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 Wissenschaft
29.01.2008

Krebs durch Infektion

Interview mit dem Krebsforscher Harald zur Hausen

Infektionen durch Viren, Bakterien und Würmer können Krebs auslösen. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs entwickelt. Prof zur Hausen sprach mit dem ruprecht über die Möglichkeit, Krebs durch Impfungen zu verhindern, und über den aktuellen Stand der Forschung.

Welche Viren werden mit Krebs in Verbindung gebracht und welche dieser Viren kann man heute schon mit Impfungen bekämpfen?

Es gibt eine ganz Reihe von Virusfamilien und Virustypen, die man mit Krebs in Verbindung bringen kann. Das Epstein-Barr-Virus beispielsweise wird mit Lymphomen, dem Nasopharynxkarzinom und einigen Magenkarzinomen in Verbindung gebracht, und das Kaposi-Herpes-Virus mit einer früher seltenen Krebserkrankung der Gefäßzellen (Kaposi-Sarkom); Hepatitis B- und C-Viren wiederum können Leberkrebs auslösen. Auch ein Blutkrebs, der nur in den Küstenregionen von Südjapan vermehrt auftritt, wird durch ein Retro-Virus bedingt. Außerdem gibt es noch Bakterien, die Magenkrebs verursachen können, und Parasiten, die vor allem in Ägypten Blasenkrebs bewirken.

Hier im DKFZ haben wir vor allem eine Gruppe sehr intensiv untersucht, die Papillomviren. Sie können Gebärmutterhalskrebs auslösen und auch andere Krebserkrankungen im Genital- und Afterbereich mit bewirken, also etwa Vulva-, Peniskrebs und Krebs in der Scheide. Zudem verursachen sie auch etwa 25 bis 30 Prozent der Mundrachenkrebserkrankungen.

Sie haben in Heidelberg die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs entwickelt.

Wir haben die Typen, die den Gebärmutterhalskrebs und auch die genitalen Warzen auslösen, charakterisiert und isoliert und sozusagen die Voraussetzung für die Impfung überhaupt geschaffen. Die Impfung selber ist durch pharmazeutische Firmen in den Staaten entwickelt worden.

Wie viele Frauen sind heute überhaupt von Gebärmutterhalskrebs betroffen?

Zurzeit erkranken weltweit etwa 500.000 Frauen pro Jahr. Von diesen sterben etwa 250.000 pro Jahr. In Deutschland sind es ungefähr 6500 Frauen, von denen etwas weniger als 2000 sterben.

Wie viel Schutz bietet die Impfung insgesamt?

Die Impfung beinhaltet heute im Wesentlichen zwei oder vier Typen, die für etwa 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebse im Falle des Vierfachimpfstoffes für genitale Warzen verantwortlich sind. Allerdings geht man davon aus, dass ein gewisser Schutzeffekt auch gegen nahe verwandte andere Typen, die beim Gebärmutterhalskrebs eine Rolle spielen können, zustande kommt, so dass sich der Schutz möglicherweise auf etwa auf 80 Prozent erstreckt

Für welche Altersgruppe wäre es eine Impfung sinnvoll?

Die Impfung sollte vor Einsetzen der Sexualaktivität stattfinden und am besten in Altersgruppen zwischen 9 und 17 Jahren. Natürlich würde auch jede Frau, die bisher nicht infiziert war, auch zu späteren Altersphasen von dieser Impfung profitieren. Wenn eine Frau jedoch bereits mit einem Typ infiziert ist, erhält sie durch die Impfung nur noch den Schutz gegen die anderen Typen. Daher sollte man auch so jung impfen.

Wie lange hält die Impfung an?


Die Impfung wird jetzt seit sechs Jahren durchgeführt. Weil der Krebs erst nach 15 bis 25 Jahren auftritt, kann der Erfolg der Impfung nur durch Verhinderung der Vorstufen beurteilt werden. Ein anderer Weg sind die Antikörpertiter, die bisher sehr hoch sind, so dass man einen Impfschutz von etwa zehn Jahren oder länger erwarten kann.

Wie oft muss man eigentlich spritzen?


Die Impfung wird durch drei Injektionen verabreicht, die im Abstand von einem, nach einem Monat oder zwei Monaten und nach sechs Monaten wiederholt wird.

Gibt es eigentlich irgendwelche besonderen Nebenwirkungen?


Eigentlich erstaunlich wenig insgesamt. Man hat Rötungen oder etwas Schmerzen an der Impfstelle betrachtet. Aber bisher sind sicherlich einige Millionen Impfungen durchgeführt worden und ich kenne keine mit der Impfung unmittelbar zusammenhängenden schweren Komplikationen.

Sollen auch junge Männer geimpft werden?


Ja, aus einer ganzen Reihe von Gründen. Zum einen, weil genitale Warzen bei Ihnen mindestens genauso häufig vorkommen wie bei Frauen. Zum zweiten, weil der Mundhöhlenkrebs bei Männern eher noch häufiger auftritt als bei Frauen; und drittens, weil auch Genitalkrebserkrankungen wie Peniskrebs und Krebserkrankungen in der Aftergegend  bei ihnen auftreten. Zudem ist es sinnvoll, Männer zu impfen, damit sie als Ãœberträger ausscheiden. Ich bezeichne das immer als Gender Solidarity: Man trägt hier auch eine gewisse Verantwortung für das andere Geschlecht mit.

