ruprecht Nr. 28 - Februar 1994


Reihenfolge des Inhalts:

Der letzte Stalinist - Achim F. leitet Heidelbergs unterhaltsamste 
Studierendengruppe
Ulla Hahn naechste Poetik-Dozentin
Sind wir schon auf Sendung?
Besser als ihr Ruf - die Radfahrer
ruprecht point&counterpoint: Braucht Heidelberg einen 
Kulturbahnhof?
Leserbrief 
Impressum
Interview mit Heiner Geissler
Interview mit Klaus von Trotha
Wer hat Angst vor ... - dem "Bund freier Buerger ?"
Der starke Mann - Protrait von Rektor Peter Ulmer
Die 25 Buecher der Weisheit - Theologie
Neuer Rektor an der PH
6. Heidelberger Sommeruni
Altenstudium
Der Internationale Ferienkurs
Kaspar Hauser - der Film, der Hintergrund und der Mensch
Das Stadtklimaprojekt der Heidelberger Geographen
ruprecht-Buchkritiken
ruprecht-Plattenkritiken
ruprecht-Filmkritiken
Theaterkritik: "Mud"
ruprecht-Award fuer Dieter Gutenkunst



Aus dem Inhalt:

Bahnhofs-Kultur
Oberbuergermeisterin Beate Weber und FWV-Vorsitzende Karin 
Werner-Jensen streiten in "point/counterpoint" um den Karlstor-
Kulturbahnhof      S. 2

Der Dissident
ruprecht sprach mit Heiner Geissler, einst Einpeitscher, heute 
Kritiker seines Chefs Helmut Kohl                 S. 3                                        

13 Semester
Noch ein Interview: Klaus von Trotha, Wissenschaftsminister und 
Dauergast bei Podiumsdiskussionen in Heidelberg                                   
S. 4                                        

	Der starke Mann 
Noch einmal unterschaetzen wird ihn nicht, den Uni-Rektor Peter 
Ulmer. Ein (neues) Portrait auf                  S.5    

Kaspar Hauser lebt!
Einzelheiten und ein Interview mit dem Kaspar-Hauser-Darsteller 
auf      S.8

Dicke Luft in Heidelberg?
Klima und Schadstoffbelastung in der Stadt: Zusammenhaenge auf          
S.9                                      



Der letzte Stalinist
Achim F. leitet Heidelbergs unterhaltsamste Studierendengruppe 

UNABHAENGIGE    ZEITUNG    VON   STUDIERENDEN    
FUER     STUDIERENDE
"ZERSCHLAGT DAS SYSTEM!", "ULMER UND KONSORTEN 
WAS VOR DIE FRESSE !", "RADAU, RANDALE, KRAWALL!" 
- Der "Heidelberger Poebel" und die "Fanal-Hochschulausgabe" 
gehoeren sicher zu den unterhaltsameren Lektuere-Angeboten vor 
der Mensa. Zumindest fuer diejenigen, die sich nicht mit Name, 
Adresse, privater und dienstlicher Telefonnummer und  der 
Aufforderung, einer "intensiven Behandlung" unterzogen zu 
werden, aufgefuehrt finden.

 Nicht wenige Zeitgenossen ergoetzen sich wohl heimlich an den 
Tiraden, die sich z.B. "narbenfratzigen Verbindungsnazis", dem 
"Rektoratsgangster Ulmer" widmen. Da draussen, denkt sich manch 
einer, schreit jemand seine Frustrationen so laut heraus, wie man es 
selbst niemals wagen wuerde. Trotzdem fragt sich der unbeleckte 
Leser natuerlich, wer oder was hinter diesen so sachlich 
formulierten Thesen zum Staat im Allgemeinen und zur 
Hochschulpolitik im Besonderen steckt. 
Es ist gute Tradition.
Denn es gibt sie schon seit mehr als 11 Jahren in Heidelbergs 
Untergrund: Die FAUST, die Freie Arbeiter Unioin Studenten 
(Anarchisten). Sie sieht  sich als anarchistische, sozialistische 
Gruppe, die den Staat gewaltsam beseitigen will. Sie ist die 
Studentenorganisation der Freien Arbeiter Union/Anarchistische 
Partei; diese wiederum hat eine "Massenorganisation", die 
"Schwarze Garde". "Wir wollen nicht nur ein paar, sondern alle 
Mitglieder der herrschenden Klasse liquidieren",  sagt Achim F., der 
starke Mann bei der FAUST, dem ruprecht-Redakteur auf einem 
der wenigen  "Offenen Treffen" im Grossen Mohren. Und: 
"Stalinismus ist fuer uns kein Schimpfwort." Man berichtet von 
mehreren Stuetzpunkten in Deutschland, in Berlin, Bonn und 
Leipzig beispielsweise.  Genaueres aber wird nicht verraten. 
Schliesslich ist man eine hoechst subversive Organisation und hat 
Spass an der Konspiration. Gegenueber anderen Gruppen grenzt 
sich Achim F. klar ab: Die meisten sind bei weitem nicht radikal 
genug, haben die seiner Meinung nach falschen Mittel gewaehlt: 
"Die von der Graswurzelrevolution [gewaltfreie Anarchisten] wollen 
doch den Staat wegbeten. Wir wollen ihn gewaltsam zerschlagen!" 
Mit dieser Position aber hat er sich im Laufe der Zeit gruendlich 
isoliert. Waehrend die FAUST in der Anfangszeit noch mit anderen 
linken Gruppen zusammenarbeitete (1984 war Achim sogar 
studentischer Vertreter im Senat), haben sich jetzt alle 
Gruppierungen in Heidelberg deutlich von der FAUST distanziert. 
Sie finden deren verbale Exzesse nicht sehr unterhaltsam: "Achim 
diskrediert mit seinen Flugblaettern alle Linken und vor allem die 
Anarchisten", schimpft man bei der Graswurzelrevolution, "die 
Leute glauben dann, das sei nun der Anarchismus. Dabei steht der 
Stalinismus, dem die Faust offenbar nachhaengt, doch gerade fuer 
einen repressiven Staat." Auch der letzte offene Auftritt der FAUST 
in einem studentischen Gremium auf der Uni-Vollversammlung im 
Dezember endete in einem Eklat (was natuerlich einige, allerdings 
verhaeltnismaessig sanfte Flugblaetter gegen die FSK nach sich 
zog).
Mit wem immer man ueber die FAUST auch spricht: Die Rede ist 
meistens nur von Achim F. Er ist deren Gruender in Heidelberg, er 
scheint der ideologische Kopf zu sein, er hat die allermeisten der 
zahlreichen Anzeigen, Hausdurchsuchungen und Prozesse gegen die 
FAUST durchstehen muessen. Wie gross sind die Massen, die hinter 
der FAU/AP, der FAUST und Achim stehen, ueberhaupt? In 
Heidelberg koennten sie wohl eine Telefonzelle fuellen. Zwar will 
man dem ruprecht-Schnueffler keine Zahlen verraten. Zu erkennen 
geben sich aber in Heidelberg nur drei andere Leute - ergaenzt 
vielleicht um den einen oder anderen heimlichen Sympathisanten, 
der der FAUST ab und zu  Geheimnummern aus dem Rektorat 
liefert. "Dem laufen jedes Semester zwei oder drei Erstsemester 
nach, die dann aber irgendwann wieder abspringen", laestert man in 
linken Kreisen ueber Achim. Und tatsaechlich scheint es so, dass er, 
obwohl er eigentlich nur noch zur Partei, und nicht mehr zur 
FAUST gehoeren will, alles organisiert. Ist die FAUST im Grunde 
Achim? Die AEhnlichkeiten der Publikationen in Stil und Diktion 
laesst in vielen Faellen auf einen einzigen Autoren schliessen. 
Und was passiert den vielen Poletarierfeinden, die in den 
Flugblaettern der FAUST mit detaillierter Adressen- und 
Telefonnummerangabe fuer eine weitere Behandlung empfohlen 
werden? Die meisten Opfer - Rektoren, Uni-Beamte, 
Verbindungsstudenten, Polizisten z.B. - erzaehlen nur von mehr 
oder weniger beunruhigenden Telefonanrufen.  Der ehemalige 
Besitzer des Anderen Buchladens in Heidelberg aber musste 
Morddrohungen, Schmierereien und zersplitterten Fensterscheiben 
hinnehmen, als er sich 1987 weigerte, die Veroeffentlichungen der 
FAUST und der FAU/AP weiterhin in seinem Geschaeft auszulegen. 
Eine Fangschaltung, die eingerichtet wurde, um dem zunaechst 
vermuteten Nazi-Terror auf den Grund zu gehen, fuehrte ihn zu 
Achim. Verbindungen haben sich schon oefter mit Anzeigen gegen 
Artikel im "Heidelberger Poebel" oder im "Fanal" gewaehrt - die 
Hetze gegen die "ranzigen Verbindungsferkel" kehrt schliesslich wie 
ein Refrain in fast jedem Flugblatt wieder. Tatsache ist aber: 
Laengst nicht jede Ankuendigung, jemanden "einer Behandlung zur 
unterziehen", wird auch wahrgemacht. Das ist ja auch schwierig, mit 
so wenigen Leuten.
Wie finanziert sich die FAUST eigentlich?  Durch 
Mitgliedsbeitraege, sagt Achim. Das mag sein. Er selbst aber 
finanziert sich durch Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma. "Nur 
aushilfsweise im Management", erklaert er diese fuer einen 
Klassenkaempfer ungewoehnliche Taetigkeit. Die Sekretaerin bei 
einer Bergheimer Zeitarbeits-Firma kennt ihn aber sehr gut, und 
widerspricht auch nicht, als der ruprecht-Strohmann nach "Herrn F., 
dem Chef" fragt. Gilt der Kapitalistenhass also nur Nicht-
Parteimitgliedern?
Wirklich lustig anzusehen ist uebrigens, wie intensiv sich 
Vefassungsschutz und Polizei um die FAUST kuemmern: Im 
Vefassungsschutzbericht  hat die Gruppe einen Stammplatz, die 
Polizei ist regelmaessiger Gast in Achims Wohnung - zumeist 
erfolglos. Und dieser hat an solch unverhaeltnismaessiger Beachtung 
sicherlich seine Freude, zu steigern nur noch dadurch, mit dem 
Praedikat "verfassungsfeindlich" verboten zu werden.
Auch wenn der einsame Kaempfer und seine Juenger auf solch einen 
Erfolg wohl noch einige Zeit warten muessen: Als Heidelberger 
Original wird Achim, der an der Uni seit 1979 eingeschrieben ist, 
wohl bald anerkannt sein.                         (hn)





