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 Interview
18.12.2010

"Wir sind Bürger des Euro-Raums"

Martin Selmayr über die Zukunft der Europäischen Währungsunion

Martin Selmayr ist Kabinettschef der EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Der Jurist hat über das Europäische Währungssystem promoviert und erklärt, warum man den Euro retten muss, und zwar möglichst ohne eine Änderung der EU-Verträge.

Martin Selmayr ist Kabinettschef der EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Der Jurist hat über das Europäische Währungssystem promoviert und erklärt, warum man den Euro retten muss und wie dies ohne Vertragsänderung geht.

ruprecht: Irland hatte lange behauptet, keine Hilfen aus Brüssel zu benötigen. Warum sind sie jetzt doch unter den Rettungsschirm geschlüpft?

Martin Selmayr: Irland hatte dafür nicht dieselben Gründe wie Griechenland. Das Land hatte über Jahre hinweg seine Staatsfinanzen in Ordnung und war eine der wettbewerbsfähigsten europäischen Nationen. Auf den ersten Blick ist es fast absurd, dass Irland jetzt um Hilfe aus dem EU-Rettungsschirm nachsuchen muss. In Irland ist aber das Bankensystem in großen Schwierigkeiten. Die Banken sind unterkapitalisiert – hier zeigt sich, dass die Finanzmarktkrise keine Wirtschaftskrise sondern eine Bankenkrise ist.

Irland braucht viel Geld, um die systemrelevanten Banken zu retten. Wir haben einen internationalen Konsens auf der Ebene der G20 und in ganz Europa, dass systemrelevante Banken gerettet werden, dass man es nicht zu einem zweiten „Lehman Brothers“ kommen lässt. Das erfordert aber einen Kapitalbedarf, den Irland aus seinem Haushalt alleine nicht aufbringen kann. Die Hilfe, die jetzt aus dem Euro-Rettungsschirm erfolgt, ist also vor allem eine Hilfe an Irland, um seine Banken wieder zu stabilisieren.

Einige Kommentatoren zweifeln daran, dass der Euro-Rettungsschirm nach Irland gegebenenfalls auch noch Portugal und Spanien auffangen könnte.

Der Euro-Rettungsschirm umfasst ein Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro. Das ist kein Pappenstiel. Das reicht aus, um in Europa sechs, sieben Staaten zu retten, falls es notwendig wird. Wir gehen davon aus, dass es dazu nicht kommen wird. Viele Staaten brauchen nicht alles Geld aus dem Schirm, sondern nur das Vertrauen der Finanzwelt, dass hinter ihnen der Rettungsschirm steht. Wenn man weiß, dass das Land am Ende nicht Bankrott geht, sinkt die Risikoprämie sofort, das heißt die Gewinne, die man mit kurzfristigen Investitionen in entsprechende Staatspapiere tätigen kann, sinken. Das ist der Sinn des Euro-Rettungsschirms.

Bei der Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hat man darauf verzichtet, auch die Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten unter europäische Kontrolle zu stellen. Warum hat man nicht mit einer solchen Krise gerechnet?

Anfang der 1990er Jahre gab es einen starken Glauben an den Markt und an die Kraft des Rechts. In den letzten 15 Jahren hat sich herausgestellt, dass das nicht in allen Punkten berechtigt ist. Das Recht kann verletzt werden, das haben wir bei der Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch Deutschland und Frankreich Anfang 2002, 2003 und 2004 gesehen. Und wir haben jetzt in der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gesehen, dass die Märkte nicht immer rational funktionieren.

Wie sollte Europa nun reagieren?

Man sollte die jetzige Krise als Chance für einen Neuaufbruch sehen. Wir müssen uns in Europa Klarheit darüber verschaffen, was die europäische Währungsunion ist. Ist sie nur ein loser Zusammenhang von Staaten, die eine gemeinsame Währung teilen, aber sonst machen können, was sie wollen oder ist der Euro-Raum zugleich eine Schicksalsgemeinschaft, dessen Mitglieder füreinander einstehen und alle nach denselben Regeln spielen müssen? Es wird sich zeigen, ob Europa am Ende durch die Euro-Krise vielleicht zu einem europäischen Bundesstaat oder auseinander fallen wird. Beide Varianten sind in diesen Tagen denkbar.

Wie müsste die Währungsunion angepasst werden?

