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 Feuilleton
31.10.2007

Che Guevara - der kommerzielle Mythos lebt

Anhänger einer sinnentleerten Ikone feiern ihren Märtyrer

Einen Monat lang war Ernesto Che Guevaras Antlitz an fast jeder Ecke in Heidelberg zu sehen. Grund: Sein Todestag jährte sich am 9. Oktober zum 40. Mal. Der Mythos Che hingegen ist so lebendig wie nie zuvor - als sinnentleerte kommerzielle Ikone.

Einen Monat lang war Ernesto Che Guevaras Antlitz an fast jeder Ecke in Heidelberg zu sehen. Grund: Sein Todestag jährte sich am 9. Oktober zum 40. Mal. Der Mythos Che hingegen ist so lebendig wie nie zuvor.

Über die Leinwand im Karlstorkino flimmert ein Schwarzweißfilm, im Hintergrund läuft leise, spanische Musik, mal melancholisch, mal freudig, dann wieder spannend. Es sind Bilder aus dem Leben von Ernesto Rafael Guevara de la Serna, besser bekannt als „der Che“. 40 Zuschauer starren an diesem Sonntagnachmittag gebannt auf die inszenierte Zusammenfassung seines Lebens. Hin und wieder knistern die alten Aufnahmen. Im Kinosessel versunken kommt Gemütlichkeit auf.

Che Guevara ist seit 40 Jahren tot, doch seine Hinrichtung im Nebenzimmer eines bolivianischen Schulgebäudes machte ihn für immer unsterblich. Einen Tag zuvor war sein Guerilla-Trupp in eine verzweifelte Lage geraten. Auf der Leinwand schleichen Soldaten durch die Büsche, um Che aufzuspüren. Dann folgen Schießereien und die Gefangennahme. Unteroffizier Mario Terán drückt an dem Tag im Auftrag der CIA neunmal ab – vorher soll er sich Mut angetrunken haben.

Guevara ist der Mann mit der Zigarre, der an der Seite von Fidel Castro 1959 die kubanische Revolution anführte. Wie kein anderer verkörpert er den Widerstand gegen den US-Imperialismus. In den Augen seiner Anhänger starb er als Märtyrer. Er wurde 1928 in Rosario, Argentinien geboren und studierte Medizin mit Schwerpunkt Allergologie. Sein Vater stand in den 1930er Jahren im damals wütenden spanischen Bürgerkrieg in Kontakt zu den Republikanern, die letztendlich den Kampf gegen die Faschisten Francos verloren. „So lernte Che das Wesen des Krieges kennen. Jeden Tag markierte er auf einer großen Spanienkarte den Verlauf mit kleinen Fähnchen“, berichtet der Vater stolz. 1951 verlässt Che Argentinien und reist durch Chile und Peru. 1954 erlebt er in Guatemala die letzten Tage der Demokratie unter Jacobo Guzmán und den von der US-Luftwaffe unterstützten Bombenangriff auf die Hauptstadt. Ein einschneidendes Erlebnis. Kurze Zeit später lernt er Raúl und Fidel Castro kennen und schließt sich deren Aufstand gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista an.

Den wohl bekanntesten Schnappschuss von Che machte der kubanische Fotograf Alberto Korda 1960 in Havanna, als er seine Kamera auf einer Gedenkfeier durch die Menschenmasse schweifen ließ. Die wilden Haare, die Mütze mit dem Stern, der in der Ferne fixierte Blick: Jeder kennt dieses Bild. Es ist auch ein symbolisches Bild für die Veranstaltung im Karlstorbahnhof. Dem vom Verein „Solidaridad con Cuba“ organisierten Abend fehlt es an Kritik. Die sozialistischen Ideen und Ches bewaffnete Guerilla-Kriege bleiben unreflektiert. Unerwähnt bleibt, dass auch Guevara Gegner erschießen ließ, dass er während der Kubakrise gegen den Abzug der sowjetischen Atomraketen war und, abgesehen von der kubanischen Revolution, keiner der von ihm initiierten Aufstände erfolgreich verlief.

Che Guevara heute ist eine sinnentleerte Ikone und ein kommerzielles Phänomen. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass Guevara Kapitalismus, Materialismus und Profitgier zutiefst verabscheute. Seine heutigen Anhänger scheint dies nicht zu stören. Es gibt Taschen, T-Shirts, Feuerzeuge, Uhren oder Becher die mit dem berühmten Porträt bedruckt, bestickt oder beklebt zu erwerben sind. Che ist eine Marke wie Coca-Cola, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Dass er sich noch heute so erfolgreich vermarkten lässt, hat nichts mehr mit politischen Zielen zu tun. Es geht einzig und allein um seine Symbolkraft. Sein Konterfei versinnbildlicht Rebellion, Sehnsucht und Entschlossenheit. Jeder Studierende kennt mindestens eine WG, in der ein Che-Poster die kahle Wand der Wohnküche schmückt.

Es ist sein Lebenswandel, der fasziniert. Che und sein Vagabunden-Dasein steht für „sich nicht gänzlich an die Gesellschaft anpassen“. Seine politischen Ziele, ob gut oder schlecht, für die er vor über 40 Jahren starb, sind schon lange in Vergessenheit geraten.

von Ulrike Worlitz
   

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