Ulla Hahn naechste Poetik-Dozentin

Nach dem Erfolg der ersten, von Martin Walser uebernommenen 
Poetik-Dozentur, wird im kommenden Sommersemester mit Ulla 
Hahn nicht nur einem anderen Geschlecht oder einer anderen 
Generation das Wort gegeben. Zur Enttaeuschung weicht die 1946 
geborene Schriftstellerin noch unter anderen Gesichtspunkten von 
der mit Walser eingeschlagenen Route ab. Nach einem 
Mitbegruender der bundesrepublikanischen Literatur tritt nun eine 
Dame auf, die als Agitprop-Kuenstlerin begann, noch 1978 ueber 
"Literatur in der Aktion" promovierte, sich dann aber von 
Aktionismus und sozialer Realitaet abwendete, hin zu Innerlichkeit 
und neuer Subjektivitaet. In diesem Sinne repraesentiert Ulla Hahn 
ein Stueck juengster Literaturgeschichte. Ihr weiterer Weg vom 
schmalen Lyrik-Baendchen "Hals ueber Kopf" (1981) bis zum 1991 
erschienenen Roman "Ein Mann im Haus" wurde sehr kontrovers 
aufgenommen. Waehrend Marcel Reich-Ranicki eine enthusiastische 
Rezension schrieb, die zum Ausloeser uebler Geruechte wurde, 
nannten sie andere Kritiker "neotraditionalistisch" und "zutiefst 
reaktionaer". Tasache ist: die akademische Forschung hat sie bisher 
unbeachtet gelassen.
Auch Prof. Dr. Helmuth Kiesel, Direktor des Germanistischen 
Seminars und Koordinator der Poetik-Dozentur, wurde wegen der 
Einladung von Ulla Hahn fuer die Poetik-Dozentur schon von 
mehreren Seiten kritisiert. "Es ist uns gerade recht", so verteidigt 
sich Prof. Kiesel, "dass ueber den poetischen Rang von Ulla Hahn 
sehr unterschiedliche Meinungen bestehen. In der 
Auseinandersetzung mit der Autorin selbst wird sich die Gueltigkeit 
dieser Meinungen beweisen muessen." Dass damit auch die eigenen 
Wertungskriterien der Literaturwissenschaft zur Diskussion stehen, 
wirft ein anderes Licht auf die Poetik-Dozentur. Man kann nur 
hoffen, dass die Diskussion um literaturaesthetische Kategorien 
weder von den sexistischen Noerglern, die bereits im Vorfeld der 
Dozentur die Person Ulla Hahns, nicht aber ihr Werk zur 
Zielscheibe machen, noch von den Organisatoren unterdrueckt wird.
Informationen ueber Inhalt und Form der Veranstaltungen, die zum 
Teil an der Universitaet und zum Teil an der Volkshochschule 
abgehalten werden, koennen vor Anfang des Semesters entweder 
der Tagespresse und den Auslagen der Buchhandlungen entnommen 
oder am Lehrstuhl Kiesel (543205) erfragt werden.
(mc)



Sind wir schon auf Sendung?

Moralisierende Glossen sind relativ leicht zu erkennen: Sie 
schmuecken sich meistenteils mit Zitaten unverdaechtiger 
Zeitgenossen, hinter denen sich der Autor verschanzen kann wie 
weiland die amerikanischen Siedler hinter den Planwagen. Wer nun 
waere der Moral unverdaechtiger als Harald Schmidt, Deutschlands 
bestgefoehnter Kopf, der in einem Interview auf die Frage, was er 
fuer seine Sendung Verstehen Sie Spass am meisten fuerchte, ohne 
Zoegern antwortete: "Zu viele Leute im Saal, die meine Witze ernst 
nehmen und zu viele Leute , die bei den Aufnahmen merken, dass 
sie von der versteckten Kamera gefilmt werden. Beides ist alles 
andere als angenehm." Aber gewinnbringend, wohlgemerkt. Eine 
ganze Sendeanstalt lebt samstags abends davon, dass jeder Deutsche 
Spass versteht - vorausgesetzt, er weiss, dass es einer ist. Was im 
Falle Schmidt noch relativ einfach zu erkennen ist - spricht er im 
Ernst, lehnt er sich am Satzende zurueck, bloedelt er, beugt er sich 
an gleicher Stelle vor - wird bei den gefilmten Alltagsscherzen zum 
Problem: Spass versteht da in den meisten Faellen nur, wer weiss, 
dass er beobachtet wird.
 Die Sicherheit, ueber ein paar tausend Bildschirme zu flackern, 
aendert den Aggregatszustand der meisten Mitteleuropaeer derartig,  
dass man etwa in den Gaesten, die  live auf Harald Schmidts Couch 
in Ludwigsburg sitzen, nur mehr mit Muehe die unsympathischen, 
noergelnden Zeitgenossen wiedererkennen kann, die noch Minuten 
vorher im Film nach der Polizei gerufen hatten, weil ihnen jemand 
mitten in der Fussgaengerzone eine Angel oder sonstige 
Harmlosigkeiten in die Hand druecken wollte. Wer beobachtet wird, 
zieht den Bauch ein, und wer dann das Glueck hat, ausgerechnet 
vom Auge der Welt beaeugt zu werden, verliert seine 
ueberfluessigen Pfunde vollstaendig. Wahrheit ist naemlich, was 
registriert wurde; was nicht aufgezeichnet, mitgeschnitten und 
gesendet wird, ist fuer den Durchschnittsbewohner unserer 
Medienlandschaft so sinnlos wie eine UNO-Resolution fuer einen 
Bosnier. 
Das fuehrt bekanntermassen so weit, dass man noch auf der 50-cm 
Bildroehre eines tragbaren Geraetes eine Wirklichkeit simulieren 
kann, welche gar nicht existiert. Das nennt man dann live-Sendung. 
Wieviel Protest schallte durch Uni-Cafeterien und WG-Kuechen, als 
sich Rektor Ulmer und Wissenschaftsminister Trotha bei der 
Fernsehdiskussion ueber die Studienreform nur solange zu einem 
Gespraech mit Studierenden bereiterklaerten, wie der Suedwestfunk 
seine UE-Wagen vor der Tuer stehen hatte. In Wirklichkeit hatten 
beide nur nach der alten Talk-Show-Regel gehandelt, wonach 
Meinungsaustausch ausschliesslich dort stattzufinden hat, wo er 
garantiert keine Konsequenzen hat, also in den Medien. Die sind 
naemlich per definitionem zur Selbstdarstellung da, und wer sich 
selbst ins beste Scheinwerferlicht ruecken will, hoert erst gar nicht 
richtig zu.
 Aber auch Studierende verstehen sich auf mediengerechtes 
Verhalten: dem Zuseher zwischen Landesschau und 
Samstagsabendsport muss man gleich von vorneherein 
Blockmeinung statt komplizierterer Fragestellung bieten. 
Verschwommen und kompliziert darf nur der unbeobachtete Alltag 
sein, wer in die Fernsehwirklichkeit will, muss eindeutig sein. Also 
wird das Gegenueber ausgepfiffen, denn jedes Aufweichen von 
Fronten fuehrt klarerweise zu Verunsicherung beim Herrn der 
Fernbedienung. Dieser Voyeur aber ist eminent wichtig: 
"Wahrscheinlich guckt wieder keine alte Sau", sagt eines von Peter 
Gays Comic-Schweinen, das sich in einem bekannten Bild gerade an 
einer komplizierten Akrobatik-Nummer versucht. Was abseits der 
ausgeleuchteten Zone passiert, gehoert nach allgemeiner Ansicht ins 
wertlose Land des Laechelns; nicht nur das verlorene Haeuflein der 
Studis, das noch Engagement buchstabieren kann, saehe anders aus, 
wuerde woechentlich live aus den Fachschaften uebertragen.
Noch ein Zitat bei so viel ungewohnter Moral? "Was ich an 
Maennern besonders schaetze? Satellitenschuessel oder 
Kabelempfang; was Charakter angeht, bin ich nicht so waehlerisch." 
Ob er das jetzt wieder ernst gemeint hat, der gute Harald Schmidt?                                           
step                                           



