidelberg jährlich mehr als vier Millionen Euro aus privatwirtschaftlichen Quellen. Dies entspricht etwa fünf Prozent des jährlichen Budgets. An der Uniklinik machen gewerbliche Drittmittel sogar fast ein Drittel des Jahresbudgets aus.

Doch neben wirtschaftlichen Interessen spielt auch der Klerus eine Rolle in der Hochschullandschaft: Vor allem in Bayern, aber beispielsweise auch in Freiburg und Münster darf die katholische Kirche im Rahmen sogenannter Konkordate zwischen Land und Heiligem Stuhl bei der Berufung einiger Hochschulprofessuren ihr Veto gegen die Personalentscheidung der Universität einlegen. Dieses Recht beschränkt sich aber nicht nur auf Professuren in der Theologie, wie man zunächst meinen könnte. Sogenannte Konkordatslehrstühle gibt es auch in den Fächern Philosophie, Pädagogik, Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft. Erst nach öffentlicher Kritik und einer Verfassungsklage erklärten bayerische Bischöfe kürzlich, ihr Vetorecht künftig ruhen zu lassen.

Die Lehre beugt sich dem Staat

Doch obwohl diese Umstände bereits ein recht düsteres Bild der wissenschaftlichen Unabhängigkeit hierzulande zeichnen, muss die Ausgangsfrage, wie kritisch Wissenschaft und Lehre gegenüber ihrem Auftraggeber sein können, noch weiter gefasst werden.

Erst vor kurzem kritisierte die Studentenvertretung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg in einem offenen Brief an die Leitung einen drastischen Fall der Einflussnahme. Bei einem von der Landeszentrale für politische Bildung angebotenen Seminar "Mit Zivilcourage gegen islamistischen Extremismus" trat als Kooperationspartner ausgerechnet das Landesamt für Verfassungsschutz auf. Den Studenten gegenüber hielt man diesen Umstand nicht für erwähnenswert.

Zu oft wird vernachlässigt, dass der Hauptfinancier der Universitäten nach wie vor der Staat ist. Es sind in erster Linie seine Gelder, auf die die Hochschulen angewiesen sind, und so beugt sich ihre Lehre auch hier dem Willen der nährenden (öffentlichen) Hand. So muss letztlich sogar bezweifelt werden, ob Universitäten überhaupt zu mehr als einer Replikation bestehender gesellschaftlicher und politischer Muster in der Lage sind. Zu mehr als bloßer Systemaffirmation, die sich im Licht ihrer proklamierten Unabhängigkeit den Anschein kritischer Wissenschaft gibt.

Der Status Quo ist nicht alternativlos

Anhand dieser Beispiele wird schnell klar, dass die Unabhängigkeit der Universität derzeit eine Illusion ist. Zu viele externe Einflüsse stehen ihrer Freiheit im Wege. Und solange sich am (Bildungs-)System keine grundlegenden Veränderungen ergeben, wird das wohl auch künftig so bleiben. Doch gibt es überhaupt Alternativen? Wie könnten sie aussehen?

Könnte das amerikanische Modell als Vorbild dienen, in dem Universitäten langfrisitg große Eigenkapitalstämme ansammeln und sich daraus selbst-ständig finanzieren? Doch wie ließe sich dieser Kapitalbedarf decken? Durch Studiengebühren? Hätte dies nicht wiederum verheerende Folgen für die Chancengerechtigkeit des Bildungssystems? Oder könnte ein am Bafög orientiertes System Abhilfe schaffen, in dem Studenten Gebühren für ihr Studium erst nach dessen Abschluss als Anteil ihres ersten Gehalts abbezahlen?

Diese Überlegungen sind zunächst nur wilde Spekulationen. Doch sie sollen eines zeigen: Der Status Quo ist keineswegs alternativlos und ebenso wenig muss man sich mit ihm begnügen. So tot Wilhelm von Humboldt auch sein mag – die nach ihm benannten Ideale haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Und es liegt vor allem an uns Studenten, ihnen neue Kraft zu verleihen. Denn auch an unfreien Lehrstätten benötigt die intellektuelle Freiheit keine Drittmittel, sondern nur den Mut zu kritischem Denken.

von Paul Eckartz
   

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