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 Interview
30.06.2009

"Wir Deutschen halten uns fĂŒr ultratolerant"

Theaterintendant Peter Spuhler im ruprecht-Interview

Peter Spuhler ist seit 2005 Intendant des Theaters Heidelberg. Wir spachen mit dem bekennenden Homosexuellen ĂŒber gesellschaftliche Toleranz und warum der Heidelberger offen und konservativ zugleich ist.

Herr Spuhler, Sie haben ihren Partner Douglas Montoya geheiratet. Wie stehen Sie dazu, dass Sie beide einem heterosexuellen Ehepaar nicht gleichgestellt sind?

Ich empfinde das als einen Missstand. Es geht dabei ja nicht nur um Steuern und das Finanzielle - das ist auch wichtig, hat aber nicht die PrioritĂ€t - sondern um viele andere Dinge. Kleinigkeiten, die aber doch, weil sie einen Unterschied zur „wirklichen“ Hochzeit darstellen, verletzen. Wir konnten nicht beide einen Doppelnamen haben, was wir gerne gewollt hĂ€tten. Und wir konnten nicht heiraten, wo wir wollten, das geht nur in dem Ort, in dem man gemeldet ist. Im Übrigen heißt es auch nicht Heirat, sondern korrekt "Verpartnerung". Das wundert und stört mich. Ansonsten ist die gleichgeschlechtliche Partnerschaft eine super Sache.

Die steuerliche Benachteiligung stört Sie also nicht?

Ich finde das ungerecht, aber es steht nicht an erster Stelle. Da steht die Frage, wie man unseren Verfassungsgrundsatz "Alle Menschen sind gleich" gesetzlich umsetzen will und dabei dennoch eine Ungleichheit verankert. Das ist eher eine moralische, ethische Sache, als eine fiskalische. Als Schwuler ist einem klar: "Das ist diskriminierend". Was mich sehr gefreut hat war, dass ich nach der Hochzeit drei Briefe von jungen Schwulen bekam. Sie schreiben, dass sie sich ĂŒber unseren Schritt gefreut hĂ€tten und er ihnen Mut gemacht hat. Das fĂŒhrt vielleicht zu weiteren Verpartnerungen. Ich weiß von einem anderen schwulen Paar, das jetzt heiraten will, weil wir geheiratet haben.

Einige Schwule Aktivisten lehnen die Ehe als ein ĂŒberkommenes patriarchalisches Konstrukt ab. Sie nicht?

Es ist jedem freigestellt, darĂŒber selbst zu entscheiden, und insgesamt eine schwierige Diskussion, die auch unter Schwulen intensiv gefĂŒhrt wird. Ich denke aber, man sollte alle Strukturen eher auf evolutionĂ€rem Weg verĂ€ndern. Es mag also sein, dass die Ehe ein patriarchalisches Konstrukt ist, da man sie aber nicht abschaffen kann und will, sollten man sie verbessern.

Glauben Sie, dass die Reformen ein Schritt zu einer kommenden totalen Gleichberechtigung der Schwulen mit Heterosexuellen ist?

Ja. Ich finde spannend, dass wir Deutschen uns durch die Lehren der Nazizeit, fĂŒr ultratolerant halten. Wir meinen dass wir toleranter als viele andere Staaten seien - ausgenommen den Niederlande und den skandinavischen LĂ€ndern. Gerade katholisch dominierten LĂ€ndern unterstellen wir, dass sie weniger tolerant seien. Mich hat total verblĂŒfft, dass ausgerechnet Spanien eine sehr viel liberalere Schwulengesetzgebung hat als Deutschland. Das zeigt, wie sehr wir uns auf dem GefĂŒhl ausruhen, wir seien die "Tolerantesten". In diesem Zusammenhang fand ich auch eine Studie ĂŒber die Stadt Heidelberg interessant: Sie sollte Erkenntnisse ĂŒber die AttraktivitĂ€t der Stadt fĂŒr die sogenannte "Kreative Klasse" generieren. Dies ist ein wichtiges Untersuchungsmerkmal geworden. Heidelberg hat zwar einen sehr guten Platz belegt, aber hatte in den Bereichen Toleranz und Anzahl homosexueller Lebenspartnerschaften Defizite. Interessanterweise ist die Anzahl dieser Lebenspartnerschaften ein Indikator, wie kreativ und fortschrittlich eine Stadt ist.

Und was ist Ihre persönliche Meinung zur Situation in Heidelberg?

Ich empfinde Heidelberg nicht als intolerant, eher als sehr gesprÀchslaunig.

