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 Heidelberg
19.06.2007

Heidelberger Hip-Hop heute

Teil 2: Was ist übrig von der Hip-Hop-Kultur am Neckar?

Wer hat nun diesen Stress? Wer rockt nun die Mikros am Neckar? Bei wem in Heidelberg brennen nach dem Auftritt die Boxen? Kurz: Wie sieht die aktuelle Hip-Hop-Landschaft in Heidelberg über 20 Jahre nach der Gründung von Advanced Chemistry aus?

„Wir waren mal Stars. Die Karriere ist vorbei, das war‘s. Ihr rockt die Charts und wir hocken in den Bars, langen Mädels an den Arsch und leeren Glas nach Glas. Ihr habt jetzt den Stress und wir den Spaß."

(MC Torch - Wir waren mal Stars)

Wer hat nun diesen Stress? Wer rockt nun die Mikros am Neckar? Bei wem in Heidelberg brennen nach dem Auftritt die Boxen? Kurz: Wie sieht die aktuelle Hip-Hop-Landschaft in Heidelberg über 20 Jahre nach der Gründung von Advanced Chemistry aus?

Die ruprecht Redakteure Karla Kelp und Jörn Basel begeben sich auf einen Streifzug durch die Welt der Heidelberger Rap Crews, MCs und Rhyme Kings.

Hart, aber nicht niveaulos

 Als Jun (Jaime Ortillo) 1991 von den Philippinen hierher kam, erlebte er die alte Hip-Hop-Schule Heidelbergs, worin alle vier Elemente, das heißt Breakdance, Rap, DJing und Graffiti, als Einheit auftraten. Daher war es für ihn selbstverständlich im Haus der Jugend zu breaken und auf der Straße Graffitis zu malen. Zu rappen fing er eigentlich nur an, weil er es leid war, ständig Schmerzen vom Tanzen zu haben.

Als er Sick Sense bei einer Aufnahme in den Piemont Studios kennen lernte und die Beiden absolut auf einer Wellenlänge waren, dauerte es nicht lange, bis das erste Projekt gestartet wurde, zu dem Jun selbst die Beats lieferte. Die Liquid Elementz wurden ins Leben gerufen. 2003 erschien ihre erste Veröffentlichung, das zu Hause aufgenommene Tapealbum „Raparatur", das von 360°Records vertrieben wurde. Weitere Releases folgten. Die Resonanz darauf fiel positiv aus. Momentan planen Liquid Elementz keine Veröffentlichungen und Jun kümmert sich um sein Soloprojekt. Seine Musik sei hart, sagt er – hart, aber nicht niveaulos. „Ohne Respekt kommt man nicht weiter."

Die Hip-Hop-Kultur stand für den Philippiner immer im Vordergrund, weil er sich darüber ausdrücken konnte. Seiner Meinung nach muss man über die damaligen Ereignisse Bescheid wissen, um die heute Entwicklung zu verstehen. Es ist wichtig zu wissen, was man tut und was ursprünglich dahinter steckte, alleine schon, um mitreden zu können. „Heutzutage ist alles nur noch Image. Es gibt keine Hip-Hop-Kultur mehr und alles ist Business geworden", beschreibt Jun seine Sicht auf die Szene. Der Zusammenhalt wie früher ist nicht mehr gegeben und die Jams nehmen leider immer weiter ab.

Wenn Rap zur Beruf(ung) wird

(Max Krings) hat Hip-Hop zu seinem Beruf gemacht. Zusammen mit seinen Brüdern gründete er die Gruppe K*Rings Brothers, veröffentlichte 1999 erfolgreich das erste Tape und nutzt das eigene Label Périphérique Records als künstlerische Basis für sich und befreundete Rapper wie Shuko oder Anael & Jeanne. Wohnhaft im Odenwald zog es ihn früher oft in die pulsierende Hip-Hop-Metropole Heidelberg. Zu einer Zeit als weite Hosen noch exotisch waren und Wörter wie „fett" und „dissen" noch nicht zum festen Bestandteil deutscher Jugendsprache gehörten, war die dortige Szene ein wichtiger Impulsgeber für die Hip-Hop-Landschaft in der Region. Heute hingegen, sagt Max, habe sich der Hip-Hop-Gedanke komplett aufgespaltet und man könne nicht mehr von einem typischen Heidelberger Stil sprechen. Auffallend findet Max auch, dass die alten MCs in Heidelberg nicht mehr den üblichen Respekt bekommen würden.

