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 Interview
06.07.2010

„Es geht nicht immer um Märkte, Märkte, Märkte“

Der indische Ökonom Jagdish Bhagwati im ruprecht-Interview

Jagdish Bhagwati lehrt an der Columbia University und gilt seit Jahren als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis. Wir sprachen mit ihm über Rednerhonorare, die WM und was die Globalisierung und Top-Models gemeinsam haben.

Jagdish Bhagwati lehrt an der Columbia University und gilt seit Jahren als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis. Wir sprachen mit ihm über Rednerhonorare, die WM und was die Globalisierung und Top-Models gemeinsam haben.

Das Gespräch führten Sabrina Schadwinkel und Xiaolei Mu

ruprecht: Waren Sie schon einmal in Heidelberg?

Jagdish Bhagwati: Ja, beim ersten Mal war ich noch Student und knapp bei Kasse. Deshalb bin ich in eine Pension gegangen. Ich wollte mir dann ein bisschen Heidelberg anschauen und habe mir sicherheitshalber den Straßennamen aufgeschrieben. Der Rückweg hat dann sechs Stunden gedauert. Ich hatte mir nämlich als Straßennamen „Einbahnstraße“ aufgeschrieben. Heute würde mir das nicht mehr passieren. Heidelberg hat ja auch eine weltberühmte Universität. Ihr könnt euch glücklich schätzen, hier studieren zu können. Für mich ist es ja leider dafür zu spät.

Sie haben doch sehr prestigeträchtige Universitäten besucht.

Ja, Cambridge, MIT und dann Oxford.

Sie hatten also auch ziemlich viel Glück.

Ja. Ich beschreibe mich selbst manchmal als „wandernden Jude“. Als jemand, der überallhin reist und dann schließlich doch sesshaft wird. Mein letzter Umzug war 1980 vom MIT an die Columbia. Ich habe Freunde, die ihre Koffer immer noch nicht ausgepackt haben, da sie schon morgen eine neue Stelle antreten könnten. Die Mobilität ist in Amerika sehr hoch. Der Arbeitsmarkt verlangt einfach, dass man...

...flexibel ist?

Ja, weil man entsprechend der Opportunitätskosten bezahlt wird, wie man das in der Wirtschaft nennt. Also man erhält soviel, wie der Markt zu zahlen bereit ist. Man muss sich um Jobangebote von anderen Universitäten kümmern, selbst als Nobelpreisträger. Oder man gibt vor, die Universität wechseln zu wollen, um ein höheres Gehalt zu erzielen.

Wie halten Sie es damit?

Viele Ausländer wie ich machen das nicht. Meine Frau und ich kommen aus Indien und da gehen wir zum Feilschen höchstens auf den Basar. Wenn ich mehr Geld will, spreche ich einfach mit einer Unternehmensgruppe. Früher habe ich von denen kein Geld verlangt. Dann hat mir mein ehemaliger Student Professor Paul Krugman erzählt, dass er 25?000 US-Dollar für einen Vortrag bekäme und ich fragte: „Für was denn?“. Früher gab es nämlich keinen Markt für Reden. Als ich das nächste Mal nach meinem Honorar gefragt wurde, sagte ich einfach: „25?000 Dollar“. Und ich habe sie bekommen. Ich verlange aber nie Geld von Universitäten. Ich komme einfach gratis, besonders zu kleinen Universitäten, die ansonsten die großen Professoren nicht zu Gesicht bekämen. Natürlich erzähle ich meiner Frau nichts davon. Sie würde sonst mit mir schimpfen: „Du reist zu diesen kleinen Unis und vernachlässigst die Hausarbeit.“ Also gebe ich vor nach Harvard oder so zu reisen.

Wir werden Sie nicht verraten.

Viele Professoren kommen nur, wenn man etwas bezahlt. Diese Kommodifizierung bzw. Kommerzialisierung, wie Marx das nannte, geht heute einfach zu weit.

Ganz Deutschland ist jetzt im Fußballfieber und es heißt, dass es für Südafrika ein Segen sei, die WM auszutragen. Die Wirtschaft werde dadurch angekurbelt und Menschen aus der Armutsfalle befreit, stimmen Sie dem zu?