Wenn sich Frau impfen lassen möchte, soll sie dann einfach zur Krankenkasse gehen und nachfragen?

Ich glaube, dass praktisch alle Krankenkassen die Impfung mittlerweile finanzieren. Der entscheidende Punkt ist die Altersgruppe. Die Krankenkassen unterstützen mit Sicherheit Impflinge im Alter von 12 bis 17 Jahren. Ich persönlich würde eine Impfung ab neun Jahren vorschlagen. Außerdem würde ich allen Frauen, die bisher nicht infiziert waren, empfehlen, sich impfen zu lassen. Wenn sie mit einem Virustypen infiziert sind, kann die Impfung immer noch von großem Nutzen sein, weil die Impfung immer noch gegen die drei anderen Typen schützt.

In Deutschland kostet eine Impfung 465 Euro. Das stellt für Entwicklungsländer sicher ein Problem dar.

Von der Industrie wird argumentiert, dass die Entwicklungskosten enorm sind. Die Impfungen müssen global in großen klinischen Phasen getestet werden. Zum Beispiel mussten von einer Firma zwischen 25.000 und 50.000 Frauen rekrutiert, überwacht und geimpft werden. Anschließend wurden die Antikörper bestimmt und sie mussten untersuchen, ob Vorstufen für den Gebärmutterhalskrebs auftreten. Hinzu kommen die Herstellungskosten der Impfung. Es ist also sicher extrem kostspielig. Das ändert aber nichts daran, dass die Kosten für die Entwicklungsländer einfach zu hoch sind und dass Alternativen gefunden werden müssen.

Was wären solche Alternativen?

Alternativen wären eine verbilligte Herstellung der Impfung. Gegenwärtig wird der Impfstoff vor allem in Hefen hergestellt. Durch bakterielle Systeme könnten die Kosten wesentlich reduziert werden. Zusätzlich muss man bedenken, dass eine Verlagerung der Produktion in Entwicklungsländern ebenfalls die Kosten senken würde.

Wichtig sind auch neue Konzepte. Wir arbeiten hier in diesem Zentrum zum Beispiel an der Herstellung eines Impfstoffes, den man als Nasenspray verabreichen kann. Das hätte gerade für Entwicklungsländer große Vorteile: In Afrika etwa werden Wegwerfspritzen oft mehrfach verwendet und so können andere Erkrankungen wie AIDS oder Hepatitis C übertragen werden.

Einige Gegner der Impfung argumentieren, dass durch die Impfung die Frauen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen gehen werden.

Das Screening und die Impfung sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Beim Screening werden die Veränderungen erkannt, die zum Krebs führen; diese werden dann operativ entfernt. In einigen Fällen müssen Kegel aus dem Gebärmutterhals herausgeschnitten werden, weil die Vorstufen schon in den Gebärmutterhals hineingewachsen sind. In Deutschland finden etwa 100.000 solcher Operationen pro Jahr statt – mit teilweise negativen Folgen für nachfolgende Schwangerschaften und Entbindungen: Es kommt bei diesen Frauen leichter zu Aborten und zu Frühgeburten. Und das alles verhindern sie letzten Endes durch die Impfung: Durch die Impfung entstehen die Vorstufen nicht, die beim Screening entdeckt werden.

Man muss natürlich trotzdem dafür argumentieren, dass Frauen weiterhin zum Screening gehen. Sie dürfen nicht glauben, aufgrund der Impfung völlig geschützt zu sein, denn ich sagte schon: 20 bis 30 Prozent der Infektionen werden durch die Impfung zurzeit noch nicht erfasst. Schon um die nötige Sicherheit zu haben, sollte das Screening weiterhin betrieben werden.

Spricht Ihrer Meinung nach denn etwas gegen die Impfung?

Gegen die Impfung spricht aus meiner Sicht in der genannten Gruppe nichts. Was häufiger diskutiert wird, ist, dass durch eine erfolgreiche Bekämpfung der Viren andere Papillomvirus-Infektionen ihren Platz einnehmen. Dies wird als Replacement bezeichnet. Dieses Risiko ist zumindest nach meiner Einschätzung sehr gering: Die Zeitabläufe, in denen diese anderen Viren auch zu Krebs führen können, sind in der Regel viel länger als bei den jetzt verimpften Virustypen. Sollten aber andere Papillomvirustypen trotzdem stärker in den Vordergrund treten, wäre es kein Problem, sie mit in die Impfstoffe einzubauen.

Warum hat die Entwicklung der Krebsimpfung so lange gedauert? Immerhin kennt man das Papillomvirus schon seit einiger Zeit.


