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 Interview
13.12.2005

Als Steuervisionär gestartet, als Heidelberger Professor gelandet

Paul Kirchhof über einen politischen Ausflug

Paul Kirchhof machte im Sommer 2005 als Schattenfinanzminister in Angela Merkels „Kompetenzteam“ Furore. Als parteiloser Steuerrechtsexperte wollte er das Steuersystem reformieren und Steuerschlupflöcher schließen. Seine Pläne wurden im Wahlkampf von der rot-grünen Regierung und selbst Teilen der CDU heftig kritisiert. Nach der verlorenen Bundestagswahl zog er sich wieder aus der Politik zurück und kehrte wieder an seinen Heidelberger Lehrstuhl zurück.

Herr Kirchhof, sind Sie froh, wieder in Heidelberg zu sein?

Ja. Ich wäre gerne bereit gewesen, die Ärmel aufzukrempeln und die schwierigen Aufgaben – Haushaltspolitik als Pflicht, Steuerpolitik als Kür – in Berlin zu übernehmen. Das hatte ich wohl bedacht. Aber nachdem nun nicht die Berliner Karte gestochen hat, sondern die Heidelberger Karte, bin ich persönlich keineswegs unglücklich.

Warum wurde „Professor aus Heidelberg“ zu einer Beschimpfung?

Das ist ein Ehrentitel und bleibt es auch. Ich habe viele Versammlungen gehabt, in allen ist der „Professor“ verstanden worden. Der Wähler in Deutschland wird unterschätzt. Man kann einen argumentierenden Wahlkampf führen und kritisch mit den Menschen die Probleme eines Projekts besprechen. Mein Problem war ein anderes. Gerhard Schröder hat gesehen, dass dieses Steuerkonzept bei den Menschen ankommt. Der Krankenschwester, dem Schichtarbeiter wäre es besser gegangen. Deswegen hat er das mit Desinformationen zugeschüttet.

Die Presse hat den „Professor aus Heidelberg“ gierig aufgenommen. Ist Deutschland elitenfeindlich?

Wenn einer „Professor aus Heidelberg“ mit ironisierendem, zynischen Unterton sagt, dann nehmen die Medien das auch auf. Aber es gab schon die Möglichkeit, Licht und Schatten eines wissenschaftlichen Projekts zu diskutieren – und ein Wissenschaftler kann ja nicht anders, Er hat alle seine Pläne vorher veröffentlicht. Sie brauchen nur mein Buch „Der sanfte Verlust der Freiheit“ zu öffnen, da steht alles drin. Eine Sachauseinandersetzung war bisher im Wahlkampf so nicht möglich.

Bisher hat man immer nur gesagt, der Gegner kann es nicht. Unser Programm heißt „Aufwärts mit Deutschland“ – fertig. Ich bin als sichtbar parteiloser Wissenschaftler ins Rennen gegangen und wollte einen anderen Akzent in den Wahlkampf hineintragen. Das ist in den ersten acht Tagen auch gelungen, bis die Umkehrung durch diese Fehlinformationskampagne kam.

Sie waren Bundesverfassungsrichter und sind Professor in Heidelberg. Wieso wollten Sie in die Politik?

Ich hätte eigentlich überhaupt keinen Anlass gehabt, den schönen Status Quo, den ich habe, aufzugeben. Ich wollte im Grunde auch weniger Minister werden, sondern meine steuerpolitischen Reformvorschläge umsetzen. Dieses Fahrzeug des deutschen Steuerrechts ist nicht mehr fahrtauglich. Es hat zu viele Bremsen, die Lenkung funktioniert nicht richtig und vor allem der Motor stottert ständig. Verfassungsgerichte sind Reparaturwerkstätten. Wenn man zwölf Jahre ein untaugliches Fahrzeug repariert, dann drängt es uns mit aller Kraft des Intellekts, ein neues Konzept zu entwerfen. Das hab ich danach fünf Jahre als Professor in Heidelberg gemacht. Und jetzt kommt aus Berlin die Frage: Machen Sie aus dem Wort die Tat?

Hatte die damalige Kanzlerkandidatin Angela Merkel sie direkt angesprochen?