Was aber auch mit den Schichten zusammenhÀngen könnte, in denen Sie verkehren?

Möglichweise, ja.

Andere spĂŒren also durchaus Intoleranz?

Ich höre von einigen Arbeitskollegen, die nicht aus Europa sind, immer wieder, dass sie Anfeindungen ausgesetzt sind oder dies so empfinden. Es gibt also eventuell eine latente Diskriminierung von afrikanischen oder asiatischen Menschen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Heidelberg da schlimmer ist, als andere StÀdte. Ich vermute sogar, dass es hier besser ist.

Das AuffÀllige an Heidelberg ist jedoch die Gleichzeitigkeit von Weltoffenheit und Intoleranz.

Ich erklĂ€re mir die besonderen Wesensmerkmale der Menschen hier aus der historischen Entwicklung der Gegend. Heidelberg war immer Durchzugsgebiet mit wechselnden Herrschern. Letztendlich war es eine erweiterte Grenzregion zu Frankreich im Herzen Europas, mit immer wieder neuen Glaubensbekenntnissen oder zumindest der Diskussion „Sind wir jetzt protestantisch oder katholisch?“. Ich denke, dass diese Lebenshaltung auch aus dieser Vergangenheit resultiert, dass die Menschen hier einerseits ihr Eigenes bewahren wollen, auf der anderen Seite aber offen sind. Offen aus der der Übung heraus, immer wieder andere Sachen gelten lassen zu mĂŒssen, dies auch zu tun und geĂŒbt darin zu sein. Wenn man immer wieder ĂŒberrannt wird, die Klugheit zu haben, nicht immer alles zur Diskussion zu stellen. Und auf der anderen Seite sich doch das, was einem wirklich Wichtig ist, zu bewahren: eine konservative Haltung eigentlich.

Besitzt also der Heidelberger einen hermetisch abgeschlossenen konservativen Kern?

Ja, aber auf der anderen Seite auch eine positive lebensbejahende Grundhaltung und Offenheit. Immerhin hat Heidelberg in Herrn Erichson einen offen schwulen BĂŒrgermeister. Das ist ein Zeichen von WeltlĂ€ufigkeit. Wo hat man sonst einen bekennenden Schwulen BĂŒrgermeister, außer in Berlin und Paris? Ole von Beust in Hamburg hat es noch nicht offen zugegeben. In einer Metropole ein schwuler BĂŒrgermeister zu sein, ist zudem wahrscheinlich einfacher, als in einer Stadt mit der GrĂ¶ĂŸe Heidelbergs.

Glauben sie, dass Deutschland im Ganzen intoleranter wird?

Christlich-fundamentalistische Vereinigungen zum Beispiel erhalten momentan immer mehr Zulauf. Und ein Blick ins Alte Testament offenbart klar homophobe Einstellungen. Ich nehme das nicht mehr so wahr. Ich denke unsere Gesellschaft wird wieder wertkonservativer, da ethische Werte oder die Ehe wieder etwas bedeuten. Man versucht wieder Dinge zu bewahren: Es gibt eine Rekonstruktion der Familie in der kleinsten Zelle, immer mehr Leute heiraten jetzt wieder und bekommen Kinder, da war die Gesellschaft schon zersplitterter.

Eine Gegenbewegung?

Wohl zu den 68ern. Die Kinder der 68er schwingen wie ein Pendel wieder mehr auf Werte zurĂŒck, die ihre Eltern abgelehnt haben. Ich glaube aber dass das Pendel nicht komplett zurĂŒckschlagen wird. Der jetzige Konservatismus ist nicht der der 60er Jahre. Es pendelt immer hin und her, verschiebt sich aber insgesamt zum Besseren. Ich habe auch ganz und gar nicht das GefĂŒhl, dass die Gesellschaft schwulenfeindlicher wird. Mit sich offen bekennenden Schwulen in der Lindenstraße, positiver Berichterstattung ĂŒber HomosexualitĂ€t in der Bild-Zeitung gab es zwei Meinungsbrecher, die ein positives Bild geschaffen haben. NatĂŒrlich macht man sich bei "Deutschland sucht den Superstar" noch lustig ĂŒber Daniel KĂŒbelböck und seine schwulen Nachfolger. Es gibt zwar noch so ein latentes AmĂŒsement ĂŒber Schwule, dies als KuriositĂ€t wahrzunehmen, aber ich empfinde, dass die Gesellschaft offener wird.

Michel Foucault hielt die Dichotomie von schwul und hetero fĂŒr ein Konstrukt der Neuzeit, die davor nicht existiert habe. Wird dieser Gegensatz sich wieder auflösen?