Wir haben diese Viren in den Jahren 1983 und 1984 gefunden. Schon damals haben wir versucht, die Industrie für eine Krebsimpfung zu interessieren. Eine deutsche Firma, die interessiert war, ließ daraufhin eine Marktanalyse durchführen. Diese Analyse ergab jedoch, dass es dafür keinen Markt gäbe, was sich letztendlich als Unsinn herausstellte.

Aber noch ein anderer Punkt hat zu dieser Zeit zu ziemlicher Verwirrung geführt: Es wurde damals ein neuer Test eingeführt, den man als Polymerasekettenreaktion bezeichnet. Dieser Test ist ziemlich empfindlich und wurde unmittelbar darauf in einer Serie von Labors eingesetzt. Dies hat in unqualifizierten Händen nicht zu reproduzierbaren Ergebnissen geführt, dennoch wurde viel davon publiziert. Mitte der 80er Jahre kam so ein unglaublicher Mist in die Fachpresse.

Die Industrie wurde durch solche Befunde ziemlich verunsichert. Später wurden große epidemiologische Untersuchungen sorgfältig durchgeführt, die bestätigten, was wir schon längst wussten. Erst dann war die Industrie bereit einzusteigen – aber da waren die Amerikaner schneller als andere Firmen.

Sie haben am Anfang viele andere Beispiele für krebsauslösende Viren genannt. Gibt es neben dem Papillomvirus noch ein anderesVirus, gegen das man sich impfen lassen kann?

Es gibt ein anderes Virus, das Krebs auslöst und gegen das man vorbeugen kann, das ist das Hepatitis B Virus. Die Hepatitis B Impfung war ursprünglich gar nicht als Impfung gegen Krebs gedacht war, sondern als Impfung gegen die akute Hepatitis B Infektion, die häufig auch in ein chronisches Stadium übergeht. In Taiwan ist die Impfung daher seit 1986 bei Kindern zwingend vorgeschrieben, und so stellte sich heraus, dass sie offenkundig auch Leberkrebs verhindert.

Dann möchte ich noch etwas ganz Aktuelles einfügen: Gerade gestern ist eine Publikation erschienen, dass ein neues möglicherweise krebsauslösendes Virus entdeckt wurde. Bei diesem seltenen Krebs handelt es sich um den so genannten Merkeltumor – der gleiche Name wie unsere Kanzlerin. Der Krebs ist ein Haarfollikelkrebs, der bei immunsupprimierten Personen in den Haarwurzeln ausgelöst wird. Dort ist ein Virus aus der Virusfamilie der Polyomaviren gefunden worden in einer Form, die nahe legt, dass es den Krebs auslösen kann.

Wird zurzeit an einem weiteren Impfstoff gegen Krebs geforscht?


Momentan wird sehr intensiv an Hepatitis C Impfstoffen gearbeitet. Die Schwierigkeiten sind allerdings fast so groß wie bei HIV, weil das Virus so schnell mutiert. Daher ist zurzeit kein wirklich positives Ergebnis in Sicht.

Welche Krebsarten wird man in Zukunft noch mit Impfungen bekämpfen können?


Um an einer Impfung gegen Krebs zu arbeiten, benötigen sie erstmal ein Virus, das sich dafür eignet. AIDS ist ein Virus, das indirekt Krebs auslöst, indem es andere aktiviert. Allerdings eignet es sich nicht wirklich für eine Impfung, weil es so schnell mutiert. Beim humanen Herpesvirus Typ 8 und dem Epstein-Barr-Virus ist das Interesse der Industrie recht klein, weil praktisch 100% der Menschen mit dem Epstein-Bahr-Virus infiziert sind, aber die große Mehrzahl überhaupt nichts davon merkt und weiß.

Eine wichtige Aufgabe ist es aber, weitere Krebsarten zu identifizieren, die mit Viren in Verbindung stehen. Es gibt epidemiologische Hinweise, dass beispielsweise Leukämien, die Hodgkin’sche Erkrankung oder Brustkrebs mit Infektionen in zu tun haben könnten. Wer weiß, ob nicht auch beim Lungenkrebs, der eigentlich durch das Tabakrauchen zustande kommt, solche Zusatzfaktoren eine Rolle spielen? Wir wissen letzten Endes nicht, warum bestimmte Leute, die viel rauchen, keinen Krebs bekommen, während andere schon in relativ jungen Jahren nach dem Rauchen Lungenkrebs haben. Das sind eine Reihe von interessanten Fragen, die auf eine Lösung warten.

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Untersuchung von Infektionserregern in Bezug auf Krebs in der Vergangenheit viel zu stark unterbetont wurde. Auf die globale Krebsforschung bezogen hat sich dieses Gebiet jetzt extrem ausgeweitet. Sie sehen an dem Bericht von gestern, dass es nicht das Ende der Fahnenstange ist. Zurzeit kann man sagen, das 20-21 Prozent der Krebserkrankungen, die weltweit auftreten, mit einer Infektion in Verbindung stehen. Wenn sie das vor 20 oder 30 Jahren geäußert hätten, dann hätte man darüber gelacht.  

Wir danken für das Gespräch.

von Ellen Holder, Xiaolei Mu
   

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