Ja - und da können Sie nicht Nein sagen. Sonst heißt es: Der Herr Professor, der denkt sich etwas aus, aber wenn es ernst wird, macht er sich die Hände nicht schmutzig. Also hab ich gesagt, gut, ich weiß, wie ich meinen Status ändere, ich verliere ein wesentliches Stück akademischer Freiheit, ich verliere ein wesentliches Stück programmatischer Selbstständigkeit und den Hörsaal, in den ich sehr gern gehe.

In der Politik ist die Szene eine andere, ich verliere auch ein Stück dieses offenen Dialogs, in dem man Probleme anspricht und miteinander denkt. Wenn der andere eine bessere Idee hat, nehme ich sie auf und wehre sie nicht ab. Im Grunde war meine Entscheidung ohne Alternative. Wenn ich das Angebot bekomme, nach Berlin zu gehen und mein Steuerkonzept ins Bundesgesetzbuch kommen könnte, dann ist das der letzte Schritt und die Konsequenz eines beruflichen Weges.

In der SPD-Anzeigenkampagne mit den Rechnungen zur Krankenschwester und dem Unternehmensberater, waren das falsche Zahlen?

Ja. Da war ein Plakat, auf dem stand: Merkel: Minus 478 bei der Krankenschwester. Da habe ich in der CDU gesagt, wir müssen jetzt ein Plakat machen: Merkel: Plus 156, das wäre richtig gewesen. Und da habe ich gehört: "Wir gehen dem sicheren Wahlsieg entgegen, jetzt bloß keinen Fehler machen!“ Und das ist der größte Fehler gewesen.

Ich persönlich habe gemeint, diese Übertreibung der Fehlinformation, auch der Diskreditierung eines Menschen, fällt auf denjenigen zurück, der es macht. Aber die Zeit war zu kurz, vier Wochen waren dafür zu wenig. Ich war sicher, die Menschen das merken, die SPD spielt so durchsichtig, das fällt auf Herrn Schröder und seine Mitstreiter zurück. Doch das war anders.

Nach dem Fernsehduell mit Ihrem SPD-Kontrahenten Hans Eichel begann die Kampagne gegen sie. Wie erklären sie sich das?

Ich war mit meinem Argumentationsstil, mit meiner Sprache und mit dem Einstehen mit meinem eigenen guten Namen ein Störfaktor. Ich habe gesagt, ich stehe dafür ein, dass es der Krankenschwester besser geht, dafür, dass die Familie mit zwei Kindern 38200 Euro Freibetrag im Jahr erhält. Das ist das Projekt, für das ich kämpfe. Und wenn es anders kommt, werde ich daran nicht mitwirken.

Haben Sie die Medien, das Fernsehen unterschätzt?

Das kann sein. Ich war überrascht, welche zentrale Bedeutung das Steuerthema auf einmal gewinnt. Ich dachte, wir haben zehn Themen und ich vertrete eins davon wacker und muss mich bemühen, dass dies ins Bewusstsein der Menschen kommt. Doch plötzlich gab es fast kein anderes Thema mehr.

Hat man Sie nach Ihrer Nominierung für den Umgang mit der Medienöffentlichkeit geschult?

Nein, das wollte ich auch nicht. Ich wollte diesen Wahlkampf als parteiloser Wissenschafter führen und in Inhalt und Stil einen neuen Akzent setzen.

War denn das Tandem mit Friedrich Merz kurz vor der Wahl auch von ihnen gewollt?

Ja. Ich schätze Herrn Merz sehr, wir kennen uns persönlich schon seit langem. Das war keine schnell zusammengeklebte Kollegialität. Und Herr Merz schätzt das, was ich vorzuschlagen habe. Von daher wäre diese Tandemlösung für mich ideal gewesen. Meine geheime Hoffnung war, dass er Finanzminister wird und ich ihm das Gesetzbuch schreibe, dann wäre ich Professor hier in Heidelberg geblieben! (lacht)

Ihnen wurde auch ein antiquiertes Familienbild unterstellt ...

Das sehe ich überhaupt nicht so. Da gab es dieses Buch von Jürgen und Martine Liminski, „Abenteuer Familie“, für das ich das Vorwort geschrieben habe. Die beiden haben zehn Kinder und schildern in dem Buch die Probleme, die dadurch entstehen. Da habe ich voll Respekt im Vorwort Frau Liminski gewürdigt. Herr Schröder hat aus dieser Würdigung mein allgemeines Familienbild gemacht. Als würde ich jeder Frau in Deutschland empfehlen, zehn Kinder zu kriegen. Das ist absurd.