Besser als ihr Ruf

Die Unfallgefaehrdung durch Radfahrer ist weit geringer als 
angenommen. Nach  einer Studie des Heidelberger Umwelt- und 
Prognose-Institutes vom Juni ´93 verursachten die RadfahrerIinnen 
nur 3,6 % der 5.130 Strassenverkehrsunfaelle, die sich ´92 in 
Heidelberg ereigneten. In 94 % der Faelle dagegen waren 
FahrerInnen von Kraftfahrzeugen die Unfallverursacher. Betrachtet 
man nur die Zahl der Unfaelle mit Fahrradbeteiligung, die keine 
Alleinunfaelle waren (etwa durch Schlagloecher), werden rund 63% 
von Kraftfahrzeugen und nur 37% von Fahrraedern verschuldet. 
Gerade auch in bezug auf die OEffnung der oberen Ploeck als 
Fahrradstrasse liefert die Studie interessante Zahlen: Die 
Unfallgegner der im Jahre 1991 auf deutschen Strassen Verletzten 
40 745 FussgaengerInnen waren zu 91,4 % Kraftfahrzeuge, zu nur 
6,9% dagegen Fahrraeder.
Wesentlich geringer als haeufig angenommen ist das Unfallrisiko in 
Einbahnstrassen. Nur 2,6% der Fahrradunfaelle 1990 geschahen in 
Einbahnstrassen. Dabei fuhren 85 in erlaubter Richtung und 28 
unerlaubt gegen die Einbahnstrasse.
Carsten Schulz


ruprecht "point& counterpoint":

Die Klage ueber akuten Raummangel hat unter Heidelberger 
Kulturschaffenden, gerade nicht etablierten, schon Tradition. Jetzt 
soll Abhilfe geschaffen werden: 
Am 16. Dezember letzten Jahres beschloss das Stadtparlament, den 
vor vier Jahren stillgelegten Bahnhof am Karlstor zum 
"Kulturbahnhof" umzubauen. 
Inzwischen streitet man sich um die genaue Ausgestaltung des 
Zentrums. ruprecht fragte die Kontrahenten:
Braucht Heidelberg einen Kulturbahnhof? 

JA:
Beate Weber
Oberbuergermeisterin der Stadt Heidelberg
Bei meinem Amtsantritt 1990 habe ich festgestellt, dass die 
Kulturlandschaft in Heidelberg strukturelle Schwaechen aufweist. 
Neben einem ausgezeichneten und mit verschiedenen Buehnen, 
Museen, Galerien und vielfaeltigen musikalischen Angeboten 
ausdifferenzierten "klassischen" Kulturleben fehlte es an geeigneten 
Raeumen fuer die kulturelle Betaetigung der vielen Heidelberger 
Gruppen und es gab kein Forum fuer neue kuenstlerische Impulse 
und Experimente. Ich bin der UEberzeugung, dass von neuer und 
nicht etablierter Kunst wichtige Anstoesse ausgehen koennen, die 
die traditionelle Kunst beleben, ergaenzen und befruchten. Deshalb 
lag es nahe, den ehemaligen Karlstorbahnhof als Kulturhaus und 
Begegnungsstaette zu nutzen. Durch die Grundsatzentscheidung des 
Gemeinderates ist die Voraussetzung dafuer geschaffen, dass 
Menschen verschiedener Altersgruppen, sozialer Schichten und 
Nationalitaeten gemeinsam Kultur erleben und kreativ gestalten 
koennen.
Ich erwarte vom Kulturbahnhof Karlstor einen Anstoss fuer soziale 
und politischer Lernprozesse und fuer ein Mehr an Kultur in unserer 
Stadt. Die Kleinkuenstler, Kabarettisten, Cineasten, Rock- und Pop-
fans, Jazzer und soziokulturellen Gruppen koennen dort ein 
Zuhause finden, ein Zuhause von dem man weiss, dass es gross 
genug ist, auch 500 Besucher zu fassen. Ein Zuhause, das so 
gelegen ist, dass AErger wegen moeglicher Laermbelaestigung nicht 
vorprogrammiert ist, dass es jeder finden kann und das hervor-
ragend an den oeffentlichen Nahverkehr angebunden ist. Der 
Kulturbahnhof Karlstor wird ein gastliches Haus sein, das allen Hei-
delberger Buergerinnen und Buergern offensteht, in dem der Gast 
nicht nur Zuschauer/in ist, sondern selbst in die kuenstlerische und 
gesellschaftliche Betaetigung treten kann, sei es beim Theaterspiel 
oder einem Workshop.
Wenn im Jahre 1995 das Kulturhaus Karlstorbahnhof seine Pforten 
oeffnet, wird fuer Heidelberg ein Ort geschaffen sein, in dem in en-
ger Vernetzung Musik, Theater, Lesungen, Tanz, Film und die 
Begegnung von Menschen und Kulturen ein grossartiges Forum 
haben werden.
Landesweit gibt es bereits zahlreiche aehnliche Einrichtungen, in 
denen sich - neben den traditionellen Kultureinrichtungen - neue 
Formen kultureller Aktivitaeten ausdruecken koennen: 
Kuenstlerische Eigenproduktionen, Festivals und Kulturwochen, 
kulturelle Bildungs- und Kreativangebote, politische Arbeit durch 
Vortraege, Diskussionen, Seminare, Information und 
Kommunikation kennzeichnen das besondere Profil der 
Kulturhaeuser in Baden-Wuerttemberg aus. Das Konzept fuer den 
Kulturbahnhof ist im neugeschaffenen Kulturamt in enger 
Zusammenarbeit mit zahlreichen Gruppen entwickelt worden.
Nicht nur die traditionelle Kultur, sondern auch die Formen des 
Miteinander und Wege fuer neue Ausdrucksformen sind fuer das 
Lebensgefuehl der Menschen und die Identifikation mit ihrer Stadt 
von Bedeutung. Gerade deshalb muessen wir auch in finanziell sehr 
schwierigen Zeiten gute und vielfaeltige Angebote im Kulturbereich 
bereitstellen. In der Vergangenheit sind die traditionellen Kulturein-
richtungen unterstuetzt und gefoerdert worden. Ihre Unverzicht-
barkeit und die Wertschaetzung, die sie von den Buergerinnen und 
Buergern erfahren, stehen ausser Zweifel. Es ist aber unbestritten, 
dass sie nur einen Teil der Buerger und Buergerinnen Heidelbergs 
erreichen
Mit dem Kulturbahnhof Karlstor will ich gerade in Heidelberg, einer 
Stadt mit ueber 30.000 Studierenden einer kreativen nicht 
etablierten Kulturszene und deren vielseitiger und qualitativ 
hochwertigen Aktivitaet neuen Raum geben. 


