Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Feuilleton
10.05.2007

Der Weg zu sich selbst führt durch die Dunkelheit

Stückemarkt 2007: Das Gastspiel "Nachtblind" des Thalia-Theaters unter der Regie von Jette Steckel

Zu Hause findet Leyla keinen Halt mehr. Vom jüngeren Bruder gepiesackt, von der Mutter nicht verstanden; der Vater? – hat sich rar gemacht, sein Platz bleibt leer. So muss Leyla ihren eigenen Weg gehen.

Zu Hause findet Leyla keinen Halt mehr. Vom jüngeren Bruder gepiesackt, von der Mutter nicht verstanden; der Vater? – hat sich rar gemacht, sein Platz bleibt leer. So muss Leyla ihren eigenen Weg gehen. Emotionale Unterstützung bekommt sie vom etwas weltfremden, aber ambitionierten Moe. Aber da ist auch noch „der Große“, von dem sie nicht loskommt, dem sie sich nicht entziehen kann, der sie beherrscht.
 

Der große Unbekannte bleibt dem Zuschauer jedoch verborgen. Nur in den Monologen Leylas wird er reflektiert. Spricht sie über ihn, ist die Bühne dunkel. Jette Steckel, die soeben an der Theaterakademie Hamburg ihr Diplom absolviert hat und die Regie führt, veranschaulicht so den schwarzen Fleck in Leylas Leben. Die Dunkelphasen symbolisieren aber auch das Allein-Sein des Mädchens, ihre Hilflosigkeit, die Untätigkeit ihrer Umwelt. Gemeinsam mit Moe, den sie in der Disko kennen gelernt hat und der so anders ist als die Männer seines Alters, ergründet sie peu à peu ihr Innenleben

 

Das Stück „Nachtblind“, beim Heidelberger Stückemarkt 2005 mit dem ersten Preis ausgezeichnet, thematisiert die Macht der Beziehungen. Für die heranwachsende Leyla, deren jugendlich-wütende Wildheit und gleichzeitige Schutzbedürftigkeit Lisa Hagedorn anschaulich verkörpert, stellt der Abnabelungsprozess von den Eltern respektive der Mutter eine Zerreißprobe dar: die sturen Routineabläufe des Familienlebens wie das gemeinsame Essen, führen dabei fast zwangsläufig zur Eskalation.

 

Denn nicht nur die ständigen Provokationen des aufmüpfigen Bruders Rico (Patrick Güldenburg), der – obwohl bereits selbst als gewalttätig bekannt– noch immer Mamas Liebling ist, führen dazu, dass sich Leyla unverstanden fühlt. Auch die konkreten Vorstellungen der Mutter, einer Journalistin, vom Verhältnis zur Tochter engen Leyla ein und pressen sie in ein Rollenmodell, dem sie nicht entsprechen will. Leyla erkennt, dass sie sich selbst retten muss. Sie will ihren eigenen Kopf durchsetzen, Fehler selbst machen, gegen Wände anrennen, in der Hoffnung sie einreißen zu können.

 

Die Inszenierung Jette Steckels kommt mit einem schlichten, dafür umso wirkungsvolleren und vielseitigem Bühnenbild aus. Mit großen braunen Matratzen und Sofateilen bauen die Schauspieler stets auf neue die passende Kulisse – die ist mal Bar, mal Mittagstisch, dann wieder Duellstrecke oder Luftschloss. Dieser großartige Einfall erzeugt mit der treffenden Sinnbildlichkeit ebenso wie die raffinierte Auswahl der musikalischen Ummantelung, ob es sich um Hip Hop, Elektrobeats oder Rock handelt, ein Gefühl für die Widrigkeiten, Bedürfnisse und Gefühle einer Generation, die das Erwachsenwerden so weit wie möglich herauszuzögern versucht.

 

Das Stück der 1983 geborenen Autorin Darja Stocker trifft den Puls der Zeit, bringt die Widersprüche und Konflikte des Erwachsenwerdens auf den Punkt. Die Inszenierung spielt mit den Rollen, verkehrt sie in ihr Gegenteil, macht sie unwirksam. Die bewusst im bürgerlichen Milieu angesiedelte Familie ist nur noch ein Fragment, eine Fassade, die lediglich die Mutter aufrechtzuerhalten versucht. Ihr kommt der tragische Part zu, besaß sie doch einen so konkreten Lebensentwurf und Träume, die wie eine Seifenblase zerplatzen. Leyla hingegen findet ein Mittel, sich in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt zu behaupten.

 

Verschiedene stilistische Kunstgriffe, angefangen beim improvisierten Eingangsdialog über Käsefüße bis hin zur ringförmigen Handlung mit abweichendem Schluss sorgen für ein durchweg kurzweiliges Stück mit Witz, das den Zuschauer durch die Tempovariationen immer aufs Neue bannt.

von Sebastian Bühner
   

Archiv Movies 2024 | 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004