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09.12.2008

PalĂ€stina – ein unfreies Land

Unterwegs im Westjordanland zwischen Festsaal und Checkpoints

Der Konflikt zwischen PalĂ€stina und Israel nimmt kein Ende. Dabei hĂ€tten beide Seiten das Potential zu einer interessanten Mixtur aus Moderne und Tradition. Nach wie vor stehen sich Israelis und PalĂ€stinener unversöhnlich gegenĂŒber.

Ich lande in Tel Aviv. Meine ersten Gedanken sind: „Wie lange dauert die Prozedur am Flughafen diesmal?“ Bei der Ausweiskontrolle mustert mich der Zollbeamte kritisch. Was ich hier mache, wohin ich gehe und warum, will er wissen. Ich werde abgefĂŒhrt, weitere vier Stunden befragt und durchsucht. Erst dann darf ich den Flughafen wieder verlassen.

Israelische Freunde fahren mich auf „die andere Seite“: das palĂ€stinensische Autonomiegebiet. Die Straßen werden unbefestigter, die Natur kommt nĂ€her. Ich bin aufgeregt – schon wieder. Die ersten Tage in Ramallah sind schön.

Wir feiern die Hochzeit meines Cousins – zusammen mit dem Dorf und vielen Bekannten aus der ganzen Umgebung. Das Fest dauert traditionell drei Tage. An den ersten beiden Tagen feiern Frauen und MĂ€nner getrennt. Erst am dritten Tag findet die gemeinsame Feier in einem großen Festsaal statt. Wie vieles andere auch, wird das Fest durch gegenseitige GroßzĂŒgigkeit und familiĂ€re UnterstĂŒtzung finanziert.

Reisen mit Zwangspausen

In PalĂ€stina achtet jeder darauf, dem anderen so viel wie möglich zu geben und dabei so wenig wie möglich zu nehmen. Egal, ob es um Emotionales oder Materielles geht. Das Familienleben spielt eine große Rolle.

Meist leben mehrere Generationen unter einem Dach oder zumindest nahe beieinander. Alte Menschen werden genauso wie junge Menschen gebraucht und unterstĂŒtzt. Reisen in PalĂ€stina ist schwierig. Die Westbank ist von der israelischen Armee besetzt und mit sogenannten „Checkpoints“ durchzogen. Einigen Einwohnern erzĂ€hlen mir, dass dabei mitunter ab und zu mal jemand ohne Grund erschossen wird.

Es besteht ĂŒberall Ausweispflicht. Schon bald entferne ich mich nicht mehr als 20 Meter von meinem Ausweis. „Es kommt auf die Stimmung des Soldaten an“, erklĂ€rt mir ein palĂ€stinensischer Lehrer. „Wenn er gut gelaunt ist, kann man schnell weiterfahren, wenn nicht, schon mal fĂŒnf Stunden warten.“ PalĂ€stinenser dĂŒrfen nur mit einer Ausnahmegenehmigung auf die israelische Seite. Ein Israeli hingegen darf sich frei bewegen, was jedoch aus Angst vor terroristischen Angriffen nur wenige tun.

Schwer bewaffnete Soldaten und Touristen prÀgen das Stadtbild

Einige AusflĂŒge gelingen mir trotzdem. Die meistumkĂ€mpfte Stadt des Nahen Ostens, Jerusalem, steht komplett unter israelischer Verwaltung. Den PalĂ€stinensern gilt sie ebenso wie den Israelis als heilige Stadt. Nach Mekka und Medina ist sie die drittheiligste Stadt des Islam. Ich wundere mich ĂŒber Touristen, die mit ihren Kindern auf den Schultern an bewaffneten Soldaten vorbei trotten. Sie scheinen blind ihren Urlaub zu genießen.

Am Stand eines Arabers kaufen sie Postkarten mit SprĂŒchen wie: „Bush, hilf Israel den Terror zu bekĂ€mpfen!“ In Nablus mĂŒssen meine Tante und ich wieder an einem Checkpoint halten. „Ist das wirklich deine Tante? Das ist seltsam“, sagt der Soldat. „Geht doch alle nach Deutschland, wir werden euch sowieso alle vertreiben!“, fĂŒgt er hinzu und starrt mich an. Mein deutscher Pass schĂŒtzt mich. Trotz der politisch unruhigen Lage fĂŒhle ich mich die meiste Zeit sicher – bis zur folgenden Nacht.