NEIN
Karin Werner-Jensen
1. Vorsitzende der Freien Waehlervereinigung

Da es bisher doch auch ohne ging: Braucht...? Nein! Aber: Der 
Mensch lebt nicht vom Brot allein. Fragen Sie in mir also jemanden, 
der sein ganzes Leben lang von Kultur umgeben und MIT ihr, und 
beruflich von ihr, gelebt hat, so koennte die Antwort nur FUER 
einen Versuch wie den Kulturbahnhof ausfallen.
Die Frage ist jedoch schlicht falsch gestellt. Sie muesste heissen: 
KANN sich Heidelberg zum gegenwaertigen Zeitpunkt einen 
Kulturbahnhof LEISTEN? Und da ist die Beantwortung leider ganz 
einfach: NEIN! "Am Golde haengt´s" - und da Heidelberg keins 
mehr hat, kann es auch keins mehr ausgeben. Bei einer Pro-Kopf-
Verschuldung (956,- DM), die 1994/95 vermutlich auf das Doppelte 
steigen wird, bei einer jaehrlichen Neuverschuldung von ueber 20 
Mio. DM und einer Belastung von rund 10 Mio. DM nur fuer 
Zinsen, ohne einen Pfennig Tilgung (!), ist der Kulturbahnhof nicht 
finanzierbar. Die Baukosten von "nur" noch 4,1 Mio. DM sind 
glatte Augenwischerei, denn die noetigen Ausstattungskosten fuer 
Buehne, Licht, Ton, Moeblierung, technisches Geraet usw. sind 
kurzerhand aus der Summe ausgegliedert worden, ohne dass auf sie 
letztlich verzichtet werden koennte. Die jaehrlichen Folgekosten 
werden im guenstigsten Fall eine halbe Mio. DM betragen, ohne 
dass auch hier wieder anfallende Kosten wie Grundstuecksbewirt-
schaftung (Energie, Reinigung usw.) und Gebaeudeunterhaltung 
beruecksichtigt sind. Schwer kalkulierbar sind auch die 
Finanzkraefte der Betreiber. Im Notfall zahlt immer wieder die 
Stadt, die Stadt und nochmals die Stadt.
Dennoch: Er wird kommen, der Karlstorbahnhof, denn am 16.12.93 
wurde mit 19:15 Stimmen die Ausfuehrungsgenehmigung fuer den 
Umbau zum Kulturhaus/sozio-kulturellen Zentrum erteilt. Ein von 
der Stadt gebildeter Arbeitskreis hat sich inzwischen 53 (!) Mal mit 
potentiellen Nutzern, u.a. Eine-Welt-Zentrum, Kommunales Kino, 
Jazz-Club, 23 Theatervereine, Auslaenderrat und 
Jahrhundertwendegesellschaft, getroffen, um ein gemeinsames 
Konzept zu erarbeiten. (Das Ganze sieht schon wieder sehr nach 
Buerokratie aus, die gerade vermieden werden sollte.)
Und was passiert mit denen, die nicht so populaer sind wie einige 
der genannten Betreiber und trotzdem ins Karlstor einziehen 
wollen? Ziel ist es, Gruppen, die keinen ausreichenden - oder 
ueberhaupt keinen - Raum in der Stadt haben, zu versorgen. Wird 
das erreicht werden?
Bei der Auswahl wird ausserdem die wirtschaftliche Seite eine nicht 
geringe Rolle spielen muessen. Fuer Versuche ist ueberhaupt kein 
Geld da - ein Manko, wenn man etwas Neues ins Leben rufen will. 
Werden also diejenigen einen Platz finden, die "gut, aber arm" sind?
Ob sich Kultur zentralisieren und fein saeuberlich auf einem Platz 
ansiedeln laesst, ob nicht am Ende doch eine Schokoladenfabrik, ein 
viel zu kleiner Jazzkeller, ein enger provisorischer, aber 
gewachsener Raum einer organisierten Kulturfabrik vorgezogen 
wird - das alles werden die Heidelberger, und nicht zuletzt die 
Studenten, selbst entscheiden. Ich habe da so meine Zweifel.


Leserbrief

Mein Vorschlag fuer den ruprecht-award: Eure Redaktion, bzw. 
den/die InitiatorIn dieser award-Vergabe/Verlosung!
Begruendung:
I) Die Auszeichnung von Frau Walkenhorst. Es gibt im 
Studentenleben HD's sicherlich mehr kritisierwuerdige Maengel als 
das ueberforderte (zuweilen wenig zuvorkommmende) 
Mensapersonal! Ausserdem ist Eure Art der Blossstellung 
widerwaertig und entwuerdigend. Hiermit waeren wir beim Punkt:
II) Wie Ihr selbst schon erkannt habt, foerdert Ihr mit diesem 
"Preisaussschreiben" das Denunziantentum. Die Effektivitaet (und 
Beliebtheit) dieser Vorgehensweise ist in Deutschland ja sattsam 
bekannt und scheint ja auch bis heute nicht an Reiz verloren zu 
haben. Vielleicht druckt Ihr ja im naechsten Heft Judenwitze ab!?
Das waere ja nur ein kleiner Schritt, wenn Euch andere  rechte" 
Vorgehensweisen schon so leichtlaeufig aus dem Fueller fliessen.
Schaemt Euch 
Ralf Deckert



Impressum:

ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en-Zeitung, erscheint drei 
Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. 
November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht die 
Zeitung als unabhaengiges Organ, das keiner Gruppierung oder 
Weltanschauung verpflichtet ist. Mitarbeiter(innen)und 
Redakteur(inn)e(n) - oh je - sind jederzeit  willkommen; die 
Redaktion trifft sich waehrend des Semesters jeden Montag um 
20.00 Uhr im Haus der Studierenden. Fuer namentlich 
gekennzeichnete Artikel uebernimmt der/die Autor(in) die 
Verantwortung.
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Redaktionsadresse: ruprecht, Kaiserstrasse 57, 69115 Heidelberg, 
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Die Redaktion: Henning Banthien (hb), Frank Barsch (fb), Jens 
Blinne (jpb), Marcus Collalti (mc), Bertram Eisenhauer (bpe), 
Stephan Fichtner (sf), Annick Golay (ann),  Jochen Kluve (jk), 
Inken Otto (io), Martina Parge (mp), Anja Steinbuch (asb), Stephan 
Stuchlik (step), Stefan Wittaschek (sw), Gundula Zilm (gz), Reimut 
Zohlnhoefer (rz)
Freie Mitarbeiter(innen): Iris Zimmermann, Annette Sowa, Jochen 
Bettzieche




"Wir sind keine linientreue Kaderpartei"
ruprecht sprach mit Heiner Geissler, ehemals Chef-Demagoge, 
heute Dissident der CDU

