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 Heidelberg
30.01.2007

Gumbel gegen das System

Der Statistiker Emil Julius Gumbel

„Eine Zeit ist immer ein Durcheinander verschiedener Zeitalter, ist große Abschnitte hindurch undurchgegoren, schlecht gebacken, trägt Rückstände anderer Kräfte, Keime neuer in sich“, sagte Alfred Döblin.

„Eine Zeit ist immer ein Durcheinander verschiedener Zeitalter, ist große Abschnitte hindurch undurchgegoren, schlecht gebacken, trägt Rückstände anderer Kräfte, Keime neuer in sich“, sagte Alfred Döblin.

Als Jude, Demokrat, Pazifist, Publizist, Kriegsfreiwilliger und Privatdozent für Statistik war Emil Julius Gumbel so ein Keim neuer Kräfte. Deshalb fiel er auf. Die Universität Heidelberg tat sich schwer mit ihm, damals in der Weimarer Republik. Denn Gumbel war zwar ein brillanter Statistiker, aber unter seinen Kollegen nicht gerne gesehen.

Zu unbequem, der Mann, der nicht aufhören wollte, Bücher wie „Vier Jahre politischer Mord“, „Verschwörer – Beiträge zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918“ oder „Laßt Köpfe rollen – faschistische Morde 1924-1931“ zu schreiben. Dafür mochte ihn die Regierung nicht so sehr.

Mehrere Landesverratsverfahren liefen gegen ihn, mussten aber alle eingestellt werden. Seine Werke waren unanfechtbar. Gumbel wandte seine wissenschaftlichen Methoden publizistisch an. Seine BĂĽcher kennzeichnet ein einheitlicher Stil: eine neutrale Einleitung und fĂĽr sich sprechende, exakt recherchierte Quellen und Zahlen.

Unwiderlegbar und gerade deshalb gefährlich. Dynamit an der Universität Heidelberg. Als Gumbel dann 1924 auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft sagte: „Ich bitte die Anwesenden, zwei Minuten im Schweigen der Toten des Weltkriegs zu gedenken, die – ich will nicht sagen – auf dem Felde der Unehre gefallen sind, aber doch auf grässliche Weise ums Leben kamen“, hatte die Universität genug. Skandal. Da half es auch nicht, dass Gumbel Kriegsfreiwilliger gewesen war: Disziplinarverfahren. Die freie Lehre in Gefahr. Aber noch blieb Gumbel die venia legendi erhalten.

Richtig laut um Gumbel – schon der erste Vorfall hatte republikweit Wellen geschlagen – wurde es dann 1930. Das Kultusministerium ernannte Gumbel auf Grund seiner langen Dienstzeit zum Professor. Die Universität fühlte sich in ihrer Hoheit verletzt, hatte sie doch das Vorschlagrecht. Nationale und nationalsozialistische Studenten waren empört. Gustav Radbruch konstatierte: „Der Kampf richtet sich nicht nur gegen Gumbel, sondern gegen das ganze System“.

Doch Gumbel überstand auch dies, bis ihm 1932 eine angebliche Äußerung das Genick brach: „Für mich ist das Kriegerdenkmal der deutschen Soldaten nicht eine leicht bekleidete Jungfrau mit der Siegespalme in der Hand, sondern eine große Kohlrübe.“ Obwohl Gumbel die Aussage bestritt, verlor er diesmal die venia legendi.

Am Ende erlag der Keim neuer Kräfte den Rückständen anderer Kräfte.

von Armin Ulm
   

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