Natürlich nicht. Sie verschwenden so viel Zeit damit diese riesigen Stadien zu bauen. Andererseits mag es auch für das Nationalgefühl der Südafrikaner förderlich sein. Wir Wirtschaftswissenschaftler denken in den Kategorien Produktionsgut und Konsumgut. Wenn diese großen Fußballspiele als Konsumgut fungierten, wäre das reine Geldverschwendung, weil man soviel Geld für sie ausgibt und diese Ressourcen vermutlich woanders abzieht. Die Fußballspiele könnten aber auch als Produktionsgut fungieren, indem sie die Menschen dazu bewegen, über Südafrika als Nation und besonders über den Panafrikanismus nachzudenken.

Inwiefern spielt der Panafrikanismus hier rein?

Eines der größten Probleme Afrikas ist ja die Fragmentierung, die Stammeskonflikte, die in Bürgerkriege ausarten. Eine Lösung für den Regionalismus und die Stammeskonflikte ist der Panafrikanismus.

Sie haben sich ja sehr intensiv mit Afrika auseinandergesetzt.

Als ich mit Kofi Annan, dem ehemaligen Generalsekretär der UN zusammengearbeitet habe, war ich am NEPAD-Prozess (Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung) beteiligt. Das ist ein politisches Programm für Afrika mit dem Ziel, Leuten wie Mugawe entgegenzuwirken. Ich denke Afrika ist im Moment auf dem richtigen Weg. Durch den NEPAD-Prozess werden jetzt sogar Diktatoren zur Rechenschaft gezogen. Die Fußball-WM könnte dies unterstützen. Da die Menschen stolz darauf sind, Afrikaner zu sein.

Und wie sieht es mit Südafrika, dem Gastgeberland der WM aus?


Südafrika stellt zumindest kein so großes Problem dar wie andere afrikanische Länder. Es hängt alles davon ab, wie sich die Dinge entwickeln. Vielleicht werden sie ja andere große Sportereignisse in den Stadien abhalten können. Als Pinochet die Macht an sich riss, wurden alle linken Studenten in Fußballstadien getrieben, um sie dann zu ermorden. Das ist definitiv die falsche Nutzung von Fußballstadien. Die WM hat Afrika ja auch ganz schön Auftrieb gegeben. CNN und BBC senden beispielsweise pausenlos über Afrika. Die WM könnte sich demnach letztendlich als produktiv erweisen.

Nun zu Amerika, was war Ihrer Meinung nach der größte Fehler, den die Regierung unter Bush in wirtschaftlicher Hinsicht begangen hat?

Meiner Meinung nach war der Irak-Krieg der größte Fehler. Die Amerikaner dachten, dass wie in vorherigen Kriegen alles innerhalb von sechs Wochen vorbei sein würde. Ein paar Sonderausgaben hätten die Wirtschaft weiter angekurbelt. Man kann es damit vergleichen, einmal an einem Joint zu ziehen. Man fühlt sich zunächst erstmal gut. Der Krieg dauert jetzt aber schon länger als sechs Jahre. Die Republikaner haben einfach versäumt, die Steuern zu erhöhen, um die Ausgaben zu decken. Das riesige Haushaltsdefizit war absehbar. Es war nicht wie im Fall von Griechenland alles unter den Teppich gekehrt worden. Wäre es nach Plan gegangen, hätten sie auch das Öl und die Pipelines kontrolliert. Sie hätten das Öl sprudeln lassen und die Ölförderung hätte sich verdreifacht. In der Folge wäre der Ölpreis gesunken und die USA hätten als Nettoimporteure von Öl profitiert. Dabei spricht Amerika immer davon, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen senken zu wollen.

Wie gehen die USA jetzt mit dem Haushaltsdefizit um?

Präsident Obama hat das Problem geerbt und hat nun damit zu kämpfen. Er setzt auf mehr Ausgaben und Kanzlerin Merkel lehnt dies ab, da Deutschland auf eine andere Geschichte zurückblickt. Ihr Deutschen fürchtet eine Inflation. Wir in Amerika nicht, da wir keine Inflation kennen. In Deutschland gab es eine sogenannte Hyperinflation. Die Preise stiegen um bis zu 10 000 Prozent. Wie würdet ihr das als Wirtschaftsprofessor erklären? Wenn Preise sehr schnell steigen, kann man mit dem Taxi statt mit dem Bus fahren! Warum? Beim Taxi bezahlt man am Ende der Fahrt. Beim Bus gleich am Anfang. In Deutschland hängt man immer noch der Vergangenheit nach. Amerikanern ist das fremd. Wenn Amerikaner überzeugt sind, dass sie mehr ausgeben müssen, um die Wirtschaft zu beleben, dann tun sie das einfach.

