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 StudiLeben
03.05.2010

Nachts sind alle Seiten grau

Durchackern bei der „Langen Nacht der Hausarbeiten“

Das neue Semester hat begonnen doch es gibt noch Altlasten. Auf Josie Kerstan wartete noch eine unvollendete Hausarbeit aus dem Semester zuvor. In der "Langen Nacht der Hausarbeiten" wollte sie fertig werden.

Das neue Semester hat begonnen und ich will mich erholt und mit Elan daran machen neue Wissenshorizonte zu entdecken. Doch ich habe Altlasten, die ich in den Semesterferien verdrängt habe und nun darauf brennen, erledigt zu werden: eine unvollendete Hausarbeit aus dem vorherigen Semester. 

Der Abgabetermin rückt näher und je länger ich den liegengebliebenen Arbeitsberg betrachte, desto größer scheint er mir. Die Motivation, mit der ungeliebten Arbeit zu beginnen oder Begonnenes zum Abschluss zu bringen, ist auf dem Tiefpunkt.

In der ersten Semesterwoche entdeckte ich einen Aushang im Philosophischen Seminar: „Die lange Nacht des Hausarbeitenschreibens“. Man wolle sich dort zusammenfinden und gemeinsam, aber doch jeder für sich, in ruhiger Atmosphäre all das zu Ende bringen, was längst hätte geschrieben sein sollen. „Perfekt“, dachte ich, „da muss ich hin!“ Denn am darauf folgenden Freitag wäre der letzte Abgabetermin für meine Hausarbeit, die bisher magere drei Seiten umfasste.

Ich stehe um 20 Uhr im Philosophischen Seminar – ausgerüstet mit einem beträchtlichen Teevorrat für die lange bevorstehende Nacht. Im Kantsaal haben neun andere „Aufschieber“ ihre Gerätschaften aufgebaut. Auf allen Tischen befinden sich Laptops, Wasserflaschen, Bücher oder kopierte Texte. Mittlerweile ist es dunkel geworden und ich fühle mich seltsam nachts in einem mit Nachts sind alle Seiten grau Neonröhren erleuchteten Seminarraum zu sitzen.

Die Organisatorin, die zuvor noch eine Beratungssitzung im benachbarten Seminarraum abgehalten hatte, in der Unerfahrene Fragen zum Aufbau einer Hausarbeit, zu Arbeitsweisen oder Zitiertechnik stellen konnten, hat „Brainfood“ für die Nachtschreiber mitgebracht. Auf einem Tisch stapeln sich größere Mengen Obst, Schokolade und Kekse. Die Atmosphäre ist wie versprochen ruhig, dass man ungestört arbeiten kann.

Die geballte Ladung im Kantsaal

 In den folgenden Stunden komme ich gut voran. Auch die Helfer des Seminars schreiben an ihren Arbeiten. Zwischendurch beobachte ich aus dem Augenwinkel, wie sich kleinere Gruppen bilden. Meist sind es mehr oder minder „Selbsthilfegruppen“ die sich gegenseitig helfen. Auch das zweite Versprechen wird eingelöst: Man ist bei der Bewältigung seiner Arbeit nicht allein. Dennoch durchlaufe ich alle Hoch- und Tiefpunkte, die ich vom Schreiben zu Hause gewohnt bin. Der Unterschied: Daheim dauert der Prozess länger als sechs Stunden und die Krisen sind besser verteilt. Im Kantsaal hingegen trifft mich die geballte Ladung.

Innerhalb der ersten vier Stunden erwäge ich dreimal, mein Thema trotz ausgiebiger Vorarbeit und Recherche abzuändern. Alles scheint aussichtslos. Ich spiele mit dem Gedanken mein Thema weiter zu fassen, um die geforderte Seitenanzahl zu erreichen. Oder soll ich alles umwerfen? Zu einem anderen Thema könnte ich drei Seiten runterschreiben. Ich verwerfe den Gedanken wieder, weil ich merke, dass ich zu den meisten Themen drei Seiten schreiben kann. „Das Problem beginnt erst danach“, rufe ich mich zur Vernunft. Ich schaffe es ohne Ă„nderung des Themas weiterzuschreiben. 

Die Technik streikt

Gerade als ich wieder Mut fasse und in Gedanken die Ziellinie erreiche, macht mir mein Laptop einen Strich durch die Rechnung. Die Farbe meines Bildschirm wird unvermittelt blau und dann schwarz. Mein Laptop vollzieht einen Neustart. Er ist abgestürzt. Mich durchzucken etliche beunruhigende Gedanken auf einmal. „Was war das? Wann habe ich meine Arbeit zuletzt abgespeichert?“ Doch ich habe Glück: Nichts ging verloren. Leider wiederholt sich das blauschwarze Farbspiel mit Neustart alle fünf Minuten. Es ist ein Uhr morgens und ich bin schon weit gekommen. Jetzt soll alles wegen technischen Versagens scheitern?

Nach einigen vergeblichen Versuchen einer Systemwiederherstellung gebe ich entnervt auf. Ich habe keine Lust mehr. Was soll ich tun? Ich suche Rat bei anderen Schreibenden im höheren Semester. „Gib ab!“, sagen sie und haben Recht. Ich habe seit Wochen an dieser Arbeit gesessen und wenn ich bisher nichts Besseres zustande gebracht habe, wird sich das in den wenigen Stunden bis zum Abgabetermin nicht ändern. Ich werde in den kommenden Stunden des Freitagmorgen nicht wacher werden und mein Laptop auch nicht von selbst wieder normal funktionieren.

Ich bearbeite alles, was ich bisher geschrieben habe, so gut es geht und beschließe zu gehen. Dankbar verstaue ich meine Thermoskanne, Unterlagen und Laptop – dem ich noch einen rügenden Blick zuwerfe – in meinem Rucksack und mache mich auf den Heimweg. Es ist 1:30 Uhr. Im Kantsaal verbleiben einige, deren „Nacht des Hausarbeitenschreibens“ noch länger dauern wird.

Epilog

Ich bin erleichtert. Meine Arbeit ist getan. Sie ist mehr schlecht als recht ausgefallen, aber ich habe den Abgabetermin eingehalten. Alleine wäre ich nicht so weit gekommen: Zu groß ist die Ablenkung beim alleine Schreiben und die Möglichkeiten, vor der finalen Schreibsession noch eine „klitzekleine Pause“ zu machen, sind zu vielfältig.

Eines nehme ich mir fest vor: Dieses Semester werde ich meine Hausarbeiten pĂĽnktlich fertigstellen und mir nicht die ganzen Ferien vermiesen lassen. Was die Ferien ĂĽberschattet, ist nicht die Angst, den Termin zu verpassen, sondern viel schlimmer: Es ist das ständig quälende Wissen im Hinterkopf, dass noch ein Berg Arbeit vor einem liegt und man „nicht frei hat“. Die erste „Lange Nacht des Hausarbeitenschreibens“ war ein Erfolg. Das Philosophische Seminar plant daher, dass solche Nächte „bei Bedarf“ öfter stattfinden könnten.

von Josie Kerstan
   

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