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 Heidelberg
15.06.2012

Auf Streife durch die Untere Straße

Eine Nachtschicht lang unterwegs mit der Polizei durch die Altstadt

Blaulicht am Bismarckplatz: Eine ganz normale Nachtschicht für die Beamten. / Fotos: Benjamin Jungbluth

Sie sorgen in Heidelberg für Ruhe und Sicherheit, wenn alle anderen am Feiern sind: Die Polizisten vom Revier Mitte sind an den Wochenenden vor allem rund um den Bismarckplatz und in der Altstadt unterwegs. Der ruprecht hat eine Nacht lang eine Streife begleitet.  

Die junge Studentin zieht nervös an ihrer Zigarette. „Das kann doch nicht sein! Sowas kann doch einfach nicht sein!“ murmelt sie mit weit aufgerissenen Augen in sich hinein. Ihr Freund stützt sich neben ihr an den Streifenwagen. Seine weißen Chucks sind blutverschmiert, an seine geschwollene Lippe presst er sich eine rot angelaufene Mullbinde, die ihm gerade ein Sanitäter gegeben hat. Sein Blick ist immer noch panisch. Die Schlange vor der Tangente reißt unterdessen nicht ab, einzelne Mädels mit deutlich zu kurzen Röcken glotzen das Studentenpärchen aus Bayern an. Während Kommissar Ammer die Daten eines der Türsteher aufnimmt, unterhält sich seine Kollegin Dillenberger mit den zwei Mitarbeitern des Ordnungsamtes: „Wie jetzt, du fliegst nächste Woche schon wieder in Urlaub? Ihr hattet doch letztes Jahr schon Ferien!“ Die drei lachen laut. Es ist ein eher ruhiger Abend heute in der Altstadt.

  Die Nachtschicht beginnt um 19 Uhr

Sieben Stunden zuvor: Die Nachtschicht beginnt pünktlich um 19 Uhr. Freitagabend, kurz nach Christi Himmelfahrt, es nieselt. Kommissar Ammer lehnt entspannt an einer abgenutzten weißen Schrankwand im Revier Mitte. Es ist stickig im Monitorraum, die Lüftung hat noch nie richtig funktioniert. Die Vorgänger-Schicht schildert gerade die Lage in der Stadt. Bislang ist alles ruhig, nur in einer der Ausnüchterungszellen liegt noch ein Obdachloser. Über zwei Promille hat der Arzt gemessen. Als die Spätschicht zu einer bewusstlosen Frau aus seiner Gruppe wollte, ist er die Beamten angegangen. Jetzt liegt er friedlich auf seiner Holzbank. Der Beamte an den Monitoren glaubt nicht, dass er die Nacht nochmal Streit sucht, einmal in der Zelle schläft er für gewöhnlich in Ruhe seinen Rausch aus. Man kennt sich.

Polizeikommissar Ammer packt unterdessen seine Ausrüstung zusammen. Braungebrannt und drahtig sieht man ihm seine regelmäßigen Nachtschichten nicht an. Mit seinen 41 Jahren ist er einer der ältesten hier. Die meisten Kollegen lassen sich irgendwann aufs Land versetzen, da ist die Schichtarbeit erträglicher.

Kollegin Dillenberger legt noch ihre Schussweste an, ihre langen schwarzen Haare fallen offen über den Polizei-Schriftzug auf ihrem Rücken. Die 35-jährige Beamtin stopft ihre restliche Ausrüstung in zwei große, dunkelblaue Sporttaschen, dann machen sich beide auf den Weg durch das verwinkelte Gebäude in die Tiefgarage, vorbei an neonbeleuchteten Dienstzimmern, in denen die Vorgänger-Schicht immer noch Zeugen vernimmt. Hauptmeisterin Dillenberger verstaut die Sporttaschen im Kofferraum des VW-Busses. Neben Warnleuchten und Feuerlöschern ist allerdings kaum mehr Platz, seit die Notfallkoffer für Amokläufe in jedem Streifenwagen liegen müssen. Die Erweiterungen für die Schusswesten und die Gefechtshelme sind einfach zu sperrig.

  Der Streifenwagen als Fotomotiv

Am Bismarckplatz und in der Hauptstraße sind um kurz vor 20 Uhr noch viele Leute mit Einkaufstüten unterwegs. Dazu kommen Familien und scharenweise Touristen. Der Streifenwagen ist ein beliebtes Fotomotiv, ansonsten gibt es nichts zu tun. Also geht es vom Marktplatz wieder in Schrittgeschwindigkeit zurück. Unterwegs macht Kommissar Ammer noch den Fahrer eines Pizzalieferdienstes auf sein kaputtes Vorderlicht aufmerksam, dann lenkt er zum Abschluss den Streifenwagen einmal über den Bismarckplatz. Auch hier ist weiterhin alles ruhig, Trauben von Menschen warten auf ihren Bus. Eine junge Frau tanzt ausgelassen mit einem Mann vor dem neon-grün angestrahlten Kaufhof.

