Der Haken sind die Kakerlaken ...doch eigentlich lebt es sich nicht schlecht in Heidelbergs Wohnheimen Die Grussformeln reichen von einem schuechternen "hmpf " bis zu einem halbentschlossenen "hi-lo", weil keiner so recht weiss, ob er "hi" oder "hallo" oder vielleicht auch einfach gar nichts sagen soll. 20 Leute teilen sich eine Kueche, in der sie stets Angst haben muessen, am Boden klebenzubleiben, und in der verstopften Dusche muss Raffaella, (23) Spagatue- bungen auf dem Beckenrand machen, um nicht in die truebe Bruehe zu tapsen. So oder aehnlich hoerten sich die Augen- zeugenberichte an, die in etwa in unser Wohnheim-Klischee passten. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Einen Haken hat so ziemlich jedes Wohnheim, soviel steht fest. Das Eleonorenhaus in Handschuhsheim etwa ist, bau- lich gesehen, ein schoenes Wohnheim mit grossen Zimmern. Dafuer ist es nicht mit oeffentlichen Verkehrsmitteln er- reichbar; der scheinbar endlose Fussmarsch dorthin erinnert an den Aral-Werbespot ("Iīm walking...") und ist nachts im Dunkeln bestimmt nicht das, wovon Frauen traeumen. Die beiden Altstadt-Heime Sibley-Haus und Gustav-Radbruch- Haus sind dagegen wegen ihrer guenstigen Lage beliebt, das allerdings nicht nur bei Studenten: Als eine Bewohnerin morgens vor die Tuer trat, stolperte sie ueber einen Penner, der selig auf dem Gang schlummerte, eingewickelt in ihre tags zuvor zum trocknen aufgehaengte Waesche. Seine Kollegen bedienen sich ausserdem gerne aus den Kuehl- schraenken, und wenn Sigrid (20) nachts in ihre WG im Si- bley-Haus zurueckkehrt, kann es vorkommen, dass sie die Tuer zu ihrem Kuechenflur nicht aufkriegt, weil einige dieser ungebetenen Gaeste es sich dort bequem gemacht haben. Die offiziellen Bewohner dagegen haben meist einen unruhi- geren Schlaf: Weniger wegen des Mitbewohners, der so ger- ne nackt, wie Gott ihn schuf, durch die Gaenge streift, son- dern vor allem durch den Krach, der sowohl von draussen aus den Kneipen kommt, als auch von innen aus der Bar des Sibley-Hauses, wo es bis 3 Uhr nachts zur Sache geht. Fuer Erstsemester sehr empfehlenswert, doch Claudia (27) Studi "in den Endzuegen" findet das einfach "beschissen". Dieses Problem hoert sich im Neuenheimer Comenius-Haus anders an: Hier groelen zwar nicht, wie in der Altstadt, nachts die besoffenen Verbindungsstudenten vor den Fenstern, dafuer kreischen den ganzen Tag die Kindergartenkinder von ne- benan; im Wohnheim Hauhecke in Wieblingen werfen die Rotznasen gar Tannenzapfen in die geoeffneten Fenster. So sehr sich aber viele ueber Stoerenfriede von draussen auf- regen, so gut verstehen sie sich untereinander. Besonders fuer Studenten aus anderen Laendern ist das Wohnheim der beste Ort, um in moeglichst kurzer Zeit moeglichst viele Leute kennenzulernen. In den Europahaeusern in der Ploeck mit einer Auslaenderquote von 50 Prozent geht das ganz einfach: Wer neu und fremd ist, schliesst sich mit Gleichge- sinnten zusammen und erkundet die Stadt, berichtet Natalie (23) aus Frankreich. "Die sind alle unheimlich hilfsbereit und haben mir am Anfang geholfen, mich zurechtzufinden", freut sich Thomas (31) aus Kalifornien, der in einem Wohnheim mit geringerem Auslaenderanteil lebt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen gibt es in vielen Haeu- sern oft etwas zu feiern. Die Aktivitaeten mancher Stock- werkscliquen reichen von Fruehstueck ueber Kochabende bis hin zu "Weihnachtsfeten" in der Rohrbacher Strasse 110. "Schwarze" Schafe gibt es natuerlich: Andreas (30) aus der "Hauhecke" hat den dringenden Verdacht, dass "wir minde- stens zwei CDU-Waehler unter uns haben". Ob wohl einer von denen das Gysi-Plakat von der Kuechentuer entfernt hat? Dass fuer Studenten zusammen wohnen in den meisten Faellen auch bedeutet, ein Telefon gemeinsam zu benutzen, stoert die wenigsten. Kumhoe (29) aus Korea wundert sich lediglich ueber die Telefonierwut der Deutschen. "Bei uns ruft man meistens nur ganz kurz an." Wer befuerchtet, am Gemeinschaftsapparat nicht oft genug zu Wort zu kommen, kann sich in der Regel einen eigenen Anschluss ins Zimmer legen lassen. Streit gibt es hoechstens um den Zustand der Kuechen. Seit die Putzkolonnen dafuer nicht