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 Verschiedenes
21.05.2012

Sind die Piraten eine ernstzunehmende Partei? JA

Felix Neumann (Politikwissenschaftler, Journalist und Blogger)

Foto: privat

Aus fünf mach' sechs: Zu den bisherigen Parteien gesellen sich die Piraten als neue Kraft. „Klarmachen zum Ändern“ lautet ihre Devise. Doch was will die neue Kraft überhaupt ändern? Hannes Munzinger und Patrick Wehowsky haben zwei Experten um Auskunft gebeten.

Die Piratenpartei ist in vier Landtagen vertreten, bald wohl auch im Bundestag. Da wäre es fahrlässig, sie nicht ernst zu nehmen. Ende Artikel. Und langfristig? Die Piratenpartei ist keine Modeerscheinung des Parteiensystems, wie es immer wieder kleinere Protestparteien waren. Erfolgreiche Parteien greifen die großen Konflikte ihrer Zeit auf: Bei den Piraten ist das der enorme gesellschaftliche Wandel der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit durch das Netz. Parteien „vor dem Netz“ sind grundsätzlich immer noch wie im 19. Jahrhundert strukturiert: Institutionen und Strukturen, die teure Kommunikation und Mobilität durch Delegation und Repräsentation kompensieren und stellvertretend für ihre Milieus Politik aushandeln.

Je einfacher und billiger Kommunikation wird, je mehr sich die Milieus ausdifferenzieren, desto weniger ist die klassische Parteistruktur legitimierbar. Kritik an vermachteten und verkrusteten Parteistrukturen gibt es schon lange. Nicht erst seit den Piraten ist die Krise der gesellschaftlichen Großorganisationen, ihre abnehmende Bindekraft, Thema in der Sozialwissenschaft wie im politischen Feuilleton. Die Piraten greifen dieses Unbehagen produktiv auf, mit dem Versprechen von politischer Teilhabe und dem Aufbrechen dieser Systeme.

Das enge Feld der Netzpolitik ist es daher gar nicht, was die Piratenpartei zu einer ernstzunehmenden politischen Akteurin macht: Damit allein zieht niemand ins Parlament ein. Technische Fragen (wie Netzneutralität und Datenschutz) gehören zwar zur Kernkompetenz der Piraten – aber auch in den etablierten Parteien gibt es kompetente netzpolitische Fachleute und gute netzpolitische Programmatik. Was die Piratenpartei ausmacht, ist das Verständnis für die umfassenden gesellschaftlichen Umbrüche, die das Netz auslöst.

Die Gesellschaft, in der es das Internet gibt, ist nicht einfach die Gesellschaft ohne plus ein neues Werkzeug, das sich nutzen lässt oder auch nicht. Wie der Buchdruck Informationsverbreitung revolutionierte (die Reformation als Medienrevolution), wie das Auto und das Flugzeug Mobilität revolutionierten (die Globalisierungsschübe des 20. Jahrhunderts als wirtschaftliche Revolution), so verändert auch das Netz unsere Gesellschaft tiefgreifend in allen Bereichen, auch da, wo vordergründig gar kein Netz da ist. Jedes gesellschaftliche Subsystem erfährt eine Veränderung, wenn die Transaktionskosten für Kommunikation und Mobilität massiv sinken, und jede dieser Veränderungen hat Rückkoppelungen auf Normen, Verhaltensweisen und Erwartungen der Menschen. Die Piratenpartei besteht aus Menschen, die das zur Kenntnis genommen haben.

Geschenkt: Viele Piraten denken noch naiv, sich einer ideologischen Positionierung enthalten zu können; es fehlt oft an Erfahrung, Sachkenntnis und Pragmatismus, die Umgangsformen lassen oft zu wünschen übrig, die Programmatik ist lückenhaft. Das wird sich aber alles entwickeln. Die Piratenpartei wird auch weiterhin relevant sein, solange wir noch mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des Netzes leben lernen müssen. (Und danach wird sie vielleicht, wie die anderen Parteien, die Relevanz ihres Gründungskonflikts etabliert immer wieder einbringen.) Die Piratenpartei nicht ernst zu nehmen hieße, eine zentrale politische Konfliktlinie unserer Zeit nicht ernst zu nehmen.

   

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