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 Interview
19.06.2007

Wer hungert, tötet nicht!

Der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn ĂŒber junge MĂ€nner und Gewalt.

Mit seinem Buch „Söhne und Weltmacht“ hat er heftige Reaktionen ausgelöst.
Der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn zeigt darin den Zusammenhang
zwischen einer hohen Anzahl junger MĂ€nner in einer Gesellschaft und
dem Auftreten von Gewalt auf. Heinsohn lehrt am Institut fĂŒr Xenophobieund
Genozidforschung in Bremen.

Herr Heinsohn, Sie sagen, dass youth bulges zu Gewalt fĂŒhren. Was passiert da genau?

Youth bulges bestehen, wenn in einer Gesellschaft mindestens 30 Prozent der MĂ€nner zwischen 15 und 30 Jahre alt sind. Entscheidend fĂŒr das Entstehen von Gewalt ist die Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Bis ins Alter von 14, 15 Jahren sind Kinder noch die liebenwerten Kleinen. Dann entwachsen sie der Kindheit und mĂŒssen sich einen neuen Status erwerben. Die Jungen streben nach eigenen akzeptablen Positionen. Da es im Erwerbsleben Hierarchien gibt, drĂ€ngen sie dabei durch einen Flaschenhals. Attraktive Spitzenpositionen sind schließlich knapp.


Und in diesem Flaschenhals kommt es zu Gewalt?

Ja, allerdings braucht es einen gewissen Wohlstand. Die MÀnner brauchen genug zu essen, denn wer hungert, tötet nicht. Um Brot wird gebettelt, um gesellschaftliche Positionen geschossen.


Wie verhĂ€lt es sich mit Ideologien wie dem Islamismus oder dem Faschismus. Sind sie nicht fĂŒr die Gewalt verantwortlich?

Die jungen MĂ€nner, die töten, um angesehene gesellschaftliche Positionen zu erreichen, sind nicht dumm. Sie wissen, dass sie Unrecht tun. Daher brauchen sie einen Vorwand, der ihr Handeln rechtfertigt. Ein moralisches GerĂŒst. Das finden sie in den entsprechenden Ideologien.

 

Viele junge MĂ€nner, die zu Gewalt greifen – etwa SelbstmordattentĂ€ter – haben davon gar keinen direkten Nutzen. Was treibt sie an?

Die Hoffnung. Schon Thomas Hobbes hat beschrieben, wie gut der Krieg noch jeden ĂŒberflĂŒssigen jungen Mann durch Sieg oder durch Heldentod versorgen kann.


Rational ist das nicht.

Die jungen MĂ€nner sind keine Wissenschaftler. Im RĂŒckblick sehen wir, dass 80 von 100 ins Gras beißen, wenn die RivalitĂ€t militĂ€risch ausgefochten wird. Wird sie sozial ausgefochten, landen sie in verachteten Positionen. Letzteres ist fĂŒr den ehrgeizigen jungen Mann die schlechtere Option gegenĂŒber der Hoffnung, durch den Gewaltakt nach oben oder in ehrenhaftes Gedenken zu gelangen.


MĂŒssen sich die youth bulges denn gewaltsam dezimieren?

Nicht zwangslĂ€ufig. Aber in der Geschichte sehe ich kein Beispiel, wo das nicht so gewesen wĂ€re. Doch gibt es große Differenzen: Youth bulges können in KriminalitĂ€t, BĂŒrgerkrieg, Völkermord mĂŒnden. Oder in Eroberungskriege, wie die europĂ€ische Kolonialgeschichte zeigt.

 

Aber Ihrer Logik zufolge gibt es keinen Frieden, solange youth bulges existieren.

Das ist nicht meine Logik, sondern meine Beobachtung, die auf sÀmtliche Gesellschaftsformen zutrifft. Und dahinter mache ich diesen Mechanismus auf: Gibt es zu viele Söhne und zu wenige Positionen, dann knallt es. Es ist eine der Wirklichkeit abgeschaute Logik.

 

Das klingt jetzt bescheiden. Immerhin haben Sie diesen Mechanismus schon als Weltformel bezeichnet.

Ein amerikanischer Geheimdienstchef hat das als eine Art Weltformel formuliert. Allerdings nur halb richtig, da er eine wichtige Komponente unterschlagen hat: Viele junge MĂ€nner allein reichen nicht aus, sondern sie mĂŒssen auch passabel ernĂ€hrt und ausgebildet worden sein, bevor sie kĂ€mpfen können. Die Formel lautet nie: sieben Kinder, dann gibt es Gewalt. Die wĂ€re völlig falsch, was man an der indischen Lösung der 50er Jahre sehen kann: Wenn von sieben Kindern die HĂ€lfte verhungert, gibt es keine Gewalt.

