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 Interview
04.05.2010

Passionierter Nestbeschmutzer

Interview mit Bildblog-Gründer Stefan Niggemeier

Stefan Niggemeier hat den Bildblog ins Leben gerufen. Das Medium recherchiert Artikel der Bild-Zeitung nach und deckt deren Fehler auf. Im ruprecht-Interview erzählt er von der Rolle des kritischen Medienjournalismus und seiner Arbeit beim Bildblog.


ruprecht: Herr Niggemeier, Sie haben Bild-Blog.de gegründet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Stefan Niggemeier: Ich war damals Medienredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Im Internet bin ich eines Tages auf Blogger.com gestoßen, wo es hieß: Hier kann man sich in fünf Minuten einen Blog anlegen. Zunächst war ich neugierig und wollte ausprobieren, wie das funktioniert. Es sah nach einer schönen Form aus, all das aufzuschreiben, was mich an der Bild-Zeitung jeden Tag so ärgerte. Ich hatte vorher bereits in Zeitungen viel über Bild geschrieben und wollte schon immer gerne viel mehr und viel kontinuierlicher an dem Thema dran bleiben. Also fragte ich damals zwei Kollegen, ob dieser Ansatz irgendjemanden interessiert könnte. Die sagten: „Keine Ahnung, aber wir machen gerne mit.“ Also haben wir einfach losgelegt.   

Hatte das gleich eine große Resonanz?

Nicht sofort, aber sehr bald hatten wir mehr als 100 Leser am Tag und merkten, dass die Leute auf uns aufmerksam wurden. Es gab auch relativ schnell Artikel über Bildblog, das sprach sich dann relativ schnell rum.

Welche Reaktionen gab es bei der Bild-Zeitung?

Die erste öffentliche Aussagen kam vom früheren Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tietje. Der sagte: „Das sind ja im Grunde alles Studentenscherze, die man nicht ernst nehmen kann.“ Kurz danach sagte er: „Natürlich macht die BILD-Zeitung Fehler, aber die Frage ist, warum sich die hinsetzen und danach suchen. Da müsste man mal einen Psychologen dran setzen. Aber Bild verliert dadurch nicht an Glaubwürdigkeit.“ Das mit den „Studentenspäßen“ wiederholte zwei Monate später nochmal Nikolaus Fest, ein Mitglied der Bild-Chefredaktion.

Seit Mitte 2009 beobachtet Bildblog auch andere Medien. Ist seitdem noch ein Medium besonders aufgefallen?

Die Bild hat noch immer eine Sonderstellung, weil wir uns noch immer sehr viel damit beschäftigen. Diese Zeitung zeigt eine besondere Kombination aus gewaltiger Reichweite, großem Einfluss und einer sehr starken Verantwortungslosigkeit. Das hat kein anderes deutsches Medium. 

Es gibt aber auch immer häufiger Geschichten über Nachrichtenagenturen. Die sind ebenfalls interessant: Wenn Agenturen dabei versagen Informationen nachzurecherchieren, haben deren Fehler eine erhebliche Wirkung. Falsche Geschichten werden dann hundertfach vervielfältigt, weil sie von den meisten anderen Medien übernommen werden. Daran sieht man, wie der ganze Medienbetrieb funktioniert und wo die Schwachstellen sind.

Die Geschwindigkeit des Medienbetriebes hat sich mit dem Online-Journalismus stark erhöht. Haben dabei die Schlampereien zugenommen?

Es kann sein, dass viele Fehler früher nicht entdeckt wurden, weil man weniger Überblick über die ganze Medienlandschaft hatte. Heute kommen zwei Dinge zusammen: Das eine ist natürlich die Geschwindigkeit. Es besteht eine große Versuchung im Online-Journalismus, eine Geschichte als Erster zu präsentieren und man sich daher mitunter nicht die Zeit nimmt, die Sache zu prüfen.

Zum anderen wird im Online-Journalismus derzeit viel von anderen Medien übernommen, so dass Agentur-Meldungen, die bei einigen Medien vielleicht noch mal bearbeitet würden, online einfach eins zu eins übernommen werden. Diese Versuchung etwas nur abzuschreiben ist bei einem finanziell schlecht ausgestatten Medium mit wenigen Redakteuren umso größer, weil eigene nochmalige Recherche zu aufwändig wäre.