In einem FAZ-Interview haben Sie mal gesagt, dass in einer globalisierten Welt die Tage der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland gezählt seien, bleiben Sie dabei?

Jede Marktwirtschaft ist in eine soziale Struktur eingebettet. In Deutschland ist die soziale Sicherung sehr ausgeprägt. Die Amerikaner versuchen jetzt sogar von den Deutschen zu lernen, wie man mit Arbeitslosigkeit umgeht. In dieser Hinsicht ist Deutschland sehr innovativ. Es geht nicht immer nur um Märkte, Märkte, Märkte. Es geht auch um die Institutionen und die soziale Absicherung, die für eine offene Marktwirtschaft nötig sind. Dieser Ansatz ist keineswegs gefährdet. Ganz im Gegenteil.

In vielen Medienberichten werden Sie als Verkörperung der Globalisierung beschrieben? Stimmen Sie dem zu?

Nein, denn viele kritisieren die Globalisierung. Ich bin jetzt 77. Aber man merkt es mir nicht an, weil ich eine Politik der offenen Tür pflege. Ich habe mich mit der Globalisierungskritik beschäftigt. 1999 fand in Seattle ein WTO-Treffen statt. Viele junge Menschen waren dort, um zu protestieren. Ich wollte wissen, wieso, auch wenn die anderen Ökonomen sie nicht ernst nehmen. Viele von ihnen sagen: „Warum Zeit an diese Idioten verschwenden? Sie wollen doch nur Krach schlagen.“ Viele junge Menschen lassen sich von ihren Gefühlen leiten. Ihnen fehlt oft das analytische Rüstzeug. Man lernt erst an der Uni, wie man Probleme löst und eigene Schlussfolgerungen zieht. Man kann über Wirtschaft folgendermaßen diskutieren: Ist Freihandel gut für uns? Sind Investitionen gut für uns? Natürlich scheiden sich da die Geister. Studenten interessiert sich dafür, welche Auswirkungen der Freihandel, die Globalisierung et cetera auf Frauenrechte, die Umwelt, Armut, Demokratie und Kinderarbeit hat. Ich hab mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass die Globalisierung selbst in dieser Hinsicht eher gut als schlecht ist.

Dafür plädieren Sie ja auch in ihrem Buch „ Die Verteidigung der Globalisierung“.

Ginge es nach mir, sollte mein Buch „Die Globalisierung hat ein menschliches Gesicht“ heißen. Denn jeder meint, sie hätte kein menschliches Gesicht, sie verschärfe all diese Probleme mit Frauenrechten, Armut und dergleichen. Darüber machen sich junge Menschen üblicherweise Sorgen. Aber genau das ist nicht richtig. Ich habe all diese Probleme analysiert. Deswegen sage ich: Die Globalisierung benötigt kein menschliches Gesicht. Sie hat schon eins. Wir brauchen nur Puder oder Rouge, um dieses Gesicht aufzuhübschen, wie bei einem Model. Die Globalisierung benötigt Verbesserungen, aber sie muss nicht von Grund auf verändert werden.

Auf welche Resonanz stoßen Sie mit Ihrem Ansatz?

Leute nennen mich den weltgrößten Befürworter für freien Handel und oft ist das nicht als Kompliment gemeint. Meinen Studenten sage ich immer: „Schaut, Freihandel ist nur eine Theorie. Sie bedeutet mir nichts. Ich werde sie gerne verwerfen, wenn es sich herausstellt, dass sie die soziale Agenda untergräbt.“ Aber ich bin überzeugt: Ja, freier Handel ist gut für die Wirtschaft und für soziale Belange. In diesem Sinne bin ich wohl ein Befürworter der sozialen Marktwirtschaft. Würde ich einen Nobelpreis kriegen, dann wäre es wegen meiner rein wirtschaftlichen Bücher. Ökonomen lesen nämlich keine Bücher, die sich um soziale Aspekte kümmern.

Herr Bhagwati, vielen Dank für das Gespräch.

   

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