 

Nicht nur das Töten, auch das Verhungern entspricht nicht unserem VerstĂ€ndnis von MenschenwĂŒrde.

In keiner Weise. Nur sind wir beim Lindern des Hungers viel tĂŒchtiger als beim Bereitstellen von Karrieren. Dadurch befeuern wir diese VorgĂ€nge auch noch. Wir sehen das bei den PalĂ€stinensern. Die sind auf internationaler Sozialhilfe. Dadurch haben die Frauen zehn, zwölf Kinder gehabt, weil sie wussten, dass sie immer ernĂ€hrt werden. Aber Karrieren konnte auch der Westen nicht bereitstellen. Sowie sie nun nicht mehr auf Juden schießen können, nachdem die Israelis aus dem Gazastreifen abgezogen sind, massakrieren sich die PalĂ€stinenser gegenseitig, in viel höherer Frequenz. Aber wir merken immer noch nicht, dass wir daran beteiligt sind, weil wir diese demografische AufrĂŒstung mitbetrieben haben. Der Erfolg, Leben zu schĂŒtzen und zu vermehren, fĂŒhrt zum Anschlusserfolg von Großmassakern. Deswegen gehört zu den Strategien gegen Hunger und gegen Gewalt als drittes Prinzip die demografische AbrĂŒstung. Das fehlt in der internationalen Gesetzgebung.

 

Umgekehrt gibt es trotz niedriger Geburtenrate auch in Deutschland stĂ€ndig gewalttĂ€tige Übergriffe, etwa auf AuslĂ€nder.

Das ist richtig. Wenn wir das aber vergleichen mit den Jahren der Weimarer Republik, so sind das miniskĂŒle Perzentile, mit denen wir es da zu tun haben. In Deutschland gibt es 15 000 rechts- und linksextreme, gewaltbereite junge MĂ€nner. Den stehen 300 000 Polizisten gegenĂŒber. Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie 15 000 unter 80 Millionen haben oder wie in der Weimarer Republik acht Millionen unter 60 Millionen.

 

Das gesellschaftliche Problem bleibt.

NatĂŒrlich. Und es macht uns sofort klar: HĂ€tten wir in den neuen BundeslĂ€ndern oder auch in Bremerhaven zusĂ€tzlich zu der beschriebenen Lage vier Söhne pro Mutter, wĂŒrde es hier richtig munter werden.

 

Vom FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher stammt die These, dass MÀnner besonders dann gewalttÀtig werden, wenn es zu wenige Frauen gibt.

Hinter diese These wĂŒrde ich ein großes Fragezeichen machen. Es war ein Grundgedanke der Studentenbewegung der 60er Jahre, dass sexuelle Befriedigung die Unruhe nimmt. Doch dieser Gedanke hat sich nicht bewahrheitet. Man hat sich zwar das Recht auf SexualitĂ€t genommen, ist aber nicht ruhig geworden. Wenig getötet wurde nur, weil die Leute gemerkt haben, dass fĂŒr sie doch Professuren oder Ministerposten erreichbar sind.

 

Zur Intervention im Irak haben Sie gesagt, die USA hĂ€tten Saddam Hussein gestĂŒrzt, um einen BĂŒrgerkrieg anzuzetteln. So könne sich der zu erwartende youth bulge abtragen, bevor er zur internationalen Gefahr wird. Ist das nicht weit hergeholt?

Der Irakfehler resultierte aus dem vorausgegangenen Afghanistanfehler. Dort hat man die Nordallianz unterstĂŒtzt, damit sie die Taliban bekĂ€mpfen kann und ging davon aus, dass Al-Quaida den Taliban helfen muss und fĂŒr internationalen Terror nicht zur VerfĂŒgung steht. Dieser Plan des Pentagons hat nicht funktioniert. Aber man hatte das GefĂŒhl, dass Amerika 9/11 erspart geblieben wĂ€re, wenn man in Afghanistan beizeiten gehandelt hĂ€tte.

 

Und der Bezug zum Irak?

Saddam Hussein hat seine jungen MĂ€nner fĂŒr Eroberungskriege verbraucht. Solange er Krieg fĂŒhren konnte, setzte er sie fĂŒr eine Reichsbildung ein, genau wie die EuropĂ€er das im 16. und 17. Jahrhundert getan haben. In dem Moment, wo er keinen Krieg fĂŒhren konnte, hat er sofort mit den Massakern an Schiiten und Kurden auf Völkermord zurĂŒckgegriffen. Die westlichen Staaten, die kaum noch Söhne fĂŒr KĂ€mpfe zur VerfĂŒgung haben, mĂŒssen sich wehren, wenn ein  youth bulge durch KriegsfĂŒhrung ĂŒber die Grenze geht. Es muss gelingen, den grenzĂŒberschreitenden Krieg in das zurĂŒckzuverwandeln, was er vorher schon war – eine innenpolitische Angelegenheit. Das hatte ich gemeint.

