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30.05.2011

Ein Märchen wird bar

Die königliche Hochzeit kurbelt die britische Wirtschaft an - und schweißt zudem das Volk zusammen

Den 29. April 2011 erklärte man in Großbritannien zum nationalen Feiertag und zelebrierte das seit Monaten vorbereitete royale Großereignis: die Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton.

Den 29. April 2011 erklärte man in Großbritannien zum nationalen Feiertag und zelebrierte das seit Monaten vorbereitete royale Großereignis: die Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton.

Von Christine Buch aus London (Großbritannien)

Langsam schiebt sich die träge Masse vorwärts. Ein Meer von Menschen, gekleidet in Nationalfarben und bestückt mit unzähligen Wimpeln, Bannern und der Union Jack, die offizielle Flagge des Vereinigten Königreichs von Großbritannien. Ein Entkommen gibt es hier nicht. Alles drängt in Richtung Buckingham Palace, jenem steinernen Symbol der royalen Monarchie. Seitdem Königin Viktoria 1837 den Thron bestieg, ist er die offizielle Residenz britischer Monarchen.

Die Stimmung ist zum Zerreißen gespannt. Eine gespenstische Ruhe liegt über dem Heer wartender Menschen. Dann endlich zeigen sich der Prinz und seine Braut, treten auf den in festliches Purpur gehüllten Balkon hinaus und geben sich den vom Publikum sehnsüchtig erwarteten Kuss. Auf einen Schlag entlädt sich die immense Anspannung. Der überwältigend tosende Jubel bricht wie eine Welle über mir zusammen. So ausgelassen erlebt man das für seine Biederkeit und Zurückhaltung bekannte englische Volk selten. Dieser märchenhafte Moment lässt uns für eine Weile in eine fremde Welt eintauchen.

Die Realität hingegen zeichnet ein anderes Bild. Das britische Empire steckt nach der Finanzkrise 2008 und 2009 den teuren Rettungsaktionen der angeschlagenen Banken in der schwersten ökonomischen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die konservativ-liberale Regierung unter Premierminister David Cameron versucht den Haushalt durch strenge Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen und den Abbau von 500.000 Jobs im öffentlichen Dienst zu sanieren.

Obwohl die Königsfamilie die Hochzeit an sich selbst ausrichtet, zahlt der Steuerzahler für dieses Großereignis: Allein der Polizeieinsatz soll bis zu 23 Millionen Euro kosten. Hinzu kommen die Kosten für Müllentsorgung und Reinigung, der Spuren von knapp einer Million Gäste, die Hochzeit live vor Ort erlebt haben. Das Londoner Fremdenverkehrsamt bestätigt, was man hier auf den Straßen mit eigenen Augen beobachten kann: Die Monarchie ist noch immer die wichtigste Attraktion für ausländische Touristen.

Doch neben den Kosten leisten die zahlreichen Schaulustigen einen entscheidenden Beitrag zum Ankurbeln der britischen Wirtschaft. Allein die zahlreichen Andenkenhändler machen mit der königlichen Hochzeit das Geschäft ihres Lebens. Nach Schätzungen britischer Marktforscher erlöst allein der Verkauf von "Kate&William"-Merchandising-Produkten bis zu 20 Millionen Euro. Produkte, die übrigens fast alle in China produziert werden. Die schier endlose Palette reicht dabei von bestickten Sofakissen bis hin zu Kotztüten. Ein Großteil der Produkte ist bereits am Tag vor der Trauung ausverkauft. Nur wenige findige Straßenhändler haben sich einige Exemplare der "Union Jack", so nennt man die Nationalflagge Großbritanniens, aufbewahrt. Am Morgen der Hochzeit kaufen in die Stadt strömenden Touristen diese zu völlig überhöhten Preisen.

Neben den immensen Gewinnen der Händler hat die königliche Eheschließung einen weiteren deutlich spürbaren Mehrwert, gerade für die heterogene Bevölkerung der Hauptstadt: ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Einwohner Londons bislang nicht gekannt haben.

Aufgeregt stehen Avi und Gail Tchiprout vor ihrem Haus im Londoner Stadtteil Ealing. Die Fassade haben sie mit Union Flags geschmückt haben. „War das nicht einfach traumhaft?“ Ihr Stolz ist nicht zu überhören. „Am meisten freut uns, dass unsere Kinder ein Ereignis von solch nationaler Bedeutung miterleben können. Endlich fühlen sie sich als das, was sie in erster Linie, ganz unabhängig von ihrem Herkunftsland sind: Engländer.“ In britischen Schulen wird diese Zusammengehörigkeit unterbunden. Hier legt man großen Wert darauf, die Herkunft und auch religiöse Unterschiede der Schüler deutlich zu machen.

Miri Tchriprout ist sieben Jahre alt und besucht eine Schule nicht weit vom Elternhaus entfernt. Hier wird jedes religiöse Fest, ob Ostern, Pessach oder Ramadan, mit allen Schülern gefeiert. Am ersten Tag nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan haben alle schulfrei - selbst Miri, die Jüdin ist. „Da so viel Wert auf das Zurschaustellen der Multikulturalität gelegt wird, verlieren wir etwas immens Wichtiges aus dem Blick: unsere Gemeinsamkeiten. Und das ist in erster Linie, dass wir alle, die in diesem Land leben, Engländer sind."

Auch die Union Flag sehe man selten. Sie werde in den Straßen nur zu besonderen Anlässen gehisst. "Manchmal haben wir das Gefühl, eine Art Nationalstolz zur Schau zu stellen ist regelrecht verboten", kritisiert Avi. Das hängt auch heute noch mit der Rolle des "British Empire" in der Zeit der Kolonialisierung zusammen. Dabei sind das doch längst vergangene Zeiten! Deshalb finden wir Tage wie heute so wichtig: Weil alle Briten gemeinsam, egal woher sie stammen oder welchen Glauben sie haben, feiern können, stolz sein können und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln.“

   

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