„Nein, ich repräsentiere nicht Heidelberg",

sagt Anael ganz klar. Zwar wohnt der 23 jährige Soziologiestudent seit ein paar Jahren in Heidelberg, sieht sich aber nicht in der Heidelberger Hip-Hop Tradition. Ursprünglich aus Frankreich und später in den Odenwald gezogen, ist Anael ein bilingualer MC und schreibt seine Reime auf deutsch und französisch. Zusammen mit seiner Schwester Jeanne veröffentlichte er 2005 auf Périphérique das Album „Sortie" und 2006 sein Solo Debüt „Der feine Unterschied". Obwohl er „seine" Leute immer noch eher im Odenwald als am Neckar sieht, ist Anael auch auf dem Sampler „Heidelberg ist zurück" vertreten, der diese Tage auf Freakshit Entertainment erscheint.

Trotz seines akademischen Hintergrundes hofft Anael, dass seine Musik nicht den Stempel „Studentenrap" aufgedrückt bekommt. Gerade der kulturübergreifende Aspekt der Musik ist ihm wichtig und neben bekannten deutschen Hip-Hop-Größen wie Reen (ehemals MC Rene) werden insbesondere französische MCs auf seinem Album gefeatured.

Anael sieht seine nachdenklich-intelligenten Texte klar im Kontrast zur momentanen „Autos, Nutten, Fußball"-Attitüde wie sie beispielsweise von den Rappern Snaga und Pillath aus dem Ruhrgebiet verkörpert wird. Überhaupt stoßen ihm einige Entwicklungen in der Rap- Kultur in Deutschland negativ auf. Wenn der Frankfurter MC Azad mit Kriegsbildern und Gewehrsamples bei einem Konzert im Karlstorbahnhof in Kommandohaltung verkündet „ich führe euch, folgt mir..." , sei dies schon bedenklich und man müsse aufpassen, worauf so eine Entwicklung hinauslaufen kann, so Anael im Gespräch mit den ruprecht Redakteuren.

Von Möhren und Mikros

Ganz überraschend kam der Erfolg für einen Track, der eigentlich nur aus Spaß entstand. Gemüseeintopf nennt sich das gute Stück und ist hauptsächlich das Werk des Eppelheimers Krister Hymon und seines Heidelberger Kollegen Julian Manz. Nach dem Schneeballprinzip wurde ihr Video immer bekannter über youtube.com und hat mittlerweile fast 1 Millionen Klicks. Entstanden ist der Gemüserap, um die „allgemein herrschende Gangsta-Szene" durch den Kakao zu ziehen.

Das lustige Video dazu ist wichtiger Bestandteil und ohne den Clip wäre der Song womöglich nur halb so erfolgreich. In Eigenregie haben die beiden das Video mit Freunden gedreht und die Erfahrung Kristers im Filmschnitt lässt die visuelle Kochanleitung professionell wirken. Für die Rapaufnahme stellte die Unit Production Media Company seine Kabinen zur Verfügung. Der bewusst gewollte „Gangster Beat" stammt von einem Studienkollege aus Zweibrücken.

Für Peter Silie und MC K-rotte, wie sie sich im Song nennen, ist die Hip-Hop-Szene nicht mehr so besonders, wie sie früher einmal war. Julian meint, der Hype sei vorüber und außerdem sei es heutzutage nicht mehr schwer, etwas eigenes zu produzieren. „Es ist schwierig neue Trends zu setzen und sich aus der Masse hervorzuheben." Daher erheben sie nicht den Anspruch berühmt zu werden mit ihrer Musik, sondern sehen das Ganze nüchtern und konzentrieren sich auf ihr Studium.

Allerdings gab es einen Moment, in dem der Ruhm nur knapp an ihnen vorbei schoss: Ein namhaftes Label hatte Interesse, ihren Song zu veröffentlichen, wäre da nicht eine gewisse „Grup Tekkan" gewesen. Diese „Grup" floppte bekanntlicher Weise und das Label zeigte kein Interesse mehr an weiteren Internetberühmtheiten. Und so wurde die Öffentlichkeit mit „Sonnenlischt" malträtiert, während der Gemüseeintopf weiterhin sein eigenes Süppchen kochen durfte.