Vor dem gemeinsamen Abendessen mit der ganzen Schicht müssen die Beamten noch schnell den Wagen auftanken, also raus nach Bergheim zur Shell-Tankstelle. Hauptmeisterin Dillenberger nutzt die Gelegenheit, ihre Familie anzurufen und abzuklären, ob sie morgen früh Brötchen mitbringen soll. Sie erfährt dabei, dass ihr Sohn beim Frisör war. Er wollte schon lange einen Irokesen-Schnitt. Als Komissar Ammer wieder einsteigt, grinst sie ihn an. „Jetzt ist er der erste sechsjährige Punk im Kindergarten.“

Plötzlich knarzt das Funkgerät. Schlägerei am Bismarckplatz, direkt vor dem Kaufhof. Eine Streife ist schon vor Ort. Die beiden Beamten fahren ohne Blaulicht durch Bergheim. Das Gespräch dreht sich jetzt um das Abendessen.

Vor dem Kaufhof stehen zahlreiche Passanten. Die eben noch tanzende Frau wird gerade von den Kollegen vernommen. Das städtische Ordnungsamt ist auch schon vor Ort. Überall liegen Glasscherben. Die Situation ist unübersichtlich, ringsum stehen Menschen, die etwas gesehen haben. Die junge Frau ist blutverschmiert, aber wohl nicht direkt betroffen. Dafür weht Hauptmeisterin Dillenberger ein stechender Geruch nach Alkohol entgegen, als sie ihre Personalien aufnehmen will. Kommissar Ammer erfährt unterdessen von Zeugen, dass alle Beteiligten der Schlägerei weggerannt sind. Er gibt über Funk die Fahndung raus.

  "Ne jetzt, nicht schon wieder!"

Die junge Frau wird langsam ausfallend, will zwischendurch weglaufen. Hauptmeisterin Dillenberger versucht immer noch ihre Personalien zu klären, da schreit die junge Frau laut auf und beginnt sich auszuziehen. Kommissar Ammer handelt schnell: „Mit aufs Revier!“ Die Passanten johlen, als die junge Frau torkelnd von Hauptmeisterin Dillenberger in den Streifenwagen geschoben wird und laut ihren Unmut kundtut: „Ne jetzt, nicht schon wieder!“

Zurück auf dem Revier gibt es endlich Abendessen. Hauptmeisterin Dillenberger kocht den schon zu Hause vorbereiteten Eintopf in der Einbauküche des kleinen, stickigen Gemeinschaftsraums nochmal auf. Die Verpflegung muss jede Schicht selbst übernehmen, wenn möglich wird gekocht. Nach und nach finden sich alle 13 Beamten der Schicht in dem mit dunklem Holz vertäfelten Raum mit der ausgesessenen Eckbank ein. Einer von ihnen schaltet einen Ventilator ein, wenigstens ein bisschen Kühle. Die Beamten kennen sich gut, sie arbeiten immer in derselben Besetzung zusammen. Während Hauptmeisterin Dillenberger vom neuen Irokesenschnitt ihres Sohnes erzählt, meldet sich die junge Frau vom Bismarckplatz aus ihrer Ausnüchterungszelle. Die Kollegen haben fast drei Promille bei ihr gemessen. Immer wieder drückt sie den Sprechknopf und klingelt so den Beamten vor den Monitoren an. Aus dem Lautsprecher folgen kurz Schimpfkanonaden in unterschiedlichen Sprachen, dann drückt er sie wieder weg.

  Zu Fuß durch die Untere Straße

Kommissar Ammer macht sich noch schnell einen Kaffee, dann geht es wieder los. Da keine dringenderen Einsätze anliegen, fahren die beiden Beamten erneut Streife durch die Altstadt. Inzwischen ist es kurz nach 23 Uhr und die Hauptstraße ist fest in der Hand von Feiernden. Der Streifenwagen wird nun abwechselnd ironisch-freundlich gegrüßt oder unter hysterischem Gekicher angeglotzt. Durch das geöffnete Fenster dringen das Gegröle und die Musik der Altstadt zu den Beamten vor. Hinter der Heiliggeistkirche stellt Kommissar Ammer den VW-Bus ab, dann geht es zu Fuß durch die Untere Straße. Das Wetter ist wohl doch zu schlecht, nur vor wenigen Kneipen stehen größere Gruppen. Die Stimmung ist ausgelassen, aber friedlich. Einen Türsteher ermahnt Kommissar Ammer, die Tür zum Gastraum zu schließen. Mit einem anderen begrüßt er sich per Handschlag und unterhält er sich über dessen Platzwunde von letzter Woche, die ein Gast ihm zugefügt hatte. Die beiden Beamten drehen weiter ihre Runde, ermahnen hier und da ein paar Betrunkene, aber wirklich einschreiten müssen sie nicht.

Dann spricht sie ein älteres Pärchen an. Man sei nicht von hier, wolle sich aber in der Altstadt eine ruhige Wohnung kaufen. Was denn hier heute los sei, dieser ganze Lärm?! Hauptmeisterin Dillenberger muss grinsen, dann spricht sie zehn Minuten mit den immer nüchterner dreinschauenden Touristen.

Es ist etwa 2:20 Uhr, als der Einsatz an der Tangente folgt. Wieder sind eine andere Streife und das Ordnungsamt zuerst da. Irgendwie wollte das Studentenpärchen mit einer Flasche aus der Disko raus, dann gab es ein Gerangel mit den Türstehern, am Ende fährt der junge Mann mit seiner immer noch geschockten Freundin per Taxi in die Kopfklinik. Den Beamten bleibt nur, den Sachverhalt aufzunehmen und die widersprüchlichen Aussagen an die ermittelnden Kollegen weiterzugeben.

  "Ich brauch jetzt hier wirklich mal Unterstützung!"

Inzwischen hat es wieder geregnet und ist deutlich kühler geworden. Kommissar Ammer zieht sich seine dunkelblaue Jacke zu, seine alte Schussweste zeichnet sich deutlich darunter ab. Als die beiden Beamten im Wagen sitzen, kommt plötzlich ein Funkspruch. Schlägerei vor der St.-Anna-Gasse, Opfer bewusstlos, drei Tatverdächtige am Bismarckplatz gestellt. Aber bislang ist nur eine Streife vor Ort. „Ich brauch` jetzt hier wirklich mal Unterstützung!“ funkt der Kollege. Da wird es im Wagen schlagartig ruhig. Kommissar Ammer lässt den Motor aufheulen, Kollegin Dillenberger schaltet das Blaulicht ein. Zum ersten Mal an diesem Abend sehen die beiden Beamten angespannt aus. Sie fahren durch die Hauptstraße, vorbei an Gruppen torkelnder Altstadtgänger. Als sie am Bismarckplatz ankommen, stehen schon sieben weitere Streifenwagen rund um ein Wartehäuschen. Neben den Kollegen vom Revier Mitte ist auch die Bereitschaftspolizei angefahren. Wenn Kollegen Hilfe anfordern, dann nehmen das die Beamten persönlich.

Die drei jungen Männer leisten bei dieser Ãœbermacht keinen Widerstand. Einer von ihnen läuft nervös im Wartehäuschen auf und ab, sein Handy am Ohr. Die Beamten sind misstrauisch, das Opfer ist schwer verletzt, das war keine einfache Keilerei. Trotzdem löst sich langsam die Anspannung. Hauptmeisterin Dillenberger atmet die kühle Nachtluft ein, während sie ihre Mütze geraderückt. „Manchmal ist diese plötzliche Anspannung schon hart“, sagt sie mit Blick auf die drei jungen Männer im Wartehäuschen. „Aber dann gibt es wieder Tage, an denen ich Menschen wirklich helfen kann. Oder ein kleiner Junge vor Begeisterung loskichert, weil wir für ihn kurz mal das Blaulicht anmachen. Da ist der Beruf dann wieder genau  der richtige.“

  Die jungen Männer reagieren gereizt

Gegen halb vier morgens parkt Kommissar Ammer wieder vor dem Revier. Die drei Schläger vom Bismarckplatz warten im neonbeleuchteten Vorraum auf ihre Vernehmung, es riecht nach Alkohol und Schweiß. Anscheinend ging es um eine geschnorrte Zigarette, die das Opfer nicht hergeben wollte. Die drei jungen Männer reagieren gereizt, sie verstehen nicht, warum sie überhaupt festgehalten werden. Der Beamte an den Monitoren behält auch sie im Auge, nur unterbrochen von den regelmäßigen Anrufen der jungen Frau in der Ausnüchterungszelle. Bis um 6 Uhr muss sie noch dort bleiben, das hat der diensthabende Richter angeordnet.

Kommissar Ammer kocht sich erstmal wieder einen Kaffee, während Hauptmeisterin Dillenberger das Geschirr des Abendessens in die Spülmaschine räumt. Wenn alles gut geht und kein Einsatz mehr kommt, dann können sie die restlichen zweieinhalb Stunden ihrer Schicht in Ruhe ihre Einsatzberichte abtippen. Und dann ohne Überstunden heimfahren. Sie wohnen beide ein Stück außerhalb Heidelbergs, wie viele der Beamten vom Revier Mitte. Sie wollen nicht jeden Abend die Heidelberger Altstadt sehen.

Alle Namen von der Redaktion geändert.

von Benjamin Jungbluth
   

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