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 Wissenschaft
08.11.2011

Studiengebühren doch kein Hindernis?

Neue Studie stellt keine Abschreckung fest

Studiengebühren: Hindernis oder nicht?

Studiengebühren: Hindernis oder nicht?
Foto: Helmut Wegmann / pixelio.de

Studiengebühren schrecken ab. Stimmt das? Eine aktuelle Studie des Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin fand keine Hinweise darauf, dass die Studierneigung von Abiturienten durch Gebühren gemindert wird.

In Deutschland gibt es Studiengebühren erst seit wenigen Jahren. Ganze dreißig Jahre lang war das Studium in Deutschland gebührenfrei. 2005 kippte das Bundesverfassungsgericht ein geplantes Gebührenverbot der damaligen rot-grünen Bundesregierung, da es in die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer eingreife. Seitdem sind die Gebühren Ländersache. Sieben Bundesländer – Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland – führten daraufhin Studiengebühren von zumeist 500 Euro pro Semester ein.

Unter Studenten brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los. Es kam zum Bildungsstreik, zu Großdemonstrationen und Hörsaalbesetzungen. Studiengebühren beherrschten Medien und Landtagswahlkämpfe. Gleich zwei Studien untermauerten zunächst die Vermutung, dass die „Unimaut“ die Studierneigung negativ beeinflusst. Bei der ersten Studie handelte es sich um eine Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) aus dem Jahr 2008. Sie untersuchte, ob Studienberechtigte, die sich gegen ein Studium entschieden hatten, in Studiengebühren einen Grund für ihre Entscheidung sahen.

Tatsächlich stellte die Studie eine Abschreckung von 1,4 bis 4,4 Prozent der Studienberechtigten des Jahres 2006 fest, in ganzen Zahlen immerhin 6000 bis 18.000. Bei jungen Frauen und Jugendlichen aus nichtakademischen Haushalten sei die Abschreckungswirkung besonders hoch. Sechs Prozent gaben an, gezielt an eine Hochschule gehen zu wollen, an der keine Gebühren verlangt würden – die sogenannte „Gebührenflucht“.

Die HIS-Studie wurde jedoch vielfach kritisiert: Allein die Fragestellung lege nahe, den Studienverzicht mit Studiengebühren zu begründen, obwohl vielleicht ganz andere Gründe eine Rolle gespielt haben.

Auch die zweite Studie ist umstritten. Die Untersuchung der Universität Mannheim basierte auf Daten des Statistischen Bundesamtes und stellte ebenfalls einen negativen Effekt der Gebühren fest. Doch sie erfasste nur jene Studienberechtigten, die in gleichen Jahr ihr Studium begannen, in dem sie die Hochschulzugangsberichtigung erlangten. Ein Großteil der jungen Männer, die erst noch Wehr- und Zivildienstes leisteten, wurden so nicht erfasst.

Die neue WZB-Studie verfolgt einen anderen Ansatz: das „Difference-in-differences“-Verfahren. Das Verfahren gilt unter Sozialwissenschaftlern als die am besten geeignete Methode, um Folgen von Gesetzesänderungen zu beurteilen. Dabei werden zwei Gruppen mit gleichen Ausgangsbedingungen beobachtet, von denen eine beeinflusst wird.

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass man die Entwicklung der Studierneigung in den Bundesländern mit Gebühreneinführung mit der in den anderen verglichen hat, und zwar mit Erhebungen jeweils vor und nach der Einführung. Die Autoren werteten hierfür Daten aus der HIS-Studie erneut aus. Die Entwicklung in den Ländern ohne Studiengebühren wurde auf die anderen Länder umgerechnet, um deren „Normalverlauf“, also die vermutliche Entwicklung ohne die Einführung der Studiengebühren, abzuschätzen. Diesen Schätzwert verglichen sie dann mit der tatsächlichen Entwicklung.

Im Gegensatz zu den früheren Studien konnten die Autoren so keineswegs einen Rückgang an Studienanfängern in den Ländern mit Studiengebühren feststellen. In der Tendenz entwickelte sich die Anzahl der Erstsemester in diesen Ländern sogar überdurchschnittlich. Die Autoren folgerten daraus, dass zumindest die bisher üblichen Gebühren von maximal 500 Euro die Studierneigung nicht negativ beeinflussen. Eine mögliche Erklärung hierfür sei die Erwartung, durch eine bessere Studienqualität ein Studium eher erfolgreich zu absolvieren und durch die Signalwirkung später höhere Chancen am Arbeitsmarkt zu haben.

Trotz des methodisch etablierten Vorgehens wird aber auch die WZB-Studie kritisiert. Sie untersuche nur die Studierneigung, aber nicht, wer auch wirklich ein Studium beginnt. Die Ergebnisse könnten dadurch verfälscht werden, dass sich viele Abiturienten noch keine Gedanken über ihre Studienfinanzierung machen, ja einige sich nicht einmal wirklich im Klaren darüber sind, dass sie Studiengebühren bezahlen müssen. Zwar wäre eine Ausweitung der Befragung durch eine entsprechende Nachuntersuchung sicher aufschlussreich gewesen. Die Autoren verweisen jedoch auf Parallelbefragungen aus den Vorjahren, die eine hohe Übereinstimmung von Studienabsicht und Studienbeginn belegen.

Doch ob sie nun viele vom Studium abhalten oder nicht, Studiengebühren bleiben ein Streitthema. Unter den Studierenden sind die Gebühren so unbeliebt, dass einige Länder bereits reagiert haben. Hessen, Hamburg und das Saarland haben die Gebühren wieder abgeschafft.

In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen steht die Abschaffung bevor. Und auch in Bayern wird mittlerweile darüber nachgedacht. Sollten die Studiengebühren weniger als ein Jahrzehnt nach ihrer Entstehung wieder verschwinden, hätte sich diese Diskussion ohnehin erübrigt.

von Michael Abschlag
   

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