Die Währungsunion muss in ihrem monetären Pfeiler unverändert bleiben: eine stabile Europäische Zentralbank, die auf Preisstabilität fokussiert ist. Das hat in den vergangenen zwölf Jahren gut funktioniert. Sie müsste aber in ihrer ökonomischen Komponente, dem Teil der Wirtschaftsunion, massiv gestärkt werden. Da mangelt es an Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten. Es kann nicht sein, dass sich in einem Mitgliedsstaat eine Blase am Immobilienmarkt aufbaut, ohne dass das in den anderen Mitgliedsstaaten bemerkt wird.

Wir brauchen ein einheitliches Europäisches Statistikgesetz, denn statistische Daten sind die Grundlage unserer wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit. Und wir brauchen eine scharfe Durchsetzung der fiskalpolitischen Grundregeln der Europäischen Union, das heißt, es muss scharfe Sanktionen zur Folge haben, wenn ein Mitgliedsstaat sich übermäßig verschuldet. Wünschenswert wäre, dass jeder Mitgliedsstaat in seine nationale Rechtsordnung eine Schuldenbremse aufnimmt, wie das Deutschland gemacht hat.

Der EU-Vertrag verpflichtet die Staaten bereits, ihr Staatsdefizit unter drei Prozent zu halten. Ist das keine Schuldenbremse?

Leider nicht. Über diese Regel wacht und sanktioniert der Europäische Rat, also die Minister der Mitgliedsstaaten. Das heißt hier richten Sünder über Sünder. Das ist keine sinnvolle Lösung von Zielkonflikten in der Wirtschaftspolitik geworden.

Wie lassen sich diese Korrekturen umsetzen?

Es gibt zwei Ansätze. Der eine ist ein systemimmanenter Ansatz. Da versucht man, die jetzige Krise auf Basis des Lissabon-Vertrages zu lösen. Der enthält zahlreiche neue Vorgaben und Mechanismen, um solche Situationen wie die jetzige zu bewältigen. Er betont unter anderem in Artikel 122 des AEU-Vertrags die gegenseitige Solidarität der Vertragsstaaten, und er ermöglicht eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Euro-Staaten, Artikel 136 AEUV. Aus Sicht der Europäischen Kommission geht es darum, das Potential dieser neuen Vorschriften auszuschöpfen.

Was wäre die Alternative?

Die Europäische Währungsunion wäre jetzt von Grund auf zu überholen. Damit müsste man aber einen Vertrag ändern, der von den 27 Mitgliedsstaaten gerade erst ratifiziert worden ist. Das hat zehn Jahre gedauert! Falls wir für eine Vertragsreform wieder zehn Jahre brauchen, gibt es den Euro bis dahin nicht mehr. 2013 laufen der Euro-Rettungsschirm und die Griechenland- Hilfen aus. Dann stehen wir vor der Entscheidung: Schaffen wir es, einen dauerhaften Krisenmechanismus zu etablieren und diese Staaten dauerhaft zu stabilisieren, oder wollen wir mit einer anderen Währungsunion oder auch ohne den Euro leben?

In Deutschland ist der Euro nicht sehr beliebt.

Ja, obwohl er die stabilste Währung ist, die Deutschland je hatte. Die Inflationsrate des Euro liegt weit unter der Inflationsrate der Deutschen Mark. Deutschland hat in den vergangenen Jahren eine beispielhafte Periode der Stabilität und des Wachstums erlebt. Es ist wirtschaftlich und außenpolitisch nur von Freunden umgeben. Diese Leistungen werden nicht genug anerkannt. Manche denken nur, wir müssten schon wieder irgendwelche „Pleite-Griechen“ oder „Pleite-Iren“ finanzieren, wie das die BILD-Zeitung immer wieder schreibt. Das ist eine verkürzte Betrachtungsweise. Wer in Europa Teil der Währungsunion ist, ist eben nicht mehr nur Ire, Grieche oder Deutscher. Wir sind alle miteinander verflochten.

Deutschland exportiert 43 Prozent seiner Waren in den Euro-Raum. Und wir bekommen hier natürlich Entsprechendes zurück. Die Griechenland-Hilfen kosten Deutschland zurzeit etwa acht Milliarden Euro. Wir exportieren jedoch mehr als 380 Milliarden in den Euro-Raum. Das muss man ins Verhältnis setzen um zu sehen: Wir sind alle Bürger des Euro-Raums und eigentlich nicht mehr Deutsche, Iren und Griechen.

von Max Mayer
   

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