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 Heidelberg
01.07.2008

Straßengeschichten

Heidelberger Straßen erzählen mehr als viele Reiseführer

„Oberhalb der Erdgeschosse gibt es noch intakte Fassaden und schöne Ausblicke“, schreibt der Grafiker Klaus Staeck in einem Bildband über die Heidelberger Altstadt. Unter der Hauptstraße ragen manche Keller bis unter das Pflaster der Fußgängerzone.

„Oberhalb der Erdgeschosse gibt es noch intakte Fassaden und schöne Ausblicke“ - konstatierte der Grafiker Klaus Staeck Mitte der achtziger Jahre lakonisch. In dem sehr subjektiven Bildbändchen, in dem der Wahlheidelberger seine Stadt damals den Lesern präsentierte, schwingt allenthalben Resignation und Skepsis angesichts der schleichenden Veränderungen des Heidelberger Stadtbildes mit, etwa darüber, dass dem Besucher der Blick auf das schöne Heidelberg mehr und mehr von Ramschläden und billigen Schuh­geschäften in den Erdgeschossen der alten Gemäuer verstellt ist.

Oberflächlich betrachtet mag das stimmen, tatsächlich aber spiegelt allein schon der Grundriss der Altstadt mit ihren Straßenverläufen mehr heidelberger Stadtgeschichte, als in den meisten Reiseführern zu finden ist.

Das mittelalterliche Heidelberg

Im Heidelberg des Mittelalters reichte das Neckarufer bis in die heutige Lauerstraße, davon zeugt noch die alte Mühle, die am Ende der kleinen Mantelgasse erhalten ist. In den Gassen direkt am Fluss gingen Weingärtner, Fischer und ärmere Handwerker ihrem Gewerbe nach – und das in der Regel auf der Straße: Schmiede entfachten dort ihre Feuer, auf der Gasse wurde das Brennholz gehackt, Waren und Rohstoffe gelagert. Am Verlauf der engen Gassen kann man heute noch ablesen, dass sie damals mehr Arbeitsplatz denn Verkehrsweg waren: während die Gassen an den Enden schmal und eng sind, erweitern sie sich zur Mitte hin linsenförmig, so dass sich einerseits der Wind darin fängt, und man andererseits in der Mitte der Gasse wie auf einem geräumigen Hof steht. Am Hang oberhalb der Unteren Straße, wo Haus und Hof von den Überschwemmungen des Neckars verschont blieben, siedelten reichere Handwerker, die hauptsächlich für den Kurfürsten und seinen Hofstaat produzierten: Wäsche und Waffen, Geschirr und Geschmeide, Arznei und Zuckergebäck, die das Leben in der Residenz vergleichsweise angenehm gestalteten.

Während der Erbfolgekriege wurde Heidelberg mehrmals zerstört, zuletzt 1693. Einschneidender als Feuer und Verwüstung war für die Bürger jedoch der Wegfall der Residenz: der neue Kurfürst Johann Wilhelm regierte von Düsseldorf und Weinheim aus, und damit fehlte plötzlich der Hauptarbeitgeber der Region. Die Waren der heidelberger Leinweber, Goldschmiede und Gerber, die zuvor fast ausschließlich an die Residenz verkauft wurden, fanden keinen Absatz mehr; für Tagelöhner und Bedienstete gab es keine Arbeit. Den Heidelbergern blieb nichts anderes übrig, als die zerstörte Stadt zu verlassen und sich in der Fremde, zum Teil weit über die Grenzen der Kurpfalz hinaus, eine neue Existenz aufzubauen.

Barockstadt auf uralten Gewölben

Gut zehn Jahre lang lag die Stadt brach, bis ihr ein umfangreiches Bauprogramm verordnet wurde – inklusive Anwerbung neuer Bürger aus ganz Deutschland. Besonders Juden wollte man anlocken, brauchte man doch zahlungskräftige Bürger als Financiers für Infrastruktur und Kultur des neuen Heidelberg. Im Herzen der Altstadt (Kreuzung Untere Straße / Dreikönigstraße) entstand bald eine Synagoge. Die Kellergewölbe der Altstadt, die Brände und Zerstörung größtenteils überlebt hatten, wurden beim Wieder­aufbau genutzt, während die neuen Häuser darüber den barocken Idealen der Zeit folgten. Auf dem mittelalterlichen Grundriss des zerstörten Heidelberg entstand so eine Barock­stadt, die – von kosmetischen Veränderungen einmal abgesehen – noch heute das Gesicht Heidelbergs prägt.

Gemäß barocker Ästhetik sollten die Breite einer Straße und die Höhe der dort stehenden Häuser wohlproportioniert in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, die Straßenzüge großzügiger und freier angelegt werden als die verwinkelten, engen Gassen mittelalterlicher Siedlungen. Zweistöckige Häuserzeilen säumten fortan adrett gepflasterte Straßen. Die Folgen damaliger Städteplanung muten heute kurios an, denn die Eingänge zu den Kellergewölben lagen nach dem Wiederaufbau Heidelbergs auf der Straße. Vor allem in der Unteren Straße ist dies noch zu sehen, überall dort, wo krumme Verschläge Kellerlöcher abdecken, die zur Hälfte auf der Straße, zur Hälfte unter dem Haus liegen. Für den Besucher unsichtbar, aber noch wesentlich krasser ragen einige alte Keller unter der Hauptstraße mehrere Meter weit unter das Pflaster der Fußgängerzone.

Zeichen einer vergangenen Zeit

Die wenigen Häuser, die Krieg und Zerstörung heil überstanden, lassen sich in der heidelberger Altstadt leicht ausmachen: es sind diejenigen, die in ihren Proportionen vom barocken Schema abweichen, die ein wenig windschief im Raster der Straßen und Gassen stehen, oder die, bei denen der Giebel – die dreieckige Seite des Dachs – zur Straße zeigt. Ein schönes Beispiel dafür ist das rotweiße Fachwerkhaus an der Kreuzung Fischmarkt / Untere Straße. Die barocken Häuser wurden ausnahmslos gaubenständig gebaut, so also dass die Dächer einer Häuserzeile eine durchgehende Schräge bilden. Bei dieser Bauweise können im Fall eines Brandes Funken weniger leicht von einem brennenden Dach auf ein benachbartes gelangen, und Feuersbrünste haben es schwerer, gleich ganze Stadtviertel nieder­zu­bren­nen. Historiker nehmen an, dass beim Neuaufbau Heidelbergs eine Bauordnung in Kraft trat, die den Bau giebelständiger Häuser zugunsten der für den Feuerschutz günstigeren gaubenständigen Bauweise untersagte. Ein entsprechendes Dokument wurde allerdings bis heute nicht gefunden.

Auch die Krümmung der mittelalterlichen Straßen versuchte man stellenweise zu begradigen. In der Ingrimstraße, die nördlich des Marktplatzes mit der Heiliggeistkirche verläuft, sind die Häuser aufgrund solcher Maßnahmen gegeneinander versetzt; an jeder Kreuzung ragt das eine oder andere Gebäude ein Stück weiter als seine Nachbarn auf den Fahrweg. Dieser eigensinnig verwinkelte, geschichtsträchtige Straßenzug – der womöglich nicht zufällig Klaus Staecks Atelier beherbergt – gilt unter den Bewohnern der Altstadt ganz heimlich als die Schönste von allen Straßen Heidelbergs.

 

von Helga Rietz
   

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