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27.06.2011

Auf den Hund gekommen

Vietnamesischer Alltag mit Propaganda, Falschgeld und Köstlichkeiten

Straße in Hanoi

Straße in Hanoi
Foto: Dinkum, Wikimedia Commons

Wenn man Vietnam hört, denken viele an den Vietnamkrieg und dessen schreckliche Ereignisse zurück. In jüngster Vergangenheit aber macht das Land besonders als Urlaubsparadies mit goldfarbenen Stränden und azurblauem Himmel von sich reden.

von Stephanie Müller, Hanoi (Vietnam)

Dieses Vietnam gibt es: in speziell geschaffenen Ressorts, in Werbefilmen und auf Postkarten! Im Alltag ist nicht viel zu spüren von der Ruhe und der Entspannung, die die Urlauber am Strand erleben. Das Land ist im Aufbruch, überall wird gebaut. Ein Hochhaus nach dem anderen wird in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem wirtschaftlichen Zentrum des Landes, aus dem Boden gestampft. Ständiger Lärm prägt die Geräuschkulisse der Städte. Ruhig ist es in diesem Land eigentlich nie, außer man gönnt sich einen Urlaub in einem der unzähligen Ressorts.

Der Vietnamkrieg hat tiefe Spuren hinterlassen: Das damals in einen Nord- und einen Südteil gespaltene Land durchziehen auch nach der Vereinigung große Unterschiede: Das Stadtbild der Hauptstadt Hanoi im Norden ist stark geprägt von den kommunistischen Regierungs- und Parteigebäuden, dem Ho-Chi-Minh- Mausoleum sowie der Omnipräsenz der vietnamesischen Landesflagge. Ho-Chi-Minh-Stadt, früher Saigon genannt, besticht durch seine zahlreichen Hochhäuser und westlichen Unternehmen. 

Doch eines haben beide Landesteile gemeinsam: die uneingeschränkte Verehrung ihres Ãœbervaters Ho Chi Minh, der Vietnam von der kolonialen Herrschaft befreite. Obwohl er bereits 1969 starb, ist sein Gesicht noch heute auf jedem Geldschein zu sehen. Ihn gibt es als unzählige Statuen und Büsten in öffentlichen Gebäuden, in Tempeln und auf Plakaten. In kaum einem Haushalt fehlt ein Bild von „Onkel Ho“. Kritik an ihm ist nicht einmal denkbar. „Jeder Vietnamese, ob jung oder alt, muss einmal im Mausoleum von Onkel Ho gewesen sein“, erklären mir vietnamesische Arbeitskollegen. 

Er war es auch, der im Mai 2011 auf Plakaten für die Parlamentswahl die Menschen anstrahlte und dazu aufrief, wählen zu gehen. Das Gesicht des aktuellen Staatschefs Nguyen Tan Dung war auf keinem Plakat zu sehen – nur Ho Chi Minh wird diese Ehre zuteil. Das Wort „Wahl“ gerät in einem Einparteienstaat mit Überwachung, Kontrolle und Verfolgung von Kritikern zu einer Farce. Trotzdem ertönte in den vergangenen Wochen jeden Morgen pünktlich um 7:30 Uhr auf den Straßen eine Lautsprecherdurchsage. Begleitet von einem sozialistischen Lied über Brüderlichkeit, Einheit und Arbeitsbereitschaft, erklärt die Durchsage ausführlich den Ablauf und die Regularien der Wahl.

Die Kontrollversuche der Partei scheinen die Menschen in ihrem Alltag wenig zu beeinflussen. Ab sechs Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit sind die Fußwege voller Menschen und von Mopeds zugeparkt. Den wenigen restlichen Platz auf den Gehsteigen nehmen viele kleine Garküchen ein. Neben der im ganzen Land sehr geschätzten „Pho“, einer Nudelsuppe, die zu jeder Tageszeit und Temperatur gegessen wird, lieben Vietnamesen Fleisch. Dabei gibt es einige Gerichte, die europäisch erzogene Geschmackssinne herausfordern: Katzen- und Hundefleisch oder auch Stachelschwein, Schildkröten, Fledermäuse sowie halbgebrütete Küken in Eiern stehen regelmäßig auf dem Speiseplan. 

Obwohl die meisten Vietnamesen angeben, Atheisten zu sein, spielen religiöse und kultische Zeremonien eine wichtige Rolle im Alltag. In vielen Häuser und Geschäften sind kleine Schreine zum Beten aufgestellt und für die Ehrung der Ahnen auf. Spannend zu beobachten ist das Ritual, in einem der zahlreichen Tempel und Pagoden Falschgeld vor den Göttern zu verbrennen. Das soll sie gnädig stimmen und lang gehegte Wünsche erfüllen. 

Es gibt ein starkes Gefälle zwischen Arm und Reich, das in den großen Städten jedoch kaum auffällt und auch nicht auffallen soll: Denn Betteln ist in Vietnam verboten und die Polizei entfernt Obdachlose und Bettler gleich aus dem Stadtbild. Alle, die es sich leisten können, zeigen aber gerne offen ihren Wohlstand. Und so schleichen riesige Landrover, Mercedes S-Klasse-Limousinen, Ferraris und Porsches durch die Stadt – die sich alle an das offizielle Tempolimit von 35 km/h halten.

Dem eifern viele nach, denn der materielle Status ist wichtig für die soziale Anerkennung. Das passt zu den Worten, die Revolutionsführer Ho Chi Minh einmal gesagt hat und die seit der Unabhängigkeit Vietnams nichts an ihrer Gültigkeit verloren haben: „Unser Leben ist jetzt viel besser, aber Vietnam bleibt ein sehr armes Land. Wir müssen viel härter arbeiten.“

   

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