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 StudiLeben
10.05.2011

Zwei Perspektiven auf Fukushima

Wie unterschiedlich Japaner und Deutsche auf die Katastrophe reagieren

Welche Erfahrungen macht die Heidelberger Studentin Anna-Sofie Schilling an ihrer Austauschuniversität in Kyoto? Wie geht die größte japanische Gemeinde Deutschlands mit der Katastrophe im Heimatland um?

Welche Erfahrungen macht die Heidelberger Studentin Anna-Sofie Schilling an ihrer Austauschuniversität in Kyoto? Wie geht die größte japanische Gemeinde Deutschlands mit der Katastrophe im Heimatland um?

Das stärkste jemals gemessene Erdbeben in Japan, der gewaltige Tsunami und die Katastrophe in Fukushima hinterlassen selbst im 9000 Kilometer entfernten Düsseldorf ihre Spuren. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt ist Heimat der größten japanischen Gemeinde Deutschlands. Europaweit beherbergen nur London und Paris mehr Japaner als die Rheinmetropole. Düsseldorf hat mehrere japanische Kindergärten, eine japanische Schule, eine Vielzahl angesiedelter japanischer Unternehmen und Führungskräfte.

Die fast 7000 Japaner prägen das Stadtbild Düsseldorfs entscheidend mit. Die Informationen aus der fernöstlichen Heimat erhalten in Düsseldorf eine zusätzliche Dimension. Die deutsche Diskussion über den Atomausstieg wird von der Mehrheit der Japaner verfolgt, doch steht sie hier nicht im Vordergrund. Die Sorge um das Wohlergehen der Familienmitglieder in der Heimat dominiert Wochen nach dem Unglück eindeutig, wenn auch nur unterschwellig.

In der Immermannstraße im Zentrum Düsseldorfs ist es stiller geworden. Dort, wo man alles auf Japanisch erledigen kann, vom Besuch beim Metzger über den Kleiderkauf bis zum Abschließen eines Handyvertrags. Eine japanische Studentin der Kunstakademie Düsseldorf erzählt, es werde nicht viel über die Katastrophe geredet. Jeder komme auf seine eigene Weise mit den Geschehnissen zurecht – viele würden die Ruhe suchen und sich in Geduld üben.

Ganz wichtig sei der Kontakt nach Hause – gerade weil Deutschland so weit weg sei und man den Nahestehenden nicht direkt helfen könne. Die Ungewissheit über die Folgen der Katastrophe und die Angst vor einem zweiten Tschernobyl trage selbst hier in Deutschland jeder mit sich.

Aufgrund dieser Unsicherheit verließen Ausländer in Scharen das Land. Auch der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD) flog Heidelberger Studierende aus Japan aus. Während sich im Westen die Negativschlagzeilen überboten, war in Japan vor allem eines zu spüren: starker Zusammenhalt.

Eine, die es wissen muss, ist Anna-Sofie Schilling, Mathematik-Studentin in Heidelberg. Sie befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks in Kyoto, das etwa 550 Kilometer südwestlich des Atomkraftwerks in Fukushima liegt. „Vom Unglück selbst habe ich erst in den Nachrichten erfahren“, berichtet Schilling. Bereits am nächsten Tag sei eine große Solidarität zu spüren gewesen. Am Morgen nach dem Tsunami standen schon einige Studenten an einer Hauptkreuzung in Kyoto und sammelten Spenden für die Opfer.

 Zudem war die Berichterstattung über das Unglück eine andere als in Deutschland. Zwar informierten die japanischen Medien auch über Nachbeben und die Folgen der Katastrophe, doch gab es auch immer wieder erfreuliche Nachrichten, beispielsweise über Freunde, die sich wiedergefunden hatten oder eine Frau, die kurz nach der Katastrophe ihr Kind zur Welt gebracht hatte.

Anfang Mai wurde in Japan die Goldene Woche begangen. In dieser Zeit folgen mehrere Feiertage aufeinander, was die Japaner oft für einen längeren Urlaub nutzen. Anstatt die Koffer zu packen, boten viele Japaner Hilfe in den Katastrophengebieten an. Manche Universitäten ließen sogar die Vorlesungen ausfallen, damit die Studenten dort helfen konnten. Diese Hilfsbereitschaft beeindruckte Schilling.

Allerdings bemängelt die Heidelberger Studentin das falsche Bild, das die westlichen Medien ihrer Meinung nach über die Katastrophe in Japan zeichnen. Es entstehe der Eindruck, dass die Katastrophe ganz Japan betreffe. Das sei falsch, betont Schilling weiter. Von der Fläche her ist Japan ungefähr so groß wie Deutschland, nur ist die Ausdehnung ungleich länger: Vom Südwesten bis Nordosten misst Japan weit mehr als 2000 Kilometer. Schilling zufolge sei es wichtig, zwischen dem stark betroffen Norden und dem wenig bis kaum betroffenen Süden zu unterscheiden.

Verwunderlich für viele Japaner sei es, dass so viele Ausländer das Land verlassen – obwohl sie weit vom betroffenen Krisengebiet entfernt leben. Solidarität mit den Japanern ist auch in Heidelberg zu spüren. So starteten einige Japanologie-Studenten eine Spendenaktion für die Tsunamiopfer. Mehrmals sammelten sie am Bismarckplatz und in der Hauptstraße und während der Japan-Tage im April.

Mit den Einnahmen aus Flohmarkt am Marstall kamen knapp 18.000 Euro zusammen, die an das Japanische Rote Kreuz fließen sollen. Auch der DAAD meldet Erfreuliches: Einige Studenten, welche nach der Katastrophe ausgeflogen worden sind, studieren mittlerweile wieder an ihrer Austauschuniversität in Japan.

von Thomas Leurs und Michael Madry
   

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