Andere Anfragen nach Features erschienen ihnen nicht seriös genug, um darauf einzugehen. Leider fehlt auch die Zeit für große, neue Produktionen, aber Krister liebäugelt mit dem Gedanken, statt einer EP, irgendwann eine DVD herauszubringen.

Per Double Rhymes durch die Heidelberger Galaxis

„Gegen den Verkauf von Hip-Hop hab ich gar nichts. Was ich hass‘, ist der Verkauf von falschen Images!" Mit dieser Textzeile der Stieber Twins identifiziert sich Muso (Daniel Musumeci) voll und ganz. Der MC hat das Glück von einem seiner Idole produziert zu werden. Kein geringerer als Martin Stieber baut die Beats zu dessen Lyrics. Wie es dazu kam? Muso stand einfach eines Tages im „Flame", dem Laden der Stieber Twins in der Plöck, mit im Gepäck hatte er seine Demo-CD, die Martin trotz anfänglicher Skepsis überzeugen konnte. Somit hat er eine Eintrittskarte in das legendäre Bakery Studio in Heidelberg, in dem er zur Zeit seine Tracks aufnimmt.

An seinen Double Rhymes feilt Muso schon seit er mit zwölf Jahren anfing zu freestylen, denn Graffitis malen, war einfach nicht sein Ding. Er schreibt fast täglich, am liebsten ohne Punkt und Komma, so wie es gerade aus ihm heraus sprudelt. Das Leben inspiriert ihn dabei und Stift und Papier werden zu einem Ventil, das den inneren Frieden sichert.

Obwohl Muso erst im September 2006 aus Südbaden nach Heidelberg gezogen ist, fühlt er sich schon als Bestandteil der Stadt und genießt deren Magie, wenn er durch die Straßen schlendert. Der Zivildienst und natürlich auch der Hip-Hop zogen ihn in die Stadt der Dichter und Denker und es war „Liebe auf den ersten Schritt".

Auch die ersten Schritte zu seinem zweiten Album sind bereits getan, allerdings steht ein genaues Erscheinungsdatum noch nicht fest. Sein erstes Album „Arrestato uno" vermarktete der Halbitaliener ganz alleine. Die 800 Stück haben sich über das Internet gut verkauft, so dass er eine Zeit lang davon leben konnte. Sein oberstes Ziel ist aber nicht, mit Rap berühmt zu werden, obwohl für ihn damit ein Traum in Erfüllung gehen würde. Muso bleibt realistisch und versucht, die Schule weiterzumachen und sich ein zweites Standbein aufzubauen. Er würde gerne einmal die deutsche Rapszene so richtig ausmisten, „wie der Rattenfänger von Hameln", weil seiner Meinung nach heutzutage vieles zu aggressiv und zu niveaulos ist, denn „Rap ist Emotion". Daher versucht er den Weg weiter zu gehen, den schon damals die Hip-Hop-Pioniere bereitet hatten.

Rap in Heidelberg 2007

Die Vielzahl der Crews und die unterschiedlichen Perspektiven scheinen Sir Max recht zu geben, wenn er sagt, dass sich die Hip-Hop Kultur komplett aufgespaltet hat. Von der Heidelberger Szene kann man nicht sprechen, schon gar nicht von einem bestimmten „Heidelberg Style". Auffallend ist jedoch die hohe Quantität der MCs. Es wird viel auf die Beine gestellt und in manchen Fällen mit hoher Qualität. Auch fällt auf, dass viele Künstler eine multinationale Herkunft besitzen und Hip-Hop immer noch als ein kulturübergreifendes Sprachrohr dient.

Nach den Heidelberger Rappern sollen im dritten Teil der Serie schließlich die Heidelberger Graffiti-Künstler und Breakdancer vorgestellt werden. Was machen die anderen Hip-Hop-Elemente in Heidelberg? Was nützt eine durch den Bürgermeister organisierte „Wall of Fame" und wann wurde das letzte mal in der Hauptstraße getanzt? Dies alles im nächsten ruprecht.

von Karla Kelp, Jörn Basel
   

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