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 StudiLeben
14.11.2006

Zwei Stunden hinter Gittern

Studentische Initiative engagiert sich fĂŒr Inhaftierte

„FĂŒllen Sie bitte das Formular aus und gehen sie durch den Detektor.“ Wir gehen durch die TĂŒr und werden von rauchigen Stimmen und mit krĂ€ftigen HĂ€ndedrĂŒcken begrĂŒĂŸt. Einer der MĂ€nner bietet Kaffee an, ein anderer dreht sich eine Zigarette, bis alle Platz am ovalen Tisch genommen haben. Es dauert nicht lange, dann ziehen dicke Rauchschwaden durch die Luft. Die Situation erinnert an das Hinterzimmer einer Kneipe. Doch trotz der gelösten Stimmung liegt Spannung in der Luft. Wir befinden uns in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim.

„FĂŒllen Sie bitte das Formular aus und gehen sie durch den Detektor.“ Wir gehen durch die TĂŒr und werden von rauchigen Stimmen und mit krĂ€ftigen HĂ€ndedrĂŒcken begrĂŒĂŸt. Einer der MĂ€nner bietet Kaffee an, ein anderer dreht sich eine Zigarette, bis alle Platz am ovalen Tisch genommen haben. Es dauert nicht lange, dann ziehen dicke Rauchschwaden durch die Luft. Die Situation erinnert an das Hinterzimmer einer Kneipe. Doch trotz der gelösten Stimmung liegt Spannung in der Luft. Wir befinden uns in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim.

Schon seit ĂŒber zwanzig Jahren organisieren Studierende der Juristischen FakultĂ€t Heidelberg eine Resozialisierungsmaßnahme fĂŒr HĂ€ftlinge. Jeden Mittwochabend trifft sich die „Haftgruppe“, um mit den Inhaftierten in Dialog zu treten. „Es ist wichtig, dass die MĂ€nner nicht den Kontakt zur Außenwelt verlieren“, erklĂ€rt Axel, dreißigjĂ€hriger Jurastudent, „damit sie fĂŒr zwei Stunden eine andere RealitĂ€t erleben können.“

Heute Abend sitzen wir mit sieben MĂ€nnern zwischen zwanzig und fĂŒnfzig Jahren zusammen. Unsere erste Stunde hinter Gittern beginnt mit einer Vorstellungsrunde. Blanche, 26-jĂ€hrige Rechtsreferendarin, ist eine der fĂŒnf Studierenden, die uns heute mitgenommen hat. Sie macht den Auftakt. Der Reihe nach erzĂ€hlt jeder kurz von sich; keiner der MĂ€nner erzĂ€hlt von seiner Straftat. WĂ€hrend Christoph*, ein nachdenklich wirkender Mann um die fĂŒnfzig, von seinem kirchlichen Engagement erzĂ€hlt, wirkt Daniel sehr nervös.

Dunkle RĂ€nder unterlegen seinen fahrigen Blick, er redet hektisch vom Freigang fĂŒr einen Termin beim Jugendamt. Plötzlich bricht er abrupt ab: „Wer hat Bock auf Backgammon?“ Die erste der zwei Stunden wird meist als freie GesprĂ€chsrunde gestaltet. Wir ertappen uns dabei, zu rĂ€tseln, aus welchen GrĂŒnden die MĂ€nner inhaftiert sind. Drogendealer? TrickbetrĂŒger? Und wie sieht eigentlich ein Mörder aus? Ein beschĂ€mendes GefĂŒhl, bei dem alle bekannten Verbrecher-Stereotypen zum Vorschein kommen.

Wir kehren abrupt aus unseren Gedanken zurĂŒck, als Mareike, 25-jĂ€hrige Rechtsreferendarin, mehrmals energisch mit dem Feuerzeug gegen ihre Tasse schlĂ€gt; es gibt hier kein Besteck aus Metall, nur Plastiklöffel und Pappteller. „Normalerweise hĂ€lt immer jemand ein Referat“, erklĂ€rt sie. „Heute hat niemand etwas Spezielles vorbereitet, aber wir können ja an die Diskussion von letzter Woche anschließen.“

Es ging um Liebe und Partnerschaft, ein Reizthema fĂŒr viele der anwesenden MĂ€nner. Daniel zĂŒndet sich schnell eine Zigarette an. Als ihn Diana, 23-jĂ€hrige Soziologie-Studentin, fragt, was er von einer Partnerschaft erwarte, antwortet er: „Ich erwarte gar nichts mehr. Wegen meiner letzten Beziehung sitze ich jetzt hier drin.“ Die GitterstĂ€be werfen Schatten auf den Tisch.

Wir schwenken vom Thema Partnerschaft um auf Freundschaft, und die Situation verĂ€ndert sich. Es herrscht ein unangenehmes Schweigen, NervositĂ€t macht sich breit, der Zigarettenrauch nimmt zu. Zögernd ergreift Christoph das Wort: „Hier im GefĂ€ngnis hast du keine Freunde. Entweder du gewinnst oder du verlierst.

Vertrauen kannst du niemandem. Im Prinzip wissen wir doch alle, warum wir hier drin sitzen.“ Auf einmal herrscht Aufbruchsstimmung; unsere zwei Stunden sind um. Als wir aus der TĂŒr treten, umgeben uns helles Licht und eine eiskalte AtmosphĂ€re. Die GefĂ€ngnisrealitĂ€t trifft uns wie ein Schlag ins Gesicht. Wir stehen in einem Sternbau, in dem mittig ein verglaster Kontrollraum installiert ist.

Die WĂ€rter können von hier aus die Stockwerke und GĂ€nge, die ins Unendliche des GebĂ€udes fĂŒhren, ĂŒberblicken. WĂ€hrend wir mit den anderen Studenten darauf warten, dass man uns die TĂŒr nach draußen öffnet, werden wir beobachtet. Einige Inhaftierte versammeln sich hinter den vergitterten GlastĂŒren, die sie nach Einschluss von uns trennen. Diana erzĂ€hlt, dass sie manchmal klopfen und ihnen etwas zurufen wĂŒrden.

Wir kramen das DIN-A4 Blatt hervor, das uns die WĂ€rter am Eingang in die Hand gaben und treten in die Freiheit; atmen einmal wieder die kĂŒhle Nachtluft ein.



* Die Namen der Inhaftierten haben wir geÀndert.

von Jennifer Gesslein, Isabel-Jasmin Roth
   

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