Ich glaube so weit sind wir lange noch nicht. Bis SexualitĂ€t in all ihren Formen gleichberechtigt existiert und es eine "gesamtgesellschaftliche BisexualitĂ€t" gibt – was glaube ich der Gedanke dahinter ist – wird es noch lange dauern. Was ich interessant daran finde ist die Frage, ob die sexuelle Orientierung anerzogen oder durch die Umwelt geprĂ€gt ist. Wenn es diesen Unterschied frĂŒher nicht gab, kann es nicht an Vererbung liegen. Der Gedanke, dass HomosexualitĂ€t und HeterosexualitĂ€t gesellschaftliche Konstrukte sind, ist mir sympathisch. Er bedeutet, das eine andere, freiere Gesellschaft möglich ist.

Die Idee einer Utopie?

Nein, AnsÀtze davon gibt es bereits und vermutlich gab es sie schon immer: Die meisten meiner homosexuellen Freunde, hatten oder haben auch heterosexuelle Phasen. Die meisten Heterosexuellen haben, wenn sie ehrlich sind, auch ihre homosexuellen Phasen. Die Frage, wie man das dokumentiert und sich dazu öffentlich bekennt, ist dann eine Frage der gesellschaftlichen Offenheit.

In Indien laufen heterosexuelle Jungs Hand in Hand durch die Gegend. In Deutschland kÀme das einem Coming Out gleich und wird vermieden. Eine negative Bewertung des Gleichgeschlechtlichen ist noch durchaus vorhanden.

NatĂŒrlich, wobei das Zeichen in Indien anders zu lesen ist. Es gibt auch andere FĂ€lle gesellschaftlicher Normierung. In West Samoa etwa sind Transvestiten gesellschaftlich sehr anerkannt.

Hat Ihr Schwul-Sein in Deutschland keine Auswirkungen auf ihre Karriere?

Ich bin mir nicht sicher. Es ist zumindest immer noch Thema. Bei meiner Intendantenwahl, wurde sehr wohl darĂŒber geredet, dass ich ein verheirateter Homosexueller bin. GrundsĂ€tzlich steckt in der Diskussion aber weniger Ablehnung, als die Vermutung, es gĂ€be da ein schwules Netzwerk, dem man nicht angehört. Das wĂ€re eine Schwulenfeindlichkeit, die GrundzĂŒge des Antisemitismus hĂ€tte.

WĂŒrden Sie das genauer erklĂ€ren?

Die Merkmale sind Ă€hnlich: Man unterstellt, dass ein Gruppe ĂŒber besondere Verbindungen oder EinflĂŒsse verfĂŒge, die man nicht durchschaut und die dieser Gruppe Vorteile verschaffen. Das Selbstschutz von Menschen, die nicht sagen können: "Da ist jemand und der ist in diesem Gebiet besser als ich". Die abstrakte Vermutung besonderer Verbindungen ist bequemer. Wer sich in einem Wettbewerb mit jemand anderem befindet und sich als Person unabhĂ€ngig von der sexuellen Orientierung oder dem Glauben misst, muss sich eingestehen, dass er im konkreten Fall nicht ganz so gut war. ErklĂ€rt man aber Ereignisse oder Netzwerke, die man nicht ĂŒberschaut verantwortlich, dann hat man sich nicht in diesen Wettbewerb eingebracht.

Herr Spuhler, vielen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch.



Peter Spuhler (Jahrgang 1965) studierte Regie und Dramaturgie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. FĂŒr sein mit Auszeichnung bestandenes Diplom erhielt der gebĂŒrtige Berliner einen Preis des Österreichischen Wissenschaftsministeriums. 1990/91 arbeitete er als Dramaturg am Schauspielhaus Wien. Nach Stationen als Leiter des Kinder- und Jugendtheaters, Regisseur und Dramaturg am Landestheater in Stendal und Leitender Dramaturg und Schauspieldirektor in Rostock wurde Spuhler im Jahr 2002 Intendant des Landestheaters in Reutlingen. Seit 2005 ist er Intendant des Heidelberger Stadttheaters. Wie schon in TĂŒbingen, gelang es Spuhler auch hier, die Zuschauerzahlen erheblich zu steigern und machte durch mehrfache Auszeichnung seiner hiesigen Arbeit deutschlandweit auf sich aufmerksam. 2011 wird Spuhler Heidelberg verlassen und als Generalintendant an das Badische Staatstheater in Karlsruhe wechseln.

von Paul Heesch
   

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