Sturmgewehr-SchĂŒsse in der Nacht

Ich schrecke aus dem Schlaf, als meine Cousine neben mir aufgeweckt wird, aufspringt und schnell aus dem Zimmer rennt. Ich verdrĂ€nge ein flaues GefĂŒhl und bleibe aus Faulheit liegen. Das Licht geht an und ich höre panisches Winseln: „The Yahood! (arab. fĂŒr Juden) The Soldiers! They are here!“ Verwirrt lasse ich mich ans Fenster schieben und sehe zehn bewaffnete Soldaten und ein MilitĂ€rfahrzeug direkt neben dem Haus stehen. Plötzlich fallen SchĂŒsse. Ich habe Angst. „Was haben die vor?“, denke ich. Niemand weiß es. Es pocht laut an der TĂŒr. Im Schlafanzug laufen wir hektisch die Treppe hinunter und öffnen die TĂŒr.

Dort sind sechs Sturmgewehre auf uns gerichtet. „Hinsetzen! Auf den Boden! Klappe halten! Haltet die Klappe!“, brĂŒllt ein junger Soldat. Mit ihren Gewehren fuchtelnd verlangt die Kampfgruppe nach den Ausweisen. „Wie heißt Du? Und Du?“ Mein 50-jĂ€hriger Onkel Mustafa wird beschimpft und bedroht. Dann verbinden sie dem einzigen jungen Mann der Familie, meinem Cousin Muhammad, die Augen und nehmen ihn mit. Den Rest von uns drĂ€ngen sie in den Keller, durchsuchen das Haus und verwĂŒsten es dabei. Durch die Kellerfenster beobachten wir, dass die Soldaten auch alle NachbarhĂ€user durchsuchen. Zwei Stunden spĂ€ter ist alles vorbei. Wir stehen in einem verwĂŒsteten Haus. Mein Onkel und seine Frau wissen nicht, was mit ihrem Sohn ist.

„Sie nehmen sich einfach, was anderen gehört.“

Fragt man die Menschen hier nach der Situation in ihrem Land, spĂŒrt man oft Hass. „Ich verstehe nicht, wie man in das Haus eines Menschen eindringen und sagen kann: ‚Das gehört jetzt mir‘. Das ist ungerecht!“, sagt Samara, die zwei HĂ€user nebenan wohnt. „Ich wĂŒrde die Juden nicht mal mögen, wenn sie Muslime wĂ€ren“, ergĂ€nzt ihr Vater. „Am liebsten wĂ€re mir sie verschwinden ganz. Das geht nicht, also sollen sie uns lassen, was wir noch haben von unserem Land. Sie sollen aufhören, Siedlungen zu bauen. Sie nehmen sich einfach Land, das anderen gehört.“

Einige haben sogar fĂŒr die Mitglieder des terroristischen Widerstands VerstĂ€ndnis: „Sie kĂ€mpfen darum, in Freiheit zu leben. Das wĂŒrde jeder in einem anderen besetzten Land ebenso tun.“

PalĂ€stina: ein trauriges und wĂŒtendes Kind

In Israel selbst ist die Politik gegenĂŒber den PalĂ€stinensern umstritten. Vor einigen Jahren widersetzten sich 27 israelische Kampfpiloten, EinsĂ€tze in den Autonomiegebieten zu fliegen und bezeichneten die „gezielten Tötungen“ als illegal und unmoralisch. Und im Mai 2008 weigerten sich Kampfpiloten, zivile Einrichtungen im Libanon anzugreifen und kamen dafĂŒr ins GefĂ€ngnis.

Man erzĂ€hlt mir die Geschichte von Aljah Kamal: Seine Frau stand kurz vor der Geburt. Man habe beide an einem Checkpoint, der gerade offiziell geschlossen hatte, angehalten. Kamals Frau wurde nicht durchgelassen. Dann, so erzĂ€hlt man mir, verblutete sie. PalĂ€stina erscheint mir wie ein trauriges und wĂŒtendes Kind. Es schlĂ€gt um sich, wird geschlagen, und weiß sich doch nicht zu helfen.

von Lena Abushi
   

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