Wenn Heiner Geissler lacht, sieht er aus wie der Fuchs, der er ist. 
Dann schiebt sich sein Kopf ein Stueck nach vorne, seine Falten 
scheinen wie perspektivisch auf seine Nase zuzulaufen, sein Gesicht 
wird noch ein bisschen spitzer, und seine Augen mustern das 
Gegenueber in einer Mischung aus Belustigung und einer Spur "Ich-
weiss-es-aber-besser". Als wir den 64jaehrigen stellvertretenden 
CDU-Fraktionsvorsitzenden in seinem Bonner Abgeordnetenbuero 
treffen, erzaehlt er uns, er sei an diesem Nachmittag schon beim 
Laufen im Siebengebirge gewesen, das duerfe er inzwischen, ein 
gutes Jahr nach seinem schweren Unfall beim Gleitschirmfliegen, 
wieder. Laufen, in Bonn? - "Ja, ueber´m Rhein, im Siebengebirge, 
da gibt es anspruchsvollere Strecken." Und wie ist das mit dem 
Fliegen? Kurz nach dem Unfall hatte er es mit Ruecksicht auf seine 
Familie aufgegeben; jetzt relativiert er: "Vorlaeufig nicht."
Aber so ist Heiner Geissler schon immer gewesen: ein Mann der 
Extreme, die auch in den Widerspruechlichkeiten seiner Biographie 
greifbar werden. Geboren 1930 in Oberndorf am Neckar, trat 
Geissler, der Priester werden wollte, den Jesuiten bei und studierte 
Philosophie. Nachdem er den Orden verlassen hatte - "Ich konnte 
mich schlecht unterordnen", sagt er -, absolvierte er ein 
Jurastudium. 1965 wurde er in den Bundestag gewaehlt, zwei Jahre 
spaeter zum Minister fuer Soziales, Gesundheit und Sport in 
Rheinland-Pfalz berufen. 1977 auf Vorschlag Helmut Kohls zum 
Generalsekretaer der CDU bestimmt, startete er Initiativen zur 
Sicherheits-, Wirtschafts- und Arbeitspolitik. Besonders als 
Organisator der Wahlkaempfe bewies Geissler grosses Talent. Von 
1982 bis 1987 war Geissler Minister fuer Jugend, Familie und 
Gesundheit und brachte wichtige und z.T. heftig umstrittene 
Gesetzesvorhaben, darunter das Erziehungsgeld und die Reform des 
Zivildienstes, auf den Weg.
So gar nicht zu seinem vor allem von der katholischen Soziallehre 
beinflussten Engagement zu passen scheint Geisslers Hang zur 
Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung. In den 80er Jahren, 
vor allem im Zusammenhang mit der Nachruestungsdebatte, griff er 
mit heftiger Rhetorik, die nicht selten die Grenze zur Diffamierung 
ueberschritt, Friedensbewegung und SPD an. Helmut Schmidt etwa 
nannte er einen "politischen Rentenbetrueger"; Willy Brandt schoss 
zurueck und zie Geissler "seit Goebbels den schlimmsten Hetzer in 
diesem Land".
Seit 1987 verschlechterte sich Geisslers Beziehung zu Kohl; 1989, 
inmitten von Geruechten um einen von Geissler mitgetragenen 
"Putsch" gegen den Kanzler, trennte sich der Vorsitzende von 
seinem General. Heute gehoert Geissler, der weiss, dass er unter 
dem gegenwaertigen Regierungschef nichts mehr werden kann, 
zusammen mit Rita Suessmuth und einigen anderen zu einer kleinen 
Gruppe CDU-interner "Dissidenten". In Bonn muss man nicht weit 
laufen, um zu erfahren, dass Geissler dem Fraktionsvorsitzenden 
und Kronprinzen Wolfgang Schaeuble inzwischen naeher steht als 
seinem einstigen Goenner Kohl.
Das Gespraech im (von Geissler autorisierten und gekuerzten) 
Wortlaut:

