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18.01.2011

Wer bezahlt den Klimawandel?

Indische Kleinbauern lernen sich selbst und der Umwelt zu helfen

Stolz führt uns Kleinbauer Venkatesh über sein Linsenfeld durch ein grünes Dickicht. Pralle Schoten versprechen eine gute Ernte. Doch Rammanji interessiert sich heute mehr für die Anbaumethode. In Indien findet gerade eine Agrarwende statt.

Von Johannes Eberenz aus Buchaepalli (Indien)

Stolz führt uns Kleinbauer Venkatesh über sein Linsenfeld durch ein grünes Dickicht. Pralle Schoten versprechen eine gute Ernte. Doch Rammanji, der mit mir in das kleine Dorf Buchaepalli im südindischen Bundesstaat Andrah-Radesh gefahren ist, interessiert sich heute mehr für die Anbaumethode.

Rammanji arbeitet als Koordinator für nachhaltige Landwirtschaft bei der „Social Education and Development Society“ (SEDS), einer lokalen Nichtregierungsorganisation. Er fragt Venkatesh wie viel Kunstdünger er pro Hektar verwendet hat. „Nur einen halben Sack. Viel weniger als sonst“, versichert Venkatesh. Ein freiwilliger Helfer aus dem Nachbardorf vermisst mit einem GPS-Gerät die Felder. Die vergangenen Jahre waren schwer für Venkateshs Familie. Zweimal hintereinander waren die Erdnussernten miserabel, weil der Regen nicht rechtzeitig kam. „Ich musste einen Kredit aufnehmen, weil die Erlöse nicht einmal für Dünger, Pestizide und Saatgut ausreichten.“

Die Erdnüsse wurden auch dieses Jahr nichts. Für sie kam der Regen zu früh. Doch stattdessen pflanzte Venkatesh auf den meisten Feldern rote und grüne Linsen sowie eine lokale Getreidesorte. Gespritzt hat er nur ein selbst gebrautes Pflanzenschutzmittel aus den Blättern des Niembaums. Der gemischte Anbau unterschiedlicher Pflanzen wirkt wie eine natürliche Versicherung gegen unzuverlässige Niederschläge. Gleichzeitig bereichert dies den Speiseplan der Familie. Bei steigenden Lebensmittelpreisen ist das ein wichtiger Nebeneffekt.
Für Venkatesh bedeutet das nicht nur weniger Kosten und Bodendegeneration, sondern auch wesentlich weniger Treib­hausgasemission als konventionelle Landwirtschaft. Genau darum geht es Rammanji und Venkatesh heute: Denn für diese Einsparung wird Venkatesh sich zukünftig bezahlen lassen.

Über Jahrhunderte hatten sich Bauern wie Venkatesh an das Monsunklima angepasst. Doch seit der „Grünen Revolution“ in den 1960er Jahren fördert die indische Regierung eine intensivierte Landwirtschaft. Subventionen und die Aussicht auf schnellen und einfachen Gewinn verführen die Kleinbauern zum Einsatz von großen Mengen an Dünger und Pestiziden. Die Folgen für die lokalen Ökosysteme sind fatal, da es durch die hohen Mengen an Pestiziden zur Zerstörung der Böden kommt. Gleichzeitig werden viel mehr Treibhausgase produziert.
Wenn alle rund 250 Millionen Kleinbauern weltweit auf diese intensive Art der Landwirtschaft umstellen würden, würden die Treibhausgasemissionen explodieren.

Schon die aktuellen Klimaveränderungen machen die Existenz als Kleinbauer zum alljährlichen Glücksspiel. Auf den regelmäßigen Wechsel von Monsunregen und Trockenheit können sie sich immer weniger verlassen. Bleiben die Ernten aus, müssen sie sich verschulden. Geldverleiher, die oft zugleich Saatgut verkaufen, Chemikalienabnahme vertreiben und den Bauern die Ernte abkaufen, diktieren die Bedingungen. Der Druck auf die Bauern steigt.

Als letzten Ausweg trinken viele Kleinbauern jene Gifte, die eigentlich die Insekten auf den Feldern töten sollen. Andrah Pradesh gehört zu den fünf indischen Bundesstaaten mit der höchsten Selbstmordrate. 2008 haben sich dort zusammen beinahe 70.000 Kleinbauern das Leben genommen. Das sind mehr als doppelt so viele Selbstmorde, wie in allen restlichen indischen Bundesstaaten zusammen verübt werden.

Seit Jahren fördern lokale Organisationen wie SEDS deshalb nachhaltige Anbaumethoden, die das örtliche Ökosystem schonen und die Existenz der Bauern sichern. Doch mit den Effekten des Klimawandels kommt eine globale Demission hinzu. Warum sollten ausgerechnet Kleinbauern wie Venkatesh dabei helfen die Treibhausgas-Emissionen zu verringern? Verglichen mit den meisten anderen Menschen auf der Erde, tragen sie fast nichts zum Klimawandel bei. „Den einfachen Lebensstil mit Klischees zu glorifizieren wird nicht funktionieren. Niemand kann von den Kleinbauern verlangen, für immer arm zu bleiben und die Welt vor dem Klimawandel zu retten“, glaubt auch SEDS-Koordinator Rammanji. „Die traditionell nachhaltige Landwirtschaft muss sich auch finanziell lohnen.“ 2010 wurden Emissionszertifikate im Wert von 136 Milliarden US-Dollar verkauft.

Viel Geld fließt dabei auch in die Länder des „Globalen Südens“. Doch die Ärmsten sehen meist nichts davon. Genau hier setzt das „Fair Climate Network“ (FCN) an. Das Bündnis verschiedener Nichtregierungsorganisationen will Kleinbauern den Zugang zum Emissionsmarkt ermöglichen. Fünf Landwirtschaftsprojekte sind geplant, von denen mehr als 10.000 Farmer in Südindien profitieren sollen. Neben der nachhaltigen Landwirtschaft gibt es auch Aufforstungsprojekte, die nicht nur die Kohlenstoffdioxid speichernde Biomasse erhöhen, sondern auch helfen sollen, den sinkenden Grundwasserspiegel zu stabilisieren. Außerdem wurden mehr als 20.000 Biogasanlagen gebaut, weitere 20.000 sind in der Vorbereitung. „Alles mit Geld aus dem CO2-Handel. Davon profitieren vor allem die Frauen, die dadurch weniger Brennholz sammeln und weniger Rauch einatmen müssen“, erklärt Rammanji. Wenn die Anlagen in sieben Jahren abbezahlt sind, gehen die Erlöse aus den Emissionszertifikaten direkt an die Familien.

Ein einziger Bauer hat mit seinem kleinen Beitrag keine Chance im globalen Klimazertifikatshandel. Deshalb agieren die Nichtregierungsorganisationen als Vermittler, das „Fair Climate Network“ stellt Experten für die komplexen Berechnungen. Über Selbsthilfegruppen werden die Kleinbauern jedoch direkt eingebunden. Sie verstehen den Mechanismus und sind an der Datenerhebung beteiligt. Als Hauptakteure wissen sie, dass sie einen Vertrag abgeschlossen haben und keine Empfänger von Transferzahlungen sind.

Ich frage Venkatesh, warum er bei dem Projekt mitmacht. Sein Bruder sagt, er sei schon vor drei Jahren umgestiegen. Am Anfang wuchs auf dem ausgelaugten Boden ohne Kunstdünger wenig. Jetzt sind die Ernten wieder ertragreicher. „Mit dem Geld für die CO2-Reduktion werde ich diese Umstellung überbrücken“, hofft Venkatesh.

   

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