 

Welchen Einfluss hat der Faktor Kultur?

Kultur spielt eine Rolle fĂŒr die MĂ€dchen. ZunĂ€chst ist die hormonelle Ausstattung dafĂŒr verantwortlich, dass MĂ€dchen nur mit fĂŒnf Prozent an Gewalttaten beteiligt sind. In vielen Kulturen gibt es fĂŒr das MĂ€dchen eine ehrbare Position als Tochter im Hause – auch wenn sie unverheiratet bleibt. Die wird bedauert, hat aber einen sozialen Ort. FĂŒr den unverheirateten Sohn gilt das nicht. Das Verbleiben im Haus ist schieres Versagen. In unseren Sozialhilfemilieus ist das Ă€hnlich. Wir haben in Deutschland diesen Archipel „Hartz IV“ mit sieben Millionen Menschen. Der wĂ€chst robust aus eigener Vermehrung. Da beobachten wir dasselbe: Die MĂ€dchen nehmen Sozialhilfe und werden MĂŒtter. Die Söhne hingegen können durch multiple Vaterschaften keinen beamtenĂ€hnlichen Status erreichen. Das Streben nach Respekt lĂ€sst sie zu Gewalt greifen. So zĂŒchten wir einen youth bulge in unseren eigenen Grenzen: die Söhne der SozialhilfemĂŒtter.

 

Was bedeutet das fĂŒr die Zukunft?

Deutschland ist das erste Land der entwickelten Welt, in dem die unter 25-JĂ€hrigen schlechtere SchulabschlĂŒsse machen als die ĂŒber 25-JĂ€hrigen. 90 Prozent der Schulversager sind Migranten. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil zeugen sie doppelt so viele Kinder: 19 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund sorgen fĂŒr 35 Prozent der Babys. Und von denen werden 70 Prozent nur Sonder- und HauptschulabschlĂŒsse schaffen. Da lĂ€uft eine enorme Dequalifizierungsspirale.

 

Ist das nicht ein recht zynischer Ton, wenn man Menschen, wie sie das auch tun, als „Bevölkerungswaffe“ betrachtet?

Es gibt einen Konflikt zwischen Menschenrecht und Völkermordrecht. Wenn eine Besatzungsmacht in einem Land ist und sich 200 junge MĂ€nner zusammenrotten, von denen zwei eine Handgranate haben und die Besatzer da reinschießen und töten, ist das Völkermord. Diese Gefahr besteht seit der Verabschiedung des Völkermordgesetzes 1948. Die westliche Welt hat sich darin verfangen. Sie hat die ganze Welt unter diese fortschrittlichen Gesetze gestellt und erst dann gemerkt, dass sie sich selbst des Völkermordes schuldig macht. Also guckt man lieber zu und beklagt die Lage. Aber das Zulassen von Völkermord ist auch ein Verbrechen. Der UN-Sicherheitsrat hat den Völkermord in Ruanda solange wie möglich als BĂŒrgerkrieg deklariert, weil es dann keine Interventionspflicht gibt. Stellt die UNO einen Völkermord fest, interveniert aber nicht, hat das juristische Konsequenzen. Das ist der Eiertanz.


Wenn Europa Waffen nach Afrika liefert, spielt das keine Rolle?

Wenn ein solcher youth bulge da ist, dann muss er mit ausreichendem Wohlstand gekoppelt sein, damit es zu Gewaltanwendungen kommt. Ein Schnellfeuergewehr fĂŒr 30 Dollar ist da immer mit drin. Kein Panzer, aber eine Panzerfaust. Daher wĂ€re ich vorsichtig, den Waffenlieferanten die Schuld zuzuschreiben. Denn ansonsten reicht auch die Machete.

 

Was kann die Forschung auf dem Gebiet noch leisten?

Es gibt historischen Forschungsbedarf. In Deutschland wird die youth bulge-Theorie bislang nur stiefmĂŒtterlich auf die Neuschreibung der Geschichte angewandt. KĂŒrzlich wurde das 50. JubilĂ€um der Römischen VertrĂ€ge gefeiert und man sagte, damals hĂ€tten wir uns von der Geißel der europĂ€ischen Kriege befreit. Das ist eine große Torheit. HĂ€tte sich Europa weiter entwickelt wie bis 1914, dann gĂ€be es hier keinen Frieden. Die Welt wĂ€re nicht frei von Europa. Mit 2,5 Milliarden EuropĂ€ern könnte dem Kontinent niemand widerstehen. Es zeigt sich, dass wir die Vergangenheit neu deuten mĂŒssen

von Sebastian BĂŒhner
   

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