Gab es vor Bildblog bereits andere Medien, die gezielt nach Fehlern, Schlampereien oder Falschmeldungen gesucht und publiziert haben?

In der Form nicht, aber einige Zeit nach dem Bildblog-Start entdeckten wir eine Sonderausgabe der Satire-Zeitschrift „Pardon“ aus dem Jahr 1970. Die hatten viele Fälle aus der Bild nachrecherchiert und aufgezählt, was alles nicht stimmte. In verblüffender Weise haben die damals ganz ähnliche Sachen gefunden wie wir und sogar ähnlich aufgeschrieben. Das war schon eine Art historischer Bildblog-Vorläufer.

Und heute?

Das weiß ich nicht. Es gibt einige Ansätze dafür im Internet, weil sich viele dort als Gegenpol zu den etablierten Medien verstehen und eine grundsätzlich kritische Haltung haben. Ich kenne zum Beispiel einen Blog, der sich mit der Pharma-Industrie auseinandersetzt oder einen, der Esoteriker auseinandernimmt. Es gibt also einige Ansätze und ich würde mir wünschen, dass es noch sehr viel mehr werden.

Fehlt der deutschen Medienlandschaft eine Kultur der gegenseitigen Selbstkontrolle?

Die gibt es nur in Ansätzen auf den Medienseiten der Tages- und Wochenzeitungen. Da gibt es leider viel zu große Hemmungen, nach dem Motto: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. Wer so wie Bildblog über die eigene Branche schreibt und dabei Kollegen kritisiert, gilt schnell als Nestbeschmutzer. Solche Medienjournalisten haben auch nicht das beste Standing - innerhalb wie außerhalb einer Redaktion.

Wir glauben, dass kritischer Journalismus etwas bewirkt und es gut ist, wenn Journalisten sich kritisch mit bestimmten Unternehmen oder der Politik beschäftigen. Genauso glauben wir auch, dass es positiv wäre, wenn man sich kritisch mit dem Journalismus beschäftigt. Das sollte zwar eine Selbstverständlichkeit sein, aber weit verbreitet ist der Gedanke nicht.

Hat Ihre Arbeit eine sichtbare Wirkung? Gibt es durch Bildblog weniger Fehler?

Das ist schwer zu messen. Wir hatten nie die Illusion, dass wir die Bild verändern können. Wir wollten immer bei Lesern und auch Journalisten, die gerne bei Bildabschreiben, etwas Aufklärung betreiben, dass sie ein Gespür dafür entwickeln, wie diese Zeitung arbeitet und wie viel darin falsch ist. Dahingehend sehe ich schon eine Wirkung.

Man sieht das gerade in Internetforen: Wenn dort jemand mit irgendwas aus der Bild argumentiert, verlinken andere auf unsere Belege und Einträge. Die Leute nutzten also Bildblog und sagen: „Glaubt nicht, was in der Bild steht!“ Sogar eine Broschüre für Schulen über Boulevard-Berichterstattung enthält einen Bildblog-Beitrag. Wir tauchen also auch in der Medienpädagogik auf.

Die schwierigere Frage ist, wie weit wir auch in die Bild-Zeitung hinein wirken. Da sieht man ein paar Ansätze, bei denen sich Bildzumindest den Anschein gibt, Fehler vermeiden zu wollen. Auch die Anzahl der ganz krassen Ausrutscher scheint mittlerweile zu sinken. Doch deshalb hat sich Bildnicht fundamental geändert.

Die Mehrzahl der Bild-Leser bekommt von Bildblog nicht viel mit.

Ja, aber die große Masse der Bild-Leser können wir auf dem direkten Weg auch nicht erreichen. Bild hat noch immer mehr als elf Millionen Leser täglich, wohingegen Bildblog auf etwa 40.000 kommt. Ich sehe aber, dass es auf einem anderen Weg funktioniert: Leute erzählen uns, dass sie im Kollegen-, Familien- oder Bekanntenkreis auf uns verweisen und mit Bildblog argumentieren. 

Halten Sie die Bild-Zeitung für eine wertvolle Zeitung?

Nee.

Prinzipiell nein?

