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 ProContra
16.07.2012

Geht der Nationalstolz im Sport zu weit? Ja.

Fähnchen oder Faschismus - Pro/Contra

Andrea Leschik / Foto: privat

Sportliche Großveranstaltungen wie die Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele lösen alle paar Jahre eine Welle der Euphorie nicht nur bei Sportfans aus. Ganz Deutschland fühlt sich verbunden mit der Mannschaft und stellt das auch bereitwillig mit Fähnchen und Gesängen zur Schau.   

JA

Andrea Leschik - Mitglied des Antidiskriminierungsreferats

Die Frage ist weniger, ob der Nationalstolz zu weit geht, für mich geht es zuerst darum, zu verstehen, warum die großen Fußballturniere überhaupt als nationale Ereignisse verstanden werden können. Anders gesagt: Was habe ich davon, wenn Samed Superkicker (in unseren Köpfen heißt er wohl eher „Peter“ und das ist Teil des Problems) gut spielt oder ein Tor schießt? Das ist nicht selbsterklärend: Ich komme morgens ja auch nicht vom Bäcker zurück und bin stolz auf Deutschland, weil es der Großbäckerei wieder gelungen ist, außergewöhnlich runde Brötchen zu backen.
Wie also kommt es dazu, dass der Erfolg oder Nichterfolg einer meist männlichen Fußballauswahlmannschaft „uns“ alle betrifft?
Die Nation ist ein Konstrukt der beginnenden Neuzeit. Auf die Frage „Wer gehört dazu?“ gibt der Nationalismus in Deutschland die Antwort: „Diejenigen, die qua Geburt (lat: natio) schon immer hier waren.“ Im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht wirkt diese Vorstellung noch mit der Orientierung am „jus sanguinis“, also der Idee der Abstammung, nach. Der Tatsache, dass die deutsche Gesellschaft, zum Beispiel durch Migration, heute schon längst anders konstituiert ist, wird hierbei keine Rechnung getragen. Stattdessen wird weiterhin ein nicht mehr zeitgemäßes Konzept der Nation vertreten und unter anderem durch große Sportereignisse am Leben erhalten und gepflegt.
In den letzten Jahren scheint der Nationalstolz der Menschen in Deutschland mit Großveranstaltungen wie WM und Olympia gestiegen zu sein. So war auch dieses Jahr wieder ein Meer an schwarz-rot-goldenen Fahnen an Autos und Balkonen zu sehen - und hunderte von Menschen in den Trikots der deutschen Mannschaft. Dieser zur Schau getragene Nationalstolz – ob nun oberflächlich oder nicht – ist gefährlich. Aus der nationalen Identifikation ohne besonderen Hintergrund ergibt sich ein Sammelbecken für rechtsextreme und antidemokratische Parolen, wie sie auch während dieser EM von Fans zu hören waren. Hinzu kommen extreme Ausschreitungen wie nach der Niederlage gegen Italien, als italienische Fans sogar körperlich verletzt wurden. Oft treten gerade Personen, die sich außerhalb dieser Großereignisse nicht für Sport interessieren, hier in Erscheinung und schließen sich den Massen an. Weil es auf einmal legitim ist, hinterfragen sie, warum Özil für Deutschland spielt und nicht für die Türkei und kritisieren ihn, wenn er schlecht spielt. Das Schlimmste an diesem oberflächlichen Nationalstolz ist jedoch, dass andere Probleme der am Turnier teilnehmenden Länder in den Hintergrund geraten. Das Gesamtkonstrukt des Nationalstolzes birgt bei derartigen Events immer die große Gefahr des Missbrauchs und der Vereinnahmung, da nationalkritische Stimmen zu dieser Zeit nicht gern gehört werden. Ebenso besteht die Gefahr einer Ritualisierung von Ereignissen wie dem Singen von Hassparolen bei jedem Spiel, das langfristig zu einer Normalisierung führen kann, ohne dass das hinterfragt wird.
Insgesamt frage ich mich, worauf ich als Teil eines gedachten „Wir“ stolz sein kann und meine, dass dies weniger sportliche Leistungen in national ausgerichteten Wettbewerben sein sollten, als eine gelingende Demokratie und eine wirklich gleichwertige Behandlung aller. Es wäre bedeutsamer, auf Errungenschaften eines Gemeinwesens zu blicken – und das geht auch ohne das Konstrukt der Nation.

 


Zum selben Thema haben wir Heidelberger Studenten befragt. Ihre Antworten findet ihr hier.

   

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