Das Juwel, mein familienfreundliches Steuergesetzbuch, das ich dem Wähler vorstellen wollte, war plötzlich zugeschüttet mit diesen Desinformationen, so dass man es nicht mehr gesehen hat.

Wie deckungsgleich war Ihr Programm mit dem der CDU?

Etwa 70 Prozent. Ich wollte aber mehr als die CDU. Ich hab immer gesagt, machen wir erst das, was die CDU will, und dann sind wir alle so begeistert, dann kommt mein letztes Drittel noch schnell hinterher. Und da haben einige Ministerpräsidenten gesagt, aber nicht in der kommenden Legislaturperiode. Und ich habe geantwortet, in dieser Legislaturperiode ist mehr möglich.

Im Laufe Ihrer Kandidatur entstand der Eindruck, dass Frau Merkel hinter Ihnen stand, aber die CDU-Länderchefs viele Einwände gegen Ihre Pläne hatten.

Ja, aber das war nicht so sehr ein programmatischer Unterschied, sondern generell unsere Schwierigkeit, dass manche Landesfürsten das Bedürfnis hatten, sich ständig hier und da abzugrenzen. Ein Politiker kommt nicht in die Medien, wenn er sagt, was Frau Merkel macht, ist prima. Sondern er muss sagen, es ist prinzipiell gut, aber... und dann erscheint es in den Medien. Das ist dieses System.

Wenn Frau Merkel Sie jetzt noch mal fragen würde ...

Nein, für mich ist die aktive Politik im Sinne eines Amtes erledigt. Wenn Frau Merkel mich jetzt erstmalig fragen würde, würde ich sagen: klar! Aber ich würde, wenn ich vier Wochen Zeit hätte, die erste Woche gern nach innen wirken. Also Geschlossenheit innerhalb der politischen Mitstreiter und der Gruppe herstellen. Ich bin im Sommer morgens vorgestellt worden, habe das Mikrofon genommen und bin losgezogen. Und ich hätte eigentlich erst intern sagen müssen: „Wir haben eine einmalige Chance, dies Projekt wird gelingen, doch wir müssen, wenn sich das schon so konzentriert auf die Steuer, nicht als Solisten sondern als Orchester spielen.“

Die Uni Heidelberg ist in den Rankings wegen ihres schlechten Betreuungsverhältnisses massiv abgerutscht, möchte auf der anderen Seite gern Elite-Uni sein, gute Akademiker wandern ins Ausland ab, das Bildungssystem ist im Umbruch. Was muss gemacht werden?

Wir sind auf einem guten Weg zu einer Exzellenzuniversität. Ob man diesen Begriff jetzt verwenden sollte, ist eine andere Frage. Gerade Jura hat sich in den letzten Jahren sehr verbessert. Wir hatten noch nie so gute Studenten wie jetzt, das hängt auch mit dem Auswahlsystem zusammen. Im Hörsaal ist das lebhaft, nachdenklich und kritisch. Früher musste ich immer anstoßen, nun stellt mal ne gescheite Frage, heute läuft das von ganz alleine. Wir haben dieses Dialogische schon sehr gut hergestellt.

Wir haben sehr gutes Lehrpersonal, auch gerade verjüngt, viele vorzügliche Leute hinzugewonnen. Wir müssen etwas tun in der Bibliothek, wir müssen etwas tun in der zahlenmäßigen Relation des Betreuungsverhältnisses. Da sind wir deutlich im Hintertreffen. Die Studenten haben nicht alles, was sie brauchen. Wenn man den Kampf um Bücher sieht, merkt man, wie schrecklich die Situation jetzt ist. Unser Recht ist schnelllebig und die Studenten müssen noch mit wichtigen Büchern aus dem Jahre 1987, von vor der Wiedervereinigung arbeiten. Da stimmt gerade mal noch die Menschenwürde (lacht). Und deswegen würde ich da bald was tun.

Woher soll das Geld dafür kommen?

Vom Staat können wir das nicht erwarten, weil wir ihn völlig überfordert haben. Der Staat soll uns gutes Recht geben, aber nicht gutes Geld. Das ist nicht Aufgabe des Staates. Wir müssen umdenken. Zum einen brauchen wir den privaten Sponsor und da bin ich sehr zuversichtlich. Wenn etwa in jedem Buch steht, gestiftet von Herrn X und Frau Y, Doktoranden im Jahre Z, ist das doch prima. Da freut sich Herr X und sie haben das schöne Buch da.