mehr zustaendig sind, ist es den Studis ueberlassen, sich den Kuechendienst einzuteilen. Dass das nicht ueberall klappt, sieht man am deutlichsten im Neuenheimer Feld. "In Nr.681 und 682 laesst sichīs noch aushalten", meint Oliver (24), "aber 683 ist wirklich ekeler- regend. Da siehst du nachts die Kakerlaken flitzen!" (Kann im Wohnheim Weybrecht in Rohrbach nicht passieren, denn dort gibtīs gar keine Kueche!) Zur Nr.683 koennen wir uns ausserdem die Anmerkung nicht verkneifen, dass man bei der dieser Zimmergroesse nicht mal Kniebeugen machen kann, ohne irgendwo anzustossen. Daran wird wohl auch die fuer das kommende Jahr vorgesehene Renovierung nichts aendern. In allen vom Studentenwerk getragenen Wohnheimen sowie in einigen pivaten ist die Wohnzeit auf vier Semester be- grenzt und kann durch soziales Engagement um bis zu wei- tere vier Semester verlaengert werden. Moegliche Taetigkei- ten sind das Uebernehmen von Sonderaufgaben, wie Bar- dienst, Gaertneraufgaben, Verleihen des eigenen Staubsau- gers, Streichen "verwohnter" Zimmer, Verkaufen von Waschmarken. Pro Semester duerfen ueberdies je zehn Pro- zent der Bewohner Tutorien anbieten (Meditations- oder Ba- stelkurse, Besuche der Mannheimer Oper). Ein Semester lang darf man sich zum Heimsprecher waehlen lassen. Als Inhaber dieses Amtes ist man nicht nur Anlaufstelle fuer Be- schwerden aller Art, sondern oft auch verantwortlich fuer die Organisation von Festen groesseren Umfangs. Das Siedlungsfest im Neuenheimer Feld gehoert auch dazu. Viel Wert auf Gemeinschaft legen die ausschliesslich weibli- chen Bewohner des Liselotte-Hauses in der Hauptstrasse ("Wir sind halt alle sozial."). Gaeste ueber Nacht zu haben bleibt den Liselotten jedoch laut Mietvertrag verwehrt. Einem etwas ungewoehnlichen Auswahlverfahren muessen sich Bewerber um einen Platz im Oekumenischen Studen- tenwohnheim (Altstadt) unterwerfen: Gefragt sind Leute, deren Lebenslauf vermuten laesst, dass sie bereit sind, sich in eine Gemeinschaft einzubringen. So werden die zahlreichen Angebote, wie gemeinsames Fruehstueck und Gartenbe- nutzung sowie ein woechentlicher Hausabend mit Vortrae- gen, von vielen wahrgenommen. "Es gibt niemanden, der nie dabei ist.", sagt Cornelia (27), die urspruenglich gar nicht hierher wollte, inzwischen aber begeistert ist. Mag das Zusammenleben in manchen Wohnheimen noch so harmonisch sein, alt werden wollen hier die wenigsten. Zwar soll es vereinzelte Veteranen geben, die seit ueber zehn Jah- ren im selben Wohnheim hausen. Joerg (28) haelt so etwas jedoch fuer ziemlich ungesund, denn: "Irgendwann kriegt jeder malīnen Wohnheimkoller." Gemeinsam sind wir unausstehlich: Das Verwalterehepaar "Sie als Auslaenderin koennen nicht einfach machen, was Sie wollen!" Alles, was Suyi (27) aus Taiwan wollte, war ein Telefonan- schluss. Doch als die Leute von der Telekom anrueckten, durften sie das Wohnheim Scheerle in Rohrbach nicht betre- ten. So bestimmte es das Verwalterehepaar Bolz. Und es kam noch schlimmer: Vom einen Tag auf den anderen wurde Suyis Miete rueckwirkend erhoeht, worueber sie mit den Mitbewohnern nicht sprechen durfte; andernfalls, so drohte ihr Frau Bolz, werde Suyi auf die Strasse gesetzt. Sie ging von selbst. Vor Ort erfuhren wir, dass in diesem sympatischen Wohn- heim nicht nur Auslaender "gebolzt" werden: Die deutschen Bewohner leiden naemlich ebenfalls unter den Wutanfaellen der Frau und den ausfallenden Bemerkungen des Herrn Bolz. Bestechlichkeit wuerde den Bolzens natuerlich nie- mand vorwerfen, denn wer laesst sich eigentlich nicht gerne hin-und wieder etwas schenken? ("Sie koennen mir den Osterkorb jetzt runterbringen, ich bin zu Hause." oder: "Warum haben Sie mir zu Weihnachten nichts geschenkt?" oder: "Warum haben Sie mir nichts zum Muttertag ge- schenkt?" - "Weil Sie nicht meine Mutter sind!", so die lo- gische Antwort der Studentin) Offiziell duerfen keine Gaeste im Haus uebernachten, aber fuer zehn Mark macht Frau Bolz gerne eine Ausnahme. Damit es auch der Bolzschen Katze gut geht, laesst die Verwalterin eine Sammelbuechse fuer den Kauf von Katzenfutter herumgehen. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten, Frau Bolz, und viele Geschenke!