ruprecht: Noch vor ein paar Jahren kannte man Sie in der 
OEffentlichkeit vor allem aufgrund von Bemerkungen wie "Der 
Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst moeglich gemacht" 
oder "Die SPD ist die fuenfte Kolonne Moskaus". Heute behandeln 
sogar linke Publikationen Sie als den "Grossen Weisen Mann" der 
CDU. Woher diese Veraenderung?
Geissler: Die Veraenderung gab es bei den Leuten. Ich habe mich 
wenig geaendert. Ich habe mich immer, auch in meiner Zeit als 
Generalsekretaer, fuer die Menschenrechte, fuer die Freiheit und die 
Demokratie eingesetzt, sowohl gegenueber der Sowjetunion und der 
mafiosen Breschnew-Fuehrung als auch gegenueber Pinochet in 
Chile. Da gab es dann die Auseinandersetzungen mit den Gruenen, 
den Sozialdemokraten und dem Gesinnungspazifismus.
ruprecht: Man hatte aber schon den Eindruck, dass Sie sich in 
letzter Zeit ein bisschen zurueckgenommen haben.
Geissler: Ich bin nicht mehr Generalsekretaer und habe jetzt neue 
Aufgaben. UEber mangelnde Kritikfaehigkeit - siehe Stoiber und 
Frau Seebacher-Brandt - kann ich mich auch heute nicht beklagen.
ruprecht: In einem Interview haben Sie beanstandet, dass 
Mehrheitsfaehigkeit und Machterhalt haeufig als Argument gegen 
abweichende Meinungen innerhalb der Parteien gebraucht wuerde. 
Sprechen Sie da von Ihrer eigenen Rolle in der CDU?
Geissler: Ich erlebe das ab und zu - aber da gibt es noch viele 
andere, denen es auch so geht - und halte das fuer einen schweren 
Fehler. Wir leben schliesslich nicht in einem Bonzenstaat, wir haben 
auch keine linientreue Kaderpartei, sondern eine Demokratie, und 
die politischen Parteien sind demokratisch organisiert. Dazu gehoert 
unverzichtbar der Streit um den richtigen Weg, auch innerhalb des 
eigenen Ladens, und dafuer sind die Menschen auch aufgeschlossen, 
denn die Zukunft wird nicht den uniformen, den monolithischen 
Parteien gehoeren, sondern den interessanten.
ruprecht: Bei der Heitmann-Kandidatur gab es ja eine Dissidenten-
Gruppe - Rita Suessmuth, Friedbert Pflueger, Sie selbst -, die auf 
sehr verlorenem Posten stand mit ihrer Opposition gegen die 
Parteifuehrung.
Geissler: Die Gruppe war aber sehr erfolgreich...
ruprecht: Fuehren Sie das denn auf Ihre Gruppe zurueck, oder nicht 
doch eher auf eine "Medienkampagne"?
Geissler: Es gab oeffentliche Reaktionen. Steffen Heitmann hat 
eingesehen, dass er nicht das volle Vertrauen der Union - und schon 
gar nicht der FDP - erhalten kann.
ruprecht: Er hatte aber die Unterstuetzung des Parteivorsitzenden 
und - in grossen Teilen - der Fraktion. 
Geissler: Da sind wir beim springenden Punkt. Man kann Steffen 
Heitmann ja am wenigsten Vorwuerfe machen. Dass es so 
gekommen ist, ist darauf zurueckzufuehren, dass innerparteiliche 
Demokratie in diesem Fall ueberhaupt nicht stattgefunden hat. Es 
war ein von oben erfundener und der Partei vorgesetzter Kandidat. 
Es war ein klassisches Beispiel dafuer, wie eine wichtige politische 
Entscheidung zum Scheitern verurteilt ist, wenn vorher keine 
Auseinandersetzung ueber die Frage stattfindet.
ruprecht: Ist Roman Herzog der geeignete Kandidat der CDU?
Geissler: Ja, ich halte ihn fuer sehr geeignet.
ruprecht: Auch geeigneter als Johannes Rau, der ja vor 2 Jahren 
auch noch auf die Unterstuetzung von Helmut Kohl hoffen konnte 
und in Umfragen auch an der Spitze der Beliebtheitsskala liegt?
Geissler: Wenn einer so lange Jahre Ministerpraesident eines 
grossen Bundeslandes war, ist er auch geeignet als 
Bundespraesident. Das gilt aber erst recht fuer einen, der jahrelang 
Praesident des Bundesverfassungsgerichts gewesen ist. Die SPD hat 
aber einen grossen Fehler gemacht, indem sie mit der Nominierung 
von Johannes Rau vorgeprescht ist, ohne vorher mit der CDU 
offiziell zu reden. Das war wie bei Heitmann: Da hat die CDU 
dasselbe gemacht, ohne mit den anderen Parteien zu reden.
ruprecht: Wo wir sozusagen gerade bei Helmut Kohl sind: Er ist 
ohne UEbertreibung die herausragende Figur in der CDU. Man hat 
aber auch den Eindruck, dass er - Sie haben das als 
Generalsekretaer erfahren - neben sich nur ungern einen anderen 
gelten laesst. Sie halten diese UEberdominanz fuer einen Fehler?
Geissler: Ja. Nachdem ich nicht mehr Generalsekretaer war, hat ein 
Kohl-Biograph ueber ihn geschrieben: "Nun ist er" - Kohl - "die 
Partei." Man kann aber eine Partei nicht mit einem einzigen 
Menschen gleichsetzen, denn dann verliert sie den Charakter der 
Volkspartei. Eine Volkspartei hat viele Profile und Gesichter, und 
nicht nur eines. Die CDU hat eine Menge guter Leute, die sie 
vorzeigen kann, wenn Sie beispielsweise nur an Kurt Biedenkopf, 
Norbert Bluem, Klaus Toepfer, Rita Suessmuth, Eberhard Diepgen, 
Angela Merkel, Erwin Teufel und Wolfgang Schaeuble denken, und 
das sind bei weitem nicht alle. Sie alle haben integrative 
Faehigkeiten, binden Waehler an die Union, und deshalb gibt es 
keinen Grund, sie zu verstecken.
ruprecht: Zur Wahlkampfstrategie: Man hoert immer, Sie seien 
mehr fuer die "weichen" Themen, gegen die "harten" Themen, wie 
z.B. Auslaender, Kriminalitaet...
Geissler: Nein, ich bin nur gegen Einseitigkeit. Die Leute in der 
CDU, die "harte" oder "rechte" Themen in den Vordergrund stellen, 
machen das ja aus parteitaktischen Gruenden, weil sie denken, sie 
koennten dadurch Protestwaehler am rechten Rand einsammeln. 
Das ist natuerlich Einfaltspinselei. Ich bin zwar auch gegen 
Kriminelle und fuer Kriminalitaetsbekaempfung. Es kommt aber 
darauf an, ob man nur darueber redet und das als einzigen 
Schwerpunkt nimmt. Die strafrechtliche Betonung des Paragraphen 
218 ist ein Beispiel: Der Parteitag von Wiesbaden 1988 hat ein 
Konzept "Helfen statt strafen" beschlossen. Jetzt erweckt die Union 
mehr den Eindruck, ihre Position sei "Strafen statt helfen". Ich halte 
das erstens fuer in der Sache falsch und zweitens fuer nicht sehr 
attraktiv, z.B. fuer junge Frauen. Oder: Wenn die CSU ueberlegt, 
UEberfremdungsaengste zum Gegenstand des Wahlkampfes zu 
machen, dann stoesst sie in dasselbe Horn. Die Sozialdemokraten 
haben uns das vor zehn Jahren vorgemacht: Sie haben auch 
geglaubt, sie koennten mit ihrem Gesinnungspazifismus die gruen-
alternative Gruppierung wieder einsammeln und ueberholen. In 
Wirklichkeit ist genau das Gegenteil eingetreten. Wenn man 
inhaltlich und thematisch dem radikalen Rand nachlaeuft, dann 
macht man ihn nicht schwaecher, sondern staerker.
ruprecht: Ist Rudolf Scharping, der, wie Sie selber gesagt haben, 
"die CDU aus der politischen Mitte verdraengen will", ein 
gefaehrlicherer Herausforderer als seine Vorgaenger?
Geissler: Scharping hat das politische Problem der SPD voll 
erkannt. Er wirft ideologischen Balast seiner Partei ab. Er sagt eben 
nicht: "Wir muessen auf die linken Waehler Ruecksicht nehmen". 
Das kuemmert den gar nicht. Deswegen hat er dem 
Asylkompromiss zugestimmt, dem Solidarpakt, dem grossen 
Lauschangriff, und arbeitet an der SPD-Position zum Einsatz der 
Bundeswehr ausserhalb des NATO-Gebiets. Es gibt eine ganze 
Fuelle von Beispielen, wo er die Huerden abbaut, die bisher 
verhindert haben, dass die SPD in der Mitte akzeptiert wird. Und 
bei uns sagen einige Grossstrategen, wir muessten vor allem die 
"demokratische Rechte" einbinden. Insoweit agiert Scharping 
klueger als Stoiber und andere. 
ruprecht: Um noch einmal auf den Wahlkampf zurueckzukommen: 
Sie haben gesagt, dass man sich infolge von zunehmend taktischem 
Waehlerverhalten in Wahlkaempfen einfach keine Fehler mehr 
erlauben duerfe. Heisst das, dass die Wahlschiedsstelle, mit der Sie 
ja auch Erfahrung haben, beim Termin 1994 viel zu tun haben wird?
Geissler: Ich war ja Mit-Erfinder dieser Wahlschiedsstelle. Sie hat 
aber im Endeffekt das Gegenteil bewirkt. Die Angriffe, die wir 
gegen die Sozialdemokratische Partei vorgetragen haben, sind oft 
bei der Schiedsstelle gelandet. Dann kamen sie erst recht in den 
Medien. Es hat kaum eine Institution gegeben, die 
Wahlkampfparolen so weit verbreitet hat wie die Schiedsstelle. Weil 
Vorbereitungen und Entscheidungen der Schiedsstelle im Fernsehen 
uebertragen wurden, galt es schon fast als Niederlage, wenn man da 
nicht genannt wurde.
ruprecht: Sie haben erklaert, der Welt nach 1989 fehle die 
moralische Ordnung. Wir haben vor einiger Zeit mit Joachim Fest  
ein Interview gefuehrt, und er hat uns als verbindende Werte unter 
anderem die Zehn Gebote empfohlen. Was waere denn Ihr 
Vorschlag fuer grundsaetzliche, verbindliche Werte, deren Fehlen 
allseits beklagt wird?
Geissler: Die Zehn Gebote sind kein schlechter Vorschlag. Ich 
haette gerne, dass in der Schule und im Elternhaus jungen Leuten 
etwas mehr ueber die zehn Gebote erzaehlt wuerde. Dann wuerde 
den Leute wenigstens das Gewissen schlagen, nachdem sie ihre 
Molotow-Cocktails auf Asylbewerberheime geworfen haben. Vielen 
14jaehrigen in Rostock-Lichtenhagen hat das Gewissen nicht 
geschlagen, weil sie weder in der Schule noch im Elternhaus je 
etwas von Gott oder den 10 Geboten gehoert haben. Da hat 
Joachim Fest schon recht. Ich wuerde es nur umsetzen wollen, in die 
Politik. Die Grundwerte in einer demokratischen Gesellschaft sind 
eben identisch mit den Zielen der beiden grossen europaeischen 
Revolutionen: Freiheit, Gleichheit, Bruederlichkeit. Die Frage, ob 
eine Gesellschaft moralisch ist, darf man nicht abhaengig davon 
machen, ob nun Muench zuviel Geld bekommen hat und der andere 
zuwenig. Das kann man zwar auch moralisch bewerten, aber 
entscheidend fuer die Moral in einer Gesellschaft ist etwas anderes: 
Inwieweit sind diese Grundsaetze - Freiheit, Gleichheit, 
Bruederlichkeit - Schwesterlichkeit - in einer Gesellschaft 
verwirklicht?
ruprecht: Fuer Sie scheint das Ethische in der Politik von zentraler 
Bedeutung zu sein. Sie reden etwa davon, 1989 sei ein "Sieg des 
Moralischen" gewesen. Ist das eigentlich der Grund dafuer, weshalb 
Sie so heftig auf die Friedensbewegung zu Anfang der 80er Jahre 
reagiert und versucht haben, fuer die CDU gleichfalls einen 
ethischen Standpunkt zu reklamieren?
Geissler: Einen verantwortungsethischen Standpunkt. Es ging auch 
um die richtige Bewertung der Grundsaetze. Egon Bahr hat einmal 
gesagt, der Friede sei der oberste Grundwert. Wenn man eine 
Politik darauf aufbaut, muss sie Schiffbruch erleiden. Der Friede 
kann niemals ein Grundwert sein. Er ist immer das Ergebnis der 
Verwirklichung von Grundwerten. Es gibt keinen Frieden, wenn die 
Leute nicht frei sind, wenn sie in einer Catch-as-catch-can-
Gesellschaft leben, wenn es Nomenklatura und Privilegien gibt. Fuer 
mich gilt: "opus justitiae pax" - der Friede ist das Werk der 
Gerechtigkeit. Man kann hinzufuegen: das Werk der Freiheit, der 
Gerechtigkeit und der Solidaritaet.
ruprecht: War Ihre Reaktion auch so heftig, weil Ihrer Partei von 
Seiten der Friedensbewegung die Moral oder die Ethik 
abgesprochen wurde?
Geissler: Ja. Sie standen einseitig gegen die NATO. Die 
Friedensbewegung hat ja nicht gegen die Raketen, die sie bedroht 
haben, demonstriert, sondern gegen die Raketen, die sie beschuetzt 
haben.
ruprecht: Hat die Friedensbewegung nicht gegen jene Raketen 
demonstriert, auf die sie politischen Einfluss nehmen konnte?
Geissler: Die gab es aber noch gar nicht. Es gab noch keine 
Pershings und Cruise Missiles. Die Russen hatten seit 1979 300 SS-
20, SS-21-Raketen. Man kann das Problem an einem ganz einfachen 
Beispiel klarmachen: Die sowjetischen Truppen standen in 
Warschau, damit es dort keine Gewerkschaften gibt. Die 
amerikanischen Truppen standen in West-Berlin, damit es dort 
Gewerkschaften geben kann. So einfach ist die Geschichte. Mir hat 
laengst nicht alles gefallen, was die Amerikaner gemacht haben. 
Aber es ist eine grundsaetzliche Wertentscheidung gewesen.
ruprecht: Eine letzte Frage: Was macht Heiner Geissler nach einer 
von der CDU verlorenen, was macht er nach einer von der CDU 
gewonnenen Bundestagswahl?
Geissler: Auf hypothethische Fragen kann man nur irreale 
Antworten geben. 
ruprecht: Tun Sie das.
Geissler: Wenn eine Katze ein Pferd waere, koennte man die 
Baeume hochreiten
ruprecht: Aha.
Geissler: Ich gehoere nicht zu denen, die sich nachts im Bett 
ununterbrochen um die eigene Achse drehen und sich fragen, was 
sie noch werden koennen.
(bpe/hn)