Wenn ich das so pauschal beantworten soll, ist die Antwort eindeutig. Natürlich passiert es hin und wieder, dass Bild auch etwas Positives bewegt. Manchmal produzieren sie ist im weitesten Sinne auch mal Qualität. Aber vom ganzen Ansatz, Selbstverständnis und der täglichen Praxis ist Bilddann doch keine wertvolle Zeitung.

Bestimmte Leute würden ohne die Bild-Zeitung gar keine Zeitung lesen.

Es gibt auch andere Boulevard-Zeitungen. Aber es kann schon sein, dass viele Leute, wenn es die Bild nicht gäbe, gar nicht zur Zeitung greifen würden.

Gab es Fälle in denen Sie der Bild-Zeitung irrtümlich Fehler unterstellt hatten?

Wir haben in all den Jahren etwa eine Handvoll großer Fehler gemacht. Wir haben dann im Nachhinein den ganzen Eintrag durchgestrichen, dazu geschrieben, dass wir uns völlig geirrt haben und uns dafür entschuldigt. Zum Glück waren das nur ganz wenig Fälle. Kleinere Fehler passieren da häufiger. Das ist in meinen Augen auch unproblematisch, wenn man transparent mit seinen Fehlern umgeht. Wenn man zugibt, wenn was falsch war und das dann berichtigt.

Kann man heute vom Online-Journalismus leben?

Ja, aber nicht besonders gut. Bildblog wirft schon ein wenig Geld ab. Das verteilt sich zur Zeit auf verschiedene Leute, wie Lukas Heimser, der seit Anfang des Jahres hauptsächlich Bildblog betreibt. Unsere konkreten Kosten sind derzeit relativ gering. Letztendlich geht es darum, sich den Zeitaufwand bezahlen zu können. Das funktioniert ganz gut.

Was war in Ihren Augen der dickste Bild-Fehler?

Das ist schwer zu sagen, das funktioniert natürlich auf allen Ebenen. Es gibt Geschichten, in denen einfach einer einzelnen Person massiv übel mitgespielt wird, und plötzlich jemand vorgeführt wird vor dem ganzen Land mit Vorwürfen, die einfach nicht stimmen. Und dann gibt es natürlich diese Ebene, dass Bild systematisch irgendwelche Sachen falsch darstellt.

Ein Beispiel: In Berlin wurden in letzter Zeit viele Autos angezündet. Durch die Bild-Berichterstattung ist ein massiver Druck aufgebaut worden, dass jetzt um jeden Preis Täter gefunden werden müssen. Jeder festgenommene Verdächtige macht dann gleich Schlagzeilen und die Bild fordert, dass jetzt aber auch eine Verurteilung kommen müsse. Wenn sich dann nach einem halben Jahr herausstellt, dass der Verdächtige unschuldig ist oder man es ihm nicht beweisen kann, stellt Bild es so dar, dass derjenige es bestimmt trotzdem gewesen sein muss. Diese Geschichten haben eine erhebliche Wirkung auf solch einen politischen Prozess, weil sie die Politiker, Staatsanwaltschaft und Justiz unter Druck setzten. Bild ist da nicht bereit, von einer Unschuldsvermutung auszugehen.

Es gibt viele Geschichten, an denen man merkt, dass Bild mit dem Rechtsstaat hadert und dass auch Verbrecher Rechte haben. Die Masse solcher Geschichten hat eine negative Wirkung auf das Demokratieverständnis der Menschen. Es ist schwer eine einzelne herauszugreifen, weil viele Geschichten auf ganz unterschiedliche Weisen schlimm sind und negative Folgen haben.

Hat Bildblog also eine wichtige Rolle innerhalb der Medienlandschaft?

Ja, sonst würde ich es nicht machen. Wir sind nicht der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Medienlandschaft, aber ich hoffe, dass wir nicht ganz so unwichtig sind und ein kritisch-skeptisches Verhältnis gegenüber der Bild und den Medien insgesamt herzustellen. Das gilt auch für den transparenten Umgang mit eigenen Fehlern. Manchmal höre ich von Journalisten, dass sie Angst haben, für irgendwas, was sie machen, bei Bildblog an dem Pranger zu kommen. Wenn Bildblog es schafft, das Journalisten zweimal über etwas nachdenken, bevor sie es veröffentlichen, ist das eine tolle Wirkung.

Vielen Dank für das Gespräch!

von Max Mayer
   

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