Studiengebühren ja, aber nicht gestaffelt. Es ist ungerecht, dass sieben Gleichaltrige an der Werkbank arbeiten und Einkommenssteuer zahlen müssen, damit sie dafür gebührenfrei studieren können und ihre Berufs- und Lebenssituation verbessern können. Studienfreiheit ist ein unsozialer Umverteilungsakt. Eine Voraussetzung ist aber unverzichtbar: Studiengebühren müssen bis zum letzten Cent, für die Lehre eingesetzt werden. Wenn ein Euro an der Verwaltung, Verwaltungskosten oder Sanierung des Landeshaushalts hängen bleibt, ist das Projekt gescheitert.

Mit einer materiellen Differenzierung, jeder muss bezahlen, aber ob einer jetzt bezahlen kann, das entscheidet er selber. Wenn einer sagt, ich kann nicht, dann kann er nicht, egal wie reich der Vater oder die Mutter ist, dann kann er nicht. Dann muss er bezahlen, wenn er, dank unserer vorzüglichen Ausbildung später mal gut verdient. Und dann zahlt er in kleinen Raten. Wenn er dann gut verdient, dann soll er was für seine alte Alma Mater tun. Nicht als Spende, sondern als Verpflichtung. Das halte ich für angemessen.

Und wenn er Pech hat, und es wird nichts mit seinem Beruf oder er hat das Glück und gründet eine große Familie, eine große Leistung, für die man kein Geld bekommt, dann zahlt er eben nicht. Es darf nicht eine Begabung draußen bleiben, weil er kein Geld hat.

Aber Herr Hommelhoff ist hier in Heidelberg sehr engagiert, hat ein schönes Modell entwickelt und verhandelt grade mit den Banken, dass die uns einen ordentlichen Kreditvertrag machen.

In anderen Ländern wurde den Hochschulen nach Einführungen der Studiengebühren die staatlichen Zuwendungen gekürzt.

Auch dann ist das Projekt gescheitert. Das muss alles festgeschrieben werden. Wir haben da in Baden-Württemberg eine gute Ausgangslage. Wir haben bereits gute Erfahrungen mit Erwin Teufel und seinem 10-Jahres-Vertrag gemacht. Wenn wir einen Vertrag mit der Politik machen, garantiert sie uns die Zuweisungen für die nächsten zehn Jahre plus Inflationsrate und da bauen wir die Studiengebühren drauf, dann ist das eine saubere Lösung.

Was halten Sie von den Heidelberger Elite-Uni-Plänen?

Ich würde sagen: machen, aber nicht so viel drüber reden. Bei diesen Ausdrücken „Elite“, „Exzellenz“, „Internationalität“ und „Exzellenzcluster“, wird mir ganz unbehaglich. Die Reihenfolge ist: Erst was Gutes machen und dann kann man sich auf die Schulter klopfen, nicht umgekehrt. Aber klappern gehört wohl zum Politikgeschäft, das hab ich ja jetzt auch gelernt. Elite-Universität heißt, dass ich jedem die Chance gebe, besser zu werden. Das ist Freiheit. Jeder wie er will.

Wir wollen den Nobelpreisträger, aber auch den Rechtsphilosophen, der für den Arbeitsmarkt als untauglich gilt, weil er zu viele originelle Gedanken hat und seiner Zeit voraus ist. Jeder nimmt seine Zukunft und macht was Großes draus.

Als ich mit der Schule fertig war, sagten uns die Berufsberater noch: „Jurastudium ist Taxifahren. Bei dieser Juristenschwemme habt ihr keine Chance“. Sieben aus unserem Jahrgang haben sich doch für ein Jura entschieden, vier sind Professoren geworden, einer ist Präsident an einem Oberlandesgericht und zwei sind sehr erfolgreiche Anwälte, deren Jahreseinkommen mich als armen Schlucker dastehen lässt.

Also ist das Projekt gelungen, obwohl uns gesagt wurde, wir hätten keine Chance. Wir müssen unseren Studenten heute alles an Kapazitäten, an Wissen, an Perspektiven, an Nachdenklichkeit bieten, was wir können.

Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

 

 

von Christina Brüning, Reinhard Lask
   

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