Durch Studiengebuehren Eigenverantwortung staerken?
Ein Interview mit dem Minister fuer Wissenschaft und Forschung

Klaus-Dietrich v. Trotha, Jahrgang 1938, absolvierte mit 29 Jahren 
das zweite juristische Staatsexamen und arbeitete seit 1974 als 
Akademischer Oberrat an der Fakultaet fuer Verwaltungswis-
senschaften der Universitaet Konstanz. 1976 wurde er Mitglied des 
Landtages von Baden-Wuerttemberg und ist seit 1991 Minister fuer 
Wissenschaft und Forschung. ruprecht sprach mit Klaus v. Trotha 
ueber die geplante Studienreform. 

ruprecht: Wie alt sollte der deutsche Hochschulabsolvent sein, um 
auf dem europaeischen Arbeitsmarkt konkurrenzfaehig zu sein?
v. Trotha: Er sollte auf jeden Fall juenger als heute sein. Heute ist 
das Durchschnittsalter 29 Jahre. Ich wuerde mir vorstellen, ein Jahr 
an der Schule und zwei Jahre an der Hochschule einzusparen, so 
dass sich ein Gesamtalter von 26 Jahren ergaebe. Das laege zwar 
immer noch an der Obergrenze in Europa, aber noch in einem 
vertretbaren Rahmen. 
ruprecht: Prof. Dr. Ulmer, Rektor der Universitaet Heidelberg, 
fordert Studiengebuehren von 1000.- DM ab dem ersten Semester. 
Wie denken Sie ueber diesen Vorschlag? 
v. Trotha: Die Vorstellung von Herrn Ulmer geht auf Vorschlaege 
des Wissenschaftsrates zurueck, die dort zur Abstimmung standen. 
Ich habe vor allem aus zwei Gruenden im Wissenschaftsrat gegen 
den Vorschlag gestimmt, von Anfang an Studiengebuehren zu 
erheben. Zum einen scheint mir die elternunabhaengige Foerderung 
ein hoeherer Wert zu sein, zum anderen war damals nicht 
sichergestellt, ob das auf diese Weise eingenommene Geld wieder 
den Hochschulen zugute kaeme. Wenn der Vorschlag von Herrn 
Ulmer mehrheitsfaehig wuerde, was ich mir angesichts der Knapp-
heit der oeffentlichen Kassen immer mehr vorstellen kann, dann 
wuerde ich in der Tat meinen, dass er geeignet waere, die 
Studienzeiten zu verkuerzen. In dem Moment, in dem Bildung 
etwas kostet, wird man dem Zeitgesichtspunkt staerkere Beachtung 
zumessen. Die Gefahr, dass nur ein Teil der Studierenden diesem 
Druck ausgesetzt wird, darf allerdings nicht eintreten. Sie laesst sich 
aber vermeiden, wenn man ueber den Bereich der BAfoeG-Bezieher 
auch diejenigen freistellt, die nicht in der Lage sind, diesen Betrag 
aufzubringen.
ruprecht: Fuer die, die nicht zahlen muessen, wird dann aber dieser 
studienzeitverkuerzende Druck ausgesetzt?
v. Trotha: Druck wird im Grunde auf jeden ausgeuebt, der mit Geld 
gewissenhaft umgehen muss. Er mag fuer denjenigen staerker sein, 
der nicht von Zuhause ueber die notwendigen Mittel verfuegt. 
Deshalb muesste dafuer Sorge getragen werden, dass soziale 
Haerten keine Rolle spielen, sondern allein Leistungsgesichtspunkte.
Mein Konzept geht dahin, nicht von Anfang an Studiengebuehren zu 
verlangen, sondern nach UEberschreiten des dreizehnten Semesters. 
Fuer den, der bis dahin noch nicht mit dem Studium fertig geworden 
ist, moechte ich einen bestimmten, noch nicht festgelegten Betrag 
erheben, um damit jene von der Universitaet fernzuhalten, die nur 
immatrikuliert bleiben, um die Vorzuege eines Studentenausweises 
in Anspruch zu nehmen.
ruprecht: Ihr Konzept wird aber, wenn es zu einer allgemeinen 
Einhaltung der Studienzeiten kommt, nicht die Kassen der 
Universitaeten fuellen.
v. Trotha: Ich moechte auf diesem Wege nicht zu zusaetzlichen 
Mitteln kommen! Im Gegenteil, durch die Vorgabe von  6 1/2 
Jahren moechte ich die Eigenverantwortung der Studierenden 
staerken. 
Der Vorschlag von Herrn Ulmer wird dann immer bedeutungsvoller, 
je weniger der Staat in der Lage ist, zusaetzlichen Anforderungen 
der Hochschulen in finanzieller Hinsicht Rechnung zu tragen. 
Es ist in der Tat bedenkenswert, dass wir in Deutschland sehr viele 
Familien haben, die von ihrem finanziellen Status her ohne jedes 
Problem in der Lage waeren, Studiengebuehren fuer ihre 
studierenden Kinder zu zahlen.Wir verzichten aus traditionellen 
Gruenden auf dieses Geld, obwohl wir es dringend braeuchten.
ruprecht: Aus  Erhebungen des Studentenwerks geht aber hervor, 
dass finanzielle Einschnitte, wie seinerzeit die AEnderung der BA-
foeG-Regelung, zu einem Rueckgang von Studierenden aus 
Arbeiterfamilien fuehrten.
v. Trotha: Wenn man sich zu Studiengebuehren durchringt, dann 
muesste es eine Harmonisierung mit der BAfoeG-Regelung geben, 
moeglicherweise mit der Folge, dass man beim BAfoeG etwas 
zulegen muss. Die ruecklaeufige Zahl der Studierenden aus Ar-
beitnehmerfamilien kann man aber nicht ohne weiteres zugrunde 
legen, weil die Zahl der Arbeiter insgesamt in unserer 
Dienstleistungsgesellschaft zurueckgegangen ist.
ruprecht: Wird im Rahmen der Novellierung des 
Universitaetsgesetzes die Dienstaufsicht neu geregelt werden?
v. Trotha: Mir liegt daran, ein Aufsichts- und Weisungsrecht fuer 
den Rektor und die Dekane einzufuehren, weil sie vor Ort die 
Verhaeltnisse sehr viel besser beurteilen koennen, als es mir im 
Ministerium moeglich ist. Dies ist bei der Novellierung unserer 
Hochschulgesetze vorgesehen.
ruprecht: Die Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung 
gelangt in ihrer fuenften Erhebung zur Studiensituation zu 
folgendem Resuemee:  Das besondere Manko der westdeutschen 
Universitaeten liegt in der ungenuegenden Betreuung der 
Studierenden durch die Lehrenden  und in der Art und Weise der 
Durchfuehrung der Lehrveranstaltungen." Gerade in diesen Punkten 
greift Ihre Studienreform nach Ansicht vieler Studierender nicht.
v. Trotha: Die Behauptung, dass gerade in diesem Bereich, die von 
mir vertretenen Vorstellungen nicht greifen sollten, kann ich 
ueberhaupt nicht nachvollziehen. Wir haben einen ganzen Katalog 
zur Staerkung der Lehre vorgelegt. Beginnend damit, dass die 
didaktische Kompetenz der Lehrenden bereits bei der Habilitation 
und spaeter bei der Berufung gestaerkt werden soll. Bei der 
Habilitation soll eine Veranstaltung unter didaktischen 
Gesichtspunkten durchgefuehrt werden. Bei Berufungen achte ich 
schon heute darauf, ob eine ausreichende Lehrerfahrung und 
Lehrqualitaet vorhanden ist.
 Im uebrigen moechte ich durch die Einfuehrung des Studiendekans 
und der Studienkommission dafuer sorgen, dass der laufende Lehr-
betrieb von den Studierenden kritisch begleitet werden kann. Da, 
wo es Grund zu Beanstandungen gibt, wird den Studierenden auch 
ein  Recht  auf Beanstandung eingeraeumt, die dann in der Stu-
dienkommission beraten wird.
ruprecht: Besteht nicht fuer die Studiendekane ein Loyalitaetspro-
blem, da sie einerseits dem Lehrkoerper angehoeren, andererseits 
aber die Interessen der Studierenden vertreten sollen?
v. Trotha: Hier mag es eine innere Spannung geben, die aber in 
einem solchen Amt voellig unvermeidbar ist. Ich glaube, ich waere 
falsch beraten, wenn ich hier durch zusaetzliche Reglementierung 
eingreifen wollte. Die Autonomie der Universitaeten ist ein sehr 
hoher Wert, der sich besonders auf Lehre und Forschung bezieht 
und sich hier bewaehren muss.
ruprecht: Soll das neue Universitaetsgesetz weitere Moeglichkeiten 
fuer Studierende schaffen, sich mit den Lehrenden auszutauschen?
v. Trotha:Die Universitaet hat immer dann am besten funktioniert 
und die groessten Erfolge gehabt, wenn sie sich auch in der Praxis 
als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in vielfaeltigen 
Formen darstellt. Ich moechte diese Initiativen nicht durch formale 
Regelungen einschraenken, sondern dazu ermuntern, mehr 
Begegnungen - auch ueber den Lehrbetrieb hinaus - als bisher 
einzurichten. 	           (Interview: mc)




Wer hat Angst vor... - dem "Bund freier Buerger"?

"Protestparteien", "Nein-Sager-Parteien", "Statt-" oder Sonstwie-
Parteien: seit nicht allzu langer Zeit scheinen sie wie Pilze aus dem 
Boden zu schiessen, politische Organisationen jeglicher (?) Couleur, 
und noch scheint niemand so richtig etwas mit ihnen anfangen zu 
koennen. Je zahlreicher diese neuen Parteien werden, desto 
plakativer und nichtssagender werden all die pauschalisierenden 
Schubladenbegriffe, die man zum Versuch ihrer Charakterisierung 
hervorkramt. Dabei wird es, genau wie beim etablierten 
Parteienspektrum, Unterschiede geben, die durch das eingangs 
zitierte Begriffsinventar auf ziemlich undifferenzierte Art und Weise 
plattgemacht werden.
 Umso schwieriger ist es, dieses Spektrum im einzelnen adaequat zu 
erfassen, weil sich zu so einem fruehen Zeitpunkt in vieler Hinsicht 
einfach noch keine konkreten Aussagen treffen lassen.
Ein gutes Beispiel dafuer ist der am 23. Januar diesen Jahres vom 
ehemaligen FDP-Mitglied Manfred Brunner gegruendete "Bund 
freier Buerger", wobei zu den Gruendungsmitgliedern u.a. der 
Heidelberger Professor fuer Volkswirtschaftslehre, Franz-Ulrich 
Willeke, gehoert. Brunner war, wie bereits in zahlreichen 
Publikationen der letzten Zeit nachzulesen, durch seine recht 
zweifelhaften und ungeschickten AEusserungen ueber eine Art 
gegenseitige "Wahlhilfe", die man sich zusammen mit der 
rechtsorientierten FPOE Joerg Haiders zukommen lassen koennte, 
in die Schusslinie geraten und in der Folge natuerlich auch die von 
ihm gegruendete neue Partei. Willeke, angesprochen auf diesen 
Sachverhalt, sieht in den Reaktionen der etablierten Parteien und 
grosser Teile der Medien einen Ausdruck des Umstandes, dass 
demokratische Spielregeln ausser acht gelassen werden. Bevor die 
Partei, so Willeke, in der Gesamtheit ihrer (bisher natuerlich noch 
nicht so zahlreichen) Mitglieder die Chance hat, sich ueberhaupt 
konkret programmatisch zu aeussern, da werde bereits auf sie 
eingeschlagen mit dem Ziel, aufkommende Konkurrenz aus dem 
teilweise eigenen Lager gleich in die extreme rechte Ecke zu stellen 
und zu bekaempfen. "Eine Zusammenarbeit mit Herrn Haider 
kommt fuer mich nicht in Frage", stellt er fest, und meint damit 
auch, dass Herr Brunner, sollte er weiterhin dieses Vorhaben 
propagieren, sich in dieser Hinsicht einer parteiinternen 
Mehrheitsentscheidung beugen muesste. Es bleibt abzuwarten, wie 
der ehemalige FDP-Abgeordnete in Zukunft mit diesem Thema 
umgehen wird.
FDP-Sprecher Goebel freilich sieht die Sache etwas anders und 
teilweise auch als erledigt an: zum einen macht er "keinen Kommen-
tierungszwang mehr" aus, da Brunner ja bereits aus der FDP 
ausgetreten sei, zum anderen laesst er es sich aber nicht nehmen zu 
behaupten, das einstige Mitglied reite "auf einer modischen Welle, 
die durch "den Anschluss an die Anti-Europa-Bewegung von der 
Parteienverdrossenheit profitiert". Darueber hinaus vermeidet 
Goebel es aber tunlichst, die neue Partei beim eigentlichen Namen 
zu nennen und spricht in diesem Zusammenhang, wie auch andere 
Mitglieder aus der Presse- und der Politikabteilung der FDP, nur 
von der "Brunner-Haider-Partei".
Es stellt sich hier natuerlich die Frage, inwieweit von einem 
einzelnen Vorgang auf die Richtung einer ganzen Partei geschlossen 
werden kann. Solange noch kein Programm vorliegt muss jede 
diesbezuegliche AEusserung als Spekulation angesehen werden. 
Professor Willeke, der von Brunner wegen seiner oekonomisch-
wissenschaftlichen Taetigkeiten und Erfahrungen vor allem im 
Zusammenhang mit dem Thema der europaeischen Waehrungsunion 
angesprochen worden war, wehrt sich gegen Verkuerzung oder 
Umkehrung seiner Argumente und damit auch der Argumente seiner 
Partei, soweit sie bisher an die OEffentlichkeit gedrungen sind. Mit 
dem Ziel, den europaeischen Integrationsprozess, so wie er im 
Maastricht-Vertrag angelegt wurde, noch einmal zu ueberpruefen, 
plaediert er dafuer, dass "die Art der europaeischen Integration noch 
einmal zur Debatte stehen" sollte, indem man konkrete einzelne 
Inhalte noch einmal ueberdenkt und, wenn moeglich, korrigiert. Da 
von den politisch etablierten Parteien in dieser Richtung keine 
alternative Anstrengung zu erwarten sei, muesse daher eben der 
Weg ueber eine neue Partei gegangen werden, wobei er betont: 
"Wir sind natuerlich nicht gegen Europa!", womit er meint, dass er 
zwar die europaeische Integration (bei der es den Einheitsgedanken 
oh