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 Klecks und Klang
15.05.2012

Walser rechtfertigt sich

Die jüngste Altherrenprosa des Martin Walser

Warum schreibt ein alter, äußerst erfolgreicher und mehrfach preisgekrönter Schriftsteller ein Buch über Rechtfertigung? Diese Frage drängt sich jedem auf, der den deutschen Literaten halbwegs kennt. Walser selbst jedoch würde die Frager höchstens verspotten.

Zwei Wochen vor seinem 85. Geburtstag veröffentlichte der Schriftsteller den erschlagenden und reizenden Essay „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“. Erschlagend, weil 100 Seiten stark und übervoll mit Zitaten und Schriftstellern, von Teilzeit-Antichrist Nietzsche bis „Kirchenvater“ Augustinus. Reizend, weil wohl jeder den Drang nach Rechtfertigung oder den Drang, sich von ihr zu lösen, schon verspürt hat und manche These mit solcher Überzeugung daherkommt, dass Walsers Klage über das „Rechthabenmüssen“ auch ein bisschen Heuchelnmüssen enthält.

Walser stolpert in den Essay wie und mit Josef K. aus Kafkas „Proceß“, den er zum „durchdringendsten Beispiel einer Suche nach Rechtfertigung“ erklärt. Die ersten Seiten des Buches wirken ebenso holzschnittartig wie die Details im Verlauf der Schrift lähmend. Die Gegenüberstellungen von Zitaten sind teils geschickt verwoben, teils reines Protzen mit großen Köpfen. Immerhin füttert er in bisweilen sympathischem Plauderton Abstraktes mit Häppchen der Realität auf.

Mehr in der Mitte als im Zentrum des Buches steht der Versuch, Friedrich Nietzsche mit dem Theologen Karl Barth „zusammenzubringen“ – ein Kapitel, das sich sorglos überspringen lässt. Daneben gibt der Autor Einblicke, die man als intim bezeichnen oder kitschig finden kann. Etwa, wenn er seinen Antrieb zu schreiben erläutert: „Meine Muse ist der Mangel“.

Es mangelt ihm allerdings nicht an Argumenten, die Auseinandersetzung mit Rechtfertigung zu rechtfertigen. Walser, der sich bekanntlich bei jeder zweiten Frage für den ersten hält, der diese stellte, beantwortet aber nicht, wieso Rechtfertigung so sehr im religiösen Fokus diskutiert werden muss. Man könnte beinahe denken, er setze sich mit Vorsatz und Vergnügen dem Vorwurf der Altersreligiosität aus. Die Rechtfertigung dazu liefert er gleich mit: „Gott gibt es nicht, aber er fehlt. Ich interessiere mich nur noch für Leute, denen er fehlt.“ Wer ähnlich denkt, sollte sich dieses kluge Werk und Handwerk nicht entgehen lassen